Selat - Augenöffnender Aufruhr

Ykias Worte hallten in Selats Kopf nach: Wa-warum hast du das getan? Warum hast du mich einfach verlassen. Ich dachte wir wären immer Brüder, egal was passiert!

Er spürte, wie sich sein inneres dabei zusammenkrampfte und Schuldgefühle in ihm hervorblubberten. Er wusste, dass er sich falsch verhalten hatte, aber dennoch stieg nun auch eine Welle des Ärgers in ihm auf, als würde er gerade mehr als verdient beschuldigt.

"Wir sind Brüder!", sprach der Kupferhaarige mit genervter Stimme, in der ein leichtes wütendes Zittern lag. "Und ich sagte, ich komme zurück, um dich zu holen."

Ykia nahm seine Faust von Selats Brust, trat ein paar Schritte zurück und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Dann starrte er seinen Bruder entsetzt an und sprach, mit schmerzvoller Stimme: "Du hast mich bei ihnen gelassen und bist geflohen. Warum hast du das gemacht?"

Selats Herz spürte einen Schnitt und nun drohten auch ihm, Tränen zu fließen, aber er schluckte sie herunter, so schwierig es auch sein mochte.

Ich muss stark sein, verdammt!

Gleichzeitig spürte er, wie sein Altbekannter, der bläuliche Mann mit Hut auftauchte und böse lachte. Der Tulpa, so wie Selat es nun wusste, erschien immer dann, wenn Selats Gefühle platzten und er sie nicht aus sich herausließ. Doch er ignorierte das Wesen einfach und wandte sich an Ykia.

"Ja, aber ich habe versucht alles für dich vorzubereiten.", sprach der Junge, nicht mehr vorwurfsvoll, sondern schon eher bedauernd. "Ich habe diesen verfluchten Iashi Ningar gesucht, der uns verkauft hat. Ich habe uns ein zuhause aufgebaut und..."

Doch Ykia unterbrach ihn: "Ich weiß, dass du es nicht böse meinst, aber du hast uns einfach verlassen. Bist geflohen. Hast du eigentlich mal daran gedacht?"

Darauf wusste Selat keine Antwort. Er spürte immer noch seinen Aufruhr, doch nun mischte sich ein Gefühl des Mitleids hinein und die Erkenntnis, dass er seinen Fehler irgendwie beheben müsse, auch wenn er noch nicht wusste, wie.

"Und unsere Eltern sind anders. Sie versuchen es wieder gut zu machen.", sprach Ykia nun schon ein wenig ruhiger und beschwichtigender.

Selat verzog das Gesicht und wollte schon ansetzen, etwas dazu zu sagen, doch er schluckte es hinunter und äußerte dann: "Ach Ykia... Du hast Recht. Ich hab' mich komplett beschissen verhalten. Dabei wollte ich das nicht."

Er stand unsicher da und eine kurze Schweigepause legte sich ein. Dann sprach er: "Ich hoffe, du kannst mir verzeihen... Es tut mir leid."

Ykia starrte seinen großen Bruder an und umarmte ihn dann, ohne weitere Worte zu vergeuden. Selat war für einen kurzen Moment erstarrt und verwirrt und umarmte den kleinen Bruder zurück.

Ach, wie sehr habe ich ihn vermisst...

Der Tulpa verdrehte bei dieser Szene genervt die Augen im Hintergrund, als wollte er ein "Pffff" ausdrücken und löste sich langsam auf, während Selat ruhiger wurde und wenigstens ein wenig Frieden sich wieder in ihm breit machte.

Nach einiger Zeit lösten die Brüder sich wieder aus der Umarmung und Adelfons, der die ganze Zeit still beigestanden und den Selat beinahe vergessen hätte, meldete sich zu Wort: "I-ich möchte das nur ungern unterbrechen... Aber was passiert hier gerade?"

Selat atmete einmal erleichtert und amüsiert zugleich auf und erklärte dann: "Ich soll euch etwas überbringen. Aber das gegnerische Team war wohl schneller. Es tut mir leid, dass der euch noch so belästigt hat. Aber naja... Das hier ist für euch."

Der Kupferhaarige kramte in seiner Manteltasche und zog zwei Päckchen heraus. Diese sahen genau so aus, wie jenes, das er selbst vor weniger als zwei Jahren von Samira bekommen hatte. Nur standen auf den beiliegenden Zetteln die Namen der beiden Teenager und nicht "Valdin Inbologir", wie es bei ihm gestanden hatte.

Wer war dafür eigentlich zuständig, überlegte Selat nun, denn daran hatte er zuvor noch nie gedacht. Kumbus' Stil ist es nicht und die Handschrift passt auch nicht...

Die beiden Jungen beäugten interessiert die Päckchen und nahmen sie entgegen. Ykia begann sofort an der Verpäckung zu zerren, so ungeduldig war er, während Adelfons misstrauisch den Überbringer analysierte.

"Ykia! Nein! Nicht hier...", sprach Selat schnell und unterbrach Ykias genervte Öffnungsversuche. "Das müsst ihr zuhause machen, wenn ihr alleine seid..."

