Kapitel 2 - Yoongi
Tick.
Tack.
Tick.
Tack.
Namjoon sieht aus, als würde er mir etwas Wichtiges sagen wollen, weiß aber nicht so ganz, wo er beginnen soll. Angespannt sitzt er auf dem schwarzen Sofa mir gegenüber und klammert sich an einen Stapel Papiere, den er mitgebracht hat. Die Tasse Kaffee, die ich ihm extra mit der Kaffeemaschine zubereitet habe, hat er nicht einmal angeschaut.
Tick.
Tack.
Eigentlich fällt es mir leicht, das Ticken der Uhr an der blauen Wand zu ignorieren, aber heute klingt jede Sekunde laut wie ein Trommelschlag in meinen Ohren wieder. Normalerweise freue ich mich, wenn Namjoon mich besucht. Wir trinken dann zusammen Whiskey oder Kaffee und plaudern über aktuelle Fälle, bei denen er nicht weiterkommt. Eigentlich verstößt es gegen seine Schweigepflicht, aber ich bin nun einmal nicht irgendwer. Ich bin sein bester Freund. Wir haben zusammen die Ausbildung in der Time Corporation gemacht und auch zusammen angefangen dort zu arbeiten. Zwei Jahre lang sind wir ein Team gewesen, dann hat ihn der Vorstand einbezogen und ich habe Solo weitergemacht. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem ich bei einem Auftrag einen Unfall gehabt habe und seitdem krankgeschrieben bin. Seitdem ist meine Schulter nicht mehr ganz das, was sie einmal gewesen ist, aber von allem anderen habe ich mich gut erholt. Trotzdem weigert sich der Vorstand seitdem, mich wieder als Zeitreisenden einzusetzen, auch wenn ich der beste von allen bin.
„Namjoon, was ist los?", frage ich meinen Freund und lege nachdenklich den Kopf schief. Seine Augen schrecken bei meinen Worten auf, als habe ich ihn aus den tiefen seiner Gedanken gerissen.
Interessant.
Eigentlich gibt es nichts, was Kim Namjoon aus seiner Ruhe bringen kann. Keine Bombe, die kurz davor ist zu explodieren, keine Männer, die mit ihren Waffen auf uns zielen und kein Problem, dass einfach nicht gelöst werden kann.
Kim Namjoon behält immer einen kühlen Kopf.
Außer ... es betrifft mich. Das letzte Mal habe ich ihn so erlebt, als er mich im Krankenhaus besucht hat, um mir zu sagen, dass ich in den Innendienst versetzt werde, da ich nicht mehr 100% kampffähig bin. Er hat gewusst, dass er mir damit alles wegnimmt, worauf ich so hart hingearbeitet habe. Und er hat auch gewusst, dass ich es nicht so einfach hinnehme.
Ich gehe niemals in den Innendienst.
Stattdessen sitze ich zuhause und tue nichts, langweile mich jeden einzelnen Tag und starre Löcher in die Luft. Der Vorstand hat mir doch schon alles weggenommen, viel mehr ist aus mir nicht herauszuholen. Wenn Namjoon mir also irgendetwas zu sagen hat, dann soll er es endlich tun. Warum zögert er es so lange hinaus?
Es sei denn, es ist etwas passiert, von dem er weiß, dass ich damit nicht einverstanden sein werde.
Taehyung wirft mir einen fragenden Blick zu. Eigentlich hat er eine komplette Ausrüstung in der Time Corporation, doch seitdem ich durch meine Schulter OP zuhause bin, hat er es sich irgendwie zur Aufgabe gemacht, mir Gesellschaft zu leisten. Seitdem hat er sich in meinem Wohnzimmer mit dem nötigen Zeug ausgestattet und arbeitet von meiner Wohnung aus für die Zeitreiseflotte. Ich kann ihm technisch nicht ansatzweise so viel bieten wie sie, aber ich bin irgendwie froh, dass es da ist. Auch wenn ich das niemals zugeben werde.
„Wir hatten eine Vorstandssitzung", beginnt Namjoon schließlich und schaut mir dabei fest in die Augen, „und sie wollen, dass du wieder für uns arbeitest."
„Ich habe es euch schon einmal gesagt, ich gehe nicht in den Innendienst. Vorher erhänge ich mich."
Er wirft mir einen missbilligen Blick zu. Solche Aussagen mag er gar nicht, auch wenn er weiß, dass es die Wahrheit ist.
„Sie wollen dich wieder als Zeitreisenden einsetzen. Seokjin hat deine Tests an uns weitergereicht und in deinem Befund vermerkt, dass deine Schulter gut verheilt ist. Auch Jimin meint, mit etwas Extratraining sollte sie wieder einsatzfähig sein. Er würde dir gerne dabei helfen, wenn du das möchtest."
