Benommene Assimilation
Mein Mund fühlt sich trocken an, mein Körper ganz schlapp. Ich kann mich kaum bewegen und nichts sehen. Panik beginnt in mir aufzusteigen. Wo bin ich? Ich versuche mich zu befreien, doch ich werde daran gehindert. Etwas ist um meine Hand- sowie Fußgelenke. Ich möchte schreien, doch auch das ist mir nicht möglich. Was ist hier los? Die Panik hat mich jetzt völlig ergriffen und ich liege da in meinem Schweiß. Hilflos und unwissend.
„Holen Sie sie. Sie ist wach."
Sie, wer ist sie? Warum wird nicht mit mir gesprochen? Habe ich geschlafen oder war ich ohnmächtig? Zu viel will mir durch meinen Kopf gehen, welcher kurz vor dem Explodieren ist. Mich beruhigen, es fällt mir schwer, aber ich muss es versuchen.
Ich zucke zusammen, eine Hand berührt mich, eine ziemlich kalte noch dazu, an meinem rechten Arm.
„Schön, dass Sie aufgewacht sind. Wir haben schon darauf gewartet."
Endlich wird mir die Augenbinde abgenommen und ich bekomme »Sie« zu sehen. Eine attraktive Frau, aber mit einer gewissen Härte im Ausdruck, auch wenn sie sich bemüht freundlich zu wirken. Sie löst die Hand- und Fußschnallen, holt ein bereits vorbereitetes Glas Wasser und hilft mir, mich aufzusetzen.
Mir ist ganz schwindelig. Sie stützt mich und reicht mir das Wasserglas. Da mein Mund nicht ausgetrockneter sein könnte, nehme ich es, auch auf die Gefahr hin, dass Gift dort drin ist. Während ich meinen Mund mit dem Wasser benetze und ausspüle sowie anschließend ausreichend trinke, werde ich gefühlt genauestens beobachtet.
Für den vergangenen Moment vergaß ich meine Angst, die mich aber sofort wieder beschleicht. Wie blöd ich bin, nur weil jemand eine freundliche Geste macht, immerhin scheint sie doch hinter meiner Entführung zu stecken.
„Was ist hier los? Wo bin ich?"
„Alles ganz in Ruhe. Sie hatten ein starkes Sedativum. Deswegen haben Sie wahrscheinlich auch Kopfschmerzen und Schwindel. Stimmt's?"
„Ja, trotzdem will ich wissen, wo ich bin? Und warum ich hier bin? Und warum ich gefesselt aufwachen musste."
Meine Angst schien sich zumindest vorerst zu verflüchtigen, das ist gut so, soll die Wut überhandnehmen, das ist nützlicher.
„Bee soll ich es einfach frei raus erzählen? Auch auf die Gefahr hin, dass es Sie schockt und Sie mir eventuell nicht glauben?"
„Ja, bitte. Ich will jetzt aufgeklärt werden."
„Sie sind eine der Auserwählten. Wir befinden uns im Bermuda-Dreieck, also genauer gesagt, befinden wir uns im Areal »Mia«, einer der Areale."
„Ich bin also in »Mia« im Bermuda-Dreieck, ja klar. Und damit wollen Sie mir jetzt sagen, dass wir unter Wasser sind und ich von heute auf morgen gelernt, habe unter Wasser zu atmen?"
„Fast. Das mussten Sie nicht lernen. Wir hatten genügend Zeit, die Bezirke menschengerecht anzufertigen, bevor die Katastrophe dort oben vollends ihr Ausmaß angenommen hat. Tatsächlich konnten wir den ungefähren Zeitpunkt errechnen und haben uns daher für ein zufälliges Auswahlverfahren über die staatlichen Apparate entschieden. Denn hier unten können natürlich nicht so viele Menschen leben, wie es oben auf der Erde waren."
„Warten Sie mal. Das soll doch jetzt ein Scherz sein."
„Nein, Bee."
„Also nehmen wir mal an, dass ich Ihnen glaube. War es wegen eines Krieges? Atomkrieges? Geht ja gar nicht, das ist nicht berechenbar. Also ist es wegen dem Klima oder ein Komet?"
„So ist es. Er krachte ein, konnte nicht abgefangen werden und macht es uns unmöglich dort zu leben. Das genauer zu beschreiben, müssen wir vertagen."
„Wer sind Sie und zu welcher Organisation gehören Sie?"
„Sie müssen sich damit begnügen, dass dies der strengen Geheimhaltung unterliegt, ich aber der Menschheit und dem Staate beziehungsweise den Staaten diene."
„Wie viele sind wir hier und sind alle über dieses Auswahlverfahren ausgelost worden?"
