16 | Sternschwüre
»Du und deine Ideen, ihr seid beängstigend«, informierte mich River etwas außer Atem. Ich drehte mich zu ihm und zog mir dabei den Pullover, den ich mir zuvor um die Hüfte gebunden hatte, über den Kopf. Hier draußen war es viel kälter als noch in der Stadt und der Wind peitschte mir unablässig ins Gesicht. Vorher waren wir ein Stückchen durch den Wald gelaufen, wo die Bäume uns vor dem Wetter geschützt hatten. Ich rieb meine Hände zusammen, um sie aufzuwärmen. Wenn ich mir nicht zu hundert Prozent sicher gewesen wäre, dass die Aussicht alle negativen Umstände ausradieren würde, hätte ich vielleicht gewartet, bis das Wetter wieder besser war, um mit River herzukommen. Der Herbst brach langsam an und da konnte man sich schon glücklich schätzen, wenn man nicht verregnet wurde.
Trotzdem sah River so aus, als würde er am lieben sofort umkehren, nur um wieder in seinem warmen Auto sitzen zu können. Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass er etwas Warmes anziehen sollte.
»Der Wind ist beängstigend. Siehst du meine Haare?«, fragte ich daher, um ihn von seinen Gedanken abzulenken.
River zögerte. »Ja?«
»Gut, denn vielleicht existieren sie am Montag nicht mehr, wenn ich zu viele Knoten drin habe und sie deswegen abschneiden muss.«
»Hilft es dir, so dramatisch zu sein?«
Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das ist nicht dramatisch, das ist verdammt nochmal ernst gemeint.«
River strich sich seine dunklen Haare aus der Stirn, die ebenfalls in alle Richtungen peitschten. »Muss ich dir jetzt die Haare zusammenbinden, damit du aufhörst rumzumeckern?«
Ich nickte. »Na klar. Dummerweise habe ich kein Haargummi dabei«, sagte ich und deutete auf meine nackten Handgelenke, auf denen normalerweise eine ganze Auswahl prangte, damit ich auch schön eins aussuchen konnte, das zu meinem Outfit passte.
»Dreh dich einfach um«, seufzte River, der die Frage womöglich nicht einmal ernst gemeint hatte. Schweigend fasste er all meine Haare zusammen und kämmte sie danach so gut es ging mit seinen Fingern. Ich versuchte nicht unter seinen Berührungen zusammenzuzucken, aber es war beinahe unmöglich, denn seine Fingerkuppen strichen immer wieder sanft, dennoch unabsichtlich über meine Haut. Es machte mich nervös und hibbelig, und ich hatte plötzlich Mühe, ruhig dazustehen, obwohl es sich gut anfühlte. River drehte meine Haare und es dauerte nicht lange, bis er sie zu einem Dutt geformt hatte – und das ganz ohne Haargummi. Ungläubig drehte ich mich zu ihm um, nur damit ich sein selbstgefälliges Grinsen erblicken konnte.
»Danke!«, meinte ich konnte mein breites Lächeln dabei kaum verstecken. Rivers Mundwinkel zuckten ebenfalls und er neigte den Kopf leicht.
»Sehr gern geschehen, werte Prinzessin. Kann ich Ihnen vielleicht noch einen weiteren Dienst anbieten?«, fragte er in einem spielerischen Ton und hielt sich dabei die Brust. Erst dadurch merkte ich, wie nahe wir uns plötzlich waren. Kaum ein Schritt trennte uns noch und ich neigte den Kopf ein bisschen stärker als sonst, um seine vom Mondlicht erhellten Augen zu erblicken. River war ein gutes Stück grösser als ich, aber trotzdem fiel es mir heute zum ersten Mal wirklich auf.
»Ja, zum Beispiel könntest du mir sagen, wie du das gelernt hast.«
River schnaubte und mit einem Wimperschlag war jegliche spielerische Art aus seinen Gesichtszügen gewichen. »Oh, diese Geschichte ist auch nicht so schön. Ich habe es nämlich gelernt, indem ich versucht habe, Moms Haare von ihrem eigenen Erbrochenen fernzuhalten. Bei ihr ist es allerdings einfacher, weil sie längere Haare hat als du.« Mein Herz zog sich ein wenig zusammen, denn je mehr River von sich erzählte, desto mehr packte mich Trauer um seine Situation. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie hart das alles für ihn war. Und noch schlimmer wurde es dadurch, dass er das alles allein durchmachen musste. Ich glaubte nicht, dass River mit anderen Menschen darüber sprach, vor allem nicht mit Bash. Er schien sich ständig um die Angelegenheiten seines Bruders zu kümmern, aber ich sah nicht wirklich, dass er etwas davon zurückbekam. »Sieh mich nicht so an, Dar«, flüsterte er mir rauer Stimme und schluckte dabei tief.