Ich schaue ihn eine Weile ausdruckslos an, bis mein Gehirn seine ausgesprochenen Worte verarbeitet hat. Hat er gerade wirklich das gesagt, von dem ich geglaubt habe, es nie wieder zu hören? Ich darf wieder als Zeitreisender arbeiten? Mit großen Augen schaue ich zu Taehyung, der mir mit einem breiten Grinsen einen Daumen in die Höhe hält. Ich bin nicht fähig etwas zu sagen, aber die Gänsehaut auf meinen blassen Armen spricht für sich, doch Namjoon lächelt nicht und das bereitet mir etwas Sorgen.
Es gibt einen Haken.
„Lass mich ausreden", unterbricht er mich, als ich bereits den Mund öffne, um mich dazu zu äußern. „Du bekommst eine Partnerin."
Meine Vorfreude fällt in sich zusammen. Natürlich ist es zu schön, um wahr zu sein.
„Nein", winke ich seinen Angebot ab. „Vergiss es."
„Komm schon, Yoongi. Was ist daran so schlimm? Du kannst endlich wieder tun was du die ganze Zeit schon willst."
„Ich arbeite nicht mit Partnern und das weißt du. Sie halten mich nur auf. Ich bin Solo viel besser und habe dadurch auch eine viel höhre Erfolgsquote, als alle anderen in diesem Saftladen."
Namjoon seufzt und reibt sich mit dem Zeigefinger die Stelle zwischen den Augen.
„Nenn es nicht Saftladen. Wir wissen beide, dass du die Time Corporation liebst und außerdem hast du diese Quote gehabt. Du bist fast drauf gegangen bei deinem letzten Auftrag, weil du niemanden gehabt hast, der dir den Arsch retten konnte. Ich kann dich nicht mehr alleine losschicken. Sei froh, dass du überhaupt noch eine Chance bekommst, nachdem was fast passiert wäre. Ich habe wirklich viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit der Vorstand meinem Vorschlag zugestimmt hat."
„Danke, aber ich lehne ab."
Ich lasse mich in dem Polster zurücksinken und verschränke die Arme vor der Brust. Für mich ist das Gespräch beendet, doch für Namjoon hat es gerade erst begonnen.
„Sei vernünftig. Chaeyeon ist wirklich gut, eine der besten in ihrer Abschlussklasse. Frag Jimin. Er trainiert sie regelmäßig und ist beeindruckt von ihren Fähigkeiten."
Zur Antwort gebe ich nur einen grummelnden Laut von mir, doch Namjoon gibt nicht auf.
„Hast du das von Jungkook gehört?"
„Natürlich. Jeder hat das. Er hat mit seiner Leichtsinnigkeit nicht nur das Leben seiner Partnerin aufs Spiel gesetzt, sondern auch fast die Existenz der Time Corporation verraten."
„Genau der. Er wird morgen früh suspendiert und nun braucht Chaeyeon einen neuen Partner. Meinst du nicht, wenn sie mit jemanden wie ihm hat arbeiten können, dann kann sie sich an jeden anpassen?"
„Ich kenne sie ziemlich gut.", meldet sich Taehyung zu Wort und rollte mit seinem Stuhl zurück, um sich in unsere Richtung zu drehen. Sein Lächeln ist breit und lässt seine Augen dabei leuchten.
„Ich bin für sie zuständig gewesen, als sie den Auftrag auf der Bohrinsel ausgeführt haben. Sie ist ziemlich talentiert. Gutes Elternhaus, keine Geschwister, viele Freunde, sehr gute Abschlussnote und in der Time Corporation sehr beliebt. Im Grunde das komplette Gegenteil von dir, Yoongi."
„Na, danke."
Mit einem bösen Blick drehe ich mich zu ihm herum, doch Taehyung zwinkert mir mit dem rechten Auge zu und grinst noch breiter. Dieser Kerl liebt es wirklich mich zu ärgern. Auch Namjoons Blick wandert skeptisch zu Tae und mustert ihn lang und ausgiebig von oben bis unten.
„Wieso bist du eigentlich schon wieder hier. Haben wir nicht heute Morgen erst ein Gespräch über Anwesenheit an Arbeitsplatz gehabt?"
„Ich mache Homeoffice", erwidert mein Hackerfreund unbeeindruckt. „Solange ich einen Computer habe, kann ich von überall aus arbeiten. Selbst von zuhause."