Ykia blickte enttäuscht auf das Geschenk und nickte dann resigniert.

"Aber... Was ist das denn?", erkundigte sich Adelfons argwöhnisch.

Selat lächelte verlegen und sagte dann: "Tut mir leid, das darf ich euch noch nicht verraten, damit ich euch nicht beeinflusse. Aber ich verstehe, was du fühlst. Mir ging es genauso, als ich meins bekommen habe."

Nicht ganz zufrieden nickte der Junge und verstaute das Päckchen in seinem Ranzen. Dann blickte er zu Ykia und sagte unsicher: "Ähm, wir müssen aber in die Schule... Sonst kommen wir noch zu spät."

Ykia verdrehte die Augen und gab ein kurzes "Ach Mann! Kein Bock auf Schule.", nickte dann aber und wandte sich an Selat.

"Zum Glück bist du wieder da! Unsere Eltern werden sich freuen, dich wieder zu sehen!"

Selats Gesicht verfinsterte sich sofort.

"Ich werde nicht dorthin gehen. Sie sind nicht unsere Eltern... Ich werde unsere echten Eltern finden...", sprach er schwerer Stimmung und lenkte dann ab. "Naja, geht mal zur Schule. Nicht, dass ihr euch verspätet. Ich komme dann morgen nochmal, um euch abzuholen und alles besser zu erklären."

Ykia wollte ansetzen, etwas zu sagen, doch Selat war bereits schnell Richtung Wald verschwunden.

*

Selat gelangte aus dem Portalhaus und grüßte die Wächterin.

Hm, ich vermisse Laryssa hier... Aber ihr neuer Berufsweg ist schon echt episch!

Der Junge dachte an die Freundin, die nun schon fast mit ihrer Spionengrundausbildung fertig war und er fühlte, wie er stolz auf sie war.

Sie ist einfach so gut darin!

Selat bog um eine Ecke und stieß mit einem mageren Jungen zusammen. Verwirrt starrte der Kupferhaarige sein Gegenüber an und musste verwundert feststellen: "Okko? Was machst du hier?"

Sein Klassenkamerad richtete sich auf und schaute froh auf sein Gegenüber. An seiner Seite lief Dester, sein Kinsorpartner. Das dürre weiße Wesen blickte irritiert auf den kufpferhaarigen Kinsor und sein Fell stand von seinem Körper ab, als fühlte es sich bedroht.

"Selat, mein Kumpel! Lange nicht mehr gesehen... Wo warst du denn die letzten Monate?", fragte Okko übereifrig und mit tieferer Stimme, als Selat sich an ihn erinnern konnte.

Selat lächelte verlegen und erklärte dann: "Hm, naja, ich hab mit Kumbus einen besonderen Deal gemacht, wegen Training und Ausbildung und so. Aber ich vermisse euch echt schon. Wie geht's den anderen so?"

Okko schien sich darüber zu freuen, dass er was erzählen konnte und sprach: "Naja, nicht viel anders. Aynur und Fidane sind immer noch Besties, so wie Raban und Linnea. Die machen jetzt sogar Purion Dirol. Ich glaub Linnea ist da anscheinend echt gut drin."

Selat war verwundert, wie ruhig und ausgeglichen Okko geworden ist.

Doch dann fügte er hinzu: "Naja, natürlich nicht so stark wie ich und Dester. Nicht wahr, Dester?"

Das kleine Wesen gluckste selbstsicher.

Selat zwang sich dazu, nicht die Augen zu rollen. Okko war immerhin etwas reifer geworden.

Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung...

Seltsamerweise musste Selat bei Hoffnung immer an Kumbus denken. Dies ergab auch Sinn, zumal der Kinsormeister schon lange als Hoffnungsträger des Lichts betitelt wurde.

"Und wie geht's Madoc?", fragte Selat, denn den Witzbold vermisste er am meisten. Er hatte ihn einmal beinahe über "Alagenia!" angerufen, jedoch kam er dann nicht mehr dazu, wofür er sich jetzt im Nachhinein ordentlich schämte.

"Ach dem geht's Bestens... Der scheint sogar mehr Disziplin zu haben. Und man munkelt auch...", flüsterte Okko nun beinahe. "dass er Aidan etwas Humor beigebracht hat!"

Selat musste darüber lachen, denn irgendwie konnte er sich einen humorvollen Aidan nicht vorstellen.

Als er mir einen neuen Kinsorstab machen wollte, war er überhaupt nicht erfreut, dass ich den geschrottet habe.

"Aber mal ganz ehrlich, da läuft doch was zwischen ihm und seiner Kinsorpartnerin, oder?", sprach Okko, mit einer Stimme, die die Flamme Klatsches entdeckt hatte.

"Keine Ahnung.", sprach Selat und zuckte die Achseln. "Ich hab' Tamamo lange nicht gesehen. Glaubst du das?"

"Jaa!", spuckte Okko es beinahe aus. "Ganz ehrlich. Die beiden sind immer zusammen und unternehmen voll viel! Und ich meine, die ist doch auch ganz heiß!"

