8.Der goldene Ring
Wild packt er sie bei den Armen und warf sie über die Brüstung des Balkons wo sie auf der harten Straße aufprallte und sich dort mit einem lauten Knacken das Genick brach. Die Menschen schrien und kreischten als das Blut über den festgetretenen Lehm verlief. Doch nur in seinen Gedanken.
In der Wirklichkeit stand er wie angewurzelt da, den Blick auf ihre funkelden Augen gerichtet.
„Tut mir Leid mein Lieber aber das ist ist Wahrheit. Ich dachte du wärst dir darüber im Klaren wer er war" Sie runzelte die Stirn und senkte den Blick. „Da habe ich mich wohl geirrt..."
Sebastian wusste nicht was er tuen sollte. Wenn sie wirklich nicht log, wenn das die Wahrheit über seinen Vater dann - „Du hast keine Beweise", sagte er wackelig, die Hand an die Stelle seines Gürtels gelegt wo früher sein Degen gewesen war. Madame Adler seufzte und ging wieder in die Stube. „Doch die habe ich", sagte sie nüchtern kurz bevor sie wieder heraustrat. Sie hatte sich einen Ring angesteckt. Er war aus dünn geschmiedetem Gold mit einem kleinen Rubin in der Mitte.
Sebastian kannte diesen Ring. Er hatte ihn bei seinem Vater gesehen. Es war der Abend bevor er in die Navy ging, zwei Wochen bevor seine Mutter starb.
Sein Vater kam durch die Tür, Schnee auf Mantel und Hut. Er packte ein kleines Päckchen aus, mit einer schönen Schatulle darin, sie sah kostbar aus. Sebastian fand es in den wenigen Minuten in denen sein Vater im Keller einen Wein für das Abendessen aussuchte. Er nahm die Schatulle vom Schuhschrank und öffnete sie vorsichtig. Er erinnerte sich nun in voller Bitterkeit daran wie sehr er sich gefreut hatte das sein Vater seiner Mutter wieder Geschenke machte.
„Ich bin direkt nach Nassau gesegelt als er mir den Antrag gemacht hat. Natürlich hab ich den Ring angenommen, er ist schließlich kostbar und ich wollte schon lange ein neues Leben anfangen. Ich habe ihn letzten Monat von meinem damaligen Käufer zurück erlangen. Aber ich wollte ihn niemals heiraten" Mit traurigen Augen schaute sie zu Sebastian auf. „Es tut mir Leid" Er wollte ihr in's Gesicht spucken, sie schlagen und sie anschreien das ihm das auch nichts nützte, aber er konnte es nicht. Er konnte nichts anderes tuen als ihre Hand zu packen und ihr den Ring vom Finger zu reißen.
Seine ganze Welt brach in sich zusammen, sein ganzes Leben schien keinen Sinn mehr zu ergeben. Er wollte die Ehre seines Vaters nicht mehr retten. Wollte den Ruf seiner Familie nicht mehr aus dem Dreck ziehen, denn das hatte sein Vater nicht verdient. Er hatte seine todkranke Frau betrogen und hatte seiner Affähre einen Antrag gemacht während sein ältester Sohn in einen wahrscheinlichen Tod aufbrach. Das war abscheulich, ekelhaft, einfach nur abartig. Sebastian hatte den Drang sich von den Taten seines Vaters reinzuwaschen. All das was ihn mit ihm verband wegzuspülen und nie wieder an sich heran zu lassen.
Auf dem Absatz wandte er sich herum und ging los. Seine Schritte waren schnell, hastig und gehetzt. Auf der Straße begann er dann zu rennen, immer schneller und schneller Richtung Strand. Die Menschen sprangen aus dem Weg wenn er ihnen zu nah kam und stolperten wenn er sie anrempelte. Er sah sie nicht. Er sah nur seinen Vater vor sich wie er die Schatulle mit dem goldenen Ring auf dem Schuhregel abstellte. Wie er seine todkranke Frau nicht einmal mehr auf die Stirn küsste und ihn zum Abschied nicht umarmte. Wie er sie musterte als wären sie Schmuckstücke die sich zu einem guten Preis vermarkten ließen. Dann sah er den Mann vor sich, denjenigen der behauptet hatte den Ruf seiner Familie auszubessern. Sie zurück in die gehobene Gesellschaft zu heben. Sie zu ihren alten Freunden zurück bringen, sie mit den Töchtern reicher Männer verheiraten.
Sebastian spuckte in den Sand.
An der Bucht begann er dann sich auszusziehen. Erst das Hemd, dann seine Hose und in der Brandung letztendlich seine Stiefel. Nackt tauchte er in das Wasser. Es war angenehm warm, von der strahlenden Mittagssonne gewärmt. Er fühle wie der Sand und der Schlick der in seinen Stiefeln gewesen war sich von seinen Füßen löste und hatte das Gefühl das sein guter Glaube an seinen Vater mit dem Dreck davon schwamm. Er tachte wieder auf, nach Luft schnappend, bevor er wieder in das Nass eintauchte und hinab schwamm, das Wasser überall um sich spürend.
