Kapitel 11

Die Seefahrt verlief stürmischer, als gehofft. Wellen so hoch wie ein Haus schlugen gegen Bauch und Nase des Schiffs, weswegen ich mich krampfhaft am Holz festklammerte. Samsara schien nicht das geringste Problem damit zu haben, das Schiff entspannt durch diesen Sturm zu lenken. Lag mit Sicherheit an ihrem Wesen. Die meisten der Crew waren Nymphen, was definitiv von Vorteil schien. Da der Sturm recht überraschend und kurz nach unserem Aufbruch gekommen war, hatte ich es noch nicht geschafft, von dem Teleportationsstein Gebrauch zu machen. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, Arylâth zu besuchen, alsbald die Mannschaft schlief. Jetzt war es weit nach Sonnenuntergang und der Sturm nahm einfach kein Ende.
Mich warf es hin und her - einmal hob es mich von den Beinen. Eventuell bot dieser Sturm ja die bessere Gelegenheit als die Nachtruhe. Vorsichtig bahnte ich mir langsam einen Weg Richtung Kajüte.
„Bleib besser drin, das ist sicherer!", rief Nefathâr mir zu, als ich an ihm vorbeiging.
Genau das hatte ich vor.
Keuchend schlüpfte ich durch die Tür, drückte sie hinter mir zu und schloss sicherheitshalber ab. Ich zog den Ärmel meines triefend nassen Mantels hoch und legte eine Hand auf den Teleportationsstein. Anschließend atmete ich tief durch. Das Problem war; ich hatte Portalmagie nie zuvor benutzt. Demnach hatte ich nicht den blassesten Schimmer, wie man von diesem Stein Gebrauch machte. Ich versuchte mein Glück, indem ich meine Augen schloss und mich auf den Palast und König Arylâth konzentrierte.
Sein Gesicht wurde klarer und klarer. Die kleinen Fältchen, seine tiefliegenden und zweifarbigen Augen, die hohen Wangenknochen. Es wurde so detailreich, dass ich plötzlich durch die Luft fiel und auf etwas Hartem landete. Letzteres entpuppte sich als der Körper von Caladiums König.
Ich war direkt in seinem Schoß gelandet. Der sich wiederum in seinem Bett befand.
Schnell huschte ich von ihm herunter und aus den Laken - mein Blick gesenkt, um meine roten Wangen zu verbergen. „V...verzeiht, Eure Hoheit!", stammelte ich.
Schließlich hob ich meinen Blick - nur um festzustellen, dass der König oben ohne aufrecht in seinem riesigen Bett saß.
Seine Haut bedeckt von unzähligen Tätowierungen, die ein einziges Kunstwerk bildeten, das man hätte im Louvre ausstellen können. Dazwischen wurden die wunderschönen Bilder allerdings von Narben unterbrochen. Manche bemerkte man dank der Tinte kaum, einige jedoch waren zu breit.
Obwohl man hier nicht nach Körpern „lechzte", wandte ich meinen Blick aus Höflichkeit wieder ab. Zum Glück bedeckten die blutroten Seidenlaken seine untere Hälfte. Neben dem König lag ein offenes Buch, dessen Titel ich nicht erkennen konnte.
„Ihr habt gelesen", stellte ich neugierig fest,
Der König räusperte sich. „Ja, das habe ich", raunte er. „Aber Ihr seid bestimmt nicht gekommen, um mich nach meiner Bettlektüre zu fragen."
Ich schüttelte ein wenig Vernunft in meinen Kopf. „Natürlich, verzeiht", sagte ich sofort - bemüht, dass meine Stimme sich nicht überschlug. „Ich konnte bislang leider keinen passenden Moment finden, Euch Bericht zu erstatten. Ich habe auch nicht viel Zeit. Wir befinden uns derzeit auf einem Schiff, dessen Captain Samsara heißt, eine Nymphe. Nefathâr möchte wohl in das südliche Königreich reisen. Leider scheint er mir gegenüber noch zu skeptisch, denn er bezieht mich nicht in seine Pläne ein. Dass ich allerdings noch lebe, spricht dafür, dass er mir nicht gänzlich misstraut. Ich denke, er will im Süden Verbündete suchen oder treffen."