»Wie sehe ich dich denn an?«, fragte ich etwas heiser zurück.
»Als wäre das alles wichtig. Es ist doch nur dummes Zeug. Ehrlich, meine Situation ist nicht annähernd so schlimm wie du denkst. Ich habe ein Dach über dem Kopf und genug zu Essen. Das können Millionen von Menschen nicht von sich behaupten.«
»Das macht es noch lange nicht besser. Nur weil viele Menschen leiden oder zumindest ein schlimmeres Schicksal haben als du, minimiert das dein Leid noch lange nicht. Denn wie viele Millionen von Menschen gibt es, die besser dran sind als du? Macht es irgendjemandes Leid besser oder schlimmer, wenn du dich mit ihnen vergleichst?«
River seufzte. »Nein. Aber das hält mich trotzdem nicht davon ab, es zu tun. Wobei ich am liebsten gar nicht an meine Probleme denke, Darling.«
»Das lässt sie auch nicht verschwinden.«
»Wahr. Aber ich kann mich auch nicht mit allem gleichzeitig befassen.«
Ich nickte, denn das konnte ich gut nachvollziehen. »Du kannst aber immer mit mir drüber reden, okay?«
»Das hast du schonmal gesagt und ich schätze das sehr. Danke.«
»Kein Ding«, entgegnete ich und packte seine Hand, damit wir und endlich weiterbewegten. »Und jetzt lauf endlich mal schneller, sonst kommen wir niemals an.«
River rollte mit den Augen. »Du bist echt ein kleines Monster, Dar. Habe ich schonmal erwähnt, dass ich eigentlich nicht wandern sollte?«
»Wir wandern auch nicht, wir spazieren. Und nein, das hast du nicht gesagt. Wieso solltest du nicht wandern dürfen?«
»Ist einfach so. Dann tun mir die Beine weh und das ist nicht angenehm. Hat es überall so einen ebenen Weg?«
»Ja, wir sollten gut durchkommen, keine Angst. Und wenn es nicht geht, musst du einfach etwas sagen.« Ich verschränkte meine Finger wie automatisiert mit seinen, wobei ich mir einredete, dass das nur daran lag, dass ich uns ein wenig vorantreiben wollte. Denn wenn River so hinter mir hertrottete wie vorher, wären wir noch morgen da. Ich hatte das alles sehr genau geplant und ich war mir nicht sicher, ob ich es überleben würde, wenn wir nicht zumindest zum See kamen. Der Weg dorthin war ordentlich gepflastert und darum herum wuchsen Hecken und Blumenwiesen, wobei immer wieder Straßenlaternen wie Sterne funkelten und ihn erhellten. Ohne diese Beleuchtung wäre ich vermutlich gar nicht hergekommen, weil Illian und Frankie es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, mich an jedem Halloween mit ihren Eskapaden zu traumatisieren und zu erschrecken, sodass ich danach zwei Wochen lang nicht schlafen konnte. Im Dunkel zu gehen hatte mir letztes Jahr beinahe einen Herzinfarkt beschert. Delilah, die sich genauso sehr über die beiden ärgerte wie ich, half mir danach immer, eine Rache zu planen. Wobei Plan hier das Schlüsselwort war – an der Durchführung mussten wir nämlich noch arbeiten.
Es half auch, dass es noch andere Leute gab, die hier einen Nachtspaziergang unternahmen. Mutterseelenallein und ein wenig weiter weg von Zivilisation war es schon ein wenig unheimlicher als sonst, aber am Ende des Tages würde es das wert sein.
»Ist es noch weit?«, nörgelte River nach einigen stillen Minuten, worauf ich mit den Augen rollte.
