6|Sehe ich aus, wie die Auskunft?
1.Dezember
»Herzlichen Glückwunsch, Sie dürfen heute das erste Türchen in unserem Kalender aufmachen!«, rief die Verkäuferin erfreut. Ich schaute sie für einen Moment verwirrt an, bis ich realisierte, was sie gesagt hatte und, dass es an mich gerichtet war.
Sofort bildete sich ein enorm großes Grinsen auf meinem Gesicht und ich konnte wetten, dass ich der Grinsekatze Konkurrenz machte, als die Dame mich zu dem großen Kalender führte, der neben der Kasse aufgebaut war. Eilig suchte ich nach dem ersten Türchen.
Ich hatte noch nie etwas gewonnen. Noch nicht mal beim Losen. Deshalb freute ich mich umso mehr, dass ich endlich mal an der Reihe war. Als ich das Türchen endlich fand, öffnete ich es neugierig und zum Vorschein kam eine kleine, pinke Figur. Ich hob sie behutsam aus dem Kalender und betrachtete das Etwas genauer.
Es war eine kleine Keramik-Figur, die die ungefähre Form eines Weihnachtsbaum hatte. Die Figur war pink angemalt, mit ein paar willkürlichen bunten Punkten und einem etwas verunglücktem Stern auf der oberen Spitze. Zur Abrundung war das kleine Monstrum mit ein paar Augen und einem semi-gruseligen Lächeln versehen.
Begeistert schaute ich das Ding an und stellte fest, dass es mit einem samtenen Schleifenband versehen war.
"Die Kalendertürchen wurden allesamt von lokalen Kindertagesstätten, Kinderheimen und Grundschulen gestaltet und hergestellt. Ich hoffe, es gefällt Ihnen." Ich grinste die Verkäuferin an und nickte voller Elan.
"Das ist wirklich wundervoll. Ich habe auch noch nie so ein wunderbares Ornament gehabt. Das wird einen absoluten Ehrenplatz bekommen. Vielen Dank!«
Ich bekam ein fettes Lächeln zurück.
»Ich wünsche Ihnen eine unvergessliche Weihnachtszeit.«
"Das wünsche ich Ihnen auch!", erwiderte ich und lief zum Ausgang. Das Ornament, welches mein Herz im Sturm erobert hatte, hielt ich entzückt vor mein Gesicht, um es noch einmal genauer zu betrachten.
Das Grinsen würde man mir heute nicht mehr so schnell vom Gesicht wischen können.
Mit guter Laune und einem tollen Gefühl in meinem Körper, machte ich mich auf den Weg Nachhause. Den pinken Tannenbaum verstaute ich sicher in meiner Einkaufstasche, schön eingebettet und sicher vorm Kaputtgehen in meinem neusten Weihnachtspulli. Jedes Jahr wurde eine neue Abscheulichkeit von Pullover zu meinem Kleiderschrank hinzugefügt. Eine Tradition, die ich vor ein paar Jahren eingeführt hatte. Jeder Sweater sammelte seine ganz eigenen Erinnerung und deshlab musste jedes Jahr ein neuer her.
Ein kleiner Luxus, den selbst mein knappes Budget nicht verhindern konnte.
Den Weg zurück zu meiner Wohnung verbrachte ich damit, mir die Dekorationen und Weihnachtslichter in der Gegend anzuschauen. Ich staunte wie immer nicht schlecht, als ich die vielen kreativen Ideen sah. Manche schienen richtige Themen Parties zu haben, wenn es um Deko ging, andere beließen es bei traditioneller Beleuchtung.
Seufzend starrte ich die vielen Lichter an und musste mich davon abhalten, traurig zu werden, als mir der Gedanke kam, dass ich mir Weihnachten nicht so schön gestalten konnte, weil ich kein Geld dafür besaß. Aber da ich nicht der einzige Mensch war, dem es so ging, und auch bei Weitem nicht der unglücklichste, hörte ich auf, mich zu bemitleiden und genoss einfach die kostenlose Show, die sich mir darbot.
Wenigstens hatte ich dieses Jahr einen der schönsten Weihnachtsbäume überhaupt.
