Kapitel 1
„Pass doch auf!", brüllte ein Mann auf einem Heuwagen. Ein junger Bursch hätte beinahe den Wagen zum Kentern gebracht, so eilig wie er es hatte.
Ich zog mir daraufhin die schwarze Kapuze meines Umhangs tiefer ins Gesicht. Als Diebin sollte man vorzugsweise unerkannt bleiben, was allerdings nicht einfach war, wenn man helle Haut, Sommersprossen auf den Wangen und zur Krönung Himmelsfalter-Blaue Haare hatte. In dieser Region besaßen lediglich Magier bunte Haare. Leider verfügte ich nicht einmal über einen billigen Kartentrick. Zu gern würde ich Magie anwenden können wie unser König. Aber ich musste - wie die meisten anderen nicht magischen Wesen - zu einem Hexer oder einer Hexe gehen und Magie kaufen. Ob ein Trank oder ein kleiner Zauber, ein Talisman oder Amulett, das Angebot war vielfältig und sehr gefragt. Lediglich in den östlichen Landen war es üblich, dass nahezu jeder Magie beherrschte, denn es war das Reich der Elfen. Vielleicht wollte ich deswegen zuerst in den Osten reisen.
Ich presste mich mit dem Rücken an eine Fichte und lugte um den Stamm herum. Der Stallmeister lud gerade das Heu ab, eine gute Gelegenheit, um ein Pferd zu stehlen. Zwar würde ich ein königliches Reittier wie einen Greif vorziehen, allerdings gab es keine Möglichkeit, den Palast zu betreten. Ich musste eben nehmen, was ich kriegen konnte.
In einem Moment der Unachtsamkeit des Stallmeisters sprang ich aus meinem Versteck hervor, huschte über den Zaun und schwang mich auf den Rücken eines schwarzen Hengstes. Der Gaul bäumte sich wiehernd auf, wodurch der Stallmeister auf mich aufmerksam wurde und rief: „Hey! Halt!"
Ich tippte mir entschuldigend an die Stirn und trieb den Hengst mit einem Grinsen, das dem Mann verborgen blieb, an. Das Pferd sprang über den Zaun hinweg und während der breitschultrige Kerl hinter mir noch überlegte, wie er mir am schnellsten hinterher konnte, verschwand ich zwischen den duftenden Nadelbäumen.
Erst als ich mir sicher war, dass ich keine Verfolger hatte, ließ ich den Hengst langsamer traben und zog mir die Kapuze vom Kopf.
„Verzeih, dass ich dich erschreckt habe, mein Junge", sagte ich zu meinem neuen Reittier und klopfte ihm sanft drei Mal auf die Schulter. Er schnaubte leicht beleidigt, was ich ihm schlecht verübeln konnte.
Während des Ritts befestigte ich meine Tasche am Sattel, die ich vor meinem kleinen Diebstahl mit Vorräten gefüllt hatte. Damit würde ich einige Zeit über die Runden kommen. Zudem boten die Wälder jede Menge an Nahrung. Die meisten Pflanzen konnte man essen und einen Fluss sowie mehrere Bäche gab es ebenfalls. Da ich hier kein Handy besaß, mit dem ich hätte Musik hören können, lauschte ich den Vogelgesängen und summte gut gelaunt vor mich hin.
Gedankenverloren spielte ich mit den silbernen Ringen an meinen Fingern herum - die alle geklaut waren. Weshalb ich ausgerechnet eine Diebin geworden war? Wohl aus Frust wegen meinem realen Lebens und weil ich ansonsten nicht gewusst hätte, was ich stattdessen hätte machen sollen. Da ich über keine Magie verfügte und bestimmt keinen Mist schaufeln oder Küchenböden schrubben wollte, hatte ich mich für den Weg als Diebin entschieden. Abgesehen davon war ich zu Wachzeiten stets das nette Mädchen für alles gewesen. Ich empfand es als mein Recht, in meinen Träumen weniger nett zu sein.
Mit den riesigen Bergen zu meiner Linken steuerte ich die Gebirgskette im Osten an. Die Sonne blendete mich - ich hasste Sonne. Zumindest wusste ich jetzt, dass es die Mittagszeit hier noch nicht erreicht hatte.