„Insgesamt sind wir hier vier Millionen Menschen in etwa, die aufgeteilt sind auf die drei Areale »Mia«, »San« und »Ham«. Neben unseren Einheiten und den Fachkräften hat ein gewisser Anteil ihren Platz über das Auswahlverfahren bekommen, diese wiederum durften eigenhändig fünf Menschen benennen."
„Wen habe ich ausgewählt?"
„Das kann ich Ihnen nicht sagen."
„Wieso kann ich mich an all das nicht erinnern?"
„Das starke Sedativum. Sie hatten es eine lange Zeit über im Körper, um hierher zu gelangen. Es dauert seine Zeit, bis es aus dem Körper schwindet und die Wirkung nachlässt."
„Und wie geht es jetzt weiter?"
„Ich bringe Sie zu Ihrer Wohneinheit sowie zu Ihrem Mentor, der Ihnen hilft, sich hier einzuleben. Alles weitere können Sie mit ihm besprechen."
Während des Gesprächs versuchte ich so aufmerksam wie möglich zu bleiben, trotz meines anhaltenden Schwindels und dass ich es nicht wahrhaben mochte, wo ich mich befinde.
Doch als ich aufstehe, sehe ich mehrere andere Menschen um mich herum, die vermutlich wie ich vorher hier liegen und denen ihr panisches Erwachen noch bevorsteht.
Nun schreiten wir einen Gang, eher eine Röhre entlang, von dem aus ich hinaus ins Meer blicken kann. Ist es das Meer? Was soll es sonst auch sein? Die Röhre ist ebenso nach außen beleuchtet. Wie konnten die das unbemerkt alles errichten? Das muss eine lange Zeit in Anspruch genommen haben. Vielleicht war es bekannt und ich kann mich nicht erinnern? Auf einmal saust ein großes Tier an uns vorbei.
„Was war das denn?", fragte ich die Frau, deren Namen ich immer noch nicht weiß.
„Bestimmt nur ein Hai oder Wal."
„Aha. Das ist aber sicher hier, oder?"
„Ja, keine Sorge."
Keine Sorge, das ist gut. Ich weiß gar nicht richtig, wo ich bin. Ja, ich befinde mich in »Mia«, aber wie soll ich mich hier zurechtfinden? So viele Röhrengänge, alles sieht gleich aus.
Nun gelangen wir anscheinend an eins der Enden, welches in einen Kasten, dessen ganzen Wände ich nicht einmal erblicken kann, mündet.
„So, da sind wir."
„Hier wohne ich jetzt?"
„Ja genau, mit etwa 20.000 anderen Bewohner*innen. Aber ... ah da sind Sie ja. Kay erklärt Ihnen alles weitere."
Sie dreht sich um und geht wieder in die Richtung aus der wir eben noch kamen. Ich wende mich Kay zu.
„Hallo."
„Hey. Du bist Bee?"
„Ja genau."
„Hast du den Schock schon überwunden?"
„Geht so."
„Alles gut, es geht uns allen so. Komm, ich zeige dir nun deinen Platz. Ich weiß, es klingt erst einmal merkwürdig, mit 20.000 anderen Menschen in einem Raum zu leben, aber wahrscheinlich wirst du niemals alle sehen. Es ist so riesig, dass wir uns hier wirklich gut aus dem Weg gehen können. Außerdem haben wir das Glück, überleben zu dürfen. Also, jedem steht gleich viel Platz zu. Du kannst deinen Bereich offen oder geschlossen halten. Es gibt hier diese Art von Jalousien."
„Aha. Ja. Ich sehe schon. Ok, immerhin. Also das ist mein Bereich, ja?"
„Ja genau. Jeder bekommt das Gleiche zur Verfügung gestellt."
„Und was ist mit der Hygiene?"
„Zieh dir deine Schuhe an und folge mir, dann machen wir einen Rundgang."
Erst da bemerke ich, dass ich wohl die gesamte Zeit auf meinen nackten Füßen herumgelaufen bin. Das muss ja ein ziemlich gutes Sedativum sein. Ich ziehe mir die Schuhe an, die für mich bereit stehen und schnappe mir ebenfalls den Pullover, den auch alle anderen um mich herum tragen.
Dann folge ich meinem Mentor Kay. Er führt mich von meinem Bereich zu seinem, damit ich weiß, wo ich ihn finde. Ich frage mich, als er mir über sein Ankommen erzählt, was anscheinend schon ein bisschen zurückliegt, wie er so positiv gestimmt sein kann. Ich bewundere ihn dafür, mich erfreut es hier so gar nicht. Auch frage ich mich, ob ich nicht lieber den Tod hätte wählen sollen. Hatte ich überhaupt eine Wahl?