Er konnte seine Mission hinschmeißen er brauchte Moriarty nicht mehr töten. Sollte er es trotzdem tun? Nein. Moriarty war zwar ein grausamer Mann der wusste wie man Männer folterte und sie unauffällig verschwinden ließ aber er war noch lange nicht so schlimm wie sein eigener Vater. Bei dem Gedanken an ihm krampfte sich alles in Sebastian zusammen und er musste auftauchen und Luft holen.
Aber was sollte er jetzt tuen? Sollte er hier bleiben und Pirat werden? Oder nach London zurückkehren als der Piratenjäger der versagt hatte ?
Hatte er überhaupt eine Wahl ?
Er hatte überhaupt kein Geld von dem er in London leben konnte. Und seinen Vater würde er ganz sicher nicht nach Geld fragen. Und ihn umbringen wollte er auch nicht. Natürlich hatte er das gewollt, in den Momenten die er bis zum Meer gebraucht hatte hatte er an nichts anderes gedacht doch es war besser er blieb am Leben. Lebte ein langes, scheußliches leben bis zum Ende, in dem Glauben Gott würde ihn holen nur um dann von dem Teufel hinab gezogen zu werden. Sebastian grinste bei dieser Vorstellung. Es würde ihm so viel Genugtuung verschaffen wenn sein Vater in diesem Glauben sterben würde, in dem Glauben alles richtig gemacht zu haben.
Nach dem sechsten Mal Luftholen begriff Sebastian das er nichts mehr hatte wofür es sich zu Leben lohnte. Das Leben eines adeligen Soldaten lag hinter ihm und das eines dreckigen Piraten lag vor ihm. Sein Vater war ein Ekel.
Seine beiden Brüder hatten schon so lange nicht mehr mit ihm gesprochen das sie vergessen haben konnten das sie einen Bruder besaßen.
Aber er wollte noch nicht sterben. Er wollte wissen wie lange er es ausreizen konnte, wie lange es dauern würde bis er am Galgen landete. Was es mit den seltsamen Reaktionen seines Körpers auf Männer auf sich hatte und was hinter Moriarty und all den anderen an Bord der Amphrite steckte.
Er schwamm weiter und tiefer solange bis die Sonne nach Westen übersetzte und Schatten auf das Wasser fiel und es langsam abkühlte.
Es müsste ihn überraschen das Moriarty am Strand saß, mit einer Flasche Whiskey und einer kleinen Laterne und auf ihn wartete aber das tat es nicht. Schwer atmend ließ er sich neben den Mann fallen. Dieser hielt ihm die Flasche hin wovon er einige Schlucke nahm.
„Was tun Sie hier Moriarty?"
„Für Sie immer noch Käpt'n Moriarty" Sebastian lachte freudlos auf. „Sie sind nicht mein Käpt'n. Aber ich fürchte Sie könnten es werden" Er nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche und gab sie dann zurück. Moriarty erwiderte nichts, nahm stumm einen Schluck aus der Flasche. Sein Blick war fest auf den Horizont gelegt. Dort wo der Himmel sich langsam violett färbte und die Sonne unterging.
„Ein Problem mit Autoritäten wie ich sehe...Nun nach der Sache mit ihrem Vater von der Sie gerade erfahren haben ist das wirklich kein Wunder" Er kicherte und Sebastian dachte doch nochmal darüber nach ihn nicht doch zu töten. „Warum sind Sie hier?", wiederholte Sebastian seine Frage, genervt und skeptisch zugleich. Moriarty lächelte vor sich hin und nahm einen Schluck des Whiskeys.
„War es das erste Mal das Sie getötet haben? Heute morgen ?" Sebastian runzelte die Stirn. „Warum interessiert Sie das?!" Moriarty wandte sich zu ihm und grinste. Er zeigte seine Zähne und Sebastian bemerkte das erste Mal den silbernen Eckzahn den Moriarty besaß.
„Weil ich wissen will wie böse du bist" Sebastians Mund fühlte sich plötzlich sehr trocken an. Schnell nahm er einen Schluck des Whiskeys. „Nein. Es war nicht mein erster Mord" „Das war kein Mord" Moriarty lächelte. „Das war... Eine Demonstration deiner Fähigkeiten" Sebastian nahm einen weiteren Schluck und spürte wie ihm warm wurde und es anfing zu kribbeln. Er wandte den Blick von Moriarty ab und wandte ihn gen Himmel.
