22 | Was einen fotografischen Charakter ausmacht

»Hast du schon gesehen, dass du neue Prospekte von verschiedenen Colleges gekriegt hast?«

Mein Kopf schoss in die Höhe und ich musterte meinen Vater, der von dem Stapel Post neugierig zu mir blickte. »Nein«, antwortete ich und goss mir nebenbei ein Glas O-Saft ein. Ich gab mir große Mühe die Bewerbungen und das Studium zu vergessen. Es stresste mich, dass ich noch immer keine Entscheidung getroffen hatte. Jedes Mal, wenn ich mich daransetzte, versuchte ich etwas auszuwählen. Ich hatte bisher sechs verschiedene Varianten von möglichen Studienrichtungen zusammengestellt, aber sobald ich die Pläne dann meinen Eltern vorstellen wollte, leerte sich mein Kopf und ich warf die Pläne wieder über Bord, weil ich mir dann plötzlich doch nicht mehr so sicher war oder einen Grund fand, wieso mir diese bestimmte Studienrichtung dann nicht gefallen würde.

»Solltest du dir vielleicht einmal ansehen. Außerdem hat deine Mom gesagt, dass du dir vielleicht mal ein Wochenende aussuchen solltest, um Campis zu erkunden.« Ich nickte, denn das hatte sie mir auch schon gesagt. An und von sich fand ich die Idee nicht schlecht, aber wusste noch nicht einmal, was ich tun wollte, wie hätte ich mich da für ein College entscheiden sollen?

»Wohin möchtest du überhaupt? Es ist Montagnachmittag und du solltest eigentlich Hausaufgaben machen, Dar.« Dad sah mich kritisch an, was er nicht oft tat. Ich versuchte, es zu überspielen. Mir war bewusst, dass meine Eltern nicht blind und vor allem nicht schwer von Begriff waren. Sie kannten mich besser, als mir lieb war und sie wussten, wann, wie und wieso ich mich auf eine bestimmte Art und Weise verhielt. Mom und Dad vermuteten womöglich schon längst, dass ich keine Ahnung hatte, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Sie gingen einfach damit um, indem sie mir genug Freiraum gaben, damit ich mich nicht in eine Richtung gedrängt fühlte. Aber das änderte nichts daran, dass sie wissen wollten, wohin ich ging, wenn ich abends allein das Haus verließ.

»Fotos machen. Draußen sieht es ideal dafür aus. Außerdem muss ich nachdenken-«

»Wofür du deine Kamera brauchst? Du bist merkwürdig, Tochter.«

»Habe ich von dir«, schoss ich zurück, während ein Lächeln meine Mundwinkel umspielte.

»Bleib nicht all zu lang. Ich mache uns beiden inzwischen was zum Abendessen, deine Mom isst bei Freundinnen. Ich will ihr nicht erklären müssen, dass du vermisst wirst.«

»Okey dokey. Lies nicht zu viel Zeitungen. Ich habe gehört, dass davon Wörter auf der Haut zu wachsen beginnen.« Mein Vater lachte und machte eine verscheuchende Handbewegung, damit ich mich endlich aus dem Staub machte und er den Rest seines freien Nachmittags in aller Ruhe genießen konnte. Ich leerte den Rest meines Glases, stellte es in die Spüle und verließ dann das Haus. Draußen hatte wieder das öde Regenwetter eingesetzt, aber das passte zu meiner Stimmung. Ich fühlte mich zwar besser als heute am Morgen, aber gut war etwas anderes.

Am liebsten hätte ich meinen Kopf geleert, den Spaziergang als Ablenkung genutzt, aber ich konnte meine Gedanken nicht abschalten. Vor allem konnte ich das Gesicht nicht vergessen, das in meinem Kopf herumspukte und mich ständig an sich zu erinnern schien. River hatte eindeutig zu viel Platz in meinem Gedächtnis eingenommen und ich hatte definitiv zu wenig Nerven, um mich nun auch noch mit ihm zu befassen. Ich hatte ihn bereits mit zwei weiteren Post-It-Zetteln überzeugen wollen, dass er nur eine Erklärung brauchte. Ich wusste nicht, wieso das so schwer zu verstehen war, aber am Ende des Tages konnte ich ihn nicht dazu zwingen, mir zuzuhören.

