twenty one
twenty one──────
„Ich will sterben, Jon."
Jon stöhnte laut am anderen Ende der Leitung. „Oh, Mann, Georgie. Es ist Weihnachten, das ist doch kein guter Tag zum Sterben."
„Falsch, das ist genau der perfekte Tag. Ich wäre dann der Typ, der an Weihnachten gestorben ist."
„George Nicholas Atkinson", erwiderte Jon mahnend. Ich drehte mich auf der Matratze auf meinen Rücken und schob meine Unterlippe vor. „Ich toleriere gerne, dass du mich morgens anrufst. Ich toleriere auch, dass du mich am 24. Dezember morgens anrufst. Ich toleriere aber nicht, dass du das nur tust, um jemanden mit deiner Jammerei zu nerven."
„Ich habe so verkackt, Jonnie", stieß ich verzweifelt aus und legte meinen freien Arm über meine Augen. „Alles, was ich dieses Jahr zu Weihnachten wollte, war Emery."
„Wie romantisch", kommentierte Jon emotionslos. „Dann geh doch zu ihm rüber und sprecht euch über eure Gefühle aus. Du kannst nicht die ganze Zeit nur davon ausgehen, dass er dich nicht mag. Das könnte alles ein großes Missverständnis sein."
„Geht nicht", murmelte ich, bevor ich leise gähnte. „Ich muss heute noch einkaufen gehen. Hab noch nichts zu essen für die Feiertage."
„Normale Leute gehen vor den Feiertagen einkaufen."
Ich rollte mit den Augen. „Ja, ja, Mum. Aber mach nicht so einen Aufstand. Es gibt ja einen Grund, warum die Läden heute noch aufhaben."
Jon schwieg.
Ich wollte gerade fragen, ob er überhaupt noch da war, als er doch etwas sagte. „Sag mal, Georgie hast du heute schon mal aus dem Fenster gesehen?"
„Nö, die Rollladen sind unten und ich lieg noch im Bett", erwiderte ich mit einem Grinsen auf den Lippen. Jon stieß ein tiefes Seufzen aus.
„Beweg mal bitte deinen Hintern und schau aus dem Fenster."
„Okay, aber nur weil du es bist." Ich legte mein Handy auf dem Nachttisch ab und rollte mich aus dem Bett. Am Fenster angekommen begann ich die Rollladen hochzurollen. Irritiert stellte ich fest, dass ich mehr Kraft brauchte als sonst. Als ich genug hochgerollt hatte, um nach draußen zu sehen, fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf. „Was zum -?"
Eilig griff ich nach meinem Handy. „Jon, ich kann draußen nix sehen! Alles ist weiß!" Jon brach in lautes Gelächter aus. „Scheiße, Mann, warum ist da so viel Schnee?"
„Verdammt, Georgie, du arbeitest im Fernsehen. Du wirst doch wohl vom anstehenden Schneesturm mitbekommen haben."
Für einen Moment starrte ich stumm aus dem Fenster. Dies schien genug Antwort für Jon zu sein, da er erneut in Gelächter ausbrach.
Ich hingegen begann innerlich durchzudrehen. „Verdammt, Jonnie, was mach ich denn jetzt? Ich werde verhungern!"
„Ach komm, irgendetwas hast du bestimmt zu Hause."
„Eben nicht." Verzweifelt fuhr ich mir über das Gesicht und erinnerte mich an den Moment gestern Abend, an dem ich mein letztes Brot aufgegessen hatte. Ich hatte ja eigentlich gedacht, dass ich heute einkaufen gehen würde, deswegen hatte ich mir nichts aufbewahrt.
„Tja, ich schätze, dann musst du wohl doch zu Emery rüber."
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Mit klopfendem Herzen ging ich vor Emerys Wohnungstür auf und ab. Ich wusste nicht, warum ich so unruhig war und nicht einfach klopfte – oh, warte, ich wusste es doch: er hatte mir mein Herz gestohlen ohne es zu bemerken. Dabei hatte Emery selbst sein Herz an jemanden verschenkt.
Vielleicht sollten wir eine Selbsthilfegruppe gründen. Was tun, wenn du jemanden liebst, er dich aber nicht? Oder: Einseitige Liebe 101
Ich zwang mich vor seiner Tür stehen zu bleiben. Klar, könnte ich bei jedem anderen Nachbarn klingeln. Es lebten ein paar nette alte Damen auf unserem Stockwerk, die bestimmt einen Braten für mich übrig hätten.