„Du wohnst hier nicht", mische ich mich ein und frage mich, wie lange ich heute Morgen geschlafen haben muss, dass ich nicht mal mitbekommen habe, dass Taehyung weg gewesen ist. Ich bin es mittlerweile so sehr gewohnt, ihn um mich zu haben, dass ich manchmal vergesse, dass er eigentlich eine eigene Wohnung hat.
Taehyung schaut zu mir, beschließt aber meine Aussage zu übergehen und wendet sich stattdessen an Namjoon.
„Jemand muss doch auf ihn aufpassen. Immerhin hast du mich selbst darum gebeten nach ihm zu sehen, damit er sich nicht selbst die Kugel gibt, wenn er in Arbeitslosigkeitsdepressionen versinkt."
„Ich bin nicht arbeitslos", korrigiere ich leise. „Nur krankgeschrieben."
Doch beide achten nicht auf mich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Namjoon mit dem Kopf schüttelt.
„Damit habe ich nicht gemeint, zieh bei ihm ein."
„Du bist doch nur eifersüchtig."
Namjoon neigt sich in seinem Sitz nach vorne. Plötzlich ist alles an ihm noch viel angespannter als vorher und kurz habe ich den Verdacht, dass er sich auf Tae stürzen will. Aber er schließt die Augen, als überlege er ernsthaft, diesen sinnlosen Wortaustausch gegen ihn weiter zu führen oder nicht. Schließlich wendet er sich an mich.
„Denk darüber nach Yoongi. Es ist vermutlich deine einzige Chance zu beweisen, dass du wieder einsatzbereit bist. Der Rat macht sich Sorgen um deine Gesundheit."
„Es geht mir gut."
„Es geht nicht um das Körperliche, sondern das Psychische. Du hast fast mit deinem Leben bezahlt. So ein Trauma legt man nicht einfach ab."
„Ich bin nicht traumatisiert."
„Erzähl das, wem du willst. Wann hast du die letzten Monate je deine Wohnung verlassen außer um einzukaufen."
Taehyungs Antwort kommt schneller, als ich mein Sprachzentrum dazu bringen kann meine Gedanken auszusprechen.
„Das habe ich gemacht. Sonst wäre er verhungert. Als ich mal ein Wochenende nicht da war, hat er nur von einer Packung Keksen gelebt."
So sehr ich Taehyung auch lieb gewonnen habe. In Momenten wie diesen möchte ich ihn erwürgen. Mein Blick, dem ich ihm dieses Mal zuwerfe, ist nicht mehr böse, sondern richtig feindselig. Ich will ihn gerade fragen, ob ihm seine verdammten Codes ausgegangen sind, die er in seiner Freizeit entschlüsselt, als mich Namjoons Entsetzen zusammen zucken lässt.
„Ernsthaft?" Er schaut zwischen Tae und mir hin und her. „Du hast seit acht Monaten nicht mehr deine Wohnung verlassen."
Ich rutsche tiefer in mein Polster, da mir diese Situation gerade ziemlich unangenehm wird. Es wird mir eindeutig zu privat.
„Wenn du das so sagst, klingt es, als wäre ich ein Einsiedler."
„Du bist ein Einsiedler", korrigiert Taehyung und wirft mir eine Kusshand zu, während sich frustriert meine Nasenflügel blähen.
„Dem stimme ich zu."
Das ist das erste Mal an diesem Tag, dass sie sich einig sind. Freut mich, dass meine Introvertiertheit eine Verbindung zu ihnen knüpft. Doch dann legt Namjoon den Stapel Zettel auf den Tisch, den er bis eben noch in der Hand gehalten hat und schiebt sie zu mir herüber.
„Das ist der Vertrag. Lies es dir in Ruhe durch und komm zu mir, wenn du dich entschieden hast. Du hast eine Woche. Schau dir Chaeyeon an, lern sie kennen und entscheide dann. Sie wäre eine ebenbürtige Partnerin."
„Also muss ich entweder eine Partnerin akzeptieren oder ich kann meinen Job in der Time Corporation an den Nagel hängen", fasse ich dieses Gespräch nüchtern zusammen.
„Du könntest immer noch in den Innendienst. Hoya aus der Buchhaltung hat gekündigt. Wir bräuchten dort einen Ersatz."
Namjoons Grinsen verrät mir, dass er es nicht ernst meint. Trotzdem trifft mich dieser Vorschlag in meiner Würde und ich muss einfach noch einmal: „Ich gehe nicht in den Innendienst!", betonen.
„Dann ja", nickt mein bester Freund. „Dann sind es deine einzigen beiden Optionen."
Na das sind ja klasse Aussichten.
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