»Ja. Noch mindestens fünf Stunden sind für den Hinweg geplant. Zurück geht es meistens ein wenig länger, weil man da schon müde ist.«
»Ha-Ha.«
Meine Mundwinkel zuckten. »Wir sollten bald da sein, keine Sorge. Du wirst mir dankbar sein.« River zog seine Augenbrauen in die Höhe, ließ die Aussage allerdings unkommentiert. Anscheinend war er sich da nicht so sicher wie ich, aber das brauchte er auch nicht zu sein. Ich vertraute auf meine Instinkte. Oder wohl eher an die Erinnerungen, die ich vor vielen Jahren hier gemacht hatte.
Ungefähr eine halbe Stunde später hatten wir den Spielplatz gefunden, zu dem mich meine Eltern immer geführt hatten, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Ich war noch nie bei Nacht hier gewesen, aber die Gerüchte über die Magie des Ortes stimmten. Ein kleiner See wurde von Schilf und Sumpf-Primeln umzingelt, die für das Auge unendlich waren, weil das Licht nicht so weit reichte wie ihre Pracht. Die Blätter der vereinzelten Bäume, die um den Spielplatz angepflanzt waren, raschelten leise im Wind und Grillen zirpten, was der Natur hier eine wundervolle Melodie verlieh. Ich atmete tief durch und wagte es, zu River zu spähen. Doch er sah gar nicht zu mir, sondern starrte in die Ferne. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und nahm den Ort in sich auf. Er beobachtete nicht, er fühlte.
Sekunden, Minuten verstrichen. Irgendwann drehte River seinen Kopf zu mir und sah mich schweigend an. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber Tränen schimmerten in seinen Augen. Er weinte nicht, aber er wirkte überwältigt. Das war eben das Besondere an der Natur. Sie war immer da und meist atemberaubend, aber man achtete gar nicht darauf. In der Stadt waren keine Sterne zu sehen, die hier das Firmament erleuchteten, weil dort die Lichtverschmutzung zu schlimm dafür war. Aber sie waren trotzdem immer da und sobald man sie irgendwo erblickte, war zu spüren, was wir alles verpassten. Und selbst wenn wir als Menschen das Schönste unserer Umgebung zerstörten, gab es dennoch keine größere Kunst, als anzusehen, wie sie ohne unseren Einfluss wirkte. Es gab nichts Gewaltigeres, nichts, was faszinierender war. Es gab kein Museum, das ich mir lieber angesehen hätte als das, was die Natur uns jeden Tag bot.
»Vielleicht bin ich dir wirklich dankbar«, hauchte River mit rauer Stimme. »Es ist wunderschön hier.«
»Hast du die Sterne schon gesehen?«
River nickte. »Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mir zum letzten Mal so ein schönes Himmelszelt angesehen habe. Es ist unglaublich.«
»Ja, nicht wahr?« Ich deutete auf den See vor uns. »Die Sterne spiegeln sich im See. Sie machen den Himmel unendlich. Ich liebe das. Ich habe mal gehört, dass man den See Wasser der Sternschwüre nennt. Irgendwie passt das.«
»Was bedeutet es?«
»Dass man hier Abmachungen macht. Man schwört auf die Sterne, die sich hier spiegeln, sodass der Schwur sogar doppelt hält. Es ist angeblich ein sehr romantischer Ort, aber deswegen sind wir nicht hier. Ich möchte zwar auch einen Sternschwur machen, aber nicht so einen.«
River hatte mir damit seine volle Aufmerksamkeit geschenkt, denn langsam schien er zu begreifen, dass ich ihn nicht hierher geschleift hatte, nur um ihn zu ärgern. »Was möchtest du denn für einen Schwur machen?«, fragte er und sah mich dabei neugierig an.
»Einen für die Freundschaft. Für unsere Freundschaft. Ich habe uns sogar Armbänder gebastelt«, verkündete ich. River lachte. Es war ein volles, wunderschönes Lachen. Es war die Melodie seines Herzens und mein Atem stockte, weil ich es zum ersten Mal zu hören bekam. Er hatte mit Abstand das schönste Lachen der Welt. Es klang wie eine Antwort, zu der ich die Frage noch nicht kannte. Anders konnte ich mir die plötzliche Wärme in meinem Herzen nicht erklären, das angenehme Gefühl von Zuneigung und...Friedlichkeit. Es fühlte sich wie ein Sieg an, ihn endlich zu lachen zu hören, weil er es so selten tat.