Ich seufzte und schloss die Augen, während die Regentropfen sanft meinen Wangen entlang herunterkullerten. Die Welt war so laut, wenn man selbst ruhig war. Verkehr, Menschen, Natur. Alles schien im Einklang zu sein, obwohl alles so gegensätzlich und verschieden war. Ich wusste, dass ich nicht mitten auf dem Gehweg stehen bleiben sollte und dass das die Leute nervte, die es eilig hatten und dann einen Bogen um mich machen mussten. Aber ich war überwältigt und die Emotionen umfassten mich mit einer Wucht, die ich nur in Kunst übertragen wollte. Wie automatisiert öffnete ich meine Augen wieder, blickte dabei aber nur durch die Linse meiner Kamera. Es war einfach, Schönheit zu erkennen, wenn man den Bildausschnitt selbst wählen konnte. Genau wie es auch einfacher war, Menschen zu lieben oder zu hassen, wenn man nur gewisse Teile von ihnen sah oder sehen wollte. Wenn man sich auf die Charakterzüge fokussierte, die man mochte und alles andere ausblendete.

Ich wollte nicht an ihn denken, aber River war plötzlich überall zu sehen. Der Rost der Straßenlaternen erinnerte mich an seine kupferbraunen Augen, wenn sie mich erwartungsvoll anblickten. Die Pfützen auf den Straßen erinnerten mich an sein Lächeln, weil sie so viel Licht in sich spiegelten, dass sie beinahe zu leuchten schienen. Die Risse im Asphalt erinnerten mich an die Zerrissenheit seiner Seele, die ich mir noch immer nicht ganz erklären konnte. Ich knipste durch die Gegend und sah dabei vielleicht aus wie eine Verrückte, aber es war eine effektive Art, meine Emotionen zu verarbeiten. Blätter, kaputte Äste und Motorräder mit abblätternder Farbe ließen sich so leicht ergreifen, dass es beinahe wie ein Geschenk wirkte, wenn ich sie ansah. Es ging nicht darum, ein schönes Bild zu machen und einzigartige Objekte wie beispielsweise seltene Sportwägen zu fotografieren. Es ging darum, die Einzigartigkeit in alltäglichen Objekten zu erkennen und in den Fokus zu stellen, weil das Leben schlussendlich darauf ausgerichtet war, Freude und Faszination an diesen Dingen zu finden.

Ich verlor jegliches Zeitgefühl, aber ich wagte es nicht, auf die Zeit zu achten. Sie war so eine rationale Sache, dass sie mir die Kreativität verderben würde. Es war viel schöner, auf das Untergehen der Sonne zu achten als auf eine Uhr, viel bedeutender als das Ticken eines Zeigers, der maschinell hergestellt wurde. Ich ließ mir so viel Zeit wie ich brauchte, um mich besser zu fühlen, bis ich meine Kamera wieder in die Tasche packte, ehe ich langsam wieder nach Hause zurückkehrte. Ich war vollkommen durchnässt und vermutlich dabei, mir eine Erkältung zuzuziehen, aber das war mir egal. Am vergangenen Samstag war ich auch nicht krank geworden. Außerdem hatte ich das hier gebraucht, um mich und meine Nerven zu beruhigen. Spätestens bei den Bradburys würde ich diese nämlich wieder brauchen.

»Hi«, begrüßte mich Bash lächeln und hielt dabei die Tür auf. Er hatte ein weißes T-Shirt und schwarze Jeans an, dazu noch gestreifte Socken. Seine Haare waren nass und verwuschelt, was bedeutete, dass vermutlich nicht so viel Zeit vergangen war, seit er aus dem Training nach Hause gekommen war und geduscht hatte.

»Hey«, meinte ich und lächelte ihn ebenfalls an. Ich hatte überlegt, das Abendessen doch noch abzusagen, war mir dabei aber wie ein Feigling vorgekommen. Es war nur ein Abend und das würde ich wohl noch überleben.