Es vergingen einige Stunden. Die glühende Scheibe wanderte über meinen Kopf hinweg Richtung Süden. Mein Hintern fing durch den langen Ritt langsam an, taub zu werden.
"Ich wünschte, ich hätte das nötige Kleingeld für einen Teleportationsstein...", seufzte ich. Streng genommen gab es hier keine Währungen. Man bezahlte mit Gütern - eine Art Tauschhandel. Leider wollten Magier im Gegenzug entweder wertvolle Artefakte oder die DNA des Käufers (was alles andere als anzuraten war). Es kam vor, dass ich Artefakte für Magier stahl und im Gegenzug kostbare Zauber bekam, allerdings musste ich bislang nichts stehlen, dass den Wert eines Portals gleichkäme.
"Frustrierend, dass ich in meinen eigenen Träumen kein Magier bin", grummelte ich. "Selbst hier mache ich mir das Leben unnötig schwer."
Der Gaul wieherte und schnaubte, als wollte er mir sagen, ich solle aufhören zu jammern. "Stimmt. Ich sollte dir einen Namen geben, oder?", meinte ich an das Pferd gerichtet.
Ich überlegte und überlegte, nur fiel mir nichts passendes ein. Was Namen anbelangte war ich eine ideenlose Niete.
"Ah", rief ich aus. "In meiner Welt gibt oder gab es einen sehr berühmten Schriftsteller. Er war ein Genie in jeder Hinsicht. Sein Name war Tolkien. Er erfand seine eigenen Sprachen und darunter hatte er wunderschöne Namen. Ich benenne dich jetzt nach einem seiner Elfen. Du bist stolz und anmutig. Von nun an sollst du Thranduil heißen."
Der Hengst wieherte, was ich einfach als Zustimmung ansah. Ich empfand es als Ehrung eines Schriftstellers, der Welten gesehen hatte, die andere nicht sehen konnten.
Der Weg brachte uns an eine Gabelung. "Hmm... Hier kam ich bislang nie vorbei", murmelte ich.
Ich ließ mein Reittier vor der Wegtafel Halt machen. Der Pfeil nach links sagte "Trollhaus". Auf dem nach rechts prangten wunderschöne, kryptische Symbole. Die Schrift der Nyphtùs. Zum Glück war ich in der Lage, die meisten Zeichen zu lesen. Sie funktionierten nicht wie das lateinische Alphabet, sondern viel eher wie die japanischen Schriftzeichen Kanji und Hiragana.
Mit einem Finger fuhr ich über die Einkerbungen. Schnörkel, Kreise, eckige Symbole und Schlangenlinien. Was auf dem ersten Blick aussah wie wirre Kritzeleien, war in Wahrheit ein gut durchdachtes Schriftsystem.
"Da wir nicht zum Trollhaus wollen, gehen wir besser nach rechts", meinte ich, ehe ich Thranduil in jene Richtung leitete.
Der Wind wehte mir den Geruch der Wegesblumen in die Nase. Es war ein süßlicher Geschmack. Die Blume hatte zarte, pinke Blüten und einen spitz zu laufenden Nektarkolben in der Mitte. Ihre Blätter waren dunkelgrün und fächerartig. Ich hatte keine Ahnung, wie die Blume tatsächlich hieß. Wegesblume nannte ich sie lediglich, weil sie ausschließlich am Rand von Pfaden wuchs.
Am veilchenfarbenen Himmel zogen dunkle Wolken auf. Die helle Sonne schien schwächer und die Luftfeuchtigkeit stieg. So sehr ich Regen liebte, für eine längere Wanderschaft war es nicht das idealste Wetter. Ich trieb Thranduil in einen schnellen Galopp.
"Lass es uns wenigstens bis zum Fuße der Berge schaffen.", rief ich. "Dort finden wir bestimmt eine Höhle, in der wir uns unterstellen können."
Leider lag die Gebirgskette mindestens drei Kilometer entfernt. Zu meinem Glück hatte ich mir wohl den schnellsten Gaul ausgesucht. Der Stallmeister war bestimmt nicht erfreut darüber.
Am Himmel flogen Greife vorbei und hinter einem der Gipfel konnte ich mit meinen scharfen Augen einen Phönix zwischen den Wolken brennen sehen. Der Osten schien so nah und war doch so fern.
