8. Blau
Teo:
Patricia geht vor mir in die Trainingshalle. Als sie bei mir anklopft und fragt, ob ich mitkomme, sage ich, dass ich nachkomme.
Meine "Begleiterin" hielt es nämlich nicht für nötig mich abzuschminken, das einzige was sie getan hat, war die silbernen Kontaktlinsen rauszunehmen.
Die Wimpern konnte ich mir relativ einfach abreißen, aber der Rest ... die ganze weiße Farbe und die tausenden Glitzersteinchen ... mit all dem Zeug kämpfe ich immer noch.
Meine Haut ist mittlerweile krebsrot von dem Abrubbeln der Schminke, aber ich sehe wieder so aus wie ich.
Ich muss wirklich los zum Training, vielleicht gehöre ich nicht zu den ganz Schwachen, wenn man bedenkt wie viele jünger sind als ich, aber ich habe noch nie eine Waffe in der Hand gehalten.
Mal abgesehen von einer Eisenstange als Schuhspanner, aber dass es so etwas in der Arena geben wird, bezweifle ich doch stark.
Also ignoriere ich die kleinen falschen Edelsteine hinter meinen Ohren, ziehe den bereitgelegten Trainingsanzug an und laufe nach unten ins Trainingscenter.
Der Trainingsanzug ist schwarz mit einer großen eins auf dem Rücken und ein paar grauen Streifen als Dekoration.
Auf jeden Fall fühle ich mich in diesen Klamotten mehr so wie ich selbst: Ganz anders als gestern.
Ich wette, meine alte Klasse hat sich bei meinem Anblick totgelacht. Bei dem Gedanken spüre ich einen schmerzhaften Stich und ich verdränge schnell die aufkommenden Gedanken an Tommy und meine Mutter.
"Da bist du ja endlich!", zischt Patricia, die neben dem Eingang zum Trainingsraum steht. Ich schätze mal, sie hat auf mich gewartet.
"Warum bist du nicht reingegangen?", frage ich verwirrt.
"Teo.", sagt sie leise.
"Was?!", wiederhole ich. Patricia weicht meinem Blick aus. In ihren Haaren sind noch die farbigen Strähnen, aber anders als ich scheint sie die Schminke sorgfältig entfernt zu haben - ihr Gesicht ist nicht einmal leicht gerötet.
"Es gab einen kleinen Unfall.", flüstert sie.
"Hä?", mache ich und verschränke die Arme. "Willst du mich nur vom Trainieren abhalten, oder-"
"Laura hat den Jungen aus Distrikt 3 ausversehen getötet!", unterbricht mich Patricia und schlägt sich die Hände vors Gesicht.
"Warte, was?!", rufe ich aufgebracht. "Wer ist Laura?"
"Das Mädchen aus 2. Sie ... wir haben uns unterhalten und dann hat sie geworfen und der Junge lief vorbei und ... er ist tot!", schluchzt Patricia. Ihre Schultern zucken.
Ich will etwas sagen, irgendetwas tröstliches, auch wenn mir absolut nichts einfällt, aber Patricia redet weiter: "Das schlimmste ist ... der Junge, er muss trotzdem in die Arena.
Er wird hochgebracht, obwohl er schon tot ist! Sie werden so tun, als wäre er erst dort gestorben, vermutlich lassen sie es wie pure Dummheit aussehen!", sagt Patricia. "Ich hab es dadrin nicht mehr ausgehalten. Octavia sah so aus, als würde sie mich am liebsten umbringen!"
"Warum?", frage ich. "Warum wollte sie dich und nicht Laura am liebsten umbringen?!"
"Ich ... ich habe gelacht. Es war ein versehen wirklich. Ich ... er lief da und hat den Speer abbekommen und es sah zuerst so ... es sah so LUSTIG aus Teo! Ich wusste doch nicht, dass er ...", wieder ein Schluchzen.
"Die anderen sind drin, oder?", frage ich trocken. Patricia nickt: "Ich brauchte nur kurz ... ich wollte es dir erzählen. Wahrscheinlich denken sie jetzt, wir stecken unter einer Decke. Teo, ich ..."
"Ich geh trainieren!", unterbreche ich Patricia und betrete den Trainingssaal.
Und bleibe wie angewurzelt stehen.
Ich weiß nicht, was genau ich mir unter dem Begriff "Trainingscenter" vorgestellt habe, aber so etwas definitiv nicht. An der Decke hängen Seile und Netze, überall hängen Messer, an den Seiten stehen Puppen auf die verschiedene Kreise gemalt sind.
Die unterschiedlichen Bereiche sind nicht abgesperrt, aber es sind Stationen zu erkennen: Ein Mädchen mit schwarzen Haaren und ein Junge mit roten Locken knoten irgendwelche Seile aneinander, die Tribute aus Distrikt 2 werfen wie erwartet mit Speeren auf einige der Puppen.
Überrascht bemerke ich, dass sie die Puppen zwar treffen, aber immer außerhalb der Kreise.
"Teo Vorean?", fragt eine leise Stimme. Sie gehört einem Mädchen, höchstens zwölf Jahre alt. Auf ihrem Anzug prangt eine große drei.
"Dein Distrikt hat Lio getötet.", sagt sie leise. Ihre Augen glitzern.
"Ich ... es tut mir leid.", sage ich, genauso leise. Das Mädchen kneift die Lippen zusammen und wippt auf und ab: "Er war ein Freund von mir. Er war nett und wir wollten zusammen arbeiten."
"Oh.", mache ich, weil ich wieder nicht weiß, was ich sagen soll.
"Ich wollte nur ...", sie zögert kurz. "Wenn ich kurz davor bin zu sterben. Also wenn ich zum Beispiel vergiftet werde oder so und du zufällig in der Nähe bist und siehst, dass ich so richtig leide, dann ... kannst du mich dann bitte ganz schnell umbringen? So, dass ich nicht viel spüre und sofort tot bin? Wie eine Kugel durch den Kopf?"
Ich weiß nicht was mich mehr schockiert. Der Vergleich mit der Kugel durch den Kopf oder die Tatsache, dass sie ihren Tod scheinbar schon akzeptiert hat.
"Kannst du das versprechen?", fragt das Mädchen bittend.
Ich stelle mir die Situation vor. Ein zwölfjähriges Mädchen, das Todesqualen leidet.
Würde ich es schaffen, sie zu töten?
"Ich kann es versuchen. Aber wirklich nur im Ernstfall.", sage ich mit belegter Stimme. "Nicht, dass ich ausversehen ..."
"Wie wärs mit einem Codewort? Wenn ich das sage, dann tötest du mich!", schlägt das Mädchen vor.
Ich nicke zögernd: "Und wie soll-"
"Blau!", unterbricht mich das Mädchen. "Wie der Himmel."
"Okay. Also, wenn du leidest und dann "Blau" sagst, dann ... töte ich dich.", fasse ich zusammen.
Sie nickt: "Ich geh wieder trainieren. Und danke!"
Ich lächel zittrig und laufe zu der Station mit den Seilen.
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