Irgendwann würde auch meine Zeit kommen, dass Vergnügen zu haben, alles Erdenkliche im Licht der Weihnacht schmücken zu können.
Ich richtete meinen Blick wieder auf den Fußweg vor mir, warf ab und zu einen verstohlenen Blick in die hübsch eingerichteten Schaufenster und auch das ein oder andere Wohnhaus. Wer seine Vorhänge nicht zuzog, musste damit rechnen, dass ich mir einen ungenierten Blick ins Innere nicht entgehen lassen konnte, das war einfach gesunder Menschenverstand.
Seufzend wagte ich mir ebenso einen Blick nach oben und stellte enttäuscht fest, dass es sich um einen klaren, wenn auch bereits dämmerigen Himmel handelte. Wenn es nach mir ginge, dann könnte es schon schneien. Mit dem weißen Wunder war irgendwie alles viel besser, besonders die allgemeine Weihnachtsstimmung wurde dadurch angekurbelt. Und außerdem konnte man so viel mehr Spaß haben. Rodeln, Schneeballschlachten und mit der Kälte würden auch die Gewässer zufrieren und Schlittschuhlaufen wäre wieder möglich.
Doch nach Schnee sah es noch lange nicht aus, wenn man dem Wetterbericht Glauben schenkte. Ich hoffte wenigstens auf eine weiße Weihnacht. Das war das Mindeste, ich hatte schließlich Dinge zu tun, die ohne Schnee schlecht von der To-Do-Liste abzuhaken waren.
Während ich so vor mich hin träumte und an die letzten Jahre zurückdachte, in denen wir meistens das Glück mit weißen Weihnachten gehabt hatten, bemerkte ich gar nicht, wo ich mich befand.
Erst als ich mit jemandem zusammenlief und der ein lautes 'Pass doch auf!' schrie, nahm ich meine Umgebung wieder war. Ich war fast vor der Eingangstür meiner Arbeit angelangt, was nicht etwa mein Unterbewusstsein war, was mich automatisch zur Arbeit führte. Es lag glücklicherweise nur daran, dass der Weg von der kleinen Einkaufsmeile bis zu meinem Zuhause am Café vorbei führte.
Was mich aber etwas irritierte, waren die vielen Menschen vor dem Gebäude. Ich wusste ja, dass unser Café beliebt war, aber diese Art von Ansturm war selbst für einen Samstagmorgen ziemlich ungewöhnlich.
Ich schaute kurz zu der Person, die ich aus Versehen angerempelt hatte und bemerkte noch etwas sehr Verdächtiges. Der Mann mittleren Alters schaute mich nicht an, was eigentlich auch nicht weiter schlimm gewesen wäre. Aber die Tatsache, dass er eine sehr teuer aussehende Kamera in den Händen hielt, machte mich stutzig, sodass ich ihn leicht unsicher am Oberarm antippte.
Zischend drehte er sich zu mir und schaute mich sehr unfreundlich an, sodass ich schnell ein Stück zurück wich und mir mein Vorhaben fast anders überlegte.
»Was?«, maulte er.
»Können Sie mir eventuell verraten, was hier los ist?«, fragte ich zaghaft und er zog seine buschigen Augenbrauen zusammen, als hätte ich ihn zutiefst beleidigt.
»Sehe ich aus, als wäre ich die Auskunft, oder was?«, motzte er wieder und ich hob abwehrend die Hände. Als der Mann sich kopfschüttelnd wegdrehte, sah ich das als Zeichen, dass ich wohl selbst nachforschen musste.
Langsam schlängelte ich mich durch die vielen Menschen und stöhnte genervt, als mich jemand zur Seite drängte.
»Entschuldigung, aber ich laufe hier gerade.«, versuchte ich die scheinbar unaufhaltsamen Leute aufmerksam zu machen, mit wenig Erfolg, wie ich schnell mitbekam. Ich blieb für ein paar Sekunden stehen und versuchte zu sehen, was alle anderen so magisch anzog, erkannte aber rein gar nichts.
