Minhos Leid

  Jinki war nun öfters weg. Kibum meinte einmal, er wäre froh, dass Jinki endlich wieder unter Mädchen kam, und er meinte auch, dass das Mädchen sehr hübsch wäre, mit welchem er sich ständig traf. Ich hatte das seltsame Gefühl, als würde er mir langsam entgleiten, und Minho war wütend auf Jinki und seine Rücksichtslosigkeit.

„Er ist so ein Idiot", knurrte er sauer, als er wieder einmal mit mir die Sterne beobachtete. Dieses Mal lag ich bei ihm in seinem kleinen Zimmer auf seinem kleinen Bett, ohne jeglichen Verband oder schmerzenden Wunden. Ich war nun vollständig verheilt, aber aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schwach und träge, und Minho hatte mich in sein Bett tragen müssen, weil ich mich selbst nicht länger bewegen wollte. Ich wollte auf Jinki warten. Ich wollte wieder in seinen Armen liegen und fühlen, wie er meine Atemzüge nachmachte, aber das letzte Mal war schon so eine Weile her gewesen, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte.

Irgendwie an einem besonderen Tag namens „Weihnachten" war es gewesen, glaubte ich zumindest.

„Erst will er unbedingt, dass du bei uns bleibst und dich nicht alleine lassen, und jetzt geht er tagein und tagaus einfach weg, ohne mich noch zu fragen, ob ich auf dich aufpassen kann. Es scheint ihn gar nicht zu interessieren, dass du noch hier bist." Das zuhören schmerzte. Ich interessierte ihn nicht mehr. Stimmte das? Hatte Minho möglicherweise Recht? War ich für Jinki nichts mehr außer ein Tier?

Meine Augen brannten wieder so komisch, dass ich sie einfach schloss, um zurück in die Dunkelheit zu verschwinden. Hier war nichts. Keine funkelnden Sterne, die mich an Jinkis Augen erinnerten, kein Licht, kein Minho, keine Liebe. Bloß mein Schmerz und die schmerzvolle Leere.

„Schließlich bist du für ihn da gewesen und hast ihn gestützt, wo es kein anderer konnte. Du hast ihn getröstet und weiterleben lassen, und das soll jetzt der Dank dafür sein? Das ist so unfair, Kirschblüte. Das hast du einfach nicht verdient." Ich hörte ihm einfach nur noch zu, spürend seine Hand über meinen Körper streichen, und er schaffte es nicht. Er konnte mich so oft streicheln wie er wollte. Er würde mir nie das Gefühl geben können wie Jinki, und ich wünschte mir, dass er es könnte. Irgendwie wäre es schön und dann wieder nicht.

Ich wollte ihn nicht eintauschen, schließlich gehörte ich doch zu ihm. Oder nicht?

Oder?

Ich seufzte stark und lange, und Minhos Finger wanderten zu meinem Gesicht, wo er sachte mit seinem Finger die Stelle unter meinem Augen rieb, als würde er mir die Regentropfen wegwischen. Aber wir Tiere konnten so etwas nicht, und selbst wenn ich es könnte, ich würde ihm keine Tropfen zeigen. Er sollte nicht wissen, dass mich Jinki gerade krank machte.

Krank.

Das klang fürchterlich, doch so war es richtig.

Wie Jonghyun sagte: Menschen machten mit uns alles, was sie wollten. Offensichtlich auch krank.

„Du fühlst dich nicht mehr wohl, oder?" Nun seufzte Minho. „Ich verstehe dich. Selbst ich fühle mich hier nicht wohl. Ich wäre auch gerne ein Tier, weißt du..."

Er war verrückt, weil er sich wünschte, etwas zu sein, das von allen dieser Welt misshandelt und unterworfen wurde, während er selbst das stärkste Wesen war. Ich fand das völlig albern von ihm, und ich war verunsichert, ob mich das eher faszinierte oder schockierte. Sich zu wünschen, ein Tier zu sein – das war ein Wunsch, der nicht mit Glück oder Liebe erwünscht wurde, sondern mit Verzweiflung und Leid. Ein Tier zu sein war nicht besser.