Der König nickte. „Gut möglich.", meinte er. „Ihr solltet weiterhin auf der Hut sein. Geht, bevor sie bemerken, dass Ihr abwesend seid."
Mit einer leichten Verneigung legte ich wieder meine Hand auf den Stein und stellte mir so bildlich wie möglich meine Kajüte vor. Zu meinem Glück funktionierte es dieses Mal auf Anhieb. Ich war zurück auf dem Schiff.
Der Sturm wütete nach wie vor, wodurch ich direkt nach der Ankunft gegen die Westwand prallte. Ich verzog mein Gesicht vor Schmerz. Mit Müh und Not schaffte ich es zur Koje, wo ich mich mit einem Seil festband.
Gegen ein Uhr früh hatten wir es endlich aus dem Sturm geschafft und ich fiel erschöpft in einen traumlosen Schlaf. Die Zeiger auf meiner Taschenuhr schlugen Mittag, als ich das nächste Mal erwachte.
Notdürftig wusch und zog ich mich um, bevor ich die Kajüte verließ. Eine lachende Sonne blendete mich für kurze Zeit und ließ mich fluchen. Daraufhin hörte ich eine bekannte Stimme leise kichern.
"Nicht ganz ohne die Nacht, oder?", fragte Nefathâr. Er machte eine einladende Geste zum Niedergang. "Hungrig?"
Obwohl ich befürchtete, das Essen nicht im Magen zu behalten, nickte und folgte ich ihm unter Deck. Die meisten Matrosen waren an der frischen Luft, wodurch wir den großen Speiseraum für uns hatten. Längliche Tische und Bänke reihten aneinander und waren fest in den Boden geschraubt.
Seufzend nahm ich auf einer Bank Platz und ließ mir von Nefathâr Speis und Trank reichen. Ersteres genoss ich nur mit Vorsicht.
"Wie lange wird die Reise dauern?", fragte ich. Nefathâr saß mir bequem gegenüber und trank Rotwein aus einem Kelch.
"Wahrscheinlich eine Woche.", meinte er entspannt. Mir hingegen klappte die Kinnlade nach unten.
"Eine Woche?!", wiederholte ich entsetzt. "So sehr ich Schiffe auch mag, können wir uns nicht teleportieren oder fliegen?", jammerte ich.
Er lehnte sich auf die Tischplatte und stibitzte mir ein Stück Kartoffel. "Die Strecke ist zu lang, um zu fliegen.", antwortete er. "Und Teleportationsmagie kostet seinen Preis, wie du bestimmt weißt. Oder hast du etwas, das wir eintauschen könnten?"
Ich stöhnte genervt auf. Mit dem Armreif wäre ich in zwei Sekunden im Süden, wahrscheinlich. Oder ich würde irgendwo im Meer landen. Ein Wunder, dass ich es gestern heil zurück in die Kajüte geschafft hatte.
"Du wirst sehen, die Woche vergeht schneller, als du denkst", meinte Nefathâr. "Der Sturm gestern war eine Ausnahme."
"Wieso eine Ausnahme?", hakte ich nach.
"Ein Schutzwall von König Arylâth, damit niemand die Grenze überschreiten kann ohne sein Wissen.", erklärte er, woraufhin ich die Augenbrauen hob.
"Warum? Ich meine, ich konnte doch auch ohne Probleme in den Osten reisen", argumentierte ich.
"Der Osten ist ein anderes Thema. Die Verbindung zwischen dem Osten und Caladium ist stark aufgrund der Hierarchie. Im Süden befinden sich allerdings ein paar, die nicht sehr gut auf meinen Bruder zu sprechen sind. Genauso wie im Westen. Es befinden sich deswegen lediglich je einer der beiden Länder im Königsrat."
