21. Rituale

Wir veranstalteten ein Abschiedsritual.

Auf der nächsten Insel, die uns unterkam, wurde Anker gelegt und wir fanden uns abends am Strand ein, errichteten einen gewaltigen Scheiterhaufen.

Sans Habseligkeiten, die noch an Bord gewesen waren, Klamotten und Bücher, Taschen und Souveniers von seinen Reisen fanden darauf Platz. Ich hatte Briefe geschrieben. Briefe an den anderen Youngjae - Freyr - und Heimdall, an San und Jongup und Akuma, an Njörd, Thor und Baldur. Sie alle wurden mit verbrannt und die goldenen Funken stiegen in die laue Nacht hinauf, während die Crewmitglieder respektvoll die Köpfe gesenkt hatten, unter ihren Hüten verborgen still weinten.

Ich war die einzige, die gen Himmel hinauf sah, Glückwünsche und Abschiede an ihre entschwindenden Seelen schickte und die Tränen liefen offen über meine Wangen, kitzelten an meinem Hals, wo das flackernde Feuer sie sanft erwärmte.

Ich sah, wie Seonghwa und Yeosang gleichzeitig die Hände nach einem unkontrolliert schluchzenden Wooyoung ausstreckten, seine bebende Gestalt in ihre Mitte nahmen. Yunho hockte inzwischen am Boden, hatte das Gesicht in den Armen vergraben und Jongho stand mit glänzenden Augen und einer Hand auf seiner Schulter stark wie ein Felsen an seiner Seite.

Mingi stand stumm nahe der Flammen und hatte sich in ihnen verloren, er hatte nicht viele Tränen vergossen, war dafür nun allerdings umso ferner.

Wir beobachteten, wie Hongjoong Sans Hut als allerletztes in den Händen drehte, die bleichen Wangen nicht minder als die unseren von Tränenspuren gezeichnet und es war die letzte Geste, als er den Hut hoch in die Luft warf, ebenfalls den Flammen übergab. Ich senkte nun ebenfalls das Haupt, sah nicht mehr durch meine Tränen und versuchte um den Kloß in meinem Hals um Luft zu ringen.

Sie waren fort.

Das Feuer brannte noch die ganze Nacht, aber die Crew verstreute sich nach und nach. Sie fanden weiter entfernt Platz, teilweise allein, oft in Paaren und teilten ihre Erinnerungen miteinander, nahmen auf ihre Art Abschied.

Ich fand mich ebenfalls allein, wanderte gedankenverloren durch den feuchten Sand unter meinen bloßen Füßen, während das kühle Wasser immer mal wieder behutsam an meinen Zehen leckte.

Meine Gedanken waren weit weg von mir, der Kopf absolut leer, obwohl ich die ganze Zeit all meine Treffen mit ihnen durchlebte, mich an jede Sekunde, die ich sie gekannt hatte, erinnerte. Der Wind strich kühl durch mein Gesicht und Haar, trocknete die Tränen wie als sei es Sans verzeihende Berührung.

Der Mond stand bleich am Himmel, machte unzähligen Sternen Platz, die sanft funkelten, eine Besserung versprachen, Akzeptanz und Vergessen.

Ich sah auf, als ich vor mir eine weitere einsame Gestalt am Strand bemerkte, leer über das Meer und den Himmel hinaus starrend und das rote Haar beinahe schwarz in der Dunkelheit wirkend.

Mit langsamen Schritten näherte ich mich ihm und zögerte nach all der Zeit nicht mehr die Hände suchend nach ihm auszustrecken, ihn in eine sanfte Umarmung zu ziehen. Er schien nicht überrascht, ließ den Kopf nur vorsichtig an meine Schulter sinken, um das Gesicht in meinem Hals zu vergraben. Warme Arme fanden vertraut meine Hüfte.

Wir sprachen nicht, standen nur in stiller Zweisamkeit am Meer, während die Wellen leise schwappten und der Mond über uns wachte, sich verzerrt auf dem Wasser spiegelte.

Kawaakari.

Wer wusste schon, wie lange wir dort standen und einander hielten.

Wer wusste schon, ob die Zeit überhaupt verstrich, wie das Leben weiterging. Um uns, oder auf der Welt.

Wer wusste schon, was kommen würde.

Als Hongjoong den Kopf nach einer Weile wieder hob, um seine Stirn vorsichtig an die meine zu lehnen, einen langen Atemzug zu nehmen, waren wir ruhig. Sein Atem streifte meine Wange, als er sanft ausatmete, Ruhe fand.

