34 | Wahre Liebe ist das Wasser
Spätestens jetzt wurde mein Verdacht, dass ich in River verliebt war, bestätigt. Anders konnte ich mir die Scherben in meinem Brustkorb nicht erklären. Es waren nicht die verbalen Messerstiche seinerseits, die mir die Luft abschnitten, sondern mein eigenes Herz. So fühlte es sich wohl an, wenn man sich von seinem eigenen Körper verraten wurde. Ich hatte Kopfschmerzen und wusste nicht, wie ich in diesem Zustand nach Hause fahren sollte. Meine Sicht war verschwommen und ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren als auf River. Ich wollte mir nicht noch mehr Schaden zufügen, indem ich einen Autounfall baute.
Stattdessen textete ich meinen Eltern, dass mich jemand abholen sollte und schickte ihnen gleichzeitig meinen Standort. Ich saß in der Stille meines Autos, während die Heizung das Einzige war, was der Kälte in meinem Inneren entgegenwirkte. Ich traute mich nicht, das Radio laufen zu lassen, weil es mich zu sehr River erinnerte und daran, dass ich in seinem Auto ebenfalls jeden Song gewählt hatte, den wir hörten. Meine Schluchzer schnitten wie Peitschenhiebe durch die leise Umgebung. Ich fühlte mich miserabel, unwohl und dreckig und ich hasste es, dass ich überhaupt jemals jemandem die Möglichkeit gegeben hatte, mich derartig zu verletzen. Ich hasste es, dass ich River nachweinte, während er mich abgeschrieben hatte wie eine billige Nummer. Er hatte Sekunden gebraucht, um diese Entscheidung zu treffen und ich würde vermutlich Wochen brauchen, bis ich wieder lernte, richtig zu atmen.
Ich hörte, wie mein Handy pingte, hatte aber weder genug Nerven noch eine genug klare Sicht, um die Nachricht zu lesen. Meine Muskeln fühlten sich träge und erschöpft an, dabei hatte ich mich schon seit einer Viertelstunde nicht mehr vom Fleck gerührt. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, während ich Tränen vergoss und in die Dunkelheit starrte, ohne etwas zu erkennen, aber irgendwann fuhr ein Truck neben meinem Auto auf den Parkplatz. Dads Truck. Er stieg aus, sobald der Wagen nicht mehr rollte, kam zur Fahrertür und öffnete sie, ehe er mich fest in die Arme schloss. Mein Schluchzen wurde nur noch schlimmer und der kleine Teil in mir, der sich beruhigt hatte, ging erneut in Flammen auf und brannte ein weiteres Stück meiner Seele nieder.
»Oh Schätzchen, was hat er nur mit dir gemacht?«, fragte Dad. Ich konnte nicht antworten, schüttelte also nur den Kopf, um zu signalisieren, dass meine Kehle zugeschnürt war und ich kein Wort, geschweige denn einen logischen oder zusammenhängenden Satz, hervorbringen konnte. Ich fühlte mich schon so genug schlimm. Da musste ich nicht auch noch versuchen mich zu überstrapazieren und dann erkennen, dass ich kläglich dabei scheiterte – genau wie ich auch bei dem Versuch, Rivers und meine Beziehung zu retten, gescheitert war.
Dad hielt mich lange und fest, strich mir beruhigend über den Rücken, während er mir beruhigende Sätze ins Ohr murmelte. Ich schwieg noch immer und klammerte mich an ihn fest, als würde mein Leben davon abhängen. Schließlich hob er mich wie ein Kleinkind hoch und trug mich zu seinem Truck, als würde ich nichts wiegen. Das Auto, mit dem ich hergefahren war, schloss er ab, damit es noch immer dastand, sobald ich mich dazu überwinden konnte, es abzuholen.
»Ich werde es morgen holen, Dar. Mach dir keine Sorgen darüber«, sagte er zu mir, als er meinen Blick bemerkte. Ich starrte auf meine Hände und schniefte. Ich fischte mir ein Taschentuch aus der Mittelkonsole. Ich hasste es zu weinen und wer auch immer behauptet hatte, dass es eine befreiende Wirkung hatte, verspürte danach wohl nicht jedes Mal dieselben Kopfschmerzen wie ich.