Auch Tiere fühlten, ohne seinen gewünschten Ausschaltknopf zu besitzen.

Es würde nichts ändern, eher würde es alles bloß noch schlimmer machen und so etwas verdiente Minho nicht.

Minho verdiente Liebe.

Mein Kopf wanderte wie automatisch gegen seinen Schenkel, und auf einmal lagen seine Arme um mich, während er in mein Fell furchtbar schluchzte und wimmerte.

„Ich... ich... ich will doch nur, dass ich den Tod verstehe und verstehe, warum er jeden Tag so viele Menschen nimmt und gibt, warum überhaupt so viele sterben müssen, und ob es für mich eine Bestrafung ist, unglücklich zu sein, weil wegen mir so viele sterben. Ich kann es doch auch nicht ändern... ich bin kein guter Arzt. Ich weiß das... aber warum muss ich so leiden? Es ist schon schlimm genug, sie alle sterben zu sehen..."

Ich realisierte in diesem Augenblick, dass Minho es nie einfacher wie Jinki hatte und dass es nie so für ihn sein würde, weil er anders war und weil der Schmerz ihn zu schnell auffraß. Da war nichts mehr in ihm, das nicht gebrochen war.

Es wäre so einfach, wenn ich ihn Liebe geben könnte.

Aber diese gehörte schon Jinki.

Wie dieser auch mal gesagt hatte: Einseitige Liebe schmerzte.

~~

~~

Sie schmerzte nicht nur deshalb, weil sie immer einseitig bleiben würde, sondern auch unmöglich.

Sie schmerzte auch, weil ich nicht länger an Jinkis Seite gehörte, sondern dieser komische, blonde Mensch tat es nun, der nun öfters die WG der Jungs besuchte. Immer Hand in Hand mit Jinki, immer an ihn geklammert, immer mit diesem schelmischen und arroganten Ausdruck auf den Lippen. Das erste Mal hatte ich sie nur kurz gesehen, und ich fragte mich, wie Jinki jemand so lieben konnte. Sie passte überhaupt nicht zu ihm. Sie war so eitel, so hochnäsig, so unpassend an seiner Seite. Aber ich war es natürlich auch nicht, und trotzdem mochte ich sie nicht.

Ich hatte es versucht, und als ich glaubte, ich würde sie sogar mögen können, machte sie die einseitige Liebe bloß noch schlimmer.

Es geschah, als ich mit Minho auf der Couch lag. Er kümmerte sich nun um mich, in seinen Armen schlief ich nun jeden Nacht, sein Leid verfolgte ich nun und ich wollte nun bei ihm sein, weil er konnte mich auf eine Weise verstehen, die Jinki nicht konnte, und für Jinki war ich nicht länger das, was ich nur für eine gewisse Zeit gewesen war. Ich war dafür für Minho etwas Besonderes geworden. Etwas, das er wirklich noch nie besitzt hatte und das ließ er mich auch fühlen.

Es gab da diese beruhigende Momente, wo er seine Lippen so innig auf meinen Kopf presste und mich danach mit so seiner strahlenden Sonne anblickte, dass ich manchmal glaubte, ich hätte mich selbst angelogen, wenn ich behauptete, dass mich Minho nicht so fühlen ließ wie Jinki. Weil er tat es doch. Irgendwie tat er das, und irgendwie erleichterte es mir den Schmerz.

Und wenn er mich anstrahlte, war es da. Dieses Funkeln in seinen Augen, so voller Hoffnung und Glück, und es war wunderschön, solch einen zerbrochenen Menschen glücklich zu sehen. Wenn er glücklich war, freute ich mich für ihn, dass er es war, und dann war ich es irgendwie auch.

Das alles erinnerte mich an mich und Jinki, aber mit einem Unterschied.

Minho liebte ich nicht, und ich wollte es auch nicht, denn so unmöglich meine Liebe zu Jinki war, so würde es auch unsere Liebe sein.

Trotzdem behielt er mich bei sich und trotzdem flüsterte er mir im Schlaf zu, dass er mich mehr als alles andere auf dieser Welt brauchte.

Das war in Ordnung so.

Wenigstens existierte ich noch für jemand.

