Kapitel 2
Das nächste Mal erfinde ich auch eine Grippe. Dann bleibt mir die Peinlichkeit eines Nervenzusammenbruchs vor der ganzen Familie erspart.
Es war wirklich nicht lustig, von einer hämisch grinsenden Britta am Boden zerstört gefunden zu werden. (Wortwörtlich, die Fetzen von Miras Brief sind nämlich zwischen meinen Beinen höchst symbolisch Stück für Stück zu Boden gesegelt.)
Begründet habe ich meine Tränen mit einem Sie sind angenommen- Schreiben der Millionenshowfirma. Vor lauter Freude aber hätte ich den Brief leider zerrissen.
Jetzt muss ich mir eine Ausrede ausdenken, wieso ich bald nicht mindestens dreitausend Euro mehr am Konto habe.
Mir fällt gerade ein, dass meine Kreativität keinen Namen hat. Wahrscheinlich, weil ich gar keine besitze. (Genau genommen ist Kreativität auch keine Emotion, aber Flo Faulheit existiert ja immerhin auch, und die kommt oft genug zum Vorschein!)
Vielleicht muss erst meine innere Britta wieder auftauchen, die ist nämlich kreativ für drei. Sie wird in nächster Zeit wohl öfter da sein als je zuvor, denn heute ist der Vierundzwanzigste und ich bin am Weg zu Mira und Flynn.
Ächzend schleppe ich das exakt 17,42 Kilogramm schwere Verlobungsgeschenk für die beiden die Treppen runter. (So viel soll gesagt sein, hier war ich plötzlich kreativer als Da Vinci und Kandinsky zusammen!) Draußen regnet es. Hach, wie wunderbar dies doch zu meinem Gemüt passt. Während ich mich in einem Taxi zur Feier kutschieren lasse, beobachte ich die an der Fensterscheibe abperlenden Regentropfen, einer nach dem anderen, und mit jedem einzelnen sinkt meine Laune ein Stück tiefer.
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Ein weiser Mensch hat einmal gesagt: Wo Liebe ist, wird das Unmögliche möglich. Ich jedenfalls hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich mir als stolze Vegetarierin je einen Smartwurst Wursttoaster um bescheidene 1239€ kaufen würde.
Obwohl es in meinem Fall wohl eher der Alkohol war als die Liebe. Und die guten Marketingsprüche von einem mir völlig Unbekannten, den ich mit sechzehn Jahren auf einer Party kennenlernte. Ich war noch ein wenig betrunken, als sich der Fremde, der etwa doppelt so alt war wie ich, neben mir niederließ, um mir ein Getränk zuzuschieben. Er lächelte mich freundlich an und legte einen Arm um mich.
Ich schubste ihn weg und sagte ihm, er solle gefälligst keine Minderjährigen mehr belästigen. Dann schüttete ich ihm den vermeintlichen Wodka Martini ins Gesicht und ging.
Schön wär's. Diese Version der Geschichte erzähle ich viel lieber als die Wahrheit. In Wirklichkeit blieb ich nämlich sitzen, trank den Becher leer und schwor dem Fremden nach ein paar plumpen Anmachen seinerseits die ewige Liebe.
Dann erzählte mir mein neuer Freund von dem Wursttoaster, einer innovativen, kastenförmigen und teure Alternative zur Bratpfanne. Ich schwelgte in seinen Beschreibungen von wunderbaren Smartwürstchen statt Bratwürstchen und war nach einem weiteren Becher der festen Überzeugung, unbedingt so ein Ding zu brauchen, denn ich wollte ja eine moderne Frau sein. Also ließ ich mich dazu überreden, mir ein Exemplar (mit Netzwerkanschluss!) schicken zu lassen.
Als ich mich am nächsten Morgen an alles erinnerte, wäre ich am liebsten nach Dschibuti ausgewandert. Aber das ging nicht, denn all mein Erspartes war ja für Smartwürstchen draufgegangen. Den ganzen Tag kämpfte ich gegen den Drang an, von der nächsten Klippe zu springen. Sophia (der Scham) war in dieser Zeit meine ständige Gefährtin. Ich wollte nie wieder etwas von dem Vorfall hören und taufte den Fremden auf den Namen Bratwurst -Jogi.
Eine Woche später erhielt ich die Nachricht, dass der Toaster angekommen sei. Also fuhr ich zur Post und holte mir das Paket. Dummerweise hatte Bratwurst- Jogi eine Website ausgesucht, an die man nichts zurückschicken und auch das Geld nicht rückerstatten konnte, also musste ich den Wursttoaster wohl oder übel neben Martin verstauben lassen.
Jetzt habe ich endlich eine Möglichkeit gefunden, ihn loszuwerden. Diese hängt unmittelbar mit meinem zweiten Unglück in der Liebe zusammen, denn ich habe vor, es Mira zur Verlobungsfeier zu schenken.
Zielsicher steuere ich auf meine beste Freundin zu. Ihre langbeinige, sonnengebräunte Gestalt in dem tannengrünen Kleid ist leicht zu entdecken.
