4. Die Zugfahrt

Teo:

Es kommen keine weiteren Besucher, Jelly läuft mit uns aus dem Rathaus zum Bahnhof. Ihre Hände liegen schwer auf unseren Schultern, während Patricias in die Kameras winkt und lächelt sehe ich starr zu Boden. 

Nur einer von uns beiden wird überleben, das ist jetzt schon klar. Patricia ist zierlich gebaut, circa 170 Zentimeter groß und macht sich vermutlich mehr Sorgen über ihre Fingernägel, als über ihr Leben.

Meine Chancen zu überleben sind besser als ihre.

"Was machst du denn für ein Gesicht mein Junge? Ihr werdet innerhalb weniger Stunden berühmt sein!", sagt Jelly und streicht mir über die Haare. Ihre viel zu langen Fingernägel kratzen über meinen Kopf, ihr Parfüm riecht schwer und süß. Ich muss würgen und Jelly nimmt beleidigt ihre Hand wieder weg.

"Wir müssen keine weiteren Distrikte durchqueren um zum Kapitol zu gelangen.", sagt Jelly. Sie spricht mit einem seltsamen Akzent, ich muss mich stark beherrschen um deswegen nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen. "Unser Zug steht schon bereit, wir werden nur wenige Stunden brauchen. Wenn wir ankommen, werdet ihr eigene Quartiere bekommen, mit jedem Luxus, den ihr euch nur vorstellen könnt."

"Wer ist unser Trainer?", fragt Patricia.

"Ihr habt keinen wirklichen Trainer.", sagt Jelly. "Aber ich werde immer für euch da sein, meine Kinder."

"Ihre Nägel sehen wunderhübsch aus, gibt es im Kapitol eine Möglichkeit, sich solche Nägel machen zu lassen?", fragt Patricia.

Jelly lächelt geschmeichelt und ich verdrehe die Augen. Ich würde es vorziehen mich über den bevorstehenden Wettkampf zu unterhalten, statt über hässliche Nägel zu fachsimpeln.

Es ist eine Erleichterung, als wir am Bahnhof ankommen, auch wenn ich am liebsten wegrennen würde.

"Steigt ein, steigt ein, meine Kleinen!", zwitschert Jelly, lächelt noch einmal breit für die Kameras (täusche ich mich, oder schimmern sogar ihre Zähne rosa?!) und schiebt uns dann ins innere des Zuges.

Mir bleibt der Mund offen stehen.

Es hängen Kronenleuchter an der Decke, der Zug ist holzverkleidet und das Holz glänzt wie frisch gebohnert. Die Tische und Schränke sind mit gold glänzenden Dekoelementen verziert und in die Vorhänge scheinen Silberfäden eingewebt zu sein.

"Ist es nicht traumhaft hier?", fragt Jelly seufzend. "Das Kapitol ist einfach herrlich!"

Ich nicke vorsichtig, mein Blick fällt auf den Fernseher. Er ist dreimal so groß wie unser neuer und auf der Fernsehbedienung sind viel mehr Knöpfe.

"Ich werde euch erst eure Waggons zeigen. Die Fahrt wird laut Plan nur fünf Stunden dauern, aber es ist doch wichtig, mit Stil zu reisen, nicht war?". Sie bemerkt, dass ich interessiert den Fernseher mustere.

"In euren Waggons werdet ihr ebenfalls Fernseher finden, wenn auch etwas kleinere Exemplare. Es laufen insgesamt leider nur 30 Sender darauf, aber immerhin etwas, nicht wahr? Abendessen gibt es in genau einer Stunde, wenn ihr euch umziehen wollt, findet ihr in euren Waggons bereitgelegte Klamotten. Alles klar?"

Bevor wir antworten können, redet Jelly weiter: "Wunderbar! Dann folgt mir bitte!"

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Mir gefällt mein Waggon besser als der, den ich eben gesehen habe. Er ist nicht so protzig gestaltet.

