7. Wie ein Juwel
Teo:
Ich kann nicht aufhören mich im Spiegel anzustarren.
Ich wusste schon immer, dass ich vielleicht nicht besonders gut aussehe. Durchschnitt halt.
Aber das ich derartig hässlich sein kann ist mir neu und bringt mich zum Erschaudern.
Ich trage ein T-Shirt mich Ärmeln, die so weit abstehen, dass es so aussieht, als hätte ich vier Arme. Und eins der Armpaare halte ich die ganze Zeit in der waagerechten.
Die Schlaghose und das Shirt sind beide silbern besprüht und mit unnötigen Nähten aus glitzernden Fäden verziert.
Das schlimmste sind aber nicht die absolut lächerlichen, kniehohen Stiefel, sondern die falschen Edelsteine: Ich bin komplett damit beklebt.
Rosa, türkis und lila. Das sind die Farben, in denen ich leuchte, wenn ich mich so drehe, dass ich im Licht der Lampe stehe.
Und wenn ich sage, dass ich komplett damit beklebt bin, dann meine ich das auch so.
Meine Arme und Hände sind genauso mit den Teilen vollgepflastert wie meine Klamotten. Ich fühle mich wie ein lebendiges Schmuckstück.
Eins von der Sorte, dass wegen Hässlichkeit verbrannt werden sollte.
Dann ist da noch mein Gesicht. Mal abgesehen von den Steinen auf meiner Stirn und meinen Wangen - ich trage künstliche Wimpern. Lange, silberne, glitzernde, künstliche Wimpern.
Ich möchte bitte kotzen.
"Teo!", ruft Jelly, ihre Stimme ist noch schriller als sonst. Ich drehe mich um und sehe, wie Patricia neben ihr zusammenzuckt.
Ja, ich weiß, dass ich aussehe wie ein Horrorclown. Immerhin konnte ich mich erfolgreich gegen die pinke Perücke wehren!
"Du siehst ... interessant aus!", sagt Patricia und verschränkt die Arme. Sie ist genauso beklebt wie ich, aber ihr steht das Zeug sogar.
Jetzt gerade sieht sie wirklich SO RICHTIG aus wie aus einem Märchen. Die künstlichen Steine glitzern, in ihre Haare sind rosafarbene Strähnen eingeflochten.
"Sieht sie nicht aus wie ein Juwel?", fragt Jelly und deutet auf Patricia. "Zauberhaft meine Liebe, zauberhaft!"
"Ja ja.", murmel ich und werfe noch einen deprimierten Blick auf mein Spiegelbild.
"Na kommt meine Kinder. Wir müssen los!", sagt Jelly und sieht mich noch einmal an. Ich sehe, dass sie sich nur mit Mühe ein Seufzen unterdrücken kann.
Ich gehe nicht darauf ein und folge ihr mit zusammengebissenen Zähnen.
"Lächeln bitte!", sagt Jelly. Ich denke nicht, dass das an Patricia gerichtet ist. Ich drehe meinen Kopf weg und ziehe eine Grimasse.
Unsere Pferde sind groß und weiß. Und müssen keine künstlichen Edelsteine tragen.
Dafür ist die Kutsche mit den Dingern geschmückt, das ist wirklich ein Albtraum.
Aber jetzt sehe ich zum ersten mal richtig die anderen Tribute aus den anderen Distrikten.
Soweit ich das erkennen kann sieht niemand so bescheuert aus wie ich.
"Kommst du mit ein bisschen rumlaufen? Du weißt schon, um ein Team aufzustellen!", schlägt Patricia vor.
"Nein danke!", sage ich so freundlich wie möglich und drehe mich wieder zu den Pferden.
"Distrikt 1, richtig? Die Lieblinge des Kapitols.", fragt jemand hinter mir, ich drehe mich überrascht um. Die Stimme gehört zu einem Mädchen. Sie trägt ein schwarzes, knielanges Kleid mit Blitzmuster.
"Ja.", sage ich. "Und du aus ..." Ich warte darauf, dass sie meinen Satz beendet, aber sie sieht mich nur mit verschränkten Armen an.