Tannengrün passt ausgezeichnet zu ihrem braunen Haar und den ebenso dunklen Augen, weshalb sie die Farbe sehr oft trägt. Sie ist so etwas wie ihr Erkennungszeichen geworden, genau wie ihre Angewohnheit, Fremdwörter falsch zu benutzen.
Mira entdeckt mich und entschuldigt sich bei den Gästen, die sie gerade begrüßt hat, und macht sich auf den Weg zu mir. »Ruby«, ruft sie erfreut aus und umarmt mich. »Es ist wirklich marginal, dich zu sehen!«
Ich runzle die Stirn, erwidere die Umarmung aber, so gut es mit einem Wursttoaster in den Armen geht. »Alles Gute, Mira. Ich freue mich für dich«, sage ich und in diesem Moment meine ich es tatsächlich auch so. Es geht gar nicht anders bei dem aufgeregten, sternengleichen Glitzern in ihren großen braunen Augen.
Sie lässt mich los und strahlt. »Ist diese Party nicht sinister?«
Oh nein. Die Party ist alles andere als finster. Sie ist strahlend und aufwendig. Durch die Terassentür gelangt man ins Wohnzimmer, in dem ein riesiges Buffet aufgebaut ist. Flynns Eltern sind Vorsitzende einer Baufirma. Damit verdienen sie anscheinend nicht schlecht, denn Mira hat mir erzählt, dass alle 126 geladenen Gäste im Laufe der heutigen Feier problemlos Platz und ausreichend Verpflegung finden sollten.
Auf dem englischen Rasen vor Flynns Haus sind verschiedene Stände aufgebaut. Man kann Dosenwerfen, Sackhüpfen, sich eine Portion »Heiße Liebe« holen und vieles mehr. Einer trägt den Slogan »Herzschmerz? Komm zu unserer Show nach Eisenerz!« Ich grinse, dann wende ich mich wieder meiner besten Freundin zu.
»Sinister ist das hier wohl nicht, aber großartig«, sage ich. »Nimmst du eigentlich Flynns Nachnamen an?« Bei dem Gedanken muss ich grinsen.
»Weiß noch nicht. Wieso?«
»Nur so. Ich habe dir übrigens etwas mitgebracht.« Ich halte ihr den Smartwurst Wursttoaster hin. Sie betrachtet ihn kurz, dann sieht sie mich aus großen Augen an.
»Das ist wirklich lieb von dir, aber was genau ist das? Das ist doch sicher teuer, oder? Du brauchst mir doch nichts zu schenken, schon gar nicht zur Verlobung!«, erklärt sie mir.
»Ähm«, mache ich.
»Trotzdem danke.« Mira lächelt mich an. »Ich muss jetzt mit Flynn einen Toast boykottieren. Wir sehen uns später!«
»Du musst was?«, frage ich verwirrt, aber Mira ist schon losgeeilt. Mich hat sie mit dem Smartwurst Wursttoaster zwischen einem etwa neunzigjährigen Mann, der seine Beine beim Can Can höher schwingt als eine Giraffe beim Ballett, und einer Frau, die diesem empört über meinen Kopf hinweg erklärt, dass er doch bitte auf andere aufpassen solle, alleine gelassen.
Langsam verstummt die fröhliche Musik, die aus den Lautsprechern an den Wänden erklingt. Auf einem Balkon knapp über mir geht die Tür auf und Mira und Flynn erscheinen. Der heutige Tag endet bereits und das warme, goldene Licht lässt die beiden im Sonnenuntergang erstrahlen. Ich schlucke und wappne mich innerlich für ihre Rede.
»Ich rufe keinen Krankenwagen«, meint die Frau neben mir vorwurfsvoll.
»Hallo, Ladies und Gentleman!« Miras Mikrofon ist nicht richtig eingestellt und schallt so laut durch den Garten, dass ich zusammenzucke. Die Frau neben mir greift sich an die Brust. »Der Schreck ist nicht gut für mein Herz«, jammert sie.
»Ich rufe keinen Krankenwagen«, sagt der alte Mann.
»Danke, dass Sie gekommen sind! Sie sind wirklich alle tendenziös.« Die Menge schweigt verwirrt. Flynn nimmt Mira das Mikrofon rasch aus der Hand.
»Ungefähr zwei Jahre ist es her, dass wir uns kennengelernt haben. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht schon immer wusste, wo uns das Schicksal hinleiten würde.« Er ergreift Miras Hand und blickt ihr intensiv in die Augen. Sie sehen aus wie Romeo und Julia, endlich vereint auf ihrem Balkon. Nur mit Happy End.
Ohne den Blick von Flynns Augen zu lösen, nimmt Mira das Mikrofon an sich.
»Und hier stehen wir also. Nach allen Ups und Downs, nach all dem Streit, der uns voneinander entfernt hat, sind wir jetzt verlobt und das Band zwischen uns ist enger als je zuvor. Ich liebe dich.«
Mit diesen Worten schlingt Mira die Arme um Flynn und verschließt ihre Lippen mit seinen zu einem leidenschaftlichen Kuss. Die Menge jubelt. Ich knirsche mit den Zähnen und nehme der Dame neben mir kurzerhand das Sektglas aus der Hand.