Nur 30 Sender. In Distrikt 1 hatten wir einen einzigen.

Der Fernseher in meinem Waggon ist anders zu bedienen, als der bei uns zuhause, aber ich schaffe es ihn anzuschalten und lande auf dem KapitolsKanal.

Sie zeigen die Videos von heute. Neugierig rutsche ich näher an den Bildschirm.

Die ersten Aufnahmen, also die von Distrikt 1, habe ich verpasst, aber so sehe ich schon ein paar meiner Gegnerinnen und Gegner.

Aus Distrikt 2 wird ein siebzenjähriges Mädchen und ein achtzenjähriger Junge gewählt. Beide sind muskulös und lächeln überheblich.

Sie haben einen Vorteil: Distrikt 2 stellt Waffen her und bildet Militär aus. Beide wissen also vermutlich schon genau, wie man ein Messer wirft oder eine Pistole bedient.

Und ich hasse sie jetzt schon.

Aus Distrikt 3 kommen ein zwölfjähriges Mädchen und ein fünfzenjähriger Junge. Beide sind längst nicht so gelassen wie die Tribute aus Distrikt 2. Das Mädchen lächelt nervös, während Tränen über ihre Wangen laufen.

Der Junge sieht starr nach vorne. Er erinnert mich an mich selbst, an meinen eigenen Gesichtsausdruck. Unsere Einstellungen gegenüber den Spielen scheinen dieselben zu sein.

Ich erinnere mich an Mamas Worte, daran, dass ich ein Team brauche.

Dieser Junge, der Moderator stellt ihn als Richard vor, scheint mir als Team mehr als geeignet zu sein.

Soweit ich das schätzen kann, ist er zwar etwas kleiner als ich, aber dafür umso kräftiger.

Zusammen hätten wir vielleicht wirklich eine Chance. Ich merke, wie sich langsam wieder Zuversicht in mir ausbreitet.

Es geht weiter mit den Aufnahmen aus Distrikt 4.

Ich bekomme mit, wie ein dreizehnjähriges Mädchen nach vorne gerufen wird, als jemand die Tür aufstößt.

Es ist Patricia.

"Ah, du guckst die Aufzeichnungen.", sagt sie, gespielt interessiert. Man hört ihr an, dass es ihr egal ist.

Sie kommt herein und setzt sich neben mich: "Ich wollte mit dir reden."

"Worüber. Nägel?", frage ich sie, möglichst ernst. Sie verzieht keine Miene: "Über die Hungerspiele. Das wichtigste ist natürlich: Sollen wir zusammenarbeiten?"

Ich zucke mit den Schultern.

"Also nicht.", sagt Patricia beleidigt.

"Ich hab doch gar nichts gesagt!", rechtfertige ich mich.

"Du hast nicht sofort zugestimmt. Bei einer Entscheidung, die über Leben und Tod entscheiden kann, sollte man sofort wissen, wie die Antwort lautet. Dir war es egal, also willst du nicht.", sagt Patricia.

"Möchtest du mit mir ein Team?", frage ich angriffslustig. Ihre Logik ist treffend, sie scheint schon einen Plan zu haben.

Ich fühle mich fast schon beleidigt.

"Nein. Du bist zu schwach!", sagt Patricia naserümpfend.

"Sagt die Richtige!", schnaube ich.

"Nein, wirklich. Vielleicht sind wir beide zu schwach. Aber schwach und schwach, das passt nicht. Ich brauche jemanden, der wenigstens ein bisschen stark ist!", erklärt Patricia und steht wieder auf. Bevor sie rausgeht, dreht sie sich noch einmal um: "Nur noch eine Sache: Such dir jemanden, der stark ist, und auf dich aufpassen kann."

"Glaubst du nicht, ich kann das selber?", frage ich spöttisch.

"Nein!", antwortet Patricia kühl und knallt die Tür hinter sich zu.

Warum glauben eigentlich immer alle, dass sie mir Ratschläge geben müssen?!



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