Kapitel 4

Für alle treuen Leser, die schon seit Anfang an dabei waren: Die Show heißt jetzt nicht »Sieben Tage in Eisenerz«, sondern »Upton Abbey« Thank you for your attention.

»Viel Spaß bei der Show, Schatz«, sagt meine Mutter und drückt mich fest an sich. »Wir werden dir zuschauen, wann immer es möglich ist.«

»Soll das eine Drohung sein?«, frage ich, erwidere die Umarmung aber.
»Du wirst das toll machen«, versichert mir meine Mutter, bevor sie mich loslässt. »Du hast schließlich meine Gene. Bald wird dich jeder kennen!«

Vielleicht hat sie sogar recht. Ich könnte ja wirklich berühmt werden. Oder reich. Oder beides zusammen. Wer weiß, vielleicht lohnt es sich ja tatsächlich, beim Kokettieren beobachtet zu werden, wenn dafür ein hübsches Sümmchen winkt. Und ich muss ja schließlich keinen Partner finden.

»Dabei sein ist alles«, hat meine Großmutter gemeint. Und gleich danach: »Meine Spindeltaschenuhr und die britischen Kaffeekannen von Fattorini& Sons of Bradford freuen sich bestimmt, wenn sie bald Unterkunft bei einem Fernsehstar finden, obgleich diejenige Erfolg vorzuweisen hat oder eben nicht.« Britisch hätte sie gar nicht hinzufügen müssen, ich bin schon nach der Spindeltaschenuhr vollkommen überzeugt gewesen. Das Ding ist viel wert. Damit (und mit den britischen Kaffeekannen) könnte ich nach England ziehen. Das weiß meine Großmutter ganz genau, denn sie hat davon gesprochen, dass sie mir genug Geld für meine Reiseziele zukommen lassen würde, sollte ich bei der Show mitmachen. Außerdem- was mich letztendlich überzeugt hat- ist es keine gewöhnliche Datingshow, sondern im britischen Flair, inspiriert vom Leben in den Herrenhäusern am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Und nun stehe ich hier am Bahnhof und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieser verdammte Zug endlich kommt und ich somit einen Schritt weiter in Richtung meines Lebenszieles tun kann. Nennt mich doch käuflich. Ich nenne es gekonntes Einsetzen des Minimalprinzips, denn so ist es nun wirklich leicht verdientes Geld.

»Viel Spaß«, sagt Britta und klingt nicht mal schadenfroh dabei.

Meine Großeltern haben auf die Abschiedsrunde verzichtet und haben gemeint, wir sähen uns ja bald im Fernsehen wieder. (Ja klar.)

Ich schließe die Augen und richte mein Gesicht gegen die wärmenden Strahlen der Sonne. Amalia, die Aufregung, wird mich in Zukunft wohl öfter begleiten. In den vergangenen drei Wochen habe ich zusammen mit Mira, die nach meinen Verwandten die Erste und auch Letzte war, die von dem Brieflein, das so unverhofft ins Haus geflattert ist, erfahren hat, ein paar Staffeln von The Bachelor und alle 52 Folgen Downton Abbey angeschaut. Während meine beste Freundin mir die Nägel lackiert hat, haben wir uns vorgestellt, wie es wohl wäre, zusammen bei einer solchen Show mitzumachen (Miras sündhaft teuren Verlobungsring, der sich bei jeder ihrer Bewegung in mein Blickfeld geschoben hat, mal außer Acht gelassen) und es ist beinahe wie früher gewesen, als wir es uns mit Chips und Ferrero Rocher bewaffnet auf meiner kleinen Couch gemütlich gemacht und richtige Mädelsabende verbracht haben. Beinahe.

Denn Mira hat die Taktlosigkeit besessen, von ihren bevorstehenden Flitterwochen zu schwärmen.. Wirklich empört hat es mich aber erst, als sie erwähnt hat, dass eine Reise nach Guadalupe geplant sei. Mit Guadalupe habe ich zuerst nichts weiter als Käse und Frankreich in Verbindung gebracht, was mir angesichts meiner bestenfalls minimalistischen Sprachkenntnisse (Merde, Croissant, mon Chéri, Merci und... ist Ferrero französisch?) nicht sonderlich attraktiv erschienen ist. Aber dann hat Mira etwas von »Gegen Fernsehstar werden ist die Karibik doch nix!« schwadroniert und Ewald hat sich in seiner vollen Größe breit gemacht. Karibik! Und ich versauere in Eisenerz! Ich habe schon überlegt, ihr ein höchst freundschaftliches Angebot zu machen (»Gegen eine Fernsehshow sind Karibik und Flynn doch nix!«), denn Flynn ist schon immer und die Karibik spätestens nach Fluch der Karibik meine größte Priorität gewesen. Außer England natürlich. Aber das können wir mal außen vor lassen.