Aber keiner von diesen Frauen konnte mit Emery mithalten. Und eigentlich sollte ich ja wirklich mit ihm reden. Wenn ich ihm meine Gefühle erklärte, fanden wir vielleicht einen Weg damit umzugehen. Oder Emery konnte mir endlich den Korb geben, den ich brauchte, um mit der Sache abzuschließen.
Mutig hob ich meine Hand und klopfte fest an die Holztür. Es dauerte einige Sekunden, bis ich Schritte hörte. Langsam öffnete Emery die Tür. Meine Augen wanderten seinen Körper auf und ab. Seine Haare waren nicht länger pfirsichfarben, sondern platinblond. Irgendwie schienen seine braunen Augen dadurch noch dunkler. Er trug denselben blauen Pullover, wie bei unserer ersten Begegnung am Briefkasten und die kurze Stoffhose, die mich bereits einmal verrückt gemacht hatte. Doch dieses Mal steckte er ebenfalls in hellgrauen Kniestrümpfen, die beinahe bis zum Saum seiner Hose reichte.
Ich schluckte. Ich hatte noch nie einen Jungen in Kniestrümpfen gesehen, aber ich war mir sicher, dass vor mir gerade der hübscheste von allen stand. Ich wusste nicht, wie Emery es machte.
„Oh Gott", entwischte es meinen Lippen und ich presste diese sofort zusammen, damit ich nicht noch mehr Mist redete.
„Hast du auch irgendetwas Interessantes zu sagen oder bist du nur zum Gaffen gekommen?" Ich könnte schwören, dass Emerys Wangen röter geworden waren, doch wahrscheinlich war dies lediglich Wunschdenken.
„Hi", stieß ich aus und lächelte den Jungen an. Dieser hob nur eine Augenbraue. „Ich hab ein kleines Problem." Ich musste mich selbst zwingen, meine Augen auf Emerys hübschem Gesicht zu lassen, da ich ansonsten wohl noch ein zweites Problem haben würde. Denk an deine Großmutter, denk an deine Großmutter.
„Was für ein Problem?" Emery verschränkte seine Arme vor der Brust. Ich musste schon sagen, ich vermisste sein Lächeln.
Ich kratzte mich verlegen am Nacken. „Naja, ich habe irgendwie nicht mitbekommen, dass es einen Schneesturm geben soll. Ich wollte heute einkaufen gehen, aber ... wie du weißt, kann man das Haus momentan nicht verlassen." Ich biss mir unsicher auf die Lippe. „Und jetzt habe ich wirklich nichts Essbares in meiner Wohnung mehr. Ich wusste nicht, was ich machen soll und dann dachte ich mir, dass du ja bestimmt etwas zu Essen hast und ..." Ich ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen und warf Emery einen verzweifelten Blick zu.
Dieser seufzte leise und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Ich müsste noch ein paar Konservendosen haben, die ich dir mitgeben kann."
Sofort begann ich innerlich zu schreien. Ich wollte keine doofen Konservendosen. Ich wollte warmes selbstgekochtes Essen. Ich wollte Emerys Essen. Ich wollte Emery an meiner Seite.
Da ich nichts sagte und wohl etwas verzweifelt schaute, starrte mich mein Nachbar verwirrt an. „Ich bin einsam, okay?", gab ich schließlich zu. „Das ist mein erstes Weihnachten ohne meine Familie. Ich war dumm genug, um darauf zu bestehen, weil ich dachte, dass ich ja nicht jedes Weihnachten zu meiner Mutter rennen kann. Aber jetzt steh ich hier, ohne beschissenes Essen, weil ich nicht mal das auf die Reihe kriege. Also kann ich bitte bitte die Feiertage bei dir verbringen? Ich schwöre auch, dass ich dir nicht dein ganzes Essen wegesse und dass ich dir beim Aufräumen helfe."
Emery musterte mich einen kurzen Augenblick, bevor er die Tür weiter öffnete, sodass ich eintreten konnte. Während ich in seinen Flur trat und aus meinen Schuhen schlüpfte, hörte ich ihn etwas ‚Welpen', ‚hilflos' und ‚treten' murmeln. Er wollte einen hilflosen Welpen treten?
„Ich hab mir gerade eben zu Mittag ein Sandwich gemacht. Hast du Hunger? Willst du auch eins? Ich mach erst in ein paar Stunden Abendessen."