"Renn, mein Junge, renn!", rief ich, als die ersten Tropfen vom Himmel regneten und Donnergrollen in der Ferne ertönte.
Diese Situation schaffte es, mich zum Lachen zu bringen. Während ich mein Gleichgewicht gekonnt hielt, breitete ich die Arme zu den Seiten hin aus und legte den Kopf in den Nacken. Wieso konnte ich nicht einfach hier bleiben?
Der Regen nahm zu und das Donnergrollen wurde lauter. Zum Glück erreichten wir den Fuß der Berge. Jetzt musste ich lediglich eine Höhle finden.
"Da vorne!", rief ich und lenkte Thranduil nach links. Ein großer Höhleneingang, der von Ranken bedeckt wurde, die verhinderten, dass man ihn sofort entdeckte. Dank des Gewitters entstand ein Luftstrom, der das Grünzeug tanzen ließ und den Eingang freilegte.
Ich sprang von Thranduils Rücken und geleitete den Hengst hinein.
"Das wirkt eher wie eine Art Tunnel...", murmelte ich. "Vielleicht führt er direkt durch die Berge hindurch und ins östliche Reich?"
Um das herauszufinden benötigte ich eine Lichtquelle. Aus meiner Tasche holte ich meinen Kompass hervor. Er war magischer Herkunft und verfügte über eine praktische Funktion. Ich drückte die Krone zwei Mal. Der Deckel sprang auf und eine blaue Lichtkugel stieg empor. Sie schwebte einen halben Meter über dem Gehäuse und wurde heller. Ich hatte das Ding von einem Magier im Austausch gegen Einhornhaar bekommen. Da ich ziemlich gut mit Tierwesen konnte, war es eine der leichtesten Aufgaben gewesen.
Ich klopfte mir einige Tropfen Regen von der Kleidung und nahm die Zügel des Hengstes in die Hand, bevor ich losging. Von einigen Bewohnern Caladiums hatte ich gehört, dass es mehrere Tunnel durch die östlichen Berge gab. Ursprünglich erbaut für Händler und die Meisten davon weitgehend befahren. Leute, die mehr Reichtum besaßen, flogen leicht mit ihren Greifvögeln oder anderen Wesen über die Berge hinweg. Und dann gab es natürlich noch die Teleportationsmöglichkeiten. Seufzend ließ ich bei diesen Gedanken die Schultern hängen. Letztendlich war ich eben lediglich eine Diebin. Egal wie gut meine Fertigkeiten waren, auf diese Weise würde ich es wohl nie weit bringen.
"Aber darum geht's mir ja schließlich nicht", murmelte ich zu mir selbst. "Ich möchte einfach frei sein... Das kann ich bei der Arbeit nicht."
Thranduil sah mich von der Seite aus an und blähte seine Nüstern auf. Bestimmt war er ein Vermögen wert. Ich würde ihn wohl oder übel zurückgeben.
Der Weg wollte kein Ende nehmen. Wie lange war ich bereits unterwegs? Gähnend hielt ich mir eine Hand vor den Mund. Ich hatte mich dieses Mal sofort nach dem Duschen ins Bett gelegt, um genügend Zeit in Caladium zu haben. Dennoch lebte ich hier mit der Angst vor dem Aufwachen als ständigen Begleiter.
"Wenn ich einen Wunsch frei hätte... Oh! Ein Licht!"
Meine Schritte beschleunigend steuerte ich auf den Ausgang zu. Tatsächlich. Das Ende des Tunnels. Als ich an die frische Luft trat und die feuchten Höhlen hinter mir ließ, musste ich feststellen, dass die Sonne bereits unterging und die Landschaft in ein gold-rotes Licht hüllte. Das Gewitter hatte sich über Caladium ausgebreitet, hier im Osten bedeckten lediglich Greife und kleine Drachen einige wenige Flecken des Himmels. Vor meiner Nase erstreckte sich ein dichter Dschungel mit Pflanzen in allen Farben des Spektrums. Manche Arten leuchteten, kaum, dass die Nacht das Land in Dunkelheit hüllte. Am Himmel funkelten tausende Sterne, es wirkte, als hätte jemand Glitzer verstreut. Die zwei Monde gingen gerade erst auf. Einer groß und orange, der andere etwas kleiner und hellblau.
