Kapitel 27
--- Deine Sicht ---
Charlie taucht die ganze nächste Woche nicht auf. Und die darauffolgende auch nicht. Ich habe schon in Erwägung gezogen, nach Frankreich zu fliegen, aber das würde nichts bringen. Ich habe ihm gesagt, dass es mir leidtut. Wenn er darauf nicht reagiert, kann ich auch nichts mehr machen.
Kraftlos schleppe ich mich aus dem Bett und versuche die Augen zu öffnen. Heute ist Samstag, also muss ich nicht arbeiten, aber trotzdem hat mich jegliche Motivation verlassen. Mit zusammengekniffenen Augen schalte ich die Kaffeemaschine ein und stelle eine Tasse darunter.
"Seit wann trinkst du denn Kaffee?", fragt eine Stimme plötzlich hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um und reise dabei die Tasse zu Boden. Klirrend zerspringt sie in tausend Scherben, die jetzt auf dem ganzen Küchenboden verteilt sind. Trotzdem kann ich nicht anders, als Charlie anzustarren, der mich mit den Händen in den Hosentaschen schief anlächelt.
"Seit ich keinen Grund mehr habe, morgens aufstehen zu wollen.", sage ich trocken und verschränke die Arme vor der Brust. "Was willst du?" Statt zu antworten, richtet er seinen Zauberstab auf den Scherbenhaufen am Boden und repariert ihn in wenigen Sekunden. Dann kommt er auf mich zu und stellt die Tasse neben mich auf den Tisch.
"Ich will dir wieder einen Grund geben, morgens aufstehen zu wollen. Und ich tu alles, was du willst."
"Du denkst, dass ich dich nur benutzt habe, richtig?", frage ich und sehe ihm fest in die Augen. Er blickt zurück, aber antwortet nichts. "Dachte ich mir.", sage ich.
"Ja, dachte ich. Bis du dann bei Bill aufgetaucht bist."
"Ich wollte mit dir reden. Mich entschuldigen für diese zwei Sekunden, in denen ich nichts gesagt habe. Weil das nicht so gemeint war. Aber du hast mir überhaupt nicht zugehört. Du hast mich nur weggeschickt. Was hätte ich denn noch machen sollen?"
"Nichts. Ich hab dich weggeschickt, weil ich so sauer war in diesem Moment."
"Ja, das ist mir aufgefallen.", sage ich. Er sagt nichts mehr, sondern schaut zu Boden. Auch ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Also schweigen wir beide. Es ist ein unangenehmes Schweigen, weil der Konflikt noch lange nicht gelöst ist.
"Wie geht es jetzt weiter?", fragt er nach einer Weile.
"Charlie, ich liebe dich. Ob mit oder ohne Kinder. Aber ich weiß, dass es dir schwerfällt, das zu glauben. Du kannst mir nicht vertrauen, obwohl ich dir noch nie einen Anlass gegeben habe, mir nicht zu vertrauen. Du musst die Vergangenheit endlich vergessen. Das, was dir passiert ist, ist grauenvoll. Aber das ist vorbei. Das war einmal. Und das wird dir nicht noch einmal passieren. Nicht mit mir. Aber ich kann nicht mit der Gewissheit leben, dass du mir nicht vertraust. Ich kann das einfach nicht. Und ich habe es verdient, dass du mir vertraust. Also ... Jetzt liegt es an dir. Kannst du mir vertrauen?" Fragend und hoffnungsvoll sehe ich ihn an. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, um die Situation zu entlasten. Aber ich habe wirklich viel Geduld mit ihm gehabt. Doch die ist auch irgendwann zu Ende. Es wird Zeit, dass er endlich aus seinem Versteck kommt und wieder Vertrauen in andere Menschen fasst. Ich habe ihm genug Zeit gegeben.
"Du weißt nicht, wie das ist, wenn man immer verarscht wird. Also bitte tu nicht so, als wäre das so einfach wegzustecken. Ich vertraue dir, das mein ich ernst. Aber du glaubst mir das aus irgendeinem Grund nicht. Es stimmt aber. Ich vertraue dir. Es ist nur so, dass ich schnell misstrauisch werde. Weil ich Angst habe, wieder verarscht zu werden. Und das Gefühl hast du mir gegeben. Ich weiß, dass ich da überreagiert habe, aber ich nehme das eben nicht so leicht wie du. Also glaub mir bitte, dass ich dir vertraue, aber das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken darüber mache. Bitte versuch wenigstens mich zu verstehen. Ich sehe das aus einem ganz anderen Blickwinkel als du. Also ... Ich vertraue dir, aber du musst mir das glauben. So wie ich dir glaube, dass du mich wirklich liebst. Du weißt, dass ich nicht gut lügen kann. Du weißt, ob ich die Wahrheit sage. Lüge ich dich an?"
"Nein, tust du nicht.", gebe ich zu. Ich habe mich in ihm getäuscht. Ich habe gedacht, er vertraut mir nicht. Dabei war das Gegenteil der Fall. "Aber du täuschst dich.", sage ich. "Ich weiß nicht, ob du die Wahrheit sagst. Nicht immer. Du bist der einzige Mensch, den ich nicht durchschauen kann. Aber ich glaube dir trotzdem.", sage ich. Charlies Mund verzieht sich zu einem erleichterten Lächeln. Dann macht er zwei Schritte auf mich zu, sodass er beinahe direkt vor mir steht.
"Willst du mich heiraten?", fragt er.
"Natürlich, du Idiot!", grinse ich und küsse ihn.
