12. Eine zweite Reise
Teo:
Ich sitze nervös neben Jelly vor dem Fernseher. Das Sofa ist seltsam, mit knisterndem Stoff bezogen.
Immer wenn ich es mit der Hand berühre bekomme ich einen Stromschlag, deshalb sitze ich so gerade wie möglich, um nicht schon wieder mit unbedeckter Haut auf den "Stoff" zu kommen.
Der Fernseher ist eingeschaltet, der Moderator von den Interviews redet schon seit zehn Minuten.
Er erzählt von irgendwelchem langweiligem Kram, es geht eigentlich nur darum, wie toll das Kapitol ist und wie dankbar jedes der Distrikte sein sollte, überhaupt noch zu existieren.
"Es geht los!", kreischt Jelly aufgeregt, als zum wiederholten mal die Hymne des Kapitols ertönt. Nach einem seltsamen Werbespot (für grüne Wimpern? Wer bitte kauft so etwas?!) fängt Hugh an, mit deutlich ernsterer Stimme zu sprechen: "Nun kommen wir zurück zu unseren Tributen!
Heute nahmen sie alle an einer Überprüfung über ihren Lernstand teil und sie haben unsere Jury beeindruckt! Es wurde mit Speeren und Messern geworfen, geschossen und mit Seilen gekämpft!"
Ein Raunen geht durch die Menge. Mir wird kalt: Octavias Hinweis. Woher hat sie gewusst, dass jemand mit einem Seil kämpft?
Spätestens jetzt ist mir allerdings klar, dass einer oder eine von uns anders kämpft als die anderen.
"Leider können wir ihnen kein Videomaterial vorführen, denn Kameras waren in dem ausgezeichnet ausgestatteten Trainingscenter leider verboten, damit die Tribute nicht schon sehen, wie ihre Gegnerinnen und Gegner kämpfen!"
Ein enttäuschtes Seufzen hallt durch den Raum und Hugh klatscht in seine Hände um die Stimmung wieder zu heben: "Aber wir haben etwas anderes! Auf einer Skala von eins bis zwölf wurden alle unsere Tribute bewertet und wir sehen uns jetzt gemeinsam diese Punktzahlen an.
Freut ihr euch?!"
Innerhalb von wenigen Sekunden wandelt sich die Laune der Zuschauer und gespanntes, ohrenbetäubendes Kreischen ertönt.
Dann, ohne ein weiteres Wort von Hugh wird das Gesicht von Patricia eingeblendet, darüber eine große Eins.
An dem Rand steht ihr Vorname und ihr Alter. Patricia sieht starr in die Kamera, ihr Lächeln, das in der Schule mehrere an den Rand der Verzückung gebracht hat, ist wie ausgelöscht.
Über das Bild wird eine große Neun gelegt.
Jelly schreit auf und fängt an zu applaudieren: "Bravo meine Liebe! Ganz herrvorragend!"
Ich sage nichts, denn jetzt erscheint mein Gesicht. Und zu meiner Überraschung sehe ich sogar halbwegs gefährlich aus: Kein Lächeln, zusammengezogene Augenbrauen, starrer Blick.
Dann erscheint eine sechs.
"Mittelfeld!", sagt Patricia unbeeindruckt.
"Herzlichen Glückwunsch!", sagt Jelly und schenkt mir ein sehr bemühtes Lächeln.
Ich ignoriere sie.
Das Mädchen aus Distrikt 2 bekommt acht Punkte, der Junge neun.
Der Junge aus Distrikt 3, mit dem ich mich von Anfang an verbünden wollte und mit dem ich immer noch kein einziges Wort gesprochen habe, weil er nämlich direkt beim ersten Training getötet wurde, bekommt eine Sieben.
Irgendwie verletzt es mich, dass ein Toter, der nicht zu der Prüfung erschienen ist, eine höhere Wertung bekommt als ich.
"Noch eine Gefährliche!", wispert Jelly. Ich reiße mich aus meinen Gedanken und sehe zum Bildschirm.
Octavia.
Zehn Punkte.
"Pff. Ich hab sie gesehen, die wirft mit Messern. Nicht besonders gut, sie wirft häufig daneben!", meint Patricia abwinkend. "Vielleicht hat sie die Jury bestochen oder ihnen mit dem Tod gedroht!"
Als der Junge aus Distrikt 12 seine Punkte bekommen hat, wird der Bildschirm schwarz und das Licht geht aus.
"Jelly?", fragt Patricia ängstlich. "Jelly? Was ist hier los?!"
"Ihr werdet abgeholt.", antwortet Jelly. "Könnt ihr mich sehen?"
Patricia und ich antworten beide mit ja und Jelly nickt uns zu: "Folgt mir bitte."
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Wir steigen aus dem Fenster von Jellys Wohnung in das Hovercraft. Rechts und links an den Wänden aneinandergereiht sitzen alle anderen weiblichen Tribute, Patricia wird der letzte freie Platz zugewiesen.
Einer der Friedenswächter schiebt mich zu der zweiten Rampe in ein anderes Hovercraft, in dem die Jungs sitzen. Mir wird schlecht als ich die Leiche des Tributs aus Distrikt 3 sehe.
Seine Augen sind geschlossen und er wurde mit zahlreichen Gurten festgezurrt, sodass er aufrecht sitzt.
"Du bist Teo, oder?", fragt ein Junge neben mir. Ich nicke ihm zu.
"Distrikt 7, ich bin Rob!", stellt er sich vor. "Wir sind ungefähr gleich alt!"
"Du bist auch fünfzehn?", frage ich.
"Gerade sechszehn geworden!", antwortet er stolz.
"Keine Gespräche!", ruft einer der Friedenswächter und wir beide halten die Klappe.
Zwei weitere in weiße Anzüge gesteckte Personen kommen zu uns, mit seltsamen Spritzen.
"Alle den rechten Arm hoch bitte!", verkündet einer von ihnen. Jedem wird jetzt mit der Spritze etwas unter die Haut gespritzt."
"Was ist das?", frage ich den Friedenswächter, der meinen Arm so dreht, dass die Innenseite nach oben zeigt.
"Der Videte.", antwortet der Friedenswächter. "Damit finden wir dich jederzeit, damit du auch schön auf deine Bildschirmzeit kommst!"
"Also, ein Aufspürer?", frage ich. Der Friedenswächter nickt und rammt mir die Spritze unsanft in den Arm.
Es brennt kurz, dann ist es vorbei.
An der Einstichstelle tritt etwas Blut aus, der Friedenswächter ignoriert das und geht weiter zu Rob.
Als alle einen Aufspürer verpasst bekommen haben verlassen die beiden mit den Spritzen den Raum und gehen ins Cockpit.
Dann fliegen wir los.
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