»Du siehst mich gerade sehr merkwürdig an«, informierte mich River, als er sich beruhigte. Ich suchte nach einer witzigen Antwort, traurig, dass er schon mit dem Lachen aufgehört hatte. Natürlich fiel mir aber in diesem Moment nichts Passendes ein. »Dar? Geht es dir gut?«
Ich nickte, denn meine Kehle war ein wenig trocken. »Seit wann nennst du mich überhaupt ›Dar‹? Das ist mir schon ein paar Male aufgefallen«, wechselte ich das Thema und sah ihn neugierig an.
»Stört es dich?«
»Nein, es macht mich nur neugierig.«
»Ich nenne dich so, weil dich alle so nennen. Zumindest diejenigen, die du leiden kannst. Ich dachte, dass du das vielleicht lieber hast als Darling.«
Meine Mundwinkel zucken. »Ich mag beides. Zumindest darfst du mich Darling nennen, ohne dass ich Angst um meine Sicherheit haben muss.«
»Das ist eigentlich eine Schande. Teilweise kann ich nicht glauben, was Menschen für Arschlöcher sind.«
Ich sah River fragend an. »Was meinst du damit?«
»Na, dass sich alle immer aufspielen und sich Dinge erlauben, die unterste Schublade sind. Ich hasse es, dass Frauen so diskriminiert werden. Ich kann gar nicht erklären, wie unendlich traurig es ist, dass mit all den Kameras und Sicherheitsmaßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, noch immer kein Weg gefunden wurde, um sexuelle Übergriffe vorzubeugen. Ich meine, wieso können Frauen nachts allein nicht endlich in Ruhe irgendwo hingehen? Denn so, wie es im Moment ist, wärst du ohne mich heute vermutlich auch nicht hergekommen, aus Angst, dass sich irgendjemand zu viel erlaubt. Nicht, dass nur Frauen davon betroffen sind, aber trotzdem.«
Es überraschte mich, diese Worte von einem Kerl zu hören. Das klang vielleicht sexistisch, aber die Wahrheit war, dass Privilegierte sich weniger über Ungerechtigkeiten aufregten als diejenigen, die unter diesen litten. Das hatte Bash mit Bravour unter Beweis gestellt, und weil sie dieselben Eltern hatten, hätte man annehmen können, dass sie auch ein ähnliches Gedankengut teilten. Vor allem eilte Rivers Ruf ihm voraus und vor einigen Tagen wäre ich vor Überraschung wohl tot umgefallen, wenn ich diese Aussage aus dem Nichts von ihm gehört hätte. River hatte nicht unbedingt die beste Vorgeschichte mit seinen Schlägereien, aber eigentlich war er in Wirklichkeit nur ein Softie, wenn man ihn besser kannte. Und es machte mich stolz, dass er sich Gedanken über diese Ungerechtigkeiten machte. Zu viele taten es leider nicht, also war ich ungefähr doppelt so glücklich, dass er es tat. Weil es mir aus einem unerklärlichen Grund nicht egal war, was er dachte.
»Ich auch nicht, glaub mir. Aber sich nur darüber aufzuregen, bringt auch nicht viel. Man muss andere einfach darauf aufmerksam machen, dass gewisse Dinge nicht gehen und wie man sein Verhalten ändern kann, um das Leben für alle einfacher zu machen. Und dann kann man hoffen, dass wie es als Gesellschaft schaffen, gemeinsam zu funktionieren, ohne dass die Hälfte immer Angst haben muss. Klingt schön, nicht? Ich wünschte, dass es so wäre.«
River seufzte. »Ich auch, Darling, ich auch.«
»Oh, jetzt sind wir also wieder bei Darling gelandet?«
»Ja, und zwar weil du gesagt hast, dass es dich nicht stört.«
Mir wurde warm ums Herz, weil es wirklich wirkte, als hätte River sich Gedanken um den Spitznamen gemacht und ob es für mich in Ordnung war, dass er mich so nannte. Was nur noch mehr davon zeugte, dass er ein unendlich aufmerksamer Mensch war.
»Okay. Also was hast du geplant?«, wollte er wissen. Wir schienen beide das Thema gerne zu wechseln. Aber das war auch gut so, denn es zeigte, dass wir nicht nur eine Sache hatten, über welche wir reden konnten.
