Wie ein Labyrinth
„Hmm...", brummte Minho mit sichtbarer Unsicherheit in den Augen. Er kniff sich die Lippen zusammen, holte tief Luft und beugte sich angespannt zu mir hinab. Langsam streckte er seine Hand nach mir aus, stoppte etwas vor mir, ehe er wohl abwartete, wie ich auf ihn reagieren würde. Seine braune Augen fixierten mich förmlich, und ich starrte seine große Hand für einen Moment an.
Wie bei Jinki damals hatte ich nicht das Gefühl, das von ihm irgendeine Gefahr ausging, die mich töten wollte. Er hatte genauso eine warme und vertrauensvolle Ausstrahlung wie mein Mensch, sodass ich vermutete, dass sich Minho sehr gut mit Jinki verstand. Eigentlich glaubte ich auch nicht daran, dass Jinki jemand kennen würde, der mir auch nur ansatzweise Leid zufügen wollte. Mein Mensch machte nicht den Eindruck, als würde er sich mit solchen grausamen Menschen abgeben. Das würde nicht zu ihm passen.
Also drückte ich meine Schnauze leicht gegen seine Hand und schnüffelte daran, um seinen lieblichen Duft nach Mensch und Rosen einzuatmen. Er roch sehr süß, aber auch männlich, doch er roch nicht so schön wie Jinki nach Süßes und Pfefferminz.
„Er vertraut mir offensichtlich", bemerkte Minho zufrieden und ich gewährte es ihm, meinen Kopf sachte zu kraulen. Ganz vorsichtig wie etwas sehr Zerbrechliches berührte er mich, aber er gab mir nicht das gleiche Gefühl wie Jinki, wenn dieser mich streichelte. Vermutlich lag es einfach daran, dass ich für diesen Menschen ganz anders empfand wie für ihn. Wie Minho blickte ich schließlich zum anderem Menschen zurück, der uns beide aufmerksam und entspannt beobachtete. Er hatte immer noch seinen Arm um mich. „Wie geht es dir überhaupt, Jinki?"
„Alles in Ordnung", antwortete er nur und richtete sich auf. „Es wird Zeit, dass unsere Kirschblüte endlich etwas zu essen bekommt und sich bewegt." Ich mochte es nicht, wie er den anderen einen glücklichen, sorgenfreien Jinki vorspielte, wenn er innerlich weiter zerfiel und weinte. Aber leider konnte ich den anderen nichts davon sagen, da sie mich sowieso nicht verstehen würden.
Immer die wichtigsten Dinge blieben im Stillen liegen.
„Soll ich dir dabei helfen?" Minho setzte sich nun neben mich, während er mich weiter streichelte. Offenbar mochte er mich. Ich mochte ihn auch. Irgendwie tat ich das.
„Wenn du möchtest. Kirschblüte hat sicherlich nichts dagegen." Jinkis Augen funkelten leicht, als er meinen Namen nannte. Der Name war in Ordnung, aber ich musste zugeben, dass ich lieber seines geblieben wäre als Kirschblüte. Kirschblüte schien jemand anderes zu sein, nicht ich. Mit diesem Namen fühlte ich mich nicht verbunden, mit mein kleiner Fuchs schon, weil dann gehörte ich zu ihm und nicht zu dieser grausamen Welt. Und ich wollte nur zu ihm gehören.
Dieser Name ließ mich irgendwo schweben. Irgendwo schweben, weil ich meinen Platz noch nicht gefunden hätte, obwohl ich selbst überzeugt war, dass ich es hätte. Ich hatte meinen Platz gefunden. Es konnte einfach keinen anderen für mich geben.
„Ich hoffe es", sagte Minho heiser und seine Hand kam zur Ruhe, nur damit er mir direkt in die Augen sehen konnte, zärtlich und berührt. „Sie hat wirklich schöne Augen sowie du es gesagt hast. Dieses Grün ist unglaublich, als würde man direkt den Wald sehen."
Jinki verzog sein Gesicht ganz weich und verträumt und seine Augen funkelten wie zwei Sterne bei klarem Himmel auf, als er den anderen Burschen ansah. „Ich liebe diese Augen", flüsterte er so begeistert, als würde er über etwas Vollkommenes und Schönes reden. Etwas, das ihn von innen erwärmte und seinen Schmerz entspannte. Etwas, das ihn sicher und geborgen fühlen ließ – sowie ich mich fühlte, wenn ich in seinen Augen blickte.
