11. Renn
Teo:
In einer halben Stunde stehe ich vor einer Jury und muss ihnen zeigen, dass ich kämpfen kann.
Folgendes Problem: Ich kann nicht kämpfen.
Ich habe es wirklich versucht, aber am Ende landete ich immer wieder bei den Giftpflanzen und ich denke nicht, dass ich der Jury einen Vortrag über die Gefahren verschiedener Kräuter halten sollte.
Andererseits: Was meinen die überhaupt mit Punkten? Ich brauche ganz sicher keine Geschenke wenn ich in der Arena bin und es ist mir auch egal, wie viele auf mich wetten.
Das bekomme ich doch sowieso nicht mit.
Trotzdem werde ich immer nervöser, weil scheinbar alle anderen genau wissen, was sie der Jury zeigen werden.
Wir sitzen in einem kleinen Raum, zum ersten mal nicht wirklich nach Distrikten geordnet. Immer wieder verlassen einige den Raum um auf Toilette zu gehen.
"Was führst du vor?", fragt Octavia leise.
Ich zucke mit den Schultern.
Ihre Augen werden groß: "Ernsthaft?!"
"Ich kann nichts, okay?!", sage ich genervt.
"Stell dir folgende Situation vor: Du wirst angegriffen, von zwei Personen. Die eine hat ein Messer, die andere ein Seil. Welche Waffe versuchst du zu bekommen?".
"Ich renne weg!", sage ich, ohne nachzudenken. Octavia sieht mich abwartend an: "Bist du schnell?"
"Schneller als mein kleiner Bruder!", sage ich lächelnd.
"Das ist nicht lustig. Wie schnell bist du?"
"Keine Ahnung. Schon schnell."
"Hast du eine gute Ausdauer?"
"Keine Ahnung, denke schon. Ich laufe eine Menge!", sage ich. "Meine Mutter repariert Schmuck und ich muss manchmal Lieferungen abholen. Dafür muss ich rennen. Also, ich könnte auch normal gehen, aber das würde so ewig dau-"
"Dann zeig ihnen, dass du schnell bist.", unterbricht mich Octavia.
"Und wie bitte soll ich das genau präsentieren? Soll ich sagen: "Hey Leute, Lust auf eine Runde Fangen spielen?" und dann einfach durch den Raum rennen?!", frage ich aufgebracht.
"Denk dir was aus!", meint Octavia und lehnt sich wieder zurück. Ich denke immer noch darüber nach was sie gesagt hat.
Als sie über Waffen geredet hat, hat sie ein Messer und ein Seil genannt. Das Messer ist die Waffe, die sie vermutlich gewählt hätte. Aber das Seil?
Kann es sein, dass hier irgendjemand mit einem Seil kämpft?
Ich arbeite ja auch mit Seilen, aber ausschließlich um Knoten zu binden, worin ich mittlerweile wirklich gut geworden bin!
Trotzdem: Wie kämpft man mit einem Seil?
Die Antwort schwirrt in meinem Kopf herum, wie eine sehr lästige Mücke, die man hört, aber nicht sieht.
Und dann hab ich sie.
Ein Seil ist perfekt für einen langsamen, qualvollen Tod. Du kannst damit andere erhängen, erwürgen. Ihnen die Luft abschnüren.
Mittlerweile bin ich mir fast sicher, dass Octavia mir eine Art verdeckten Hinweis gegeben hat. Sie ist "die mit dem Messer".
Aber wer ist-
"Bist du aufgeregt?", fragt Patricia leise und wickelt sich eine ihrer ordentlich zurückgebundenen Haarsträhnen um den Finger.
"Was zeigst du der Jury?", frage ich.
"Ich denke, ich werde mit einem Speer werfen!", meint Patricia. Ihr Tonfall klingt absolut aufrichtig - aber ich weiß, dass sie lügt.
Sie hat im Training bereits mit den Speeren gearbeitet und war ... sie hat getroffen, aber sie war definitiv nicht herausragend.
Und Patricia tritt sicher auf, genau wie beim Interview gestern. Ich bin fast davon überzeugt, dass sie ein Ass im Ärmel hat.
"Was machst du denn? Mit Messern werfen?", fragt sie kichernd. Ich verziehe das Gesicht: "Nein, ich ... ich weiß es noch nicht."
Wenn sie lügt, lüge ich auch.
.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.
Ich muss direkt nach Patricia in das Trainingscenter, das heute als eine Art Bühne fungiert.
Irgendwann sagt eine monotone Computerstimme, dass ich eintreten soll, also tue ich genau das.
Die Türen schließen sich automatisch hinter mir.
Die Jury sitzt oben an einem langen Tisch und mustert mich gespannt.
Ich sehe mich in dem Center um, ob Patricia irgendetwas zurückgelassen hat, das mir verrät womit sie kämpft, aber ich sehe nichts.
Alles ist unversehrt.
"Du kannst anfangen, Teo!", sagt der Mann, der rechts am Tisch sitzt.
Ich betrachte nachdenklich den Raum: "Schließen sie für drei Sekunden die Augen! Bitte!"
Die Jury sieht mich zuerst verwirrt an und tut dann, was ich ihnen gesagt habe.
Es ist keine Zeit, noch einmal durchzuatmen, so schnell wie möglich renne ich an die andere Seite des Raumes und stehe dort, grinsend, als sie die Augen wieder aufschlagen.
"Du kannst ... laufen?", fragt der Mann rechts.
"Innerhalb kürzester Zeit, eine vergleichsmäßig lange Strecke, herzlichen Glückwunsch!", sagt die Frau neben ihm gelangweilt und macht sich eine Notiz auf ihrem Klemmbrett.
"Ich kann gerne fünfzehn Minuten lang mit hoher Geschwindigkeit durch den Raum laufen, sie können meine Runden zählen!", sage ich wütend.
"Fünf Minuten, ab jetzt!", sagt die Frau und stützt ihren Kopf auf ihre Hände. Ich vergeude drei Sekunden, bis ich verstehe, was sie gerade gesagt hat - dann stürme ich los.
Ich renne so schnell wie noch nie, werde immer schneller und vergesse dabei komplett die Zeit.
Ich springe über Tische, die an einigen Stationen aufgestellt wurden und laufe Runde um Runde.
"Die Zeit ist um, vielen Dank!", sagt die Frau. "Du kannst jetzt gehen. Die Punkte werden heute Abend im Fernsehen ausgestrahlt, morgen geht es in die Arena. Schlag gut, Teo."
Ich zwinge mich noch einmal zum lächeln und gehe auf den Ausgang zu. Dabei fällt mir auf, dass ich ausversehen einige Puppen umgestoßen habe.
Vielleicht, wenn ich Glück habe, sieht die Jury das ja als Stärke - von wegen, er kann Gegner im Laufen umrempeln.
Mit mehr als nur einem Funken Hoffnung verlasse ich das Trainingscenter.
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