14. Blutrotes Moos

Teo:

Ich renne los, den Blick auf das Wasser gerichtet, als mich jemand heftig anrempelt.

Ich taumel nach links und falle auf das Moos. Es ist weich und feucht und bleibt an meinen verschwitzten Händen kleben.

Ich robbe etwas vor, packe das Wasser und versuche dann mich aufzurichten. Irgendetwas silbernes kommt auf mich zu, ich ducke mich weg und rolle nach rechts.

Ich höre Brüllen, das fast nicht mehr menschlich klingt und panische Schreie, begleitet von verzweifeltem Betteln.

Dann packt jemand meinen Hals. Erschrocken schlage ich um mich und haue der Person mit der Flasche Wasser gegen die Kehle. Die Hände lockern sich und ich springe so schnell wie möglich auf.

Um mich herum liegen schon drei Leichen, mit furchtbar blutigen Wunden in denen noch Speere stecken.

Obwohl ich schwitze wie verrückt, wird mir kalt vor Angst.

Jemand stößt mich unsanft nach vorne, ich stolpere und renne los, rechne schon damit, einen Speer in meinem Rücken zu spüren, aber es kommt nichts.

Ich vergesse das Messer und erst als ich an dem Brot vorbeilaufe, erinnere ich mich an meinen Plan und hebe es auf.

Dann renne ich weiter, auf die Bäume zu. Hinter mir schreit wieder jemand, ich fahre instinktiv herum - und knalle gegen etwas.

Dieses mal schaffe ich es nicht stehen zu bleiben und pralle heftig auf dem Moos auf.

Kurz bleibt mir der Atem weg, ich sehe ängstlich nach oben. Ich bin gegen einen Baum gerannt.

Wütend über meine eigene Dummheit versuche ich mich aufzurappeln, rutsche aber aus und falle auf die rechte Seite.

Fast direkt neben mir liegt ein Mädchen. In ihrem Bauch steckt ein Speer, das Moos unter ihr ist genauso dunkelrot wie ihre Jacke.

Aber das schlimmste ist nicht ihr zerkratztes Gesicht oder das Ende des Speers, das aus ihrem Rücken herausragt - sondern ihre Augen.

Dunkelbraun und absolut leer.

Ich habe schon davon gehört, dass Tote angeblich "leere" Augen haben, aber ich habe es noch nie gesehen.

Und ich will es auch nie wieder sehen.

Zum dritten mal stehe ich wieder auf, oder war es das vierte Mal? All das Blut um mich herum sorgt dafür, dass sowohl mein Magen als auch mein Gehirn sich dreht.

Dann spüre ich einen scharfen Luftzug, nur drei Zentimeter neben mir, höchstens.

Ein Messer bohrt sich fest in den Baum. Ich kenne bisher nur eine einzige Person die so wirft - aber warum hat Octavia dann nicht getroffen?

Der vermeintliche Angriff sorgt dafür, dass ich wieder denken kann. Ich ziehe das Messer aus dem Baum (was schwieriger ist als gedacht) und dann renne ich.

Unter mir das von blut getränke Gras, vor mir der Wald.

Über mir der gelblich graue Himmel, hinter mir Mörder und Leichen.

Die Schreie werden immer weniger, ich spüre, dass etwas feuchtes meine Wangen hinunterläuft und meine Sicht immer wieder verschwimmt.

Aber ich halte mich nicht damit auf, mir die Tränen aus den Augen zu wischen, sondern blinzel nur heftig um eine möglichst freie Sicht zu haben.

Das funktioniert nicht.

Meine Schultern fangen an zu zucken, mein Atem geht unruhiger.

Ich kämpfe mich durch weiteres Gestrüpp, keine Ahnung, wie weit ich schon gelaufen bin.

Oder wie lang.

Angriffe gab es keine weiteren auf mich, aber ich höre, wie Kanonen abgeschossen werden.

Vierzehn Schüsse.

Vierzehn Tote, innerhalb so kurzer Zeit.

Und ich lebe.

Ohne es wirklich zu merken werde ich langsamer und bleibe schließlich stehen. Das einzige was ich höre ist das Rascheln der Blätter im Wind und meinen eigenen Atem.

Es könnte so friedlich hier sein, so schön.

Aber die Bilder von eben lassen mich einfach nicht los: Leblose, dunkelbraune Augen, diese furchtbaren Schreie - ich halte mir die Hände auf die Ohren, als könnte ich die Geräusche so verdrängen und kneife die Augen zu.

Das blutgetränkte Moss.

Die furchtbaren Wunden.

Speere.

Ich breche zusammen, liege auf dem Waldboden wie ein zusammengerolltes Gürteltier.

Ich brauche etwas zum denken, sonst werde ich verrückt. Also denke ich an das Messer.

Es war von Octavia, ich bin mir zu fast 90 Prozent sicher. Ich habe sonst niemanden im Training gesehen, der so hart wirft.

Aber die Sache hätte einen Haken - warum hat sie nicht getroffen?!

Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten:

Erstens: Sie hat daneben geworfen

Zweitens: Sie wollte mich nicht treffen.

Octavia wirft nicht daneben, sonst hätte sie niemals zehn Punkte bekommen! Also ist die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher.

Aber warum würde sie das tun? Sie hat ein Messer verschwendet und dafür gesorgt, dass ich fliehen konnte!

Es sei denn, sie wollte, dass ich überlebe! Alle Toten die ich gesehen habe, wurden mit Speeren getötet, niemand mit einem Messer.

Octavia kämpft nicht mit Speeren, sie hat also vielleicht niemanden getötet, sondern versucht, Leute aus diesem Kampf raus zu locken.

Versucht, Leute zu retten.

Ich meine, was wenn das Messer nicht gekommen wäre?! Hätte ich weiterhin in die Augen der Leiche gestarrt, bis ich meine Augen so leblos wären wir ihre?!

Wenn meine Überlegung richtig ist, hat Octavia mir das Leben gerettet.

Und ich sollte aufstehen und dafür sorgen, dass ich mein Leben auch behalten kann.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top