20. Verloren&Gefunden

Teo:

Die Schreie werden immer leiser, je weiter wir uns von Rob entfernen. Und dann verstummen sie plötzlich.

Ohne, dass ich es wirklich bemerke, bleibe ich stehen. Warte.

Dann kommt der Schmerzensschrei. Unendlich laut, es hallt fast schon durch den Wald. Robs letztes Wort.

Ich weiß nicht, was genau er schreit. Vielleicht "Nein"? Oder schreit man dann nichts verständliches mehr?

Möglicherweise hat er meinen Namen geschrien. Um ein letztes mal vor der Kamera zu glänzen, denn sein Tod wurde garantiert live im Fernsehen übertragen.

Aus den Augenwinkeln nehme ich ein blinkendes Licht wahr, ich werde anscheinend auch gefilmt.

Aber was wollen sie von mir? Wollen sie, dass ich jubel? Wollen sie, dass ich kotzend auf dem Moos zusammenbreche?

Am liebsten würde ich meine Frage laut schreien, aber ich hab ja gesehen, was passiert, wenn man hier zu laut schreit.

Andererseits bin ich auch nicht mit Messern an einen Baum getackert. Ich kann weglaufen.

"Teo.", sagt Octavia. Ich erkenne nicht, ob sie genervt ist, ihre Stimme klingt emotionslos, aber nicht kalt.

Irgendwie undefinierbar.

"Er ist tot, oder?", frage ich mit zitternder Stimme. Ich kenne die Antwort, aber ...

"Es klingt so. Ich weiß nicht mehr als du. Aber ich denke nicht, dass sie ihn am Leben gelassen haben. Andererseits kam die Kanone nicht, also ..."

In dem Moment wird die Stille des Spielfeldes ein zweites mal brutal zerrissen. Meine Hände zittern, als ich sie von meinen Ohren nehme. Das war die Kanone.

Rob ist tot.

Und ich lebe.

"Wie hast du mich eigentlich gefunden?", frage ich Octavia, um mich abzulenken. Ich will jetzt nicht daran denken müssen, wie Rob möglicherweise aussieht. Noch mehr schreckliche Bilder halt ich nicht aus. Ich will nämlich echt nicht vor laufender Kamera zusammenbrechen, ich will nicht, dass Tommy mich so verzweifelt sieht.

"Ich habe dich nicht verloren.", antwortet sie und verschränkt die Arme. "Können wir weiter? Die Tribute aus zwei sind schnell, für einen Kampf sind wir nicht ausgerüstet!"

"Warte.", sage ich. "Was meinst du mit "Nicht verloren"?"

Octavia seufzt und guckt dann unauffällig zu der laufenden Kamera. Sie kommt ein paar Schritte auf mich zu und flüstert mir dann ins Ohr: "Wir müssen etwas langweiliges machen, wir müssen weiterlaufen. Guck nicht gleichgültig, nicht traurig und nicht fröhlich. Schaffst du das?! Wir dürfen keine Aufmerksamkeit bekommen!"

Verwirrt sehe ich sie an: "Wieso?"

"Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment um dir alles zu erklären!", zischt sie. "Nur eins: Ihr aus Distrikt eins habt echt von nichts eine Ahnung! Und jetzt komm!"

Ich möchte widersprechen, aber ich habe keine Gegenargumente und definitiv keine Lust, mich mit Octavia zu streiten. Ich meine, selbst wenn sie mich gerettet hat: Ein Messerwurf, und ich bin tot. Also laufe ich langsam neben ihr weiter.

"Hör zu: Ich bin nicht hier um zu töten. Ich will nicht, dass noch mehr von uns sterben, deshalb versuche ich, die Schwachen zu unterstützen."

"Aber du hast Rob ausgeliefert."

"Er war gefährlich, er war einer der Mörder. Hier müssen wir unsere Denkweisen vergessen, hier gibt es kein generelles "Recht auf Leben" mehr. Hier müssen die Mörder beseitigt werden.", wispert Octavia und verzieht das Gesicht. "Das klingt furchtbar, ich weiß. Aber so haben wenigstens ein paar mehr von uns die Chance zu überleben.

Am Füllhorn sind die meisten umgekommen, das hatte ich nicht bedacht, wenn ich ehrlich bin. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so viele unter uns sind, die Spaß daran haben, andere Leute umzubringen. Ich konnte fast niemanden mehr retten, ein Wimpernschlag und die Hälfte war tot.

Und dann sah ich dich am Boden. Du wärst so gut wie tot gewesen, einfach weil du nicht die nötige mentale Stärke besitzt. Also hab ich das Messer geworfen, um dich wach zu kriegen. Ich würde sagen, das hat funktioniert.

Ich wusste von Anfang an, dass mit Rob irgendetwas nicht stimmt. Aber ich hatte keine handfesten Beweise, am Füllhorn habe ich ihn nur ohne Waffen gesehen, es war nur eine Vermutung, ein Vorurteil.

Und ich hatte recht. Wie gesagt, ich bin euch gefolgt und ich habe gesehen, wie Rob den Jungen getötet hat. Es war furchtbar. Ich dachte, der Kleine kommt allein klar, er war robust und hatte sogar Vorräte.

Tja, ich musste zusehen, wie Rob ihn tötete und Spaß dabei hatte. Er hat gegrinst, er hat wirklich gegrinst! Es war ekelhaft!"

Octavia hört auf zu reden.

"Also ... bist du uns die ganze Zeit gefolgt?!"

"Nicht die ganze Zeit.", korrigiert mich Octavia. "Aber du bist einer der Schwächsten hier, Teo. Und gleichzeitig extrem ungefährlich. Warum sollte der Tod dich kriegen?! Können wir jetzt bitte schneller laufen, oder hast du noch weitere drängende Fragen?!"

Ich schüttel den Kopf. Dann fangen wir an zu rennen.

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