Kurzentschlossen machte ich mich auf den Weg zum Hintereingang. Am liebsten hätte ich dem unfreundlichen Pack mein Ass im Ärmel unter die Nase gerieben, aber ich hatte Angst, dass mir plötzlich alle folgen würden, also schlich ich mich eher heimlich zur Hintertür.
Es dauerte nicht lange, da stand ich auch schon in den hinteren Räumlichkeiten des Betriebes und suchte nach jemand Bekanntem. Es schien so, als hätte keiner Pause, weshalb ich auch bis in den Hauptraum lief und wie ein Spion um die Ecke schaute. Das Café war rappelvoll. Das bedeutete, dass ich höchstwahrscheinlich immer noch nicht sehen würde, was hier so viel Tumult verursachte.
Mein Blick huschte zu den Leuten hinter dem Tresen und ich erkannte glücklicherweise Trevor, der am nächsten stand und seine Ellenbogen fast schon gelangweilt auf der sauberen Oberfläche abstützte. Sah ganz so aus, als gäbe es nichts zu tun. Wie das sein konnte, war mir ein Rätsel, immerhin war der Ansturm hier drin riesig.
»Pssst!«, versuchte ich seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Es war mordslaut hier drin, weshalb mich mein Arbeitskollege auch nicht direkt bemerkte.
»Trevor! Hey!«, versuchte ich erneut, dieses Mal mit Erfolg. Sein Blick fand meine Wenigkeit und er fing an zu lächeln. Es dauerte jedoch nur wenige Sekunden, bis seine Miene sich fast schon in Panik verwandelte und dann eilte er auch schon in meine Richtung, die Augen weit aufgerissen.
»Callie! Du meine Güte, was machst du denn hier?«
»Ich war zufällig in der Gegend und dann habe ich die ganzen Menschen gesehen und dann wollte ich wissen, was los ist.«, erklärte ich knapp. Trevor nickte langsam und drehte sich mehrere Male in eine bestimmte Richtung im Gastraum, doch als ich auch nachschauen wollte, was genau er suchte, baute er sich etwas breiter vor mir auf.
»Cals, ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.«, murmelte mein Kollege unsicher.
»Was für eine Idee? Ich stehe einfach nur hier und bin neugierig, wieso hier so viel Betrieb ist. Ist etwas passiert? Ein Unfall? Sind deshalb Leute mit Kameras draußen? Wollen die einen Bericht schreiben?«
»Ach, Quatsch. Es ist nichts Schlimmes. Ich will dich bloß nicht stressen.«
Meine Schultern fielen erleichtert nach unten, doch dann verdrehte ich meine Augen. Dieses Katz-und-Maus-Spiel, bei dem mir niemand meine Frage beantworten wollte, stresste mich mehr, als alles andere. Das war also eine nette aber unnötige Geste.
»So schlimm kann es doch gar nicht sein. Was muss den passieren, dass ich aus der Fassung gebracht werde?« Stur quetschte ich mich an Trevor vorbei. Der versuchte mich noch aufzuhalten, aber ich war schon nicht mehr zu stoppen.
Da es so voll war, dass normale Wege versperrt waren, blieb mir nichts anderes übrig, als zu improvisieren.
Mit einem gekonnten Sprung saß ich auf dem Tresen und schob mich hinüber auf die andere Seite (Gottseidank hatte ich nichts bei meinem Agenten-Move heruntergerissen und zum Glück hatte mich auch niemand gesehen, sonst wäre wahrscheinlich die Hölle los gewesen, von wegen mein Hintern wäre giftig für die Oberfläche bla bla bla). Dann bahnte ich mir mal wieder eine Weg durch im Weg stehende Menschen.
In der Mitte des Gastraumes stehend, drehte ich mich einmal im Kreis und versuchte den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu finden, was auch nicht sonderlich schwer war. Zum einen musste ich nur den Handys folgen, die alle in eine Richtung gehalten wurden. Zum anderen gab zweifellos ein Blase im Café, die in Relation zum restlichen Raum viel karger gefüllt war.
Ein Mann - das Epizentrum des Wahnsinns - umgeben von zwei augenscheinlichen Bodyguards, die die Massen zurückhielten und Platz für die eine privilegierte Person schafften.