„Das scheint sie zu freuen. Ihre Augen leuchten richtig auf." Minho zeigte nun seine persönliche Sonne, breit und strahlend, und es war eine sehr schöne Sonne. Sie hatte etwas Besonderes, aber sie war trotzdem nicht so atemberaubend wie Jinki seine Sonne. Beide Menschen hatten eine besondere Sonne auf ihrer Art, und ich mochte es wirklich sehr, die beiden um mich herum zu haben.
Ich konnte es auch nicht vermeiden, glücklich zwischen den beiden herzusehen. Beide strahlten sich gegenseitig an und ich wünschte mir sehnsüchtig, dass ich es auch könnte. Es war ein Schmerz, aber auch eine Erleichterung. Vielleicht wäre meine Sonne nicht so schön wie ihre. Vielleicht wäre sie sogar scheußlich, dunkel und aufgezwungen. Vielleicht würde sie Jinki nicht gefallen. Irgendwie war ich dieses Mal froh, etwas nicht zu können, was die Menschen dafür konnten.
„JINKI!" Das war Kibum. Kibum schrie gerade. Sofort spitzte ich wachsam meine Ohren und wandte mich ungern von den strahlenden Menschen ab, doch mich machte schon die Vorstellung, wie Kibum aussehen würde, vollkommen verrückt. „Was habe ich dir gesagt, dass du keine tote Tiere in den Kühlschrank legen sollst?!"
Die beiden Burschen sahen sich bloß an, die Lippen fest aufeinander gepresst und ein amüsanter Ausdruck lag in ihren hübschen Gesichtern.
„Aber Kirschblüte braucht frisches Fleisch!", rief Jinki als Antwort.
„Das ist widerlich, Jinki! Widerlich! Wäh! Wieso ein Huhn?!"
„Weil sie Chicken genauso liebt wie ich!"
„Du bist so ein Neppdepp! Aish!"
Und dann brachen die beiden vor mir in Gelächter aus.
Es war ein herrlicher und schöner Anblick, meinen Menschen so glücklich zu sehen, dass die Freude auch endlich seine Augen erreichen konnte, und mich faszinierte das wunderbare Funkeln in seinen Augen. Ich erinnerte mich gut daran, wie er mich damals zum ersten Mal mit diesem Funkeln angesehen hatte. Und jetzt sah ich es wieder. Das war wundervoll.
Hoffentlich würde das Funkeln für eine lange, lange Zeit anhalten.
Genau in diesem Augenblick, wo ich meinen Kopf zufrieden auf seinen Schoß legte, er mir liebevoll die Ohren kraulte und mir mit diesem Funkeln direkt in die Augen sah, spürte ich wieder diese innige Zugehörigkeit zu ihm. Ja. Zu ihm gehörte ich. Das hier war mein Platz.
Der Platz an seiner Seite.
„Und hast du Hunger auf Chicken, Kirschblüte? Ich nämlich schon."
~~
~~
Als Jinki einmal nicht bei mir sein konnte, weil er laut Kibums Worten mit zu seiner Fashionshow gehen musste, blieb Minho als einziger bei mir.
In den letzten Wochen hatten sich die beiden Burschen sehr liebevoll und fürsorglich um mich gekümmert, mir die Wunden versorgt und mit in ihre Küche genommen, wo mir Jinki jedes Mal ein anderes Stück Fleisch anbot. Wenn ich mal nicht gemeinsam mit Jinki in seinem Bett lag und mit ihm kuschelte, dann saß ich auf seinem Schoß auf der Couch im Wohnzimmer und schaute mit den drei Menschen Fernseher. Es war erstaunlich, was diese Kreaturen alles erschaffen hatten, besonders die Erfindung des Fernsehers faszinierte mich am meisten. Es war so, als würde man direkt in eine andere Welt sehen und sich dort bewegen, ohne überhaupt das Zimmer verlassen zu haben. Meistens schauten wir „Fußball". Das liebte Minho besonders. Irgendwelche Menschen mit dem gleichen Fell liefen einem Ball hinterher und versuchten den, in dem Bau eines anderen zu schießen. Dieses Fußball sprach mich überhaupt nicht an und deshalb hatte ich vielmehr Jinki beobachtet.
Das Funkeln war zu meiner Enttäuschung bereits am gleichen Abend noch erloschen, und ich hoffte jeden Tag aufs Neue, dass es wieder kommen würde. Aber das tat es leider nicht.