Wir gingen zu den Gemeinschaftsbadezimmern. Und in diesem Fall bedeutet Gemeinschaft wirklich für jeden bestimmt. Keine Geschlechtertrennung. Ohne jegliche Trennung, um es genauer zu beschreiben. Jeder sieht jeden bei allem. Eine neue Herausforderung, ich glaube, da nehme ich den Eimer lieber mit in meinen Bereich hinter die Jalousie.
Von da aus gehen wir weiter zu dem unseren zugehörigen Speisesaal. Im dreißigminütigen Takt wird hier morgens zwischen 07:00 Uhr und 09:00 Uhr, mittags zwischen 12:00 Uhr und 14:00 Uhr und abends zwischen 18:00 Uhr und 20:00 Uhr gegessen.
Der nächste Halt auf unserem Rundgang ist eine Tafel, die einem bedeutet, wo jeder zur Arbeit eingeteilt wird. Dazu blicken wir auf eine sich stetig aktualisierende Tafel. Ich wurde zum Arbeiten zum Raum D zugeordnet. Kay zeigt mir den Weg dorthin sowie den Weg zu unserem Kasten-Zuhause.
Als wir dort zurückkommen, ist es bereits 17:45 Uhr. Kay bedeutet mir, dass wir uns beeilen müssen. Beeilen, um essen zu können. Was soll das alles? Das klingt bisher nicht wie ein Traumzuhause.
Tag für Tag vergeht. Ich habe mich mehr oder weniger eingelebt, eher angepasst. Am Anfang war es hart, sich diesem Leben hinzugeben, seine eigenen Nischen zu entdecken, in denen ich für mich sein kann. Ein durchstrukturierter Tag gibt hier fast alles an, was eventuell gut ist, damit die Leute am Leben bleiben und weitermachen. Nur ist dies ein wertvolles Leben? Ohne eine Chance auf freie Entfaltung?
Einige Menschen waren schon vor mir erwacht, viele jedoch erst nach mir und so füllten sich die jeweiligen Kasten immer mehr und das anfängliche Gefühl, was Kay beschrieb, verfliegt ziemlich schnell.
Jeder hat eine Aufgabe zu erfüllen, wird immer wieder gesagt, dafür dürfen wir leben, außerdem erhalten wir dadurch unser Leben hier.
Doch jeder Tag ist derselbe. Alles sieht gleich aus, alle sehen gleich aus. Aufstehen; Essen; Arbeiten, ohne genau zu Wissen, was hergestellt wird; Mittagspause; Feierabend; Essen; Schlafen.
Ich frage mich immer wieder, wo die fünf Menschen sind, die ich auserwählt habe und welche es sind. Darauf bekomme ich nie eine Antwort. Warum nur ist das ein Geheimnis? Gibt es diese fünf Menschen überhaupt irgendwo hier unten? Oder ist es eine Lüge? Sind sie in einem der anderen Areale? Wurden wir getrennt? Mir ist es leider nicht erlaubt, in eins der anderen Areale zu reisen, wie sie es nennen. Reisen sind erst ab einer bestimmten Wohndauer erlaubt oder wenn die Art der Beschäftigung es erfordert. Ich wüsste nicht einmal, in welche Richtung ich gehen sollte, um zu einem der Unterwasserfahrzeuge zu gelangen, die einen sicher hinüberbringen.
Doch Gerüchte gibt es hier genug. Über die Sicherheit des Lebens mitten im Bermuda-Dreieck und ob es nicht zu gefährlich sei, nachdem so vieles genau hier geschah. Doch die Gehobenen, wie wir sie nennen, weil wir weder ihre Namen noch die Organisation dahinter erfahren, sagen bloß, dass es Mythen sind und dies der Ort war, an dem sie ihr Vorhaben sicher umsetzen konnten.
Entweder in der Früh, in der Schlange zum Essen oder abends nach Feierabend, sogar in den Gemeinschaftsbädern werden Gerüchte ausgetauscht. Das ist hier so etwas wie eine Währung. Ich bin eine stille Beobachterin und Zuhörerin. Neugierig auf Inhalte lausche ich dem gespannt zu. Einmal wurde erzählt, dass ein Mann, der etwas Wichtiges aus dem Areal »San« zu uns bringen sollte, hier nicht ankam, weil ein riesiges Monstrum ihn auf dem Weg verschlang. Der Begleiter, einer der Gehobenen aus »San«, habe dies einer der Gehobenen von uns erzählt und ein Bewohner von uns habe es zufällig mitbekommen. Solche und andere Gerüchte, darunter welche, die einen an das alltägliche frühere Leben erinnerten, werden weitergetragen. Sie sind meine Highlights. Was würde ich nicht alles für mein früheres Leben, auch wenn ich mich oft beschwerte, geben?!