»Ich war mir nicht sicher, ob du wirklich kommst«, meinte er und trat zur Seite, damit ich eintreten konnte. Ich spürte dabei seinen Blick auf mir, obwohl es nicht sonderlich viel zu entdecken gab. Eine Bluse, weiße Jeans und knöchelhohe, rote Stiefeletten. Meine Haare hatte ich zu einem Dutt hochgesteckt, aber den Schmuck vollkommen weggelassen. Ich hatte mich ohnehin nicht entscheiden können und ich wollte nicht den Eindruck erwecken, als hätte ich mich aufgepeppt. Das war nämlich bei Emmet zuhause so gewesen und am Ende des Tages hatte es mir überhaupt nichts genützt, dass ich mir so viel Mühe gegeben hatte, weil River und ich nur ungefähr fünf Minuten in diesem Haus verbracht hatten.

»Tja, hier bin ich nun. Ich hoffe, dass ich nicht störe«, meinte ich beiläufig, während ich die nassen Stiefeletten auszog und Bash mir meine rote Lederjacke abnahm.

»Natürlich tust du das nicht. Ich habe dich ein- und den Rest der Familie ausgeladen.« Bash lächelte mich an, was die Grübchen in seinem sonnengebräunten Gesicht hervorstechen ließ. Aus einem mir unerklärlichen Grund wurde ich rot. Sein Lächeln und seine Ruhe machten mich nervös, obwohl ich eigentlich nur hergekommen war, damit ich River zufällig begegnete. Das war dann wohl typisch für mein Glück. Das war dann wohl für nichts gewesen, wenn Bash sie ausgeladen hatte.

»Wegen mir?«, hakte ich ein wenig dümmlich nach. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«

Bash lachte, als wäre das ein Witz. Vielleicht war es das für ihn auch. »Ist besser so, glaub mir. River hat seit dem letzten Wochenende die schlechteste Laune, die ich jemals an ihm erlebt habe. Naja, zumindest seit langem.«

River wohnte gar nicht hier. Er hatte gesagt, dass er und Bash getrennt bei den geschiedenen Eltern wohnten. Ich hatte nur interpretiert, dass er heute hier essen würde. Aber das sagte ich nicht laut. Es gab nichts mehr, was ich an dieser Situation ändern konnte, denn es war nicht so, als würde er die übrigen Familienmitglieder jetzt doch noch hierhinbestellen. Also musste ich mich auf die wichtigen Teile dieser Konversation konzentrieren und versuchen, so viel über diese verzwickte Situation zu erfahren, wie nur möglich war. Und Bash hatte mir gerade verraten, dass River schlechte Laune hatte.

»Ach ja? Wieso denn?«

»Kein Plan. Vielleicht hat er seine Tage oder so.«

Bash lachte ein weiteres Mal – allein – während ich versuchte, den sexistischen Kommentar zu ignorieren. Es misslang mir. »Du weißt, dass Frauen in dieser Phase dann vermehrt Testosteron im Körper haben und sich dann eher benehmen wie ... Männer?«, fragte ich daher in einer zuckersüßen Stimmlage, damit er sich nicht angegriffen fühlte. Es war nicht meine Schuld, dass ich mir meine ehrliche Zunge teilweise nicht verkneifen konnte.

Bash zuckte mit den Schultern und fuhr sich dann durch die Haare. Er sah nicht so aus, als würde ihn dieser biologisch relevante Fakt interessieren und er kehrte das Thema somit unter den Teppich, weil ihm keine schlaue Antwort einfiel. »Willst du jetzt schon etwas essen? Naja, eigentlich können wir das auch auf später verschieben, wenn du nicht hungrig bist.«

Ich war nicht hungrig, aber ich war zum Abendessen hergekommen. Je später wir aßen, desto länger musste ich bleiben. Ich empfand Bashs Verhalten jetzt schon als unangemessen und störend, also musste ich diesen Besuch nicht unnötig in die Länge ziehen. »Ein wenig Hunger habe ich schon«, log ich also, worauf Bash in die Küche marschierte und ich ihm folgte. Vereinzeltes Gemüse lag auf dem Tresen herum, was er allerdings geflissentlich ignorierte, während er zum Kühlschrank lief. Er stieß ein entnervtes Grunzen aus, schlug die Kühlschranktür einige Sekunden später allerdings wieder zu.