Ich runzelte die Stirn und starrte auf meinen Teller. Was war geschehen, dass Arylâth zu solchen Maßnahmen greifen musste? Sein Bruder war ganz klar neidisch auf ihn und in dieser Geschichte nicht der Gute. Obwohl ich Arylâth nur kurze Zeit getroffen hatte, hatte dies ausgereicht, um mir klar zu machen, dass Myrria keinen Fehler gemacht hatte. Nefathâr besaß kein Fünkchen Magie und hasste seinen Bruder offensichtlich dafür, dass dieser die stärkste aller magischen Kräfte besaß. Er wollte die Krone und mit Sicherheit die Königreiche unterwerfen. Wenn er im Geheimen eine Armee zusammenstellte, könnte es gefährlich für Arylâth und die Reiche werden, obgleich der König Caladiums der stärkste Herrscher in dieser Welt war - jeder besaß einen Schwachpunkt. Ich musste Arylâth helfen, bevor all dies geschehen konnte.
Ob die Stimmen das damit gemeint hatten?
Ich legte mein überzeugendstes Gesicht auf und sah Nefathâr direkt in die Augen. "Du traust mir nicht mehr, nicht wahr?", fragte ich kühl. "Das ist in Ordnung", fuhr ich nahtlos fort. "Ich würde mir genauso skeptisch gegenüberstehen, wenn ich du wäre. Immerhin weißt du nicht, was im Palast geschehen ist. Wie dem auch sei, ich werde alles daran setzen, dir zu zeigen, dass du mir weiterhin vertrauen kannst."
Nefathârs Augenbrauen zuckten für den Bruchteil einer Sekunde, er selbst ließ sich jedoch nichts anmerken, was in ihm vorging. "Ich bin erleichtert, dass du meine Lage verstehst und es nicht persönlich nimmst", raunte er. "Immerhin..." Seine Augen trafen erneut auf meine. "...waren wir damals unzertrennlich. Ich denke, wir könnten es wieder sein. Aber dafür werden wir mehr als genügend Zeit haben... Iss, wir sehen uns später." Mit einem süffisanten Lächeln erhob er sich und verließ den Raum samt dem Kelch Wein in seiner Hand.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Unterlief mir ein einziger Fehler, könnte mich das meinen Kopf kosten.
Während ich also versuchte etwas von dem Essen in meinem Magen zu behalten, dachte ich über seine Worte nach. Es bereitete mir Gänsehaut, nicht zu wissen, welche Absichten er hegte. Ob es mir recht war oder nicht, bis wir im südlichen Königreich ankommen würden, konnte ich lediglich bei dieser Scharade, so gut es mir möglich war, mitspielen und hoffen, dass ich dem einen oder anderen Gespräch lauschen konnte.
Leider war dies nicht der Fall.
Nefathâr sah ich auf dem großen Schiff gelegentlich bis gar nicht und so vergingen die Tage tatsächlich wie im Fluge. Ich musste zugeben, dass die Seefahrt unbeschreiblich schön war. Das Spiel der Wellen, die gegen den Bug brachen und durch die Sonne in allen Farben glitzerten. Zu Beginn unserer Reise konnte man den einen und anderen Donnervogel hoch am Himmel vorbeifliegen und Sirenen unter Wasser schwimmen sehen.
Nach wenigen Tagen wurden aus den Donnervögeln Achech - ein nicht weniger großer Vogel aus dem Süden. Sie teilten einige Gemeinsamkeiten mit den Greifen, schimmerten jedoch stets in goldener Farbe. Ihre Schnäbel waren schmäler und ihre Körper wendiger.
Unter Wasser sah man keine Sirenen mehr, stattdessen schwamm hin und wieder ein Hippokamp an unserem Schiff vorbei.
Ganz gleich wie ernst die Lage sein mochte, ich konnte nicht vermeiden, dass ich gespannt war auf all die Dinge, die mich im südlichen Königreich erwarten würden. Immerhin wollte ich genau das tun - reisen. Selbst wenn dies bedeutete, es an der Seite eines Verräters zu tun.

Nach einer Woche kam endlich Land in Sicht. Unser Schiff legte an einem Hafen voller Menschen an. Ein Pier aus Holz und jede Menge Sand begrüßten uns.
Lâryug konnte es gar nicht erwarten, endlich das Schiff hinter sich zu lassen und in die Luft abzuheben. Lachend sah ich ihm nach, bevor ich selbst Fuß an Land setzte.