-
Und erneut auf dem Weg ... Jemand kommt auf mich zu. Schnurstracks. Kenne ich ihn? Habe ich ihn auserwählt? Warum kommt er zu mir? Ohne Halt. Er greift mich und zieht mich weiter. Ich weiß, ich muss still sein, sonst fliegen wir auf. Es herrscht eine gewisse Strenge hier, bloß an den Ablauf halten, sonst ...
Ich weiß gar nicht, was sonst. Aber es wird einem Angst gemacht, dass man sich bloß an die Struktur halten solle, weil einem sonst etwas Böses widerfahren würde.
Er vergewissert sich, dass uns niemand folgte und wir ungestört in dieser Ecke, an der ich noch nie war, stehen. Er legt seinen Finger auf seine Lippe und lässt mich los. Ich begreife. Er winkt mich heran, ich solle näher kommen.
„Ich muss mit dir reden", flüstert er.
„Aber wir kennen uns doch gar nicht", flüsterte ich noch leiser zurück. Er sieht mich verwirrt an.
„Du hast mich auserwählt mit hierher zu kommen. Erinnerst du dich nicht?"
„Sind wir befreundet?"
„Nein. So hat die Wahl nicht funktioniert. Dir wurden Menschen vor die Nase gestellt und du musstest fünf auswählen."
„Was? Und die anderen? Ich bin schuld, dass andere nicht hier sind. Oh nein."
„Psst. Das alles ist nicht deine Schuld. Wir haben nicht viel Zeit. Aber, dass du dich nicht erinnerst, bestätigt meine Vermutung. Wir haben keine Zeit für viele Erklärungen, wir müssen handeln. Ich habe etwas von den Gehobenen gehört. Was hier wirklich vor sich geht. Sie warten, bis wieder dieses bestimmte Tiefseebeben aufkommt, konnten es sogar voraus rechnen. Dann wird hier alles zusammen brechen, weil die Wellen alles, ob über dem Meeresspiegel oder darunter mit sich reißen und es dann in den Meeresboden verschluckt wird. Die Gehobenen werden vorher abhauen. Verstehst du, was ich dir sagen will?"
„Nein nein nein. Das kann nicht sein."
„Psst. Es gab keinen Kometen. Dort oben leben die Menschen weiter. Wir wurden nicht gerettet, sondern auserwählt zum Sterben."
„Du meinst das alles hier ist eine Lüge? Aber warum sollte jemand so etwas tun?"
„Zum Beweisen, dass es diese starke Macht im Bermuda-Dreieck gibt. Deswegen haben sie diesen Ort ausgewählt. Es wollte ihnen keiner glauben. Hiernach wird man ihnen glauben."
„Aber warum sollen so viele Menschen dabei sterben? Das kann doch nicht wahr sein."
„Es ist wahr. Ich hab es mit angehört."
„Ich weiß einfach nicht mehr, was wahr sein soll."
„Weißt du noch, wer oder wo du warst, bevor du hier erwacht bist?"
„Ja ... aber na klar ... Ich ..."
„So geht es jedem."
„Aber du wusstest ..."
„Ja, ich weiß nicht, woran es liegt, aber die Auserwählten durch die Ausgelosten können sich an ihre Wahl erinnern. Aber ansonsten auch an nichts. Und sie sagten doch, dass es wieder kommt, das Sedativum nachlässt, oder?"
Er hat recht. Das wurde gar nicht mehr infrage gestellt. Hier wird gar nichts infrage gestellt. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit, es gibt keine Alternativen, es gibt einen durchgetakteten Tag, durch den wir gut abgelenkt werden.
Aber ...
Ist es möglich? Mein Kopf ... Gedanken übermannen mich.
Wer bin ich eigentlich? Wer war ich? Warum soll ich für so ein Experiment sterben?
„Ok. Und wann soll es so weit sein?"
„Morgen."
„Morgen?"
„Gibt es eine Fluchtmöglichkeit?"
„Ja, wir sind in »Mia«, ich denke das bedeutet bei Miami. Also haben wir gute Chancen."
„Du willst einfach da raus und hoch schwimmen?"
„Zwar mit Sauerstoffmasken und dem sonstigen Zubehör, aber ja. In der Hoffnung, dass wir nicht so tief sind und es schaffen. Ich kenne einen Ausgang."
„Wann?"
„Jetzt."
Da gleich Mittagspause ist und er seiner Beschäftigung in diesem Bereich nachkommt, ist es nicht auffällig, dass wir hier entlang laufen.
Ich halte ihn am Arm und frage „Warum ich?", er antwortet „Weil du mich auch retten wolltest".
Er zeigt auf die bereits vorbereiteten Taucherausrüstungen in einer kleinen Nische, wo sie trotz ihrer Größe leicht zu übersehen sind, danach deutet er auf die Wand vor ihm.
Verstand ich nun richtig? Geht es da hinaus? Sollte es nun wirklich um Leben oder Tod gehen?
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