Endlich gleitet der Zug heran und kommt mit einem unguten Quietschen zum Stehen. Ich steuere zielsicher auf eine sich öffnende Türe zu, als ich aus dem Augenwinkel etwas Blaues wahrnehme.

Erschrocken halte ich inne. Das Krümelmonster. Was macht denn die hier?

Meine blauhaarige Kollegin aus der Zuckerbäckerei hat den gleichen Eingang im Visier wie ich. Rasch drehe ich mich um und gehe auf eine andere Türe zu.

Nicht, dass ich etwas gegen sie hätte, aber auf lange, tiefgründige Gespräche über Östrogenmangel und Atrophie kann ich wirklich verzichten, vor allem, da ich danach immer Gelenkschmerzen bekomme. Und wenn sie gerade keine Lust auf sintflutartiges Reden hat, beschäftigt sie sich damit, mir abschätzige Blicke zuzuwerfen (was ich teilweise sogar nachvollziehen kann), weil ich sie mal wieder um Hilfe gebeten habe(»Hilfe, das Wasser brennt an!«), oder beim Versuch, ein lächelndes Gesicht aus Zuckerguss auf einen Kuchen zu sprühen, ihr nicht ganz so fröhliches Gesicht getroffen habe. Den Spitznamen habe ich ihr verpasst, weil er sich mit ihren blauen Haaren, den großen (bei meinem Anblick oft rollenden) Augen und der Lehrstelle so gut angeboten hat.

Ich schaffe es in den Zug, ohne gesehen zu werden, und lasse mich erleichtert auf einen leeren Platz fallen. Dort ziehe ich einen Muffin und einen Thriller aus meinem Rucksack, um meine Nerven zu beruhigen. Trotzdem wird mir während den zwei Stunden, die der Zug von Wien nach Steiermark benötigt, zunehmend langweilig. Als ich mich nicht mehr auf die von Fitzek so detailliert beschriebenen Mordszenen konzentrieren kann, greife ich seufzend zu dem Formular der Produzenten der Fernsehshow, das ich mir in den letzten Wochen schon mindestens fünftausend Mal durchgelesen haben muss.

Es ist mir immer noch total peinlich, dass mich das Schreiben trotz meiner gekonnten Verschleierungsversuche (fiktiver Name und Adresse, allerdings die von meinen Eltern) erreicht hat. Schon eine Woche später habe ich alle rechtlichen Eintönigkeiten, die ich mir gar nicht erst durchgelesen habe, bekommen. Gestutzt habe ich erst ab dem Zusätzlich zu der Rolle der Köchin wurde Ihnen noch die eines Provokateurs zugeteilt. Jene Rolle wird mit einer sehr hohen Summe belohnt. Sollten sie keinerlei Interesse an diesem Angebot verspüren, können Sie jederzeit absagen. Wenn Sie mehr über die Rolle des Provokateurs erfahren wollen, rufen Sie unter folgender Nummer an...
Ich wollte sofort abbestellen, aber Mira hat mich aufgehalten. Sie hat gemeint, sie wäre schon unzählige Male so etwas wie ein Provokateur gewesen, das letzte Mal sogar auf einem Taylor Swift Konzert. Auf meine Frage, was ein Provokateur denn mache, hat sie gemeint, das wäre immer unterschiedlich, sie jedenfalls hätte einem Bodyguard das Leben gerettet und noch viele weitere, äußerst attraktive Männer kennengelernt. Die Aussicht gefiel mir und somit habe ich mich mit meinem Schicksal zufriedengeben.

Die Zeit vergeht wie... im Zug eben und wir sind schneller am Ziel, als ich Upton Abbey sagen kann. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn fast hätte ich die richtige Station verpasst und wäre weiter nach Grosuplje gefahren. Müde hieve ich mein Gepäck auf den Bahnsteig. Wahnsinn, wie viel Zeug für zwei Wochen zusammenkommt.

Draußen angekommen schaue ich mich um. Laut den Mails der Produzenten der Show sollte hier ein Taxi auf mich warten...

Nachdem ich einige Zeit gesucht habe, habe ich es entdeckt und steuere zielsicher darauf zu, als eine bekannte Stimme hinter mir ertönt. »Rudolphine?« Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Würde man mir ein knappes »Nix deutsch« wohl abkaufen?

»Oh, hallo Thalia«, sage ich und lächle das Krümelmonster etwas gequält an.
»Was machst du denn hier?«, fragt sie mich.
»Ich habe gerade absolut keine Zeit«, erkläre ich ihr, »mein Taxi wartet.«

Thalia lächelt gezwungen zurück. »Oh, meines auch. Ich mache bei so einer Show mit, weißt du? Up...ton Abbey oder so.«

Oh scheiße.

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