4|Nackte Tatsachen
27.November
»Callie, komm schnell! «, rief Elena aus dem Wohnzimmer und schnappte sich so meine Aufmerksamkeit. Ich legte das Geschirrtuch auf die Anrichte in der Küche und schlurfte alles andere als schnell in die Richtung der Stimme.
Wie fast jeden Dienstagabend beglückte mich Elena mit ihrer Anwesenheit in meinem Zuhause. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie sich hier wohler fühlte, als in ihrer eigenen Wohnung. Kein Wunder; bei ihr stapelten sich haufenweise Unterlagen für die Arbeit, was nicht gerade zu einem wohnlichen Umfeld führte. Mich störten ihre stetigen Aufenthalte kein bisschen. Sie war schließlich meine beste Freundin und wieso sollte das hier nicht als ein zweites Örtchen zum Wohlfühlen dienen?
»Was gibt's denn?«, fragte ich, während ich meine, in zwei Decken eingemummelte Freundin von oben her anschaute und meine Ellenbogen auf die Rücklehne des Sofas stützte.
»Rate mal, wessen Interview gerade im Fernseher ausgestrahlt wird.« Mit gerunzelter Stirn wandte ich mich dem laufenden Gerät zu. Woher sollte ich denn wissen, was gerade lief? Es war nicht so, als würde ich das Programm ständig auswendig lernen. Und besonders Promi Klatsch und Tratsch gehörte nicht zu meinen bevorzugten Entertainment Optionen.
»Keine Ahnung. Wieso sagst du es mir nicht einfach?«, säuselte ich zuckersüß, als ich eine braunhaarige Nachrichtensprecherin auf dem Bildschirm ausmachte. Elena schnaufte genervt, als ich nicht auf ihre Spielchen einging und setzte sich mühsam auf. Die Decken waren weiterhin um ihren Körper gewickelt und ich konnte mir vorstellen, dass es ein wirklich warmer Kokon war, in dem sie sich da befand. Er machte es allerdings nicht gerade einfach, sich zu bewegen.
»Callie, denk einfach ein kleines bisschen nach! Ich hätte dich ja wohl nicht umsonst hier hergerufen.«, meckerte El und sah mich finster an.
»Four Kings! Four Kings gibt gerade ein Interview!«, rief sie auf einmal und ich wich beim Volumen ihrer Stimme etwas zurück.
»Du meinst die Band?«
»Natürlich meine ich die Band! Was denn sonst? Du solltest komplett aus dem Häuschen sein, schließlich hast du Coda Walker höchstpersönlich einen Baum ärmer gemacht!«
Ich stellte mich wieder gerade hin und blickte erneut zum leuchtenden Bildschirm auf dem mehrere, junge Männer eingeblendet wurden. Da ich aber nicht lang genug hinsah, konnte ich nicht genau sagen, ob der Kerl dabei war, der meine beste Freundin zum Erstarren gebracht hatte. Und ehrlich gesagt war es mir auch so ziemlich egal, ob gerade das Interview von ihm und seinen Freunden kam, oder nicht. Das Erlebnis von vor zwei Wochen hatte ich bereits verdrängt und ich konzentrierte mich lediglich noch auf das einzig Gute, was daraus geworden war.
Mein Blick fiel auf den wunderschönen Weihnachtsbaum, welcher prächtig geschmückt neben dem Fernseher stand und dessen Lichter fröhlich um die Wette funkelten. Er passte wirklich fantastisch in mein Wohnzimmer und ich war stolz auf mich, dass ich diesen Baum ausgewählt hatte. Prominentes Aufeinandertreffen hin oder her.
»Das ist nicht unbedingt ein Grund, wieso ich plötzlich auf ihn abfahren sollte. Und noch weniger bedeutet das, dass ich auf einmal Fan von Four Kings bin und sie stalke.«, erklärte ich Elena, die dafür keinerlei Verständnis zu haben schien. Entgeistert schaute sie mich an, als hätten wir dieses Thema nicht schon mehrere Male seit besagtem Tag durchgespielt.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du hast Coda Walker höchstpersönlich getroffen, mit ihm gesprochen und ihn beklaut und willst mir sagen, dass du ihn nicht zum Anbeißen findest? Warum bin ich nochmal mit dir befreundet?«
Seufzend machte ich einen geübten Hocksprung über die Lehne und plumpste neben Elena auf die weichen Polster.
