10. Das Interview

Teo:

Zurück in der "Beautyzentrale", zurück bei meiner Betreuerin Sylva, zurück in einem meiner persönlichen Albträume.

Sylva ist genau wie gestern komplett in silbern gekleidet - genau wie bei Baldwin sind auch ihre Zähne versilbert und zusätzlich noch mit Glitzerpunkten beklebt.

Wenn sie den Mund öffnet sieht es aus, als würde sie Schnee spucken.

"Dein Auftritt gestern ließ zu wünschen übrig!", begrüßt sie mich, während sie an einer silbrig glänzenden Teetasse nippt. "Du sahst furchtbar aus!"

"Sind sie nicht die Stylistin?", frage ich herausvordernd und verschränke die Arme.

"Das bin ich. Aber dein Gesichtsausdruck ...", Sylva seufzt theatralisch. "Furchtbar, Kind, einfach nur fürchterlich!"

Jellys Akzent ist schon mehr als seltsam, aber der von Sylva ist noch einmal schlimmer. Sie betont die Wörter komplett anders und zieht sie gleichzeitig wie Kaugummi auseinander.

"Das heißt, es ist meine Schuld, dass ich so "fürchterlich" aussah?", vergewissere ich mich.

"Zum größten Teil, ja. Dein Outfit war natürlich der Hammer, ich hätte es am liebsten selbst getragen!

Das Problem bist du: Du sahst aus, als müsstest du gleich dein Essen herauswürg-"

"Kotzen.", unterbreche ich sie grinsend. "Bei uns heißt das "Kotzen"!"

Sylva sieht mich missbilligend an, das ist eigentlich ihr Dauer-Gesichtsausdruck wenn sie mich sieht: "Hier im Kapitol unterhalten wir uns zivilisierter! Nun, zurück zum Thema:

Die Interviews stehen an und dort geht es nicht mehr darum, die Distrikte zu repräsentieren sondern sich selbst der Menge vorzustellen. Deshalb werden wir jetzt zusammenarbeiten!"

"Das heißt?", frage ich und setzte mich in den Sessel gegenüber von Sylva.

"Du wirst mir sagen, was dich beschreibt.", flötet meine Betreuerin.

Ich sehe sie stumm an. Erstens brauche ich immer einige Minuten bis ich die Wörter gewissermaßen entschlüsselt habe und zweitens verstehe ich nicht genau, was Sylva jetzt von mir möchte.

Das scheint sie auch zu verstehen, jedenfalls seufzt sie wieder lautstark auf: "Was ist deine Lieblingsfarbe? Bitte sag jetzt nicht "bunt", Kind, sonst wirst du absolut furchtbar aussehen. Schon wieder!"

Ich denke nach. Was ist meine Lieblingsfarbe?

Mir schießt das Codewort des kleinen Mädchens durch den Kopf und ich sage: "Blau."

"Welche Schattierung?", fragt Sylva, ihre Stimme klingt irgendwie erleichtert.

"Ähm ... eher dunkel.", sage ich vorsichtig. "Ohne glitzer."

Sylva lächelt knapp: "Gut. Was soll denn sonst die Verzierung sein, wenn es kein Glit-"

"Nichts.", unterbreche ich sie. "Kann ich nicht einfach ein blaues T-Shirt und eine blaue Hose anziehen?"

"Nein!", antwortet sie. "Aber etwas ähnliches. Wie möchtest du geschminkt werden?"

"Gar nicht."

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Ich erkenne mich in dem Spiegel. Eine halbe Stunde lang musste ich mit Sylva diskutieren, es ging um Spitze, alufolienartigen Stoff, falsche Edelsteine und silberne Wimpern. Jetzt stecke ich in einem dunkelblauen Anzug und einem glänzenden silbernen T-Shirt.

"Du hättest das Hemd nehmen sollen!", meint Sylva spitz. "Das T-Shirt ist viel zu ordinär!"

"Es passt!", widerspreche ich.

"Nun gut. Dann geh jetzt nach oben, die Interviews beginnen bald!"

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Ich werde wieder von Jelly abgeholt, wie gestern wird sie von einer märchenhaft gekleideten Patricia begleitet. Heute trägt sie ein hellblaues Kleid mit Schmetterlingen darauf und passende Haarklammern.

"Du siehst ... besser aus als gestern, Teo!", begrüßt mich Jelly und legt mir wie immer ihre Hand auf die Schulter. "Wir müssen an den Anfang der Schlange!"