Irgendwann seufzt sie: "Fünf. Distrikt 5."
"Elektronik!", fällt mir ein. Die Blitzen fangen an Sinn zu ergeben.
"Freust du dich auf die Hungerspiele?", fragt sie.
Ich starre sie ungläubig an: "Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich meine -"
"Glaubst du, du kannst andere Kinder töten?", unterbricht sie mich, immer noch ohne die Spur eines Lächelns.
"Nein ...", sage ich und verenge die Augen. "Warum? Willst du wissen, wen du zuerst töten kannst?"
Sie mustert mich noch einige Sekunden, dann dreht sie sich um.
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Wir stehen bereit. Ich verfluche zum dritten mal, dass wir als erstes da raus müssen.
Ich höre tausende von Menschen klatschen, dann fahren wir los. Jelly stößt einen aufgeregten Schrei aus und winkt uns hinterher.
Zuerst betrachte ich nur die Pferde vor uns, bis Patricia mich anstößt.
"Guck nach vorne."
"Warum?", frage ich unwirsch.
"Sonst siehst du wie ein leichtes Opfer aus!", zischt sie. Widerwillig hebe ich den Kopf und würde am liebsten sofort wieder nach unten sehen.
Rechts und links sind Tribünen aufgebaut, auf denen hunderte Menschen stehen. Sie alle sehen genauso verrückt aus wie Jelly und wie mittlerweile auch Patricia und ich.
Sie kreischen aufgeregt, wedeln mit ihren Händen herum und wenn ich das richtig erkennen kann, fällt irgendjemand sogar in Ohnmacht.
Mein Blick fällt auf einen der Bildschirme, ich sehe immer noch so unglaublich hässlich aus.
Aber ich falle auf.
"Da sind ja schon unsere ersten Tribute! Patricia White und Teo Vorean aus Distrikt Nummer eins!", verkündet die Stimme eines Moderators, den ich nicht sehen kann.
Patricia neben mir lächelt strahlend, aber ich sehe, dass ihre Hände nervös zucken.
Ich versuche erst gar nicht zu lächeln, sondern bemühe mich einfach, nicht allzu genervt auszusehen.
"Und hier kommt Distrikt Nummer zwei! Karl Smithson und Laura Olion!".
Ich drehe mich neugierig um, die beiden habe ich noch gar nicht gesehen. Beide sind in Anzüge gekleidet, die so aussehen wie die der Armee. Außerdem haben sie Pistolenattrappen an den breiten Gürteln hängen.
Jedenfalls hoffe ich, dass es nur Attrappen sind.
Wir erreichen den Kreis, fahren weiter und halten schließlich, kurz darauf stehen die Beiden aus Distrikt 2 links neben uns.
Es dauert viel zu lange, bis sich alle Distrikte eingeordnet haben. Die Namen der anderen vergesse ich sofort, nachdem ich sie einmal gehört habe.
Bis auf einen.
Das seltsamen Mädchen aus Distrikt 5 heißt Octavia.
"Willkommen!", ruft dann eine einzige Stimme, die sofort alle anderen verstummen lässt. Präsident Snowdown.
"Willkommen zu den allerersten Hungerspielen!"
Die Menge applaudiert, kreischt, brüllt.
Sie alle freuen sich auf unseren Tod.
"Wir freuen uns, euch hier zu haben! Wir freuen uns, diese neue Tradition willkommen zu heißen!", sagt der Präsident. "Es ist ein Spiel, ein Spiel um Leben und Tod. Es zu sehen ist Pflicht, für jeden in ganz Panem. Dafür waren wir besonders großzügig und haben jeder Familie dort draußen ein neues Fernsehgerät zukommen lassen!"
Wieder brandet Applaus auf.
Ich gucke zu den Zuschauern, die höchstens zwei Meter von uns entfernt sitzen und den Präsidenten anstarren.
Unter ihnen ist auch ein kleiner Junge, der mich anstarrt und so aussieht, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
Wahrscheinlich wegen der Schminke.
Aber trotzdem: Immerhin einer hier jubelt nicht, immerhin einer freut sich nicht auf diese bescheuerten Hungerspiele.
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