Wieso sie so dramatisch war, wusste ich nicht wirklich. Normalerweise war sie nicht so. Eigentlich war ja eher ich die Verrückte von uns beiden, aber ich musste zugeben, dass sie mich in den letzten Tagen irgendwie getoppt hatte.
Anscheinend war ihr die Begegnung mit dem Schlagzeugspieler zu Kopf gestiegen und sie hatte sich eingeredet, dass das Treffen ein Omen war.
Dummerweise bezog sie das Omen nicht auf sich selbst, sondern spann allerlei Illusionen, die mich und den Superstar in einer Klischee gefüllten Romanze abbildeten.
»Ich gebe zu, er sah gut aus. Aber was solls?«, fragte ich gleichgültig und lehnte mich entspannt zurück.
»Was solls? Wenn ich du wäre, würde ich wie eine Wilde in der Gegend herum rennen und von ihm schwärmen. Du solltest deine Zeit damit verbringen mir deine Fantasien über eure perfekte Weihnachts-Love-Story zu erzählen! Das ist das einzig Richtige in dieser Situation!«
»Komm schon... Wirst du jetzt auf ewig damit anfangen, sobald du den Kerl online zu Sehen bekommst?« Mein Blick war eine Mischung aus Anklage und Hoffnung, dass es nicht so kommen würde.
»Ich habe ihn einmal gesehen. Vor zwei Wochen! Daraus entsteht nicht plötzlich eine Winter Wonderland Geschichte. Und außerdem muss man sich verlieben, damit sowas überhaupt passiert. Und glaube mir, ich bin ganz sicher nicht in ihn verliebt, egal, wie er aussehen mag. Er hat mir immerhin deutlich mitgeteilt, dass er Weihnachten nicht versteht. Und was soll ich mit einem Mann, der meine Lieblingsjahreszeit nicht ernst nimmt?«
»Du sagst mir gerade allen Ernstes, dass du keine Beziehung mit ihm anfängst, weil er Weihnachten nicht mag?«
»Nein, El, ich sage dir gerade, dass es niemals eine Beziehung geben wird, da wir uns einmalig getroffen haben. Rein zufällig und ohne Absicht. Und das bedeutet, dass da keine Fantasien nötig sind. Es wird nichts passieren.«, versuchte ich ihr zu erklären, doch sie machte diesen einen Gesichtsausdruck, der verdeutlichen sollte, wie stur sie war.
»Callie, du weißt, wo er wohnt. Du weißt, wo verdammt nochmal Coda Walker wohnt! Und du redest davon, dass du ihn nie wieder sehen wirst!? Ist das denn zu glauben? Gerade du, als Weihnachtsliebhaber solltest doch an den Geist des Festes denken und dir eine Liebesgeschichte ausmalen, wie du sie dir zu Weihnachten hundertfach anschaust!«
Ich schüttelte seufzend den Kopf und zupfte an einer Ecke der Decke, sodass ich vielleicht wenigstens meine Füße wärmen konnte. Wir schienen echt Rollen getauscht zu haben. Unfassbar.
»Ich werde nicht zu seinem Haus gehen. Und Elena Chapman, ich verbiete es dir genauso! Wehe ich bekomme mit, dass du ihn belästigst! Dass du ihm auf so gut wie jeder Social Media Plattform stalkst ist schon besorgniserregend genug. Sieh es einfach ein, es wird keine Weihnachtsgeschichte mit einem Star geben und du wirst auch niemals Coda's Schwägerin werden.«
Daraufhin sagte meine Freundin nichts mehr, sah mich nur stumm an und drehte sich letztendlich mit zusammengezogenen Augenbrauen und eindeutig schmollend zum Fernseher zurück. Ich lächelte siegessicher und folgte ihrer Blickrichtung.
Es wurden wieder die vier Jungs eingeblendet, allerdings war es nicht nur ein Bild, sondern eine Videoaufnahme und dieses Mal betrachtete ich sie genauer. Ganz links war Coda, welcher ziemlich emotionslos dasaß. Dann kam ein Dunkelhaariger Typ, der gerade nickte und kurz auflachte, wobei man seine Grübchen und weißen Beißerchen sah. Rechts neben ihm saß ein jünger aussehender Kerl mit hellbraunen Locken und einem verschmitzten Grinsen und ganz rechts war ein dunkelblonder Typ abgebildet, der seine Arme verschränkt hatte und in die Richtung der anderen Jungs schaute.