--- Seine Sicht ---
"Charlie! Azure!", schreit eine Stimme aus dem Wohnzimmer des Fuchsbaus.
"Molly?", grinst Az, die neben mir sitzt und ein Paar weiße Schuhe anstarrt.
"Wahrscheinlich.", sage ich. "Was ist denn los?"
"Nichts eigentlich. Ich überleg mir nur gerade, wie ich in den Schuhen laufen soll. Wie hoch sind die? Fünf Zentimeter? Wer kann darin schon laufen?", jammert sie und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ich muss lachen.
"Du hast ja noch bis morgen Zeit zu laufen üben. Ich will ja nicht, dass du dir auf dem Weg zum Altar den Knöchel brichst."
"Vielleicht ziehe ich einfach gar keine Schuhe an.", sagt sie lachend.
"Solange du heil bei mir ankommst, ist mir das relativ egal, welche Schuhe du anhast.", grinse ich. "Ich gehe mal runter, bevor meine Mutter noch einmal schreit."
"Ja ok, ich komme gleich nach.", sagt sie. Ich lächele sie kurz an und gehe dann die Treppe runter. Am Ende stehen Bill und Scarlett mit dem Rücken zu mir.
"Wo ist Charlie eigentlich! Schließlich sind wir nur seinetwegen da?", fragt Scarlett.
"Der ist hier!", sage ich. Sie dreht sich um und grinst mich an.
"Hey! Lange nicht gesehen!", sagt sie und umarmt mich kurz.
"Stimmt! Hey Brüderchen!", sage ich dann und begrüße auch Bill.
"Und wo hast du Azure gelassen?", fragt Scar dann.
"Sie ist noch oben! Wo ist denn mein Lieblingsneffe?", frage ich, als ich den leeren Kinderwagen vor ihr sehe.
"Dein EINZIGER Neffe wurde gerade von George entführt.", antwortet Bill grinsend und zeigt über die Schulter in Richtung Küche. Sofort sprinte ich in Richtung Küche und finde meinen Bruder mit einem kleinen Kind auf dem Schoß auf dem Boden sitzen.
"Hey Phil!", sage ich und setze mich neben George.
"Schalie!", lacht der Kleine und klatscht freudig in die Hände. Mal wieder wird mir etwas schwer ums Herz, wie immer, wenn ich Phil sehe. Aber der Traum von eigenen Kindern ist nun mal gestorben. Das lässt sich eben nicht ändern.
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"Man, ist der gewachsen!", sage ich und wuschele Phil durch die Haare.
"Ja, du hast ihn ja auch fast ein halbes Jahr nicht gesehen.", antwortet Scarlett, die sich vor einigen Minuten zu mir gesellt hat.
"Sag mal, braucht ihr noch Hilfe bei irgendwas?", fragt sie dann. Ich schüttele den Kopf.
"Nein, danke! Ich denke, Mum und Azure haben alles im Griff."
"Ok! Charlie, ich freu mich wirklich sehr für dich! Az ist jemand ganz besonderes!"
"Ja ich weiß! Ich hätte nie gedacht, dass mich jemand aus meinem Loch wieder rausholen kann, in das ich gefallen bin, nachdem du weg warst. Aber sie hat es geschafft.", gestehe ich ihr.
"Das ist toll! Und sie macht dich glücklich! Das sieht jeder!" Ich lächele schief und schaue Phil dabei zu, wie er sich auf das Sofa zieht.
"Er hat deine Augen.", sage ich dann.
"Ja, das ist aber auch das Einzige, das er von mir hat.", sagt sie. "Er ist eine fast 100-prozentige Kopie von Bill.", lacht sie.
Ich will gerade etwas erwidern, als Azure durch die Tür kommt, während Phil lächelnd auf meinen Schoß klettert.
"Hi Scar!", sagt sie dann, lächelt mich kurz an und umarmt Scarlett. "Schön, dass ihr da seid!", sagt sie.
"Das lassen wir uns doch nicht entgehen! Ich freu mich so für dich und Charlie!", antwortet sie.
"Ich bin so aufgeregt!", sagt sie zu Scar.
"Kann ich mir vorstellen.", sagt sie. Dann flüstert sie ihr etwas zu, woraufhin sie Scarlett glücklich anlächelt.
"Ich weiß!", sagt sie dann, umarmt sie nocheinmal kurz und dreht sich dann zu mir um. Scarlett grinst einmal in die Runde und geht mit den Worten "Pass ja auch meinen Kleinen auf!" aus dem Zimmer. Az kommt zu mir und kniet sich hinter mich.
"Der Kleine ist echt süß!", sagt sie und legt die Arme um meinen Hals.
"Ja.", sage ich. Mehr kann ich nicht sagen, ohne traurig zu klingen.
"Mach dir bitte keine Vorwürfe, ja?", sagt sie und legt den Kopf auf meine Schulter.
"Das sagt sich so leicht."
"Bitte denk nicht so viel drüber nach. Nicht heute und nicht morgen, ok? Danach darfst du wieder. Aber du wirst an unserer Hochzeit nicht deprimiert Phil ansehen, ja?", sagt sie und küsst mich auf die Wange. "Versprochen?"
"Versprochen!", sage ich und drehe meinen Kopf zu ihr, um sie zu küssen. Jedoch fahren wir auseinander, als Phil anfängt, an Azures Haaren zu ziehen.
"Vielleicht sind Kinder doch etwas anstrengend.", grinse ich, woraufhin sie mich gleich noch einmal küsst.
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