Keine zwei Sekunden später bemerkte ich, dass meine Beine sich wie Pudding anfühlten und der Boden sich zu drehen schien.
Nefathâr passierte mich kichernd. "Keine Sorge. Das Gefühl verschwindet, wenn du etwas auf und ab gehst.", versicherte er mir. Sechs Fuß vor mir blieb er stehen und sah über die Schulter zurück. "Na, komm, oder soll ich dich tragen?", rief er belustigt.
Verdammter Narzisst, dachte ich - gleichzeitig setzte ich meine Beine in Bewegung. Zum Glück behielt mein Nemesis Recht und das Gefühl in meinen Beinen verschwand nach einiger Zeit wieder. Moment, ab welcher Stelle in der Geschichte war er zu meinem Nemesis geworden? Es war Arylâths Erzfein - nicht meiner.
Die verschiedensten Leute wuselten um mich herum. Fischer, Händler, Familien. Kaum hatten wir den Hafen hinter uns gelassen, gelangten wir in enge Gassen voller Stände. Ein Bazar, der wesentlich mehr Bewohner Pachélas beinhaltete, als mir lieb war. Die Häuser bestanden aus Sandstein und Edelsteinen wie Türkis oder Onyx. Die Bewohner trugen dünne Kutten und Kleider. Mit Seidenschalen schützten sie sich vor der brennenden Sonne. Es erinnerte mich ein wenig an Ägypten.
Plötzlich spürte ich etwas Kühles auf meinem Haupt. Nefathâr hatte mir einen Seidenschal besorgt und ihn mir auf den Kopf gelegt. Der sanfte Stoff wies wunderschöne Blumenmuster auf. Zu aller erst aber fiel mir die Magie auf, die daraus strömte. Zwar handelte es sich hierbei um eine geringe Menge, dennoch überraschte es mich - immerhin gab es auf der Erde nichts vergleichbares. Zu meiner Erleichterung wurde es allmählich kühler, als hätte jemand den Air Conditioner eingeschalten.
"Praktisch, oder?", hörte ich Nefathâr neben mir. Er hatte sich ebenfalls einen Schal um den Kopf gewickelt, wodurch er eher aussah wie Piratin Samsara. Dennoch tat ich es ihm gleich und band den Stoff am Hinterkopf zusammen. Erst da fiel mir auf, dass an den Säumen kleine, goldene Blättchen hingen, die melodisch Klirrten.
"Wie schön...", murmelte ich fasziniert.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Nefathârs süffisantes Grinsen. "Das Volk hier nennt man die Pachanté.", erzählte mein Begleiter. "Das Land ist reich an Juwelen. Aus ihnen und Königin Ynara bezieht das Volk die Magie, die sie in ihre Dinge einarbeiten."
Ich drehte mich leicht zu ihm. "Du sagtest, Arylâth habe eine gute Beziehung zu Onyr aber nicht zum Süden. Wieso, wenn Ynara doch die Schwester von König Onyr ist?", fragte ich mit gesenkter Stimme - man hätte mich ohnehin nur in direkter Nähe verstanden, so viele Menschen wie hier redeten und wuselten.
Nefathârs Gesicht blieb unverändert. "Awâr gab unserem Vater Aathron von Rôthras die Schuld am Tod unserer Mutter, seiner geliebten Schwester. Die beiden standen sich sehr nahe. Arylâth sieht unserem Vater ähnlicher als ich. Die Beziehung zwischen ihnen stand von Beginn an kurz vor dem Bruch. Als Arylâth sich vollends von der Außenwelt abschirmte, brach schließlich der letzte Faden zwischen den beiden. Angeblich soll jemand aus dem Süden ein Attentat auf Arylâth verübt haben, jedoch sind mir Details unbekannt."
"Und wir suchen jetzt nach diesem Attentäter?", fragte ich leicht verunsichert. Einen Attentäter zu suchen zählte nicht gerade zu den Punkten auf meiner Bucket List.
"Hey, ihr Turteltauben", hörte man Samsara hinter uns rufen. Ich hatte sie beinahe vergessen. "Ich sehe euch später im Gasthaus!", ließ sie uns wissen, bevor sich unsere Wege fürs Erste trennten.