„Gerne, wenn es dir nichts ausmacht", erwiderte ich und folgte Emery in die Küche. Emery begann Brot und Käse aus dem Kühlschrank zu holen. Aus dem Augenwinkel sah ich noch ein paar Streifen Bacon in einer Pfanne und dankte jedem Gott, der mich zu Emery gebracht hatte. „Krieg ich auch Bacon?"
„Klar", erwiderte der blonde Junge und warf mir ein kleines Lächeln zu. Ich erhaschte einen Blick auf sein Grübchen und sofort schlug mein Herz im Rekordtempo. Ich sollte etwas sagen. Ich sollte mich nochmal bedanken. Ich sollte ihm sagen, dass ich mich in ihn verliebt hatte.
„Ich hab dich letztens nachts singen hören." Was? Nein! Alles nur nicht das! Was machst du für Mist, Georgie? Emery hielt in jeder Bewegung inne und drehte sein Gesicht zu mir. „Darüber, dass du deinen Freund liebst, er aber nicht dich." Hör auf zu reden, du Dummkopf!
Emery sah mich für einen kurzen Augenblick fassungslos an. „Und ich hab das Gespräch mit deinen Freunden gehört."
Oh Gott.
Oh Gott.
Sag irgendetwas.
„H-Hast du dem Jungen dein Lied gezeigt?"
Emery schien einen Moment zu zögern. „Nicht wirklich. Er ist wohl in jemand anderen verliebt", antwortete er und wandte sich wieder meinem Sandwich zu. „Hast du ihm gesagt, dass du verliebt bist?"
„Ich würde ja. Aber er steckt selber in einem Liebesschlamassel wie es scheint."
„Tragisch."
„Mhm."
Wir schwiegen für einige Momente, in denen Emery mein Sandwich fertig zubereitete. Es irritierte mich immens, dass er mich gefragt hatte, ob ich meine Liebe gestanden hatte, wenn er die Antwort doch wissen sollte. Er würde sich doch daran erinnern, wenn ich es getan hätte. Vielleicht war dies ja seine Art und Weise mich abzuweisen. Nach wenigen Minuten drückte mir Emery mein Sandwich auf einem Teller in die Hand. Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo wir uns beide auf das Sofa fallen ließen und ich mein Mittagessen vertilgte.
„Oh mein Gott", stieß ich zwischen Bissen aus und meine Augen rollten sich beinahe in den Kopf hinein.
„Was?" Emery zog seine Augenbrauen zusammen. „Stimmt was nicht?"
„Nein, nein, überhaupt nicht. Dieses Sandwich. Das ist das Beste, das ich je gegessen hatte", erklärte ich überschwänglich, nachdem ich runtergeschluckt hatte. Dieses Mal war ich mir sicher, dass Emery rot wurde. Er winkte ab, doch ich schüttelte nur fest meinen Kopf. „Das ist kein Scherz. Nicht mal meine Mutter – und die kocht wirklich fabelhaft – hat mir je so ein tolles Sandwich gemacht."
Emery biss sich lächelnd auf die Unterlippe. „Früher, wenn meine Eltern aus dem Haus waren, haben immer meine älteren Brüder etwas zu essen gemacht und es hat schrecklich geschmeckt. Also hab ich kochen gelernt, damit wir nicht immer Pizza bestellen mussten. Ich schätze, es hat seine Vorteile."
Ich gab einen zustimmenden Ton von mir und nickte eilig. „Ich zieh bei dir ein." Lachend schüttelte Emery seinen Kopf. „Kannst du auch Arme Ritter?"
„Ja, denk schon", lächelte der junge Mann. Ich sah ihn für einen kurzen Moment mit offenem Mund an, bevor ich bemerkte, dass ich darin immer noch Essen hatte.
„Ich zieh bei dir ein", wiederholte ich nur und aß mein Sandwich auf. Wenn das hier nur das Mittagessen war, wusste ich nicht, wie ich das Abendessen überleben sollte.
Das waren jetzt 1,7k Wörter von Gemery, die es einfach nicht auf die Reihe kriegen über ihre Gefühle zu reden 😂
Wie hat euch das „neue" Kapitel gefallen? Fandet ihr es lustig, dass George irgendwie den Sturm verplant hat? Denkt ihr, dass sich die Jungs jetzt allmählich wieder aneinander nähern? Was passiert nächstes Kapitel? Meint ihr sie sprechen sich endlich aus?
Im Übrigen ist dann das nächste Kapitel wieder in Emerys Sicht, aber das erkennt ihr dann auch ^-^
Love xx
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