»Der Kerl isst viel zu viel, wenn er miese Laune hat«, hörte ich ihn murmeln, während er sein Handy aus einer Hosentasche fischte. Dann hob er den Kopf und blickte mir direkt in die Augen. Seine Augen sind gar nicht so schön wie ich immer dachte, war mein erster Gedanke. Und der zweite: Mit Kupferfarbenen ist man definitiv besser dran. Ich errötete, weil ich hoffte, dass er meine Gedanken nicht lesen konnte. Mir war zwar klar, dass an all den Science-Fiction Filmen nichts dran war, aber rein theoretisch waren gewisse Gen-Mutationen und Zufälle-...nein, ermahnte ich mich. Da war absolut rein gar nichts dran und ich musste dringend damit aufhören, mich selbst in den Wahnsinn zu treiben.

»Was möchtest du für eine Pizza?«, fragte er mich, was mich wieder aus meinen wirren Gedanken holte. Ich benetzte meine Lippen und schluckte meinen bösen Kommentar herunter. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich etwas zu essen bekam und musste nicht kritisieren, dass er mich eigentlich zu einem Abendessen bei sich zuhause eingeladen hatte. Vielleicht verstand nicht jeder darunter, dass man dann selbst etwas kochte. Und es konnten auch nicht alle kochen, daher war manchmal besser dran, wenn das Essen bestellt wurde.

»Napoli«, meinte ich wie automatisiert. Ich nahm immer diese Pizza, auch wenn ich mir stets vornahm, mal eine neue Art auszuprobieren. Bash verzog sein Gesicht, gab allerdings meine Bestellung auf, während er für sich selbst eine Pizza Margherita wählte. Viel besser konnte das wohl kaum sein. Natürlich war eine Pizza Margherita ein Klassiker und viele Menschen mochten sie, aber das musste wohl der langweiligste Beleg sein, der überhaupt existierte. Er war nur akzeptabel für Leute, die entweder allergisch oder vegetarisch gaben – wobei es selbst dort interessantere Alternativen gab. Wenn ich es mir recht überlegte, war dieser Beleg nur für diejenigen Menschen gemacht, die alles andere nicht mochten.

»Ich dachte nicht, dass du ein Mädchen bist, welches auf Sardinen, Kapern und Oliven steht«, brach er die unangenehme Stille, die sich zwischen uns ausgebreitet hatte. Er bot mir ein Glas Wasser an, welches ich dankend annahm.

»Was sind das denn für Mädchen?«, wollte ich augenrollend wissen. Ich schätzte es nicht sonderlich, wenn man andere Menschen in Verhaltens-Boxen warf, aber gleichzeitig musste ich eingestehen, dass ich es manchmal selbst auch tat – ob nun absichtlich oder unabsichtlich.

»Nerds und stinkende Emos«, antwortete er, ohne zu zögern und ich verschluckte mich beinahe an meinem Wasser. Wie bitte? Wie kam man darauf so etwas zu denken? Und, was noch viel schlimmer war, wie kam man darauf so etwas für eine akzeptable Antwort zu halten und laut auszusprechen?

»Das ist nicht unbedingt nett.«

»Die Wahrheit ist niemals nett, Darlene. So ist das Leben.«

»Nein. Es gibt auch schöne Wahrheiten.«

»Zum Beispiel?«

»Liebe«, antwortete ich, ohne zu zögern. Ich bereute die Antwort wenige Sekunden später schon. Denn ich hatte Bash geliebt. Ich hatte sein Lächeln, sein Aussehen geliebt. Aber je näher ich ihn kennenlernte, desto mehr entliebte ich mich. Gleichzeitig wurde mir auch klar, dass ich ihn vielleicht überhaupt nicht mehr liebte oder gar nie wirklich geliebt hatte. Konnte man es Liebe nennen, wenn man die andere Person und ihre Macken gar nicht kannte? War nicht der ganze Punkt der Liebe, dass sie trotz allen Fehlern da war? Dass man die Person vielleicht sogar für diese Fehler liebte, weil sie das waren, was sie ausmachte? Ich nahm mir kaum mehr Zeit, um ihn zu beobachten und zu betrachten, und sein Aussehen war das gewesen, was ich wirklich an Bash geliebt hatte. Ich war seit Wochen bei keinem Training mehr gewesen, dafür hatte ich aber meine Liebe zur Fotografie weitergeführt. Unabhängig von Bash oder dem Football-Team. Es war befreiend. Als ich für ihn geschwärmt hatte, hatte ich mich niemals so gefühlt.