Nefathâr blieb an einem Stand mit edler Kleidung stehen und zog sich den Gepflogenheiten und Temperaturen entsprechend an. "Du solltest dich umziehen", meinte er, bevor er hinter einem Vorhang verschwand.
Der Verkäufer wirkte zum Glück sehr freundlich und reichte mir einige Kleidungsstücke, die ich ebenfalls hinter einem Vorhang anprobierte. Letztendlich entschied ich mich für eine leichte Kutte aus zwei Schichten Seide. Die untere weiß, die obere dunkelviolett. Ich fühlte mich nicht selbstbewusst genug, um stattdessen ein BH mäßiges Oberteil und Rock zu tragen. Wann verschwanden die lästigen Gewohnheiten aus meinem alten Leben endlich?
Zum Schluss bekam ich ein Paar Sandalen aus pflanzlichen Fasern und einen Stoffgürtel an dem ähnliche runde Plättchen hingen wie an meinem Kopftuch.
Nefathâr trug lediglich einen bodenlangen Rock aus zwei Schichten und ein Seidentuch um seine Schultern, dessen Enden vorne mit Juwelen zusammenhingen. Als wir bemerkten, dass wir die gleiche Farbe ausgewählt hatten, mussten wir lachen. Wie es schien, hatte der Händler uns wohl für ein Paar gehalten.
"Geht es dir besser?", fragte mein Begleiter, nachdem wir unseren Weg fortsetzten.
Es dauerte einen Moment, bis es mir dämmerte. "Ja, meine Beine fühlen sich wieder normal an.", antwortete ich. Über uns flog ein aufgeregter Lâryug hinweg und drehte Loopings in der Luft. Bestimmt war er froh darüber, endlich das Schiff verlassen zu haben.
"Zu deiner Frage von vorhin...", setzte Nefathâr schließlich an. Er schnappte sich im Vorbeigehen heimlich einen Apfel von einem Obststand und biss hinein. Da ich seine Antwort hören wollte, sagte ich nichts dazu. "Wir sind nicht hier, um den Attentäter zu suchen. Zumindest du nicht."
Jetzt runzelte ich verwirrt meine Stirn und blieb stehen. Er hingegen nahm mich bei der Hand und zog mich weiter. Beinahe wäre ich mit einem Mann, der Töpfe auf seinem Kopf trug, zusammengestoßen. "Wir haben eine Audienz beim König und der Königin", rückte Nefathâr endlich mit der Sprache heraus. Ich staunte nicht schlecht. Hatte er es tatsächlich geschafft, die südlichen Herrscher in sein Komplott einzuspannen?
"Danach trennen sich unsere Wege", fuhr er unbeirrt fort. "Ich treffe mich mit einigen Pachanté. Du hingegen reist in den Osten. Falls Arylâth tatsächlich etwas ahnt, solltest du dich möglichst unauffällig verhalten. Dafür eignet es sich am besten, wenn du dich ohne mich bei Onyr blicken lässt. Alsbald ich hier alles geregelt habe, treffen wir uns wieder und reisen gemeinsam in den Westen."
Mein Hirn versuchte alles zu verarbeiten. Mich beschlich das Gefühl, dass er mich lediglich in den Osten schickte, damit ich nicht mitbekam, was genau er plante. Ohne Grund würde er mir nicht so urplötzlich diesen Auftrag erteilen.
"Und du kommst wirklich alleine zurecht?", fragte ich mit besorgter Miene. "Bist du sicher, dass ich nicht hierbleiben soll?"
Er schenkte mir ein Lächeln, das seine Augen nie erreichte. "Mach dir um mich keine Sorgen. Immerhin kam ich all die Jahre gut zurecht, oder nicht?"
Ob es mir gefiel oder nicht, ich konnte ihm nicht widersprechen, ohne aufzufallen.

Die Juwelen und die Goldplättchen an unserer Kleidung klirrten bei jedem Schritt und hinterließen einen melodischen Geschmack in meinen Ohren.
"Gehen wir den gesamten Weg zum Palast zu Fuß?", fragte ich meine Begleitung.