Manchmal brachte mich Jinki auch zum Tierarzt – so nannte er diesen Menschen, der mich untersuchte, die Wunden neu verarztete und jedes Mal zufrieden zu meinem Menschen meinte, dass er sich wirklich sehr gut um mich kümmerte, es aber noch eine Weile bräuchte, bis ich wieder in den Wald gehen könnte. Letztens hatte er ihm sogar vorgeschlagen, mich noch über den Winter bei sich zu behalten, dann könnte er mich auch sorgenlos zurück in die Wildnis freilassen. Jinki hatte sofort zugestimmt.
Wenn ich jetzt nach draußen blickte, in die Wildnis und das Leben der anderen Menschen, lag bereits Schnee überall auf dem Boden und das Dorf war vollkommen eingeschneit. Es war eine richtige, weiße Landschaft entstanden, doch es nahm ihr nicht an Schönheit.
Jede Abend schlief ich an Jinki eingekuschelt ein, hörte ihn gleichmäßig ein- und ausatmen, und manchmal gab es Augenblicke, wo er mich an sich presste und schluchzte. Manchmal gab es Augenblicke danach, wo er mir ins Ohr flüsterte, wie glücklich er war, dass ich bei ihm war, und dass ich ihn nicht verlassen sollte, weil er ohne mich nicht aus diesem Labyrinth kommen würde. Ich wollte ihn danach fragen, welches Labyrinth er meinte, und er hatte mir ohne eine Aufforderung die Antwort voller Schmerz und schwerer Wehmut ins Ohr geflüstert.
„Die Liebe ist wie ein Labyrinth. Wenn du den Ausgang findest, erwartet dich Glück, Hoffnung und Liebe. Aber wenn du dich verirrst, endest du in einem teuflischen Kreislauf aus Schmerz und Tränen und das treibt dich zurück an den Eingang. Immer wieder versuchst du es neu, bis du den Ausgang irgendwann gefunden hast. Jeder wird diesen Ausgang mal finden, aber zu viele irren noch herum oder das Labyrinth lockt sie in eine Sackgasse, weil sie selbst zu unaufmerksam gewesen waren. Aber man findet heraus, weil das Labyrinth nicht für die Ewigkeit ist. Auch ich werde den Ausgang finden. Du lässt mich daran glauben."
Ich fragte mich, wo ich in diesem Labyrinth steckte und ob ich dem Ausgang nahe oder fern wäre.
Ich hatte diese Worte nie mehr vergessen, und auch jetzt schwebten sie noch in meinem Kopf, als sich Minho neben mich aufs Bett setzte und mit mir gemeinsam die Sterne beobachtete. Minho erinnerte mich an Jonghyun und Jonghyun erinnerte mich an Minho, wenn er mich mit diesen ernsten und doch sorgenvollen Blick ansah, wenn er Weisheiten nannte, die ich noch nie gehört hatte, und wenn er einfach für mich da war, weil er sonst niemand hatte und haben würde. Minho war auch einsam. Das erkannte ich an seinem Atmen, der nur regelmäßig wegen dem Willen zu leben ging, und an seinen Augen, die sich irgendwo immer verloren, ohne einen direkten Punkt. Einfach so sahen sie wohin, und die Einsamkeit war ein teuflischer Verräter in seinen Augen.
„Jinki hat echt Glück", flüsterte der Bursche neben mir und ich legte gerade meinen Kopf auf meine Vorderpfoten ab, ehe ich schon zu ihm hoch schielte. „Er wird immer geliebt, egal von wem oder was. Es ist egal, wo und wann oder wie und warum. Jeder liebt ihn irgendwie und jeder liebt ihn irgendwie anders. Aber er..." Er unterbrach sich kurz selber, um mich verloren anzusehen, dann hatten sich seine Finger schon in meinem Fell vergruben. Sie fühlten sich ganz kalt an, als wäre er innerlich erfroren, und ich hoffte, ich könnte ihn genügend wärmen, damit er mir nicht weiter fror.
„Er bemerkt das nicht wirklich. Er redet sich ständig ein, dass es zu schwer ist, dass ihn jemand liebt, und wenn ihn jemand liebt, bringt er diesen in Gefahr. Das ist irre. Sie hätte nicht gehen sollen, dann wäre er vielleicht wieder in Ordnung. Aber das ist er nicht, nicht wahr?" Er sah mich erwartungsvoll, aber auch niedergeschlagen an, und ich erwiderte seinen Blick bloß traurig, weil ich wusste, wie er sich fühlte und worüber er sprach.