"Wow...", hauchte ich - meine Augen weit aufgerissen. "Wie kann ein Dschungel nur so leuchten!"
Meine Mundwinkel hoben sich bis zu meinen Ohrläppchen. Ich hatte einige Geschichten von Reisenden über Nyphtù gehört, aber es mit meinen eigenen Augen zu sehen, war eine völlig andere Sache und das war erst der Anfang des östlichen Königreiches.
Ich schüttelte meinen Kopf, um aus der Trance in die Gegenwart zurückzukehren, steckte den Kompass zurück in meine Tasche, schwang mich auf mein Reittier und trat den Weg durch das Dickicht an. Die bunten Pflanzen erhellten um mich herum den Weg wie Laternen. Während ich ritt und die Gegend bewunderte, griff ich mit einer Hand in mein Reisegepäck, zog eine Möhre heraus, die ich Thranduil gab und eine türkise Frucht, die ähnlich wie die irdische Drachenfrucht schmeckte, man jedoch essen konnte, wie einen Apfel.
"Oh!", rief ich mit vollem Mund. "Der Fluss!"
Einige Meter links von uns bahnte sich der große Fluss Almath seinen Weg durch das Dickicht. Er floss durch die zwei Königreiche Caladium und Nyphtù, war fünfzehn Meter breit, ungefähr vier Meter tief und mündete in den Ozean. Er entsprang in Nyphtù aus einer Quelle (die ich natürlich unbedingt sehen wollte). Dieser Quelle wurden heilende Wirkungen nachgesagt. Von solch einer Macht, dass selbst schwerverletzte Krieger in dem Wasser ihre Wunden heilen und dem Tod entgehen konnten. Almath selbst besaß zwar ebenfalls heilende Kräfte, allerdings längst nicht von solch einem Ausmaß.
Ich zog die Zügel abrupt an, um den Hengst zum Stehen zu bringen. Im Wasser des Flusses (das Wasser war so klar, dass man bis auf den Grund sah) schwammen drei Encantados vorbei. Pinke Delphine, die in Flüssen lebten und sich zu Vollmond in Männer verwandeln konnten, um sich den Feiern der menschlichen Wesen anzuschließen.
Ihr Körper schimmerte und hinterließ eine funkelnde Spur, die nach einigen Sekunden verschwand. Obwohl sie unter dem Wasserspiegel blieben, konnte ich ihre quiekenden und trällernden Laute deutlich hören. Der Name Encantado stammte aus der irdischen Welt, da ich nicht wusste, wie sie hier genannt wurden - das traf auf einige Wesen zu, die mich an Mythen der realen Welt erinnerten.
"Wie schön...", murmelte ich. Ein ohrenbetäubendes Kreischen riss mich aus meinem Staunen heraus. Thranduil wieherte und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
Ich drehte mich um meine eigene Achse, nur um wenig später beinahe von einem Olitiau mitgerissen zu werden. Olitiaus waren flughundartige Wesen, größer als Menschen. Ihr riesiges Maul beherbergte dutzende spitze Zähne, die nur darauf warteten, etwas zerfleischen zu können.
"Renn, mein Junge!", rief ich - Thranduil antreibend. Unser Leben hing jetzt von seiner Schnelligkeit ab.
Die Riesenfledermaus flog erneut auf mich zu und streckte ihre Klauen nach mir aus. Ich duckte mich unter ihr hinweg und wich mit Thranduil nach rechts aus. Wir kamen vom Weg ab und rasten durch das Dickicht. Bunt leuchtende Blätter peitschten mir ins Gesicht, Ranken kratzten mir mit ihren Wiederhaken meine Haut auf und meine Sicht verschwamm. Giftranken.
"Mist...", keuchte ich. Dabei versuchte ich bei Bewusstsein zu bleiben und fischte ein Gegengift aus meiner Tasche. Obwohl ich die Ranken nicht kannte, würde der Trank seine Wirkung tun. Tauschhandel mit Magiern kam einen eben gelegen.
Durch meine kurzzeitig mentale Abwesenheit bemerkte ich zu spät, dass wir drastisch vom Weg abgekommen waren. Zwar schien der Olitiau uns nicht gefolgt zu sein, jedoch befanden wir uns jetzt inmitten eines Sumpfes. Thranduil versuchte mühevoll, nicht ins Wasser zu treten. Zum Glück besaßen die Bäume, die hier wuchsen, so dicke und große Wurzeln, dass ein Pferd darauf laufen konnte. Allerdings leuchteten die Pflanzen hier nicht und die Baumkronen bedeckten den Himmel.