»Dein Gesichtsausdruck erzählt eine andere Geschichte. Warst du schonmal verliebt?« Ich nickte, wenn auch nur, weil er mich so abrupt aus den Gedanken gerissen hatte, dass ich automatisiert handelte. »Wie hat es sich angefühlt?«

»Damals oder im Nachhinein?«

»Damals.«

»Schön. Kribbelnd und aufregend.«

Ich lächelte ein wenig, weil ich es verrückt fand, dass mir nicht aufgefallen war, wie dieses Gefühl einfach...aufgehört hatte. Als wäre es wie ein Lichtschalter einfach ausgeklickt worden. ein kaputter Lichtschalter, wenn ich ehrlich war, denn ich glaubte nicht, dass diese Liebe jemals wieder zum Leben erwachen würde.

»Und im Nachhinein?«

»Demütigend und einengend.«

»Wieso?«

Weil ich dich geliebt habe. Ich sagte die Worte nicht laut, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung. Man soll sich lieber nicht in die falschen Leute verlieben.« Damit zitierte ich vermutlich irgendeinen Poeten aus dem Internet, aber das lag vielleicht daran, dass mittlerweile jeder Satz als Zitat irgendwo auffindbar wäre.

»Was ist mit dir?«, lenkte ich von mir selbst ab. »Warst du schonmal verliebt?«

»Nein, aber mein Bruder. Ich habe da schon genug davon mitgekriegt, als dass ich es lieber bleiben lasse.«

Mein Kopf war wie leergefegt, während ich angestrengt nach dem Moment suchte, als River mir gesagt hatte, dass er verliebt war. »River hat eine Freundin?«, fragte ich mit so ruhiger Stimme wie möglich, während mein Herz aus irgendeinem unbekannten Grund raste. Gott, damit musste ich bald mal zum Arzt, wenn es nicht endlich aufhörte.

»Hatte. War nicht so schön mitanzusehen. Seither hat der Kerl sich von allen abgekapselt. Ich versuche ständig, ihm Leute vorzustellen, damit er endlich Freunde findet, aber du scheinst da ein wenig erfolgreicher zu sein.« Ich wusste nicht, ob ich froh für mich oder traurig für River sein wollte. Er hatte jemanden geliebt und war nicht mehr mit dieser Person zusammen? Das war vermutlich hart. Wie war ich überhaupt auf den Gedanken gekommen, froh darüber zu sein?

»Meinst du Addie?«, wollte ich wissen, weil sie das einzige Mädchen war, das ich jemals mit River reden gesehen hatte. Einmal abgesehen von mit, Deli und Frankie, aber mit einer von uns hatte er nie etwas gehabt, sonst wäre ich darüber informiert gewesen. Bash lachte laut auf und legte sogar den Kopf in den Nacken, als wäre das die witzigste Sache, die ihm jemand jemals erzählt hatte. Ich war mehr als nur verwirrt.

»Nein, die beiden waren immer nur Freunde«, erklärte er zwischen Lachtränen in den Augen und erst dann fiel mir auf, wie lächerlich die Frage meinerseits war, wo ich doch wusste, dass Addie auf Frauen stand.

»Ah. Okay«, meinte ich ein wenig unbeholfen und sah Bash dabei zu, wie er sich schon zum dritten Mal allein totlachte. Es wurde nicht angenehmer, nur weil es immer wieder geschah, aber das sprach ich nicht laut aus. Ich war noch immer ein Gast und zumindest vereinzelte Manieren besaß ich schon noch. Glücklicherweise klingelte es an der Tür, was Bash aus seinem Lachanfall zu wecken schien. River, dachte ich.

»Unsere Pizzen«, sagte Bash und ging zur Haustür, womit er mich allein in der Küche stehen ließ. Ich kniff die Augen zusammen und verkniff es mir, frustriert aufzustöhnen. Das konnte noch etwas werden. Ich versuchte mir einzureden, dass ich meine Zeit hier nicht nur verschwendete – was absolut nicht funktionierte. Mein ganzer Plan war gewesen, River hier zu treffen. Dass er nicht da war, war das eine Problem, und dass ich nun mit Bash Zeit verbrachte, obwohl ich das eigentlich nicht wollte, ein weiteres. Dass ich nun wieder am Anfang stand und keine Ahnung hatte, wie ich die Dinge mit River wieder auf die Reihe bringen würde, war dabei noch das schlimmste. Ich vermisste ihn. Er hatte es mit seinem Verhalten vielleicht nicht verdient, aber ich konnte es nicht ändern.