„Du weißt es auch. Das ist gut." Da war kein Anzeichen von einer Sonne in seinem Gesicht. „Es wäre schön, wenn ich wenigstens wüsste, dass ich geliebt werde. Alles ist so schwer. In einer Sekunde zur anderen kann dir alles aus der Hand entweichen und dann spürst du die harte, kalte Realität. Du landest direkt auf diesem harten Boden. Alles bricht in dir zusammen und es blutet so fürchterlich. Es schmerzt so fürchterlich. Die Realität ist ein Teufel." Er presste angestrengt die Lippen aufeinander, und ich konnte nicht länger nur zuhören.
Es war in Ordnung, dass er nicht Jinki war. Es war in Ordnung, dass ich meinen Kopf auf seinen Schoß legte und ihn meine Nähe spüren ließ. Es war in Ordnung, dass ich für ihn da war und seinem Schmerz lauschte. Auch, dass er mich wie Jinki berührte, streichelte und liebkoste, war in Ordnung für mich. Weil er brauchte das und wir hatten schon einen traurigen Menschen zu viel.
Ich wunderte mich, ob diese Welt nicht nur grausam, sondern auch traurig wäre, ob jeder zweiter Mensch wie Jinki oder Minho wäre und ob jeder Mensch litt. Ob diese Welt so gefüllt mit Leid war, dass das Glück eine Seltenheit wäre. Wenn ja, fragte ich mich, wer was falsch machte und wer nicht oder ob es sich so gehörte. Vielleicht gab es mehr Labyrinthe als nur für die Liebe und vielleicht musste jeder Mensch erst durch diese Labyrinthe, um schließlich das Glück zu finden und zu spüren.
Vielleicht steckte Minho in einem Labyrinth vor dem der Liebe fest und sehnte sich deshalb so sehr nach dieser. Ich wünschte mir, ich könnte ihm den Ausgang zeigen.
Nur konnte ich es nicht, so musste ich mich mit dem zufriedengeben, was ich einfach konnte. Bei ihm liegen, bei ihm sein und ihm zuhören. Mehr konnte ich bei Jonghyun auch nie tun, weil es war schwer, solchen Wesen zu helfen, die bereits so tief gefallen waren. Aber das schlimmste, was man dann tun konnte, war aufgeben, und ich würde das nie tun.
Weder bei Jinki, noch Minho und Jonghyun.
Irgendwann würden alle wieder glücklich sein.
„Weißt du, kleiner Fuchs", flüsterte Minho noch, bevor die Stille unser Freund wurde, „manchmal wünsche ich mir, dass es einen Ausschaltknopf für Gefühle geben würde, weil dann würde ich diesen immer wieder drücken, bis ich nichts mehr fühlen würde und wenn es soweit wäre, dann würde ich wahrscheinlich auch sterben. Ohne Gefühle stirbt man, doch auch ohne Liebe. Wieso lebe ich dann aber?"
Weil du von welchen geliebt wirst, ohne dass du es bemerkst. Du bist wie Jinki, hätte ich am liebsten gesagt, doch es waren nur meine Gedanken und unausgesprochene Worte.
Mir wurde bewusst, dass manche Menschen selbst die Liebe anderer ignorierten, weil sie sich eine andere Art von Liebe wünschten, und diese Liebe wurde ihnen nicht gegeben, was sie zu dem Glauben brachte, dass sie gar keiner liebte, wenn es immer noch Menschen gab, die es taten.
Das war fürchterlich.
Ich war mir sicher, dass jeder Mensch auf dieser Welt von mindestens einem anderem geliebt wurde. Und das genügte aus.
Und ich liebte Jinki.
Jetzt hatte ich endlich einen Namen für das Gefühl gefunden, dass ich immer empfand, wenn ich bloß an ihn dachte oder wenn jemand seinen Namen nannte und wenn mein Herz schneller schlug, wenn ich mich so unendlich geborgen in seiner Nähe fühlte, wenn er mich einfach so glücklich machte, ohne etwas zu tun.
Liebe.
Das war die Liebe, die uns so miteinander verband.
Und plötzlich war ich verunsichert, ob es noch richtig wäre.
Schließlich war er ein Mensch, und ich...
Ich war nur ein Fuchs.
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