Nefathâr grinste. "Dir ist die Sonne wohl immer noch zu wider, hm?", entgegnete er neckend. "Wir werden abgeholt.", fügte er hinzu und damit deutete er auf zwei edle Achech, die am Rand der kleinen Hafenstadt auf uns warteten. Daneben stand ein junger Bote in ähnlicher Kleidung wie Nefathâr - mit dem Unterschied, dass das Tuch um seine Schultern Ärmel und Kapuze formte. Seine hellblauen Augen standen in einem starken Kontrast zu seiner schokoladenfarbigen Haut.
Ohne ein Wort der Begrüßung reichte er uns die Zügel und eine Einladung auf einer Papyrusrolle. Während Nefathâr sich, ohne lange zu hadern, auf den Rücken des Achech schwang, bewunderte ich das goldene Gefieder des Wesens. Die Sonne, die jede Feder reflektierte, blendete mich letztendlich zu sehr und ich stieg auf.
Keine Sekunde später erhoben sich unsere Reittiere in die Lüfte und schlugen den Weg weiter nach Süden ein. Bislang konnte ich keinen Palast entdecken. Nur goldenen Sand. 
Erst als der Hafen und dessen Stadt weit hinter uns lagen, erkannte ich verschwommene Umrisse in der Ferne. Sie wurden größer und größer. Sand lag in der Luft und verschlechterte meine Sicht, weswegen ich den Achech höher hinauf lenkte, bis die Luft klarer wurde und der Sand aus meinen Augen weichte. Und einen entdeckte Lâryug, der etwas entfernt eifersüchtig in meine Richtung schnaubte. Aber er konnte kaum abstreiten, dass die Umwelteinflüsse des Südens ihn schwächten und der Achech resoluter dagegen war.
Vor uns erstreckte sich ein riesiger, aus Sandstein geformter Palast. Die orientalische Architektur verschmolz teilweise mit rohen und gigantischen Edelsteinen, während kleinere Juwelen wie Sterne an den Wänden schimmerten. Turm für Turm formten gemeinsam mit Verbindungsbrücken eine große Spirale. In der Mitte stand ein spitzer, hoher Turm. Die Magie, die von dem Gebäude ausging, war beträchtlich, wenn auch nicht so sehr, dass es mich von den Socken riss.
Der Achech landete neben Nefathâr und damit direkt vor dem Palast. Eine androgyne Person, dessen Gesicht von Seide bedeckt war, nahm die Wesen in ihre Obhut und sah sich die Einladung in Nefathârs Hand an, ehe er uns zum Tor winkte.
Ein Riese hätte durch den Eingang gepasst, so hoch und so breit war er. In die Sandsteine hatte man Abbilder der ersten Herrscher sowohl als auch der derzeitigen eingemeißelt. Die Wachen mit Speeren und goldenen Helmen links und rechts davon öffneten uns die Tore und ließen uns damit ins Innerste passieren.
Ein Mann und eine Frau nahmen uns in Empfang. Es handelte sich weder um König noch um Königin. Wie die Wachen trug der Mann um seine Taille einen breiten Ring aus purem Gold. Seine untere Körperhälfte bedeckt von zwei Schichten Seide in Brauntönen und seine Unterarme geschmückt mit stählernen Goldschienen.
Die Frau besaß dunkles Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte und trug Seide um Brust und Unterleib. Auf ihrem Kopf lag ein Tuch mit Goldplättchen. Ihre Kleidung erinnerte mich ein wenig an Bauchtänzer. Während der Mann kantige Bauchmuskeln besaß, hatte sie eine kurvige, natürliche Figur.
"Der König und die Königin erwarten Euch", sprach der Mann und deutete uns, ihm zu folgen.
Seine Begleitung schien ein wenig freundlicher, denn sie schenkte uns ein sanftes Lächeln, bevor sie uns den Weg leitete.
Ich tauschte einen kurzen Blickwechsel mit Nefathâr aus, bevor wir uns in Bewegung setzten.
Angst und Neugierde saßen in meiner Brust. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich hoffte inständig, dass die Majestäten nicht in der Lage sein würden, meine Gedanken zu lesen.
Mit dieser Hoffnung setzte ich einen Fuß vor den anderen.

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