Die anderen sind fast vollzählig. Wie auch bei der Versammlung stehen wir nach den Distrikten geordnet. Ich lande also wieder neben Patricia und dem Mädchen aus Distrikt 2, Laura.

"Was machen die eigentlich mit dem toten Jungen? Wird der auch zu den Interviews geschickt?", frage ich Patricia.

"Ich weiß es nicht!", antwortet sie nervös. Ich sehe schon die Leiche auf einem der Sessel sitzen, geschminkt und gekleidet als wäre sie lebendig. Mir wird schon wieder schlecht.

"Sie sagen, er wäre krank!", mischt sich Laura ein, die mich nicht ansieht während sie mit mir redet. "Er kann nicht kommen, weil er hohes Fieber hat und sie wollen ihm keine Mittel geben, weil das als Aufputschmittel wirken könnte. Dadurch hätte er einen unfairen Vorteil."

"Aha.", mache ich.

Ein Mann der komplett in schwarz gekleidet ist kommt auf uns zu und sagt allen, dass sie still sein sollen. Dann ertönt die Hymne des Kapitols und die Bühne wird schlagartig beleuchtet.

"Willkommen!", brüllt der Mann auf der Bühne. "Willkommen zu den ersten Hungerspielen!" Er stößt einen Jubelschrei aus.

Seine grünen Haare und Augenbrauen glitzern im Licht.

"Wir wollen uns nicht groß aufhalten, ich bin ihr Moderator Hugh Hunter, lasst uns zusammen unseren ersten Tribut begrüßten: Einen großen Applaus für ... Patricia!"

Die Menge brüllt wieder und Patricia geht auf die Bühne. Ich erwarte, dass sie unsicher lächelt, aber sobald sie auf der Bühne steht ist sie wie verwandelt.

Sie grinst und lacht und winkt der Menge glücklich zu, bevor sie sich auf den freien Stuhl neben Hugh setzt.

"Willkommen!", sagt der noch einmal. Der Applaus der Menge wird leiser, bis er verstummt.

"Patricia, du kommst aus Distrikt 1, ist das richtig?"

"Ja, das ist richtig!", antwortet Patricia mit diesem seltsamen Lachen, das noch nicht einmal aufgesetzt klingt.

"Was ist denn am schönsten dort?"

"Oh, ich mag eigentlich alles. Die Gebäude sind zauberhaft, und ..." Die Beiden unterhalten sich, als würden sie sich schon ewig kennen und ich schalte komplett ab.

Bis ich höre, wie die Menge Patricia wieder mit Applaus verabschiedet, einige rufen im Chor sogar ihren Namen.

"Kommen wir zu unserem nächsten Tribut ... Teo!" Ich atme tief durch und gehe langsam auf die Bühne.

Das Scheinwerferlicht blendet mich, ich lächel bemüht und lasse mich so schnell wie möglich auf den freien Stuhl fallen.

"Guten Tag Teo!", sagt Hugh lachend.

"Hi.", sage ich verwirrt. Die Menge lacht.

"Nun, du kommst ebenfalls aus Distrikt 1. Aber ich will von dir wissen: Was ist deine Stärke. Womit willst du in der Arena glänzen?", fragt mich Hugh.

"Nicht mit meinem Kostüm.", rutscht es mir heraus. Ich sehe erleichtert, dass die Leute wieder lachen.

"Glitzer ist nicht so dein Ding, was? Aber jetzt erzähl, irgendwelche Vorstellungen von Waffen?"

"Ich kann Messer werfen.", sage ich vorsichtig und verschweige dabei, dass ich dabei nicht treffe. Meine Gedanken schweifen ab zu Octavia.

"Oho!", ruft Hugh. "Das ist nützlich!"

Ich nicke und lächel vorsichtig: "Meine Trefferquote ist ... ein Geheimnis!"

Die Menge raunt und Hugh sieht mich gespielt bewundernd an: "Hier ist jemand aber vorbereitet! Du hast dir echt Gedanken gemacht, bloß nicht zu viel verraten Teo! Ich denke, du hast gute Chancen!"

"Danke!", sage ich. "Können sie mit Messern werfen?"

"Selbstverständlich, aber treffen kann ich nicht. Wenn du mich herausforderst renne ich schreiend weg. Einen großen Applaus bitte für Teo aus Distrikt 1!"

Ich stehe auf und laufe so schnell wie möglich von der Bühne.



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