Meine Augen waren noch offen, fanden die seinen, die halb im Schatten, halb im Mondlicht lagen. Sein Blick waren noch immer schwer mit Trauer, aber gefasst.

Seine Stimme war rau, als er anhob zu sprechen, kaum ein Flüstern in der Stille, wie als könnte sie alles zerbrechen, das malerische Bild zerreißen. Warme Hände hielten mich sicher bei ihm, umfingen mich schützend, um seine Körperwärme mit mir zu teilen.

"Darf ich dich küssen, Tsukiko?", waren seine sanften Worte, kein neckisches Flimmern seiner Augen, keine Witzeleien. Nur Hongjoong. Zart und warm. So rücksichtsvoll.

Mein Herz rief sehnsüchtig nach ihm.

"Seonghwa würde dich umbringen." Meine Stimme war womöglich noch leiser als die seine, verlor sich beinahe im stetigen Murmeln der See und eine von Hongjoongs Händen kam gemächlich herauf, um durch mein weißes Haar zu streichen, eine verlorene Strähne hinter mein Ohr zu stecken.

"Ich habe dich gefragt, nicht ihn."

Der Hauch eines wohlwollenden Lächelns geisterte über meine Lippen und meine Finger waren ruhig, als ich sie hinter seinem Rücken verschränkte, berührten ihn sanft.

"Dann sicher doch, Kapitän."

"Hongjoong.", verbesserte er automatisch mit einem Murmeln gegen meine Lippen und es war so einfach. Es war kaum mehr als die langsame Neigung eines Kopfes, kaum mehr als warme Haut, die andere warme Haut berührte. Und dennoch war es so familiär und tröstend. Es war so wenig und änderte doch so viel, ließen mein Herz eine weiche Melodie singen.

Es war wie als würde der letzte Teil eines Puzzles endlich an seinen Platz gleiten, ein Gesamtbild enthüllen, das zwar zu erahnen, aber nie gänzlich perfekt schien. Es war...

Komorebi.

Seine Finger hielten meinen Kopf mit der größten Vorsicht, führten mich zärtlich in den Kuss hinein, ohne dass ich noch eine Sorge auf der Welt haben musste.

Unser Kuss schmeckte salzig, aber ich wusste nicht, wer es war, der weinte und es spielte auch keine Rolle.

Ich wusste nur, dass ich daheim war.

-

Hongjoong und ich kamen später Hand in Hand zum Lager zurück, fanden unseren Platz am wärmenden Feuer und mein Kopf lehnte schwer an seiner Schulter, während wir gemeinsam in die Flammen starrten.

Ich war ruhig, hatte allen Schmerz und Trauer verloren in dieser Nacht. Manches war gegangen, anderes war gekommen. Mein Herz war auf einer Ebene der Neutralität, wenn es auch wusste, dass andere Tage kommen würden. Große Freude und Wärme anstanden, die nur etwas warten mussten.

Jinyoung hatte recht gehabt. Die Dunkelheit wich dem Licht, ebenso wie unser Feuer hier hell brannte und eine Hoffnung für alle weiteren Gefahren gab. Die Trauer wich der Freude.

Als ich den Kopf wandte, strahlten Hongjoongs Augen heller als jeder Stern am Himmel, vertrieben alle Sorgen und Ängste, wie als haben sie nie etwas anderes getan.

Jinyoung hatte recht gehabt.

Wir schafften es diese Nacht nicht zu essen oder zu schlafen. Die Crew baute sich ihr Lager auf und kuschelte sich am Feuer eng zusammen, Wooyoung im Zentrum zwischen die anderen gequetscht.

Der Nachthimmel schien zeitlos über uns, während wir die Stille teilten, Hongjoong immer mal wieder die Arme, die mich schützend bei ihm hielten verlagerten. Irgendwann jedoch erhellte sich die Nacht wieder und die Sonne kündigte sich an. Ein Neubeginn.

Wir verweilten nicht an diesem Ort der Trauer. Wir hatten ale Tränen vergossen, alle Worte hinausgeschrien.

Nun wurde es Zeit unsere Taschen zu packen und auf eine neue Reise aufzubrechen, eine Reise mit Schätzen und mythischen Kreaturen und Zauber und Magie. Die Zeit stand nie still. Und ebenso würden wir es nicht tun.

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