„Es war vor meiner Zeit in der Royal Navy" Er schielte zu dem Piraten hinüber und sah das der ihm aufmerksam zuhörte. „Ich war siebzehn", erzählte er weiter, „Madame Adler war nicht die erste die mir von meinem Vater erzählt hat" „Das habe ich vermutet. Sie war nur die erste die Beweise hatte", warf Moriarty ein, die Flasche zurück nehmend. Sebastian nickte. „Es war in einer Taverne, ich habe mich dort mit einigen Freunden getroffen, ich bin aber noch geblieben nachdem sie gegangen waren" Er machte eine Pause, erinnerte sich an die Nacht zurück. Das Zerspringen von Glass, Schnaps auf seinem Mantel und Blut überall. Er schüttelte den Kopf. „Er hat mit meinem Vater zusammen gearbeitet. Bis seine Tochter ihn bestohlen hat und er arm und widerwärtig wurde" „Widerwärtig im Sinne von arm ?" „Ich hätte es nicht noch dazugesagt wenn es dieselbe Bedeutung hätte" Moriarty lächelte dünn. „Fahre fort" Sebastian seufzte.
„Er war betrunken. Sein Gesicht war gerötet und normalerweise lallte er nicht so... ich hatte ihn nicht bemerkt bis er zu mir gekommen war. Ohne irgendetwas anderes zu sagen begann er von meinem Vater zu sprechen und etwas über eine Affähre zu faseln" Er ballte seine Hand zu einer Faust. Er war noch immer wütend obwohl er es ja nun doch schon vorher gewusst hatte. Irgendwie.
„Ich bin wütend geworden. Den Rest können Sie sich ja denken" Er schnappte sich die Flasche zurück und nahm einen großen Schluck. Moriarty lachte. Es war ein seltsames Lachen, als würde er sich über ihn lustig machen. Jedoch war der Ton der darauf folgte alles andere als amüsiert. Er klang...todernst.
„Nein. Ich will es hören" Sebastian wandte sich zu Moriarty herum. Seine Augen waren nun nicht mehr dunkelbraun sondern tiefschwarz, wie Kohle. Sein Mund war zu einem breiten Grinsen verzogen und seine Augen blitzten. Es ließ Sebastian einen kalten Schauer den Rücken hinab laufen.
„Ich will wissen wie genau du es getan hast", der kapitän beugte sich vor, „Jedes.Einzelne. Detail." Moriarty's Blick fiel kurz auf Sebastians Lippen bevor er sich wieder zurück lehnte. Sein Gegenüber schluckte und versuchte sich wieder zu sammeln.
„Ich habe auf ihn eingeschlagen. Noch in der Taverne, auf den Dielen. Ich glaube zuerst hab ich ihm die Nase gebrochen, viellleicht aber auch den Kiefer. Irgendetwas jedenfalls was laut knackste. Aber es hat mich nicht aufgehalten, mich nur noch wütender gemacht. Er hat versucht mir seine Flasche über den Kopf zu ziehen...Schnaps wenn ich mich Recht erinnere... Da haben sie uns raus geschmissen, auf die Straße. Ich glaube wenn sie das nicht getan hätten, hätte ich ihn nicht getötet" Er nahm einen weiteren Schluck des Alkohols.
„Ich habe dort weiter auf ihn eingeschlagen. Bis er sich lange nicht mehr bewegte, nicht mehr um Gnade flehte..." „Wie hast du dich dabei gefühlt ?" Sebastian schaute zur Seite und sah das Moriarty ihm näher gekommen war und nun kaum fünf Zentimeter von ihm entfernt saß. „Wie hat es sich angefühlt als sein warmes Blut über deine Finger lief, wie hast du dich gefühlt als als du seinen Atem nicht mehr spüren konntest... Wie hast du dich gefühlt ?!" Moriarty's Augen blitzten auf diese irre Weise wie sie es schon in dem Brothel getan hatten. Wieder musste Sebastian schlucken. Auf einmal wurde ihm die Nähe Moriartys bewusst und er fühlte sich zu seinem eigenen Entsetzten weder eingeengt noch unangenehm oder verspannt. Eigentlich das genau Gegenteil.
Zwischen ihnen lag eine Hitze, eine Hitze die nicht von dem Whiskey stammte.
„Gut", flüsterte Sebastian, „Ich habe mich gut dabei gefühlt" Er begegnete Moriartys blick und redete weiter obwohl er das eigentlich gar nicht vorgehabt hatte. „Es war befreiend. Als würde eine große Last von mir abfallen, es war..." Er suchte in Moriarty's Augen nach dem richtigen Wort. „Das beste Gefühl was ich je hatte" Er merkte wie sein Atem schwerer wurde und er sich vorbeugte.
Ihre Lippen waren sich so nah.
Der Auslöser war schließlich Moriarty's erleichterte Seufzen dem das Schließen seiner Augen folgte. Ihre Lippen trafen sich. Hart. Es war wie kein anderer Kuss den Sebastian je gehabt hatte.
Er war brutal, verlangend, blutig und herb.
Einfach atemberaubend.
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