Als ich dort stand, die Lippen geschürzt und Stirn gerunzelt, schienen mich nach und nach ein paar Leute zu bemerken. Ich bekam davon anfangs gar nicht viel mit, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, zu überlegen, ob ich Trevor's Rat hätte befolgen sollen. Aber als sich irgendwann immer mehr Gesichter in meine Richtung drehten und Münder anfingen zu tuscheln, kam ich mir schon etwas unwohl vor.
Mein Blick glitt kurz über die ganzen unbekannten Gesichter, dann wieder zu dem gutaussehenden Mann, der mich anscheinend nun auch entdeckt hatte.
Meine Augen zu Schlitzen geformt, wartete ich auf etwas, das nicht kam. Und irgendwann war mir das endlose Rumstehen und Anstarren dann doch zu blöd, weshalb ich mich einfach umdrehte und weg ging.
Mein eigentlicher Plan, wieder über die Theke zu hüpfen, wie ein richtiger Stuntman, fiel aus, da ich mir nun der vielen Blicke bewusst war und ich womöglich durch die viele Aufmerksamkeit so tollpatschig werden würde, dass ich die ganze Kasse auf den Boden beförderte. Also lief ich wie jeder normale Mensch zur eigentlichen Öffnung, durch die Mitarbeiter normalerweise gingen... das klappte nämlich plötzlich ganz wunderbar, weil die Leute mir Platz machten, als wären sie das Rote Meer und ich Moses höchstpersönlich.
Dann verschwand ich schnell wieder in den verborgenen Räumlichkeiten. Ein weiteres Wortgefecht mit diesem Kerl konnte ich doch glatt umgehen. Zumal er hier in meinem Territorium war und ich nicht länger in seinem. Ich war hier das Alpha Tier und als genau dieses, beschloss ich, dass es das Beste war, ein weiteres Aufeinandertreffen zu umgehen.
»Du hättest mich ja schon etwas mehr vorwarnen können.«, meinte ich zu Trevor, der mich entschuldigend ansah.
»Ich hatte keine Ahnung, wie du reagieren würdest. Es ist immerhin der Coda Walker.«
Schulterzuckend verdrehte ich die Augen, verzog meine Lippen jedoch zu einem spöttischen Lächeln.
»Ich sehe ihn ja nicht das erste Mal. Aber solltest du nicht ein bisschen mehr aus dem Häuschen sein? Immerhin wolltest du ihn doch so gern an meiner Stelle treffen."
Trevor gab einen nicht sehr begeisterten Ton von sich und winkte ab.
"Der Kerl ist schlecht fürs Business. Zwar ists hier vollgestopft bis in alle Ecken, aber alle sind nur zum Gaffen da und niemand kauft irgendwas. Und alle, die etwas bestellen wollen, schaffen es nicht mal zur Theke. Außerdem, als der Kerl vor circa zwei Stunden reingekommen ist, hatte ich genügend Zeit, ihn mir anzuschauen. Aber inzwischen stehen so viele Leute vor ihm, dass ich nicht mal was zum Gucken habe."
"Könnt ihr die Leute nicht einfach wegschicken? Wer nichts kauft, ist nicht willkommen, oder so?"
"Einfacher gesagt, als getan. Callie, Fan-Girls sind verrückt. Und Paparazzi sind noch schlimmer." Trevor warf mir einen vielsagenden Blick zu. Wenn ich da an Elena dachte und die Tatsache, dass sie wahrscheinlich auf einer Fan-Girl Skala noch nichtmal in der oberen Hälfte landen würde, konnte ich es mir ganz gut vorstellen.
"Und was ist mit dem Kerl? Er muss doch irgendwann mal gehen, oder nicht? Zwei Stunden alleine in einem Café abzuhängen ist doch irgendwie etwas Hardcore, wenn man die ganze Zeit Publikum hat, oder nicht? Wenn ich berühmt wäre, würde ich wahrscheinlich nur noch To-Go bestellen."
Trevor sah mich fast schon mitleidig an und nahm plötzlich meine Hand in seine.
»Cals, er ist hier nicht hergekommen, um Kaffee zu trinken.«
»Wieso zur Hölle ist er dann hier?«
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