»O-okay«, stammelte ich atemlos, während ich von einem Schluckauf befallen wurde. Dad sah immer wieder besorgt zu mir, aber mir fehlte die Energie, noch immer zu weinen, zu blinzeln oder mich mehr als nur fünf Millimeter zu rühren. Ich hatte so viel geweint, dass meine Augen schmerzten, meine Kehle juckte und mein Kopf dröhnte. Ich hatte mich äußerlich beruhigt, aber das milderte den Sturm in mir nicht.
Die Autofahrt war wie Balsam für meine Seele, aber es ging mir dennoch nicht besser, als Dad unsere Einfahrt hochfuhr. Wenigstens konnte ich wieder selbst gehen, ohne dabei komplett zusammenzubrechen. Zuhause hatte Mom schon eine heiße Schokolade für mich gekocht und nahm mir meine Jacke ab, genau wie sie mir auch dabei half, meine Schuhe auszuziehen. Mir fehlte einfach die Kraft, die ich dafür gebraucht hatte und ich war dankbar, dass ich das meinen Eltern nicht erklären musste. Ich ging ins Badezimmer, um mich umzuziehen, blickte aber nicht in den Spiegel. Ich wollte nicht sehen, was für ein Wrack River innerhalb einer Viertelstunde aus mir gemacht hatte. Mir war bewusst, dass ich dafür viel mehr Zeit brauchte als normalerweise zum Duschen, aber ich konnte meine Muskeln nicht dazu zwingen, sich zu beeilen.
Mom und Dad warteten in der Küche auf mich und ich schaffte es nach ein paar Anläufen, ihnen zu erzählen, was geschehen war. Ich ließ dabei die emotionalsten Teile Rivers Geschichte aus und zählte nur die Fakten auf – zum Beispiel, dass er in einem Wohnwagen lebte, während sein Bruder mit seinem Vater den Luxus eines geheizten Hauses genoss. Trotz allem war es mir wichtig, dass sie Rivers Situation nachvollziehen konnte. Ich wollte, dass sie sahen, dass er schwierige Zeiten hatte, nur schon, um zu zeigen, dass er gute Gründe hatte, um so zu handeln, wie er es eben getan hatte. Vielleicht sagte ich das alles aber auch nur, um mich selbst davon zu überzeugen, dass er sie hatte. Denn egal wie es Mom und Dad mit dieser Situation ging, sie liebten nicht River, sondern mich. Sie waren immer auf meiner Seite, selbst wenn ich mich am liebsten an seine geklebt und mich niemals davon gelöst hätte.
»Ich sollte vermutlich schlafen gehen«, schniefte ich, nachdem ich meinen Kakao ausgetrunken hatte. Ich konnte nicht fassen, dass mir heute zum allerersten Mal mein Herz gebrochen worden war.
Dad nickte zustimmend, Mom legte ihre Hand auf meine. »Wenn etwas ist oder du nicht schlafen kannst, komm uns einfach wecken. Wir sind da für dich, Schätzchen. Und wir wissen, dass das nicht einfach für dich ist. Wir können dich morgen auch krankschreiben, damit du ausschlafen kannst. Du wirst die Erholung brauchen.«
Ich nickte mit zugeschnürter Kehle. »Okay. Gute Nacht«, hauchte ich kraftlos. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich jemals von diesem Abend erholen würde.
---
Ich hatte noch nie zuvor in meinem ganzen Leben so viel geschlafen und mich danach dennoch immer so kaputt gefühlt. Offensichtlich gab es einen Unterschied zwischen psychischer und physischer Müdigkeit. Ich blieb bis zum Mittag im Bett und Mom und Dad ließen mich in Ruhe, obwohl sie hin und wieder den Kopf in mein Zimmer steckten, um mir Wasser aufzuzwingen oder mir zu sagen, dass ich noch nicht zu einem Vampir mutieren konnte und stattdessen wie ein Mensch Nahrung zu mir nehmen musste, damit mein Körper funktionierte. Mom erkundigte sich regelmäßig nach meinem Wohlergehen, und sagte mir am späten Nachmittag, dass Dad mein Auto geholt hatte. Ich wusste nicht, wie er dorthin gekommen und dann mit meinem Wagen zurückgefahren war, aber ich war froh, dass ich mich nicht selbst darum kümmern musste. Seither hatte sich zwar ein merkwürdiger Ausdruck auf ihr Gesicht gelegt, aber ehrlich gesagt wollte ich gar nicht wissen, was er zu bedeuten hatte.