»Mach deine Augen zu und streck deinen Arm aus.«
»Wieso?«
»Sodass ich ihn abschneiden kann. Für das Armband natürlich, Riv. Hast du mir nicht zugehört?«
Er stockte in der Bewegung. »Hast du mich gerade Riv genannt?«
»Möglich. Wieso?«
»Weil du die einzige Person auf diesem Planeten bist, die mir je einen Spitznamen gegeben hat. Und jetzt hast du sogar noch einen zweiten.«
Ich lachte. »Tja, ich bin eben kreativ.«
River rollte mit den Augen, streckte allerdings endlich seinen Arm aus und schloss die Augen. Ich brauchte einige Sekunden, um sein Skulptur-ähnliches Gesicht in Ruhe zu begutachten, ehe ich zwei identische Armbänder herausfischte. Wohlgemerkt hatte ich eines grösser gemacht als das andere, weil ich damit rechnete, dass River einen größeren Handgelenk-Umfang hatte als ich. Ich nahm seine Hand sanft in meine, damit ich sie stillhalten konnte. River schluckte und ich konnte spüren, wie meine Kehle ebenfalls trocken wurde. Aber das ignorierte ich, während ich das größere Armband nahm und sanft um sein Gelenk herum platzierte. Es bestand aus einem simplen Design, wobei ich einige billige Perlen an eine Schnur gereiht hatte und hoffte, dass er nicht auf das Material allergisch war. In der Mitte hatte es einen Anker, der bei beiden Armbändern identisch war, schließlich sollte man erkennen können, dass es Freundschaftsarmbänder waren. Ich hatte Mühe mit dem Verschluss, weil meine Finger vor Aufregung zitterten. Gott, wieso war ich nur so nervös? River war kein komplizierter Mensch. Er nahm, was er bekam. Aber ich konnte das aufgeregte Kribbeln in mir dennoch nicht unterdrücken. Ich wollte, dass ihm die Armbänder gefielen. Und ich hatte Angst davor, dass sie es nicht taten. Dass er mich auslachte, weil er die Idee kindisch fand.
»Du kannst deine Augen jetzt öffnen«, flüsterte ich, weil ich glaubte, dass meine Stimme in einer normalen Lautstärke die magische Stimmung ein wenig zerstört hätte. Rivers kupferfarbene Augen fanden meine, noch bevor er auf seine Hand sah. Ich hielt die Luft an und meine Lungen leerten sich erst, als er das Armband endlich inspizierte. Sein Schweigen hatte sich noch nie so lange angefühlt. Ich platzte beinahe vor Nervosität. Dann bildete sich langsam ein Lächeln auf seinen Lippen, das schneller zu einem vollkommenen Strahlen wurde, als ich blinzeln konnte.
»Es ist wunderschön. Wo ist deines? Oh – warte! Sag bitte nicht, dass ich dir eins machen muss. Ich bin echt nicht in der emotionalen Verfassung, um irgendjemandem ein Armband zu machen. Das letzte Mal, als ich das versucht habe, habe ich meinen Handarbeitslehrer beinahe erstochen. Natürlich war das keine Absicht, aber der Kerl-«, blubberte es aus River hervor und ich konnte mir ein Grinsen nur schwer verkneifen, während ich doch noch genug Anstand besaß, ihn zu unterbrechen, bevor er vollends in Panik ausbrach.
»Es ist okay, River. Ich habe für uns beide jeweils ein Armband gefertigt. Sonst wäre es vielleicht schwer geworden, sie identisch aussehen zu lassen.«
Das Gott sei Dank stand ihm darauf so offensichtlich ins Gesicht geschrieben, dass ich in Gelächter ausbrach. Zu meiner Überraschung stimmte River direkt mit ein.
»Okay, ich helfe dir, es anzuziehen«, meinte er, nachdem wir uns beide wieder beruhigt hatten. Er wendete dieselbe Technik an wie ich und ich konnte nicht anders als mich zu fragen, ob meine Finger sich ebenfalls so intensiv auf seiner Haut angefühlt hatten. Ob sie sich auch so gut angefühlt hatten. Als wäre es viel mehr als nur eine simple Berührung oder das zufällige Streifen seiner Fingerspitzen.