Zwischen den Bäumen blitzten kleine Lichtkugeln auf.
Irrlichter.
Man durfte ihnen auf gar keinen Fall trauen. Hier waren sie zwar als Sumpffeen bekannt, führten einen allerdings genauso in die Irre, wie Irrlichter.
Ich hatte keine Ahnung, wo wir langliefen, noch wie wir hier wieder rauskamen.
"Verdammt...", brummte ich. Just als ich meinen Kompass aus der Tasche ziehen wollte, hörte ich Kampfgeräusche. Metall, das durch die Luft surrte und bestialische Schreie.
"Los, Thranduil!" Mein Begleiter gehorchte und sprang so schnell es ihm möglich war über das Wasser hinweg. Wurzel um Wurzel bis wir seichtes Gewässer erreichten, dass uns nicht sofort verschlucken würde.
In der Dunkelheit gelang es mir, einige Gestalten auszumachen. Ein Mann schien mit Ungeheuern zu kämpfen.
"Allein hat er keine Chance, das sind zu viele!", rief ich, Thranduil weiter antreibend. Kurz vor dem Kampf hielt ich inne und sprang mit einem eleganten Salto vom Rücken meines Gauls. Ich landete direkt neben dem unbekannten Mann. Warum half ich eigentlich? Ich konnte direkt in eine Falle geraten.
Der Mann musterte mich einen Augenblick verwirrt, für mehr blieb nicht die Zeit. Ich zog zwei Dolche aus meinem Gürtel und stürzte mich auf die Ungeheuer, die sich als Tsuchigumo herausstellten. Riesenspinnen, größer als der Mann neben mir und ich zusammen.
Oh, wie ich Spinnen hasste! Jedes einzelne Haar an meinem Körper stellte sich vor Ekel auf, während ich meine Dolche gekonnt in den Leib der Spinne links von mir rammte und der Spinne hinter mir auswich. Beinahe wäre ich in das tiefere, sumpfige Wasser gefallen, hätte der Unbekannte nicht rasch reagiert und mich am Arm gepackt.
Er zog mich zurück auf die Beine. Ich nickte ihm dankbar zu und gemeinsam schafften wir es, die ekelhaften Spinnen zu besiegen. Ihre Leichen lagen mit den Beinen von sich gestreckt verteilt im Sumpf. Es schauderte mir.
Obwohl ich das Gesicht des Mannes nicht erkennen konnte, wandte ich mich ihm zu. Er steckte sein elegant geformtes Schwert weg. Es wirkte wie eine Art Katana.
"Ich danke Euch für Eure Hilfe", ergriff der Unbekannte das Wort, gefolgt von einer leichten Verneigung mit der Hand über dem Herzen. Er besaß einen leichten Akzent, typisch für die östlichen Lande. Seine Stimme klang melodisch warm und erinnerte mich an ein Elfenlied am Lagerfeuer.
Ich erwiderte die Geste. "Nicht doch. Ich habe getan, was jeder getan hätte.", entgegnete ich freundlich.
Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, wie seine Mundwinkel sich leicht hoben. "Mein Name ist Onyr. Verratet Ihr mir Euren?"
Ich riss die Augen auf. Onyr?! Der Fürst des Ostens? Verdammt...
Mein Mund ging auf und zu, ohne, dass Wörter über meine Lippen kamen. Sowie ich meine Sprache wiedergefunden hatte, antwortete ich mit einer tieferen Verbeugung als zuvor: "Verzeiht, dass ich Euch nicht erkannt habe, Fürst Onyr. Ich komme aus Caladium. Mein Name ist Vyora."
"Ihr müsst Euch für nichts schuldig sprechen", erwiderte Onyr sanft. "Ich danke Euch vielmals für Eure Hilfe. Meine Wachen und ich kümmerten uns um die plötzliche Ausbreitung der Tsuchigumo. Leider haben wir uns beim Kampf aus den Augen verloren. Ich nehme an, Ihr seid ebenfalls vom Wege abgekommen?"