Jonghyun hatte mich bestimmt auch schon vergessen.

Es geschah also, als ich mit Minho auf der Couch lag, dass ich die Frau an Jinkis Seite nicht länger ausstehen konnte. Wir beiden waren dort nach einem anstrengenden Fußballspiel – Minhos Mannschaft hätte fast verloren – eingeschlafen, und schließlich nach einigen Stunden wieder aufgewacht. Doch der große Bursche kam nicht auf die Idee, mich loszulassen oder sich von der Couch zu bewegen. Er drückte mich vorsichtig an sich und schmiegte seinen Kopf an meinen, während er mir sachte durch das Fell streichelte. Ich genoss es, wie liebevoll er mir seine Zuneigung zeigte und dass er immer noch so vorsichtig mit mir umging wie beim ersten Mal, als würde er mich für sehr zerbrechlich halten. Das stimmte auch. Ich war zerbrechlich. Sehr sogar.

Schließlich liebkoste er meine Stirn wieder, ganz sanft, und sah mich dann glücklich an, aber ich fühlte es bereits, dass jemand anderes noch im Raum stand. Ich bereute es nicht, dass ich so eng mit Minho geworden war, weil wir beide stärkten uns gegenseitig, waren gegenseitig füreinander da und wir verstanden aneinander, ohne Wörter zu benutzen. Und trotzdem vermisste ich Jinki, selbst wenn es schmerzte und selbst wenn ich nicht länger für ihn existierte.

Ich hatte mich einfach im Labyrinth verirrt.

„Minho!" Und da stand er auf einmal im Raum. Neben ihm entdeckte ich noch diese komische Blondine, die mich ganz irritiert fixierte, als hätte sie noch nie einen Fuchs gesehen oder geschweige denn gewusst, es gäbe Füchse. „Was soll das?!" Jinki verengte verärgert die Augen, und ich konnte keinen genauen Grund ausmachen, warum er plötzlich so wütend auf Minho sein wollte.

Dieser war ebenfalls verwirrt und richtete sich auf, was ich ihm gleich tat, um so einen besseren und wachsameren Blick zu erhalten. „Was meinst du?", erwiderte Minho schließlich, während seine Hand zu meiner Pfote glitt, als würde er nach einem Halt suchen. Ich sah seine Hand nur kurz verwundert an, bevor ich mich zurück an Jinki und die Blondine wandte. Meine Ohren bewegten sich nervös hin und her.

„Du weißt genau, was ich meine", knurrte Jinki mit steigender Wut. Die Blondine rückte näher zu ihm heran, und sie trug zu viel von diesem Schminkzeug in ihrem Gesicht, worüber sich auch mal Minho aufgeregt hatte. Er hatte auch mal gemeint, dass sie exakt das Gegenteil von seiner vorherigen Geliebten wäre.

„Nein, das tue ich wirklich nicht." Minho starrte den Burschen verdutzt an.

Ich lehnte meine Ohren überrascht nach hinten, als Jinkis kochender Blick auf mich stieß und dann änderte er sich schlagartig. Hier und dort wuchs Trauer in seinem Gesicht an, nur für einen Augenblick, ehe er Minho wütend anfunkelte.

„Das ist mein Fuchs", betonte Jinki und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Und nicht deiner, Minho. Ich verbiete es dir, sie noch länger anzufassen."

„Was?!" Minho öffnete entsetzt den Mund. Gerade wollte ich meine Pfote auf seine Hand legen, da erhob er sich voller Energie von der Couch auf. Nun prägte auch sein schönes Gesicht Wut. Das passte zu ihm überhaupt nicht. „Das kannst du vergessen! Ich höre schließlich nicht auf, mich um sie zu kümmern, wenn irgendein Weib angedackelt kommt, weil ich mit ihr die nächsten Tage in der Kiste landen möchte. Zum Glück habe ich sie davor gerettet, das mit anzusehen. Es ist schon schlimm genug, euch zuhören. Glaub mir, Kirschblüte fühlt sich bei mir besser. Sie gehört jetzt zu mir."