Dabei zwinkerte er Selat zu, der dadurch leicht verstört war, obwohl er zustimmen konnte, dass Tamamo gut aussah. Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, war es ihm auch sogar vorgekommen, dass sie wie ein Mensch mitgealtert war, wobei Selat nicht wusste, ob sie dies unterbewusst tat oder nicht. Sie war schließlich viel älter als eine menschliche Jugendliche.

"Wobei, eigentlich ist sie doch ein Furry, oder? Ist das nicht creepy? Aber die Kinsor scheinen es ja nicht zu verbieten. Obwohl Batsheva meinte, dass die Kitsunen absolut menschenhassend sind..."

Selat ignorierte Okkos seltsame Kommentare und beschloss das Thema zu wechseln.

"Und wie geht's dir so?", fragte der Kupferhaarige.

Okko erstarrte kurz und schwieg für einen Moment. Dann sprach er kurz "Gut" und wechselte sofort das Thema.

"Hast du gesehen, dass bald eine neue Funktionalität auf 'Alagenia!' kommt? Die Arbeiten an einem virtuellen Raum für Treffen in Träumen! Wie geil ist das denn?", sprach der Junge übereifrig.

Selat dachte darüber nach. Tatsächlich hatte er schon davon gehört, aber er war sich nicht ganz sicher, ob es wahr war oder nur ein Gerücht. Sofort musste er an Samira denken und daran, dass er sie unbedingt einladen wollte, obwohl er nicht wusste, wie er sowas angehen sollte.

"Lass mal gegenseitig voneinander träumen!", rief Okko laut und eine unangenehme Stille breitete sich aus.

Also so werde ich Samira nicht dazu rufen...

Nach einer Weile fügte er hastig hinzu: "Stell' dir mal vor! Das wird episch! Und wir können auch Mädels dazu rufen, oder halt Automatas!"

"Ähm...", fügte Selat langsam hinzu, denn er wusste wirklich nicht, was er dazu sagen sollte. "Joa, irgendwann mal... Naja, ich muss aber mal los..."

Okko nickte hastig und verabschiedete sich.

"Man sieht sich. Heov lunaîd sinio!", sprach er und rannte mit Dester davon.

Ok... Das war abrupt...

Nach einer kurzen Pause lief Selat weiter Richtung Ausbildungszentrum. Dabei lief er am Drachenplatz vorbei und erkannte einen Tumult. Anscheinend hatte sich jemand zum Schlafen auf die Statue gelegt.

"Ladon Somnus!", rief ein Junge streng zu dem sehr großen Teenager auf der Statue. "Komm schnell runter, bevor Sileus das noch mitkriegt!"

Doch der schlafende Riese schien sich davon nicht zu stören und schnarchte laut. Selat schmunzelte und lief dann weiter.

*

"Meister Kumbus, ich..."

Als Selat in das Büro trat stockte er kurz, denn dort stand nicht nur sein Meister, sondern auch die Chefin der Propheten der Stadt; die Ober-Provigon Meisterin Finna Skyn.

"Du hast es geschafft.", bestätigte sie und Selat nickte. "Sehr gut."

Sie lief mit ihrem leeren Blick vor und legte freundlich eine Hand auf seine Schulter. So nah hatte sie noch nie an dem Jungen gestanden und erst jetzt erkannte er das sich drehende Provideroszeichen in der tiefe ihrer Pupille.

Warum nutzt sie gerade Weisheitsmagie? Das scheint doch unpassend...

Selat beobachtete ihre grauweißen Augen genauer und er verstand immer noch nicht, warum sie sich so abwesend anfühlten. Das drehende Dreifach-Yin-Yang zog jedoch die gesamte Aufmerksamkeit des Jungen auf sich.

"Meister Kumbus, ich hörte, dass nicht weit weg von Fiboned eine Horde wilder Polieikatzen umherläuft. Ich hoffe, dass sie das in den Griff bekommen... Aber ach, warum sage ich Euch das überhaupt. Ich gehe dann mal. Tschüss!"

Dann ging sie, ohne weitere Worte hinaus.

Polieikatzen... Von denen habe ich noch keine auf meinem Naturreservat in Nilar Mesta... Vielleicht sollte ich da mal vorbeischauen, bevor die sich verletzen...

Doch er beschloss, später darüber nachzudenken und trat vor, um mit Kumbus zu reden.

"Meister, ich habe es geschafft. Morgen kann ich sie dann abholen."

Kumbus lächelte stolz und nickte.

"Sehr gut. Dann kann ich bald die letzten Vorbereitungen für deine Prüfung treffen."

Selat nickte und eine kurze Schweigepause richtete sich ein. Dann musste er wieder an Finna denken und beschloss schließlich, endlich mal nachzufragen.

"Hm... Warum schaut Meisterin Finna eigentlich immer so abwesend?", sprach der Junge vorsichtig und hoffte, die Frau nicht absichtlich zu beleidigen.

Kumbus grinste amüsiert und erzählte: "Ah, das. Ganz einfach. Sie ist blind."

******************

Sooo, was sagt ihr zu dem Kapitel? :P

Dieses widme ich Loretta_Sky.

Heov veîmon siniuv!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top