Ich nickte. "Dank eines Olitiaus.", erklärte ich. "Ich befand mich auf der Reise durch den Dschungel, um Euer Land zu erkunden, als das Wesen mich und meinen Hengst verspeisen wollte und wir im Sumpf landeten."
Der König nickte. "Ich verstehe.", raunte er. "Dann erlaubt mir bitte, Euch den Weg aus dem Sumpf zu zeigen. Ich würde Euch gerne als Dank für Eure Hilfe in meinen Palast einladen."
Ich erstarrte vor Glück. Etwas Besseres konnte mir kaum passieren! Ich verbeugte mich ein weiteres Mal tief vor ihm. "Wenn das so ist, nehme ich Eure Einladung dankend entgegen."
Gemeinsam mit Thranduil traten wir den Fußmarsch aus dem Sumpf an. Onyr erzählte mir, dass der Dschungel weitaus größer als der Sumpf war und so ließen wir Letzteres bald hinter uns.
Vor uns erstreckten sich Felder - Wasserterrassen, auf denen selbst zu später Stunde eifrig gearbeitet wurde. Eine Art Reis und verschiedenes Gemüse wurden hier angebaut.
"Mein Fürst!", hörte ich jemanden rufen. Mehrere Männer in roter Rüstung kamen herbei geeilt. "Seid Ihr wohlauf?"
Onyr winkte freundlich ab. "Dank der Hilfe dieser jungen Dame geht es mir gut. Haben es alle Wachen aus dem Sumpf geschafft?"
Jener, der wohl der Kommandeur zu sein schien, nickte und verbeugte sich. "Ja, mein Herr. Verzeiht, dass wir Euch aus den Augen verloren haben."
"Macht Euch keine Gedanken darüber.", entgegnete Onyr. "Lasst uns zum Palast zurückkehren."
Die Männer verbeugten sich ein weiteres Mal. "Jawohl!"
Der Fürst des Ostens schien so friedvoll und sanftmütig, dass mein Herz weicher wurde. Da wir den dicht bewachsenen Sumpf hinter uns gelassen hatten, wurde Onyr jetzt vom Mondlicht gezeichnet. Dadurch konnte ich erkennen, dass er spitz zu laufende Ohren, hohe Wangenknochen, eine schmale aber muskulöse Statur und helle Haut hatte. Seine Augen leuchteten in einem mystischen Blau und funkelten wie Sterne oder zwei Labradorite. Dazu dunkle, lange Haare mit kunstvoll geflochtenen Strähnen und einem dunkelgrünen Schimmer.
Die Wache blies in ein gebogenes Horn. Der Brummton, der daraus hervorging, war tief und bereitete mir wohlige Gänsehaut. Es erinnerte ein wenig an ein Kriegshorn.
Statt einen Kampf anzukündigen, landeten wenig später mehrere Wyvern vor uns. Die Drachen erstrahlten in einem Rubinrot. Für den Fürst hingegen landete ein Fenghuan. In dieser Welt hieß der bunte Phönix Paxuviah, was so viel wie Vogel des Friedens bedeutete, somit eine ähnliche Bedeutung wie in der irdischen Realität.
Onyr stieg auf des wunderschönen Vogels Rücken und hielt mir eine Hand entgegen. "Ich lasse Euer Reittier in meinen Palast bringen."
Ich überlegte einen Augenblick. "Wäre es möglich, ihn zurück nach Caladium zu bringen? Ich lieh ihn von einem Stallmeister im Palastdorf."
Der Fürst nickte. "Natürlich", antwortete er warmherzig.
Ich eilte zu Thranduil, nahm mein Gepäck von seinem Rücken, welches ich einem der Wachen reichte und schrieb eine rasche Notiz, die ich in den Sattel steckte. In dieser entschuldigte ich mich höflich beim Stallmeister und teilte ihm den Namen des Pferdes mit. Thranduil bekam zum Abschied eine innige Umarmung.
Als alles erledigt war, ergriff ich die Hand des Fürsten und stieg hinter ihm auf den wunderschönen Vogel, der wie ein Regenbogen am Himmel in allen Farben erstrahlte.
Jetzt begann mein Abenteuer wahrhaftig.
Bonus aus Vyoras Tagebuch: Schriftsystem Nyphtù
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