»Frankie und Delilah sind an der Tür und wollen wissen, ob sie hereinkommen dürfen«, informierte sie mich eine halbe Stunde später. Sie sah aus, als wäre sie froh darüber, wenn ich Gesellschaft hätte, sich gleichzeitig aber auch fragte, ob ich emotional genug stabil war, um mich mit meinen Freundinnen auseinanderzusetzen. Ich verstand ihre Bedenken vollkommen. Ich wusste, wie ich aussah. Ich wusste, dass meine Augen vermutlich schlimmer geschwollen waren als die einer Allergikerin im Frühling.
Ich nickte trotzdem, denn ich wollte Frankie und Deli sehen. Ablenkung tat mir gut. Mit diesem Gedanken hätte ich eigentlich auch zur Schule gehen können, aber ich wollte nicht riskieren, dass ich River noch einmal über den Weg lief. Ich kannte mich selbst gut genug, um einschätzen zu können, dass ich bei seinem Anblick schneller untergehen würde als die Titanic.
»Darlene«, begrüßte mich Frankie, die plötzlich im Türrahmen stand. Sie hatte ein Kuschelpyjama an, genau wie Deli auch.
»Wir dachten, dass wir Gesichts- und Haarmasken brauchen. Aber du musst erst unter die Dusche, denn wenn wir hier übernachten, wollen wir nicht an dem Duft eines gebrochenen Herzens sterben, der an dir klebt.«
Ich rollte mit den Augen, spürte aber, dass sich ein Teil ihrer Energie bereits auf mich übertrug. Außerdem war es gut, dass sie noch immer Scherze machten, weil ich mich so nicht fühlte wie eine psychisch Labile, sondern, als hätte ich seit Jahren nicht mehr gelacht, was offensichtlich die Übertreibung des Jahrhunderts war. Ihr Lachen änderte zwar nichts an dem, was zwischen River und mir war, aber es machte die Situation zumindest für ein paar Sekunden erträglicher. Die beiden scheuchten mich ins Badezimmer. In meinem Zimmer bettelten sie wahrscheinlich bereits darum, dass Mom ihnen eine Luftmatratze gab, die sie aufpumpen konnten, sodass niemand auf dem Boden schlief. Ironischerweise kuschelten wir uns in diesen Fällen dann einfach alle auf die Luftmatratze, weil niemand das Privileg, auf dem Bett zu schlafen, für sich beanspruchte. Wir sahen dann meist aus wie Pinguine in rosa, aber es machte unfassbar viel Spaß. Ich wusste nur nicht, ob ich in der Stimmung für viel Spaß war.
»Reden wir eigentlich über Voldemort Zwei Punkt Null oder umgehen wir das Thema?«, wollte Frankie als erstes wissen, als ich aus dem Bad kam. Ich sah sie fragend an und bedeutete den beiden, die die Luftmatratze wie vermutet schon bereitgemacht hatten, mir nach draußen zu folgen. Wir kuschelten uns in drei überdimensionale Sitzsäcke, die eigentlich für Mom, Dad und mich gedacht waren und wickelten uns wie Burritos in Decken ein. Wir hätten uns auch drin unterhalten können, weil es draußen so kalt war, aber wir hatten eine vor Augen und Ohren geschützte Terrasse und ich brauchte ein wenig frische Luft, um meinen Kopf zu kühlen. »Ist das ein Code-Wort für einen Code, den ich nicht kenne?«
»Voldemort ist der, dessen Name nicht genannt werden darf«, erklärte Deli, was mir ein Zucken der Mundwinkel entlockte. Dann dachte ich an den, dessen Name nicht genannt werden durfte und mein Lächeln verfiel wieder in sich. Ich wollte nicht über ihn nachdenken. Denn das würde sich anfühlen, als würde ich mir selbst Salz in eine Wunde streuen. Da war man besser dran, wenn man es bleiben ließ.