Ein paar Minuten später kam Bash mit den beiden vor Hitze dampfenden Kartons wieder in die Küche und schenkte mir ein tausend-Watt Grinsen. Es erreichte mein Herz nicht, aber ich lächelte trotzdem zurück. Ich freute mich über die Pizza, weil ich mittlerweile tatsächlich Hunger hatte. Nachzudenken verbrannte weitaus mehr Kalorien als man vermuten würde. Ich bedankte mich, während Bash mich zu einem Esstisch dirigierte. Erst dann fiel mir auf, dass ich nicht viel von dem Haus gesehen hatte, zumindest nicht viel, das Herz hatte oder die Persönlichkeit der Bewohner dieses Hauses widerspiegelte. Keine Bilder, keine Zeichnungen. Nichts außer Möbeln.

»Worüber denkst du nach?«, fragte Bash, der bereits ein Pizzastück in den Händen hielt. Ich öffnete meine Schachtel ebenfalls.

»Ihr habt keine Bilder hier.«

Er schwieg für einen Moment, sah sich dann um, als fiele ihm das zum ersten Mal auf. Dann zuckte er mit den Schultern und biss in sein Pizzastück. Vielleicht wusste er nicht, was er darauf sagen sollte. »Wir haben überall Bilder zuhause. Das ist wahrscheinlich einfach der Grund, wieso es mir auffällt«, versuchte ich meine Feststellung auszubessern, auch wenn ich nicht sicher war, ob er mir glaubte.

»Ist kein Ding. Wir machen nicht so viele Bilder. River steht da nicht drauf, Mom ist...naja Mom, Dad ist meistens nicht dabei, wenn man Fotos machen könnte. Und Selfies nur von mir im Wohnzimmer aufzustellen ist auch nicht unbedingt das, worauf der Rest scharf ist.«

Ich nickte, obwohl ich mir sicher war, dass da noch mehr dahintersteckte und er die Story einfach stark gekürzt hatte. Ich verstand es aber auch. Familienangelegenheiten blieben in der Familie. Man sprach nicht gerne darüber. Vor allem nicht mit Menschen, die man kaum kannte. »Du bist fotogen, Bash. Wieso denn nicht?«, scherzte ich, was ihn zum Lachen brachte. Meine Mundwinkel zuckten ebenfalls, weil ich froh war, ein heikles Thema umgangen zu sein.

»Du bist nicht mehr zum Training gekommen«, sagte er nach ein paar Minuten. Wir hatten schweigend gegessen und ich war zum ersten Mal in meinem ganzen Leben erleichtert gewesen, dass es als anständig galt, nicht mit vollem Mund zu sprechen.

»Das ist dir aufgefallen?«, fragte ich ein wenig überrascht. Ich dachte immer, dass er mich nie gesehen hätte.

»Natürlich. Du fällst immer auf, Darlene.«

Flirtete er mit mir oder war das eine simple Wahrheit?

»Ich dachte, dass du mich nie bemerkt hättest!«

Vielleicht hätte das nicht wie einen Vorwurf klingen lassen sollen, aber ich konnte die Worte nicht mehr zurücknehmen.

»Wie denn nicht? Du bist immer da gewesen. Keine einzige Freundin von einem der Spieler war so oft und regelmäßig da. Wir alle haben dich bemerkt, aber du bist wie in deiner eigenen Welt gefangen gewesen. Versteckt hinter deiner Kamera. Ich glaube jeder einzelne von uns wäre direkt vor dir auf die Knie gegangen, nur um zu sehen, was für Bilder du da gemacht hast. Solche Leidenschaft kann nur positive Erträge haben.« Mein Mund klappte auf. Das konnte nicht wahr sein. Sie alle hatten mich bemerkt? Das war peinlich und ich war wütend, dass mich nie einer angesprochen und darauf angewiesen hatte. Ich hatte die ganze Zeit geglaubt, dass ich unsichtbar gewesen war, aber in Wahrheit wollte mich einfach niemand ansprechen? Mittlerweile empfand ich das nicht mehr als schlimm, aber ich hatte so viel Schlaf dafür geopfert, dass endlich ein Morgen kommen würde, an dem Bash mich ansehen und mit mir reden würde. Und er hatte sich jedes einzelne Mal bewusst dagegen entschieden. »Das war keine Beleidigung, Darlene«, besänftigte mich Bash, der meinen anklagenden Blick wohl bemerkt hatte. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie eifersüchtig alle waren, als plötzlich River bei dir saß und du deine Kamera weggelegt hast. Und dann bist du gar nicht mehr dort gewesen. Das hat einen so großen Haufen Drama gegeben, dass du dir es gar nicht vorstellen kannst.«