»Ich glaube, dass wir offiziell den besten Partner-Look dieser Welt haben, Darling.«
»Ich stimme dir absolut zu, Tartaruga.« Synchron hielten wir unsere bearmbandeten Arme in die Höhe, um sie im Schimmern des Mondes besser begutachten zu können. »Jetzt fehlt uns nur noch eine Sache«, sagte ich. Der schwierigste Teil würde noch kommen. »Und zwar der Sternenschwur auf unsere Freundschaft.«
River seufzte. »Das funktioniert so aber nicht, Darling. Du bist nur mit mir befreundet, damit du deinen Brief zurückkriegst. Sobald du ihn hast, ist unser Deal geplatzt und du wirst dich vermutlich nur noch mit Bash beschäftigen.«
Ich schüttelte den Kopf und schluckte schwer. »Nein, das denke ich nicht. Vielleicht hat unsere Freundschaft so begonnen, aber mittlerweile hat das alles nichts mehr mit Bash zu tun. Du bist doch auch nicht nur mit mir befreundet, weil er möchte, dass du jemanden zum Abhängen hast.«
»Ja, schon, aber-...«
»Wenn du jetzt sagst, dass das eine andere Geschichte ist, muss ich dich leider kitzeln, bis du deine Zunge vor Lachen verschluckst. Es ist nämlich genau dasselbe. Ich bin mit dir befreundet, weil du du bist, und umgekehrt verhält es sich wahrscheinlich genauso. Hoffentlich. Oder?«
»Ja«, gab River zu und legte dabei den Kopf schief. Er sah mich dabei so unergründlich an, dass ich Schwierigkeiten hatte, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.
»Gut. Also können wir endlich weitermachen. Zurück zum Armband. Die Perlen stehen für nichts, sie sind einfach da, weil sie schön sind. Und der Anker...der sollte für unsere Freundschaft stehen. Denn sie sollte eigentlich ein Sicherer Hafen für uns beide sein, ein Ort, an dem wir gerne sind und bleiben. Der Anker steht für Vertrauen und Rückendeckung, für alles, wofür Freundschaft eben steht.«
River biss sich auf die Unterlippe und sah auf sein Armband. »Das ist sehr schön, Darling. Ich kann nicht behaupten, dass jemals jemand so etwas für mich sein wollte.«
»Dann kennst du wahrscheinlich einfach nicht die richtigen Menschen dafür, Riv.«
»Ich kenne dich, Darlene. Und das ist mehr als genug. Glaub mir, ich bin dankbar, dass ich überhaupt eine Person kenne, mit der ich so einen Moment teilen kann. Das ist vermutlich das schönste Geschenk, das mir mein Schicksal überhaupt jemals gemacht hat.«
Tränen traten mir in die Augen. Ich war nicht jemand, der viel oder oft weinte, aber seine Worte berührten mich. Ob es nun daran lag, dass sie so melancholisch oder lieb waren, konnte ich nicht genau definieren. »Und deshalb würde ich gerne auf die doppelten Sterne schwören, dass wir unsere Freundschaft beschützen. Dass wir ehrlich sind und gegenseitig auf uns aufpassen, weil die Welt ein unglaublich dunkler Ort ist und ich glaube, dass wir besser dran sind, wenn wir unser Licht teilen«, fuhr ich fort.
River nickte zustimmend. »Okay, darauf können wir schwören. Aber ich habe noch eine Sache. Wir haben Perlen am Armband. Ich habe sechzehn und du hast zwölf. Bei beiden werden nur zwölf zählen. Bei jedem Bruch dieses Schwurs werden wir Perlen abnehmen, damit wir sehen, ob unsere Freundschaft überhaupt funktioniert. Wir können eine Deadline bis Silvester setzen und wenn dann keine der zwölf Perlen mehr vorhanden ist, beenden wir die Freundschaft, weil sie uns mehr Leid als Glück bringt.«
»Genau. Für schlimme Dinge werden zwei Perlen abgenommen, für leichte, dennoch verletzende Dinge eine. Zudem darfst du nur Perlen abnehmen, wenn ich was getan habe und umgekehrt verhält es sich genauso.«
Wir beide sahen zufrieden mit diesen Bedingungen aus, sodass ich River meine Hand ausstreckte, welche er ergriff.
»Ich, River Bradbury, schwöre, diese Abmachung einzuhalten«, sagte er als erster.
»Ich, Darlene Penfold, schwöre, diese Abmachung einzuhalten«, echote ich. Wir beide sahen zur Himmelsdecke empor und aus irgendeinem Grund schienen die Sterne plötzlich heller zu scheinen. Als wären sie ebenfalls mit unserer Abmachung – unserem Sternschwur – einverstanden.
Mein Herz wurde warm und ich lächelte.
Hmmm...war der Sternschwur wohl eine gute Idee 🤔?
Schreibt mir Meinungen gerne in die Kommentare & bis am nächsten Donnerstag 💖
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