„Entschuldige mich bitte, aber-"

Jinki ließ die Blondine nicht aussprechen. Er explodierte im nächsten Augenblick, ohne auf Minhos Gefühle zu achten, ohne darauf zu achten, was er mit seinen mächtigen Worte alles anrichten konnte. Er ließ alles einfach heraus, als würde es keinen Halt mehr geben, als würde er gerade wieder einstürzen und ich konnte seinen Hilfeschrei hören. „Nur weil du eben kein Mädchen hast, heißt es nicht gleich, dass du mir das wichtigste nehmen kannst. Nur weil du nicht mit dem Tod anderer klarkommst, heißt es nicht gleich, dass jeder mit dir Mitleid schiebt und dich tröstet. Nur weil du die meiste Zeit hier oder im Krankenhaus verbringst, wird die Liebe nicht einfach zu dir geflogen kommen. Es macht dich noch kränker als du schon bist, Minho. Und dass du jetzt glaubst, dass Kirschblüte zu dir gehört und dass du sie genauso lieben darfst wie ich, das ist nicht richtig. Sie wird nie zu dir gehören, und auch nie zu mir. Sie ist ein Tier, Minho... Sie ist nur ein Tier... Wir können das nicht. Wir sollten das nicht. Wir sollten kein Tier so sehr lieben wie wir einen Menschen lieben können. Das schmerzt. Das-"

Jinki liebte mich. Hatte mich geliebt. Aber genauso wie ich musste er bemerkt haben, dass es für unsere Liebe keinen Ausgang gab und dass wir nur um den Schmerz kreisen würden, den wir uns selbst auf die Schulter legten. Dass wir nur noch mehr Schmerz auflegen würden, würden wir uns daran festhalten, und er war immer noch nicht am Eingang zurückgekehrt, um neu zu beginnen. Ich auch nicht.

Ich war noch nicht bereit dafür.

„Stopp!" Diesmal unterbrach die Blondine Jinki und ihr Blick lag angewidert auf mir. Jinki verstummte mit feuchten Augen und auch Minhos Augen schienen bald zu regnen. „Das ist nur ein dummer, verletzter Fuchs, Jungs! Er ist nichts wert in dieser Welt sowie all die anderen Wildtiere. Ich finde es echt süß, dass ihr ihn so mögt, aber sich um ihn streiten ist echt kindisch. Er ist schließlich ein Tier. Ein blöder, wilder und hässlicher Fuchs. Sein Fell ist nicht mal schön genug, um daraus einen Mantel zu machen. Er ist für nichts zu gebrauchen. Tiere wie diese sind dafür geboren, um von einem Jäger erschossen zu werden. Mehr nicht. Er verdient es, gehasst und gejagt zu werden."

Es war mir ja bewusst, dass ich nicht mehr als bloß ein Tier war und dass ich nicht dasselbe erreichen würde wie ein Mensch es könnte. Es war mir klar, dass ich nicht dasselbe bedeuten konnte wie ein Mensch. Ich fand es in Ordnung, dass ich ein Tier war, aber jetzt auf einmal nicht mehr, weil es stimmte irgendwie auch, was sie sagte.

Wir Tiere waren nichts wert in dieser Welt und ich hätte nicht von ihnen erwarten sollen, dass ich für sie etwas wert sein könnte.

Nicht für Jinki.

Nicht für Minho.

Für keinen Menschen.

Ich hätte nicht glauben sollen, dass zwischen einem Tier und einem Menschen mehr als nur Unterschiede, Tod und Fremdheit herrschte, dass Mensch und Tier sich ineinander verliebten könnten, weil so etwas existierte nicht in dieser Welt und würde es nie. Es wäre einfach nicht richtig. Mensch gehörte zu Mensch, Tier gehörte zu Tier – und nicht Mensch zu Tier oder Tier zu Mensch.

Auch wenn ich Jinki liebte, liebte ich ihn nicht sowie ein Mensch und Jinki liebte mich nicht wie ein Tier. Und Minho war etwas ganz anderes als eine romantische Beziehung.

All das hier war falsch.

Ich gehörte hier nicht her und ich würde es auch nicht, weil mein Zuhause der Wald war und die Wildnis zu mir gehörte. Ich gehörte niemanden. Ich gehörte nur mir selbst.

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