Nein, das konnte ich tatsächlich nicht. Das alles klang so abgedreht, dass mir die Worte fehlten. Also griff ich nach einem weiteren Stück meiner Pizza Napoli, um das Schweigen weniger unangenehm zu machen. »Okay. Das ist...interessant. Wie bist du überhaupt dazu gekommen, Football zu spielen?«, wechselte ich das Thema. Bash bemerkte wohl, dass ich das brauchte, denn er stieg darauf ein. Er erzählte davon, dass er es schon immer gemocht, aber erst nach dem Umzug richtig praktiziert hatte. An dieser Schule waren seine Chancen anscheinend höher. Danach sprachen wir über Gott und die Welt, wobei weder River noch das Training noch einmal als Thema aufkam.

»Danke für den Abend«, sagte ich, als Bash mich zur Tür begleitete. Ich meinte es auch so. Ich hatte trotz allem einen guten Abend gehabt und er war eine großartige Ablenkung gewesen. Die Pizza hatte das Eis zwischen uns definitiv gebrochen und ich musste eingestehen, dass Bash gar nicht so nervig war, wenn man länger mit ihm sprach. Ich musste meine Erkenntnis, dass ich ihn nicht liebte, noch sacken lassen, aber ich fühlte mich so leicht wie schon seit Tagen nicht mehr.

»Gern geschehen. Es war sehr schön. Und ich denke-...ich denke, dass wir ihn noch besser machen können.« Er stand dicht vor mir und sah mich eindringlich an, sodass mein Kopf plötzlich leer war.

»Was meinst du?«, fragte ich ein wenig verwirrt. Seine Mundwinkel hoben sich leicht und er beugte sich näher zu mir, um mich zu umarmen. Etwas unbeholfen legte ich meine Hände auf seine Hüfte, als Bash plötzlich mein Gesicht mit seinen Händen umfasste. Seine Daumen strichen sanft über meine Wangen und er vereinte seine Lippen mit meinen. Schock erfasste mich, während sein Mund über meinen strich. Ich starrte in sein Gesicht, doch er hatte seine Augen geschlossen und sah meinen Gesichtsausdruck nicht. Das war nicht, was ich erwartet hatte.

Ich öffnete meinen Mund, um zu protestieren, doch Bash deutete das falsch und drang mit seiner Zunge in meinen Mund ein. Sie stieß meine an, was mich anekelte. Ich wollte ihn nicht küssen, war aber zu erstarrt, um mich zu wehren oder Bash wegzustoßen.

Ich stieß ein leises »Nein, hör auf!«, aus, doch das schien der blonde Schönling gar nicht zu bemerken. »Bash!«, wimmerte ich, weil es mir wirklich zu viel zu werden schien. Ich konnte nicht mehr richtig atmen und so langsam ergriff mich Panik. Ich wollte nicht, dass das hier geschah. Ich brauchte Platz. Ich brauchte Atem. Ich brauchte Luft. Registrierte er nicht, dass mich das störte?

»Hör auf!«, versuchte ich es nochmal, dieses Mal mit Tränen in den Augen. Keine Reaktion.

Erst das zuschlagen einer Autotür schien ihn aus seinem Kuss-Bann zu reißen. Endlich löste er sich von mir und sah über mich hinweg, um das Geräusch richtig zuordnen zu können. Ich drehte mich ebenfalls um und entdeckte einen River, der vollkommen außer sich zu mir und seinem Bruder starrte...mit ein paar neuen Veilchen, die sein Gesicht zierten.

Uiuiui...😳
Da ist es mal richtig dramatisch geworden 😌

Meinungen zum Kapitel?

Vermutungen, was als nächstes geschehen wird?

Ich hoffe, dass ihr jetzt gespannt auf die Fortsetzung seid, man liest sich nächste Woche wieder 🧡

PS: Geniesst die Weihnachts- und Adventszeit 🎄

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