»Alkohol ist nicht gut für Ihr schwaches Herz«, sage ich süffisant lächelnd, ignoriere ihren empörten Blick und stürze das Getränk hinunter.
Ich sollte vielleicht erklären, wieso ich so gegen die beiden bin. Flynn liebt Mira zweifellos sehr, aber es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet Miras Familie ziemlich viele Baugrundstücke besitzt. Und Flynns Familie ist doppelt so konservativ wie meine. Seine beiden Brüder jedenfalls haben jeweils nach nach einem Jahr Beziehung geheiratet. Da war es höchste Zeit, dass Flynn ebenfalls den Bund der Ehe eingeht. Er ist quasi der Spätzünder der Familie. So wie ich.
Und beinahe, da bin ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher, wäre Flynn mit mir zusammen gekommen.
Wir haben uns vor zweieinhalb Jahren kennengelernt. Damals hat sich seine Freundin unverhofft von ihm getrennt und er wollte danach erstmal keine neue Beziehung eingehen. Er und ich haben uns wunderbar verstanden. Er war das Ben zu meinem Jerrys, ich die Tomatensoße zu seiner Pizza. Wir haben uns auch einige Male geküsst.
Unnötig zu erwähnen, dass dies die ersten und besten Küsse meines Lebens waren.
Aber dann beging ich den schlimmsten Fehler meines Lebens: Ich stellte Mira und Flynn einander vor. Ich, damals total verliebt, bemerkte das Glitzern in Flynns Augen nicht, als ich ihm Mira vorstellte. Und das Leuchten, als ich Miras Eltern und deren Besitze erwähnte. Ich ging sogar so weit, ihm eine Beziehung vorzuschlagen.
Natürlich hat er abgelehnt. Angeblich weil er nach seiner letzten Freundin noch nicht bereit dazu wäre.
Nur um zwei Wochen später mit Mia zusammenzuziehen. (Was ich übrigens nicht von einem der beiden, sondern von meiner Oma erfahren habe.) Plötzlich war ich nicht mehr die Tomatensoße, sondern nur noch die italienische Pferdesala...der Oregano. Ganz nett, aber nicht essenziell. Er bat mich sogar noch, Freunde zu bleiben.
Und jetzt stehe ich hier und schaue zu, wie Flynns Finger zärtliche Kreise auf Miras Nacken zeichnen, während er sie mit seinen Lippen liebkost. Früher war mal ich an ihrer Stelle. Aber jetzt ist er unerreichbar geworden.
Plötzlich setzt die Musik wieder ein und die beiden lösen sich voneinander. Der alte Mann schwingt seine Beine erneut. Rasch bringe ich mich vor den fliegenden Gliedmaßen in Sicherheit und steuere das Buffet an.
Ewald und Kathi (der Kummer) im Doppelpack sind alles andere als angenehm. Ich brauche dringend etwas zu trinken. Am besten puren Alkohol.
Ich ergattere ein weiteres Sektgläschen und stelle mich damit in eine Ecke. In meiner Nähe knutscht ein Pärchen wild miteinander. Fehl am Platz beschreibt meine Situation heute wohl am besten.
Aus einem Sektglas werden zwei. Oder drei? Vier? Ich bin mir nicht sicher. Aber als vor mir auch noch ein Heiratsantrag gemacht (und bejaht) wird, habe ich genug. Stöhnend wanke ich hinaus in den Garten. Ich hasse glückliche Menschen.
Es ist gar nicht so einfach, betrunken den Rock'n Roll tanzenden Paaren auszuweichen. Orientierungslos stolpere ich herum, bis ich es endlich bis zu einem Stand geschafft habe. Zu dem lächerlichen von vorhin. Niemand ist da. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen den Tresen, um nicht umzufallen. Nach einigen Minuten kommt ein ausgesprochen attraktiver junger Mann direkt auf mich zu. Er hat brünettes Haar, ist groß, sonnengebräunt und unrasiert. Seine haselnussbraunen Augen mustern mich neugierig.
»Durchschnittlich hübsch«, murmelt er, während er mich immer noch anstarrt. »Durchschnittliche Kleidung.«
»Flirten musst du aber noch üben«, beschwere ich mich.
»Kannst du kochen?«, fragt mein Gegenüber, ohne auf meine Äußerungen einzugehen. Ich kichere.
»Kochen? Ich? Genauso gut wie du flirten.« Entweder er ist wirklich überzeugt von seinen Flirtkünsten, oder er wollte genau das hören.
»Das dachte ich mir bei dem Küchengerät gleich«, sagt er und deutet auf den Wursttoaster, der verwaist in der Ecke steht. Mira hat ihn nicht mehr angerührt. »Gut, dass du das Ding mithast, sonst hätte ich nie an die perfekte Rolle gedacht! Das ist ein Wink des Schicksals.«
»Hä?«, mache ich eloquent.
»Hättest du zufällig Interesse?«
Ich lächle geschmeichelt. »Also, Single bin ich ja.«
»Perfekt!« Der Mann lächelt nun ebenfalls. »Dann komm.«
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