»Nein. Ich habe schon mit Mom und Dad darüber geredet. Ihr habt aber die offizielle Erlaubnis, die beiden auszuquetschen, während ich auf die Toilette gehe. Richtet ihnen aus, dass ich die Geschichte nicht nochmal erzählen möchte und sie es für mich übernehmen dürfen.« Das war zwar ein wenig egoistisch gegenüber meinen Eltern, aber ich musste meine Gedanken von River erholen. Ich war mir nicht sicher, ob ich meinen Frieden jemals wieder finden konnte, wenn ich das nicht auf die Reihe bekam. River schien sich in jeden Winkel meines Lebens eingeschlichen zu haben. Ich wollte an ihn denken können, ohne den Streit von gestern auf Dauerschleife in mir zu hören. Wir waren nämlich viel mehr als das gewesen.
»Okay. Unseretwegen. Frankie muss dir sowieso noch etwas anderes erzählen und das sollte genug ablenkend sein«, sagte Deli, die wohl gemerkt hatte, dass ich in meinen Gedanken an einen anderen Ort wanderte. Dankbar lächelte ich sie an, obwohl mein Gesichtsausdruck vermutlich eher aussah, wie wenn ich in eine Zitrone gebissen hätte.
»Ach ja?« Ich bemühte mich, interessiert zu klingen, obwohl ich ziemlich gut auf emotionslos umgestellt hatte. Was auch nicht gut war, denn man löste seine Probleme angeblich ja nicht, wenn man sie einfach ignorierte. Oder zumindest hatte das River behauptet – und ich dachte nun schon wieder an ihn.
»Ja. Illian hat gesagt, dass du mit ihm geredet hast und ihm klargemacht hast, dass seine Idee nicht hervorragend angekommen ist und ich seine Gefühle nur nicht öffentlich verletzen wollte. Er hat mich dann gefragt, wie ich mich wirklich fühle und wir haben lang geredet – es war sehr intensiv und emotional. Am Schluss haben wir uns darauf geeinigt, bis Thanksgiving befreundet zu sein und dann zu entscheiden, ob wir wieder langsam mit Dates und so beginnen wollen. Mehr oder weniger haben wir also Schluss gemacht, bis wir unsere eigene Gefühle aussortieren.«
Ich verzog mein Gesicht mitleidig. »Fühlst du dich also auch wie eine Wüste?«, wollte ich wissen, während ich meinen Blick prüfend über sie wandern ließ.
Deli und Frankie sahen mich verstört an. »Du weißt, dass mehr als die Hälfte unseres Körpers aus Wasser besteht, oder?«, fragte Frankie vorsichtig. Ich rollte mit den Augen und nickte. Schließlich hatte ich meinen gesunden Menschenverstand schon noch nicht verloren, auch wenn es vielleicht danach aussah. Vor allem aber hatte ich im Biologieunterricht aufgepasst.
»Ja, aber deshalb frage ich ja. Ich fühle mich, als hätte mir River mehr als die Hälfte meiner selbst genommen, als wir gestern unseren Streit hatten. Ich möchte mein Wasser wieder haben«, beklagte ich mich, während ich mir der Ironie bewusstwurde. Vielleicht hatte ich Idiotin River zu meinem Wasser gemacht. Zu einem Fluss, einer sicheren Überlebensquelle meines Lebens. Und jetzt fehlte sie mir.
»Nein«, sagte Frankie schließlich und unterbrach meine Gedanken damit wieder. »Nein, ich fühle mich definitiv nicht wie eine Wüste.«
Braucht Dar River wirklich so sehr?
Werden Frankie und Illian nach Thanksgiving wohl noch eine Zukunft haben?
Was haltet ihr von Frankie und Delilahs Besuch?
Wie geht es River momentan wohl so?
Glaubt ihr, die beiden werden wieder einen Weg zueinander finden?
Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat und wir lesen uns am Donnerstag wieder (tut mir leid, dass ich es diesen Donnerstag nicht geschafft habe, habe vollkommen zu vergessen zu updaten 🤦♀️😂)...
Schaut eigentlich jemand von euch GNTM? Denn am nächsten Donnerstag ist gleich auch noch das grosse Umstyling und ich bin schon sooo gespannt darauf 😱!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top