Verfangen

»Was suchst du?«

»Schneeflöckchen!«

Und schwups hüpft sie wieder vor mir daher und ruft nach Schneeflöckchen und dass sie doch bitte kommen mögen. Weit und breit kein anderer Mensch in Sicht. Obwohl ich gerade von der Arbeit nach Hause wollte, bleibt mir nichts anderes übrig als hier zu bleiben und auf das Mädchen Acht zu geben. Wieso erwartet sie im April einen Schneefall? Und wieso muss ausgerechnet ich genau zu diesem Zeitpunkt hier vorbeigehen? Ist es nicht genug, dass meine Arbeit mich heute derart erschöpfte? Ich sehne mich nach meinem gemütlichen Sofa mit meiner wohlverdienten Ruhe und einem leckeren Holunder-Ingwer-Tee. Doch ich bleibe, denn ich kann es nicht wagen, dieses kleine Mädchen alleine zurückzulassen. Offensichtlich ist sie verwirrt und alleine. Sie scheint mir nicht älter als zehn Jahre alt zu sein. Das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, mich abzuwenden, so klein und zierlich sie aussieht und nachher geschieht noch etwas Schlimmes.

»Schneeflöckchen, so zeigt euch doch. Wo seid ihr? Kommt doch bitte. Ich mag euch so sehr.«

Sie springt und hüpft von einer Ecke zur nächsten, schaut in Gebüschen, hoch an den Bäumen entlang und wieder hinunter auf den Weg.

Sie dreht ihren Kopf zu mir. Da sehe ich, wie traurig sie ist, es sie wohl macht, keine Schneeflocken zu Gesicht zu bekommen. Was soll ich ihr sagen?

Als ich noch völlig ahnungslos auf sie zuging, dachte ich, ich könnte ihr helfen. Nun bin ich ratlos.

»Können Sie mir denn nicht helfen?«, fragt sie schon fast den Tränen nahe.

»Soll ich dich nach Hause bringen?«, schoss es aus mir heraus.

»Nein, ich meinte Schneeflöckchen zu finden.«

Betreten dreht sie sich wieder um und setzt ihre Suche fort. Bot ich es nur an, weil ich nach Hause möchte? Aber wie soll ich ihr nur helfen etwas zu finden, was nicht da ist?

Sie entfernt sich, breitet ihre Suche aus. Mein schlechtes Gewissen bewegt mich dazu, ihr zu folgen.

Zunächst klang ihre Stimme hoffnungsvoll, so langsam verwandelt sich der Klang, Richtung Verzweiflung.

»Bitte Schneeflöckchen, es ist schon spät. Bald muss ich daheim.«

Was soll ich machen, wie kann ich dem ein Ende setzen, ohne ihr einen zusätzlichen Schmerz zu bereiten?

Ein plötzliches Geräusch hinter mir lässt mich Aufschrecken. Ein Rascheln. Ich gehe näher zu dem Mädchen, damit ich mich vor sie stellen kann, nur für den Fall. Ihr soll ja nichts geschehen.

Das Mädchen aber schlängelt sich an mir vorbei und geht geradewegs darauf zu, auf etwas, das aus dem Gebüsch heraus gekrochen kommt, nicht sehr groß, aber auch nicht so klein.

»Oh da seid Ihr ja. Schneeflöckchen. Ich habe mir solche Sorgen um Euch gemacht.«

Ich sehe das Mädchen an, ich sehe das Fellknäuel an und bin verwirrt. Das Mädchen kommt auf mich zu, sichtlich erleichtert.

»Darf ich vorstellen, das ist Schneeflöckchen. Ich meine natürlich Lady Schneeflöckchen.«

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