Ich überlegte kurz, ob ich wieder aufstehen und das Geschirr weiter trocknen sollte, aber als Elena das Programm lauter stellte, entschied ich, einfach noch ein paar Minuten hier zu bleiben und zuzuschauen.
»Dem Interview zu folgen, war die diesjährige Tour der Jungs ziemlich interessant und besonders die weiblichen Fans scheinen einiges zum Gucken gehabt zu haben.«, berichtete die braunhaarige Reporterin und lächelte in die Kamera. Dann wurde ein Ausschnitt des Interviews eingeblendet.
»Was würdet ihr sagen, war eine unvergessliche Erinnerung an eurer diesjährigen Tour?«, fragte eine rothaarige Frau, bevor das Bild zu den vier Jungs wechselte. Der Typ ganz rechts fing an wie ein Irrer zu grinsen und blickte kurz zu seinem Nachbar.
»Definitiv als Leon eine Spinne in der Dusche gesehen hat und er kreischend, wie ein kleines Mädchen, durch den Hotelflur gerannt ist. Splitterfasernackt. Das Zimmermädchen, das er fast umgerannt hat, wird das wohl auch nicht so schnell vergessen.«, lachte er und klatschte sich auf den Oberschenkel. Ich fing an zu schmunzeln, als Leon, der wie der Jüngste in der Gruppe aussah, eingeblendet wurde und sein Gesicht nun die Farbe einer Tomate besaß.
Die Vorstellung von der Situation war wirklich amüsant. Ich fragte mich, ob das Zimmermädchen nach dem Zusammenstoß auch von ihrer besten Freundin dazu gedrängt wurde, sich eine Beziehung mit dem Band Mitglied einzubilden.
»Melissa Miller hat zudem nicht nur einige nackte Tatsachen aus den vier Superstars gekitzelt, sondern auch ans Licht gebracht, dass ein Weihnachtsspecial von Four Kings wohl nicht zu erwarten ist. Der Grund sei die strikte Abneigung des dreiundzwanzig Jahre alten Drummers Coda Walker. Der habe allen Anschein keinen Bezug zu der schönsten Zeit des Jahres.«
Meine Augen schnellten zu Elena und ich sah sie mit meinem 'Habe ich es nicht gesagt?'-Blick an, woraufhin sie ihre Augen verdrehte.
»Aber nicht nur die Empörung einiger Weihnachtsfanatiker lenkt derzeit die Aufmerksamkeit auf das attraktive Bandmitglied. Erst heute Morgen veröffentlichte der Junggeselle eine außerordentlich eigenartige Reaktion eines Fans auf ihn und schaffte so nicht nur, die Wogen, die durch sein Statement aufgekommen waren, etwas zu glätten und in den Hintergrund zu schieben. Er lässt seine Fans auch grübelnd und verwundert zurück. Denn alle fragen sich nun eins. Wer ist das mysteriöse Mädchen mit dem Tannenbaum und wieso scheinen Coda und sie so vertraut miteinander?«
Ich horchte ungewollt auf, als ein Tannenbaum genannt wurde, hatte allerdings keine Zeit, darüber nachzudenken oder mich vorzubereiten, denn schon im nächsten Moment wurde ein Handyvideo gezeigt.
Ich sah zu, wie ein Mädchen mit kurzen, dunklen Haaren einen Baum in Richtung Auto zerrte, während man seitlich im Video ein anderes Mädchen sehen konnte, welches stocksteif dastand und scheinbar mitten in einer Bewegung stehen geblieben war.
Mit geweiteten Augen, drehte ich mich schnell zu Elena, musterte sie kurz und stellte mit Grauen fest, dass es sich tatsächlich um meine beste Freundin handelte. Noch schlimmer war nur die Realisation, dass ich das andere Mädchen sein musste, wenn man den Hinweisen folgte.
Es gab einen Schnitt im Video, man sah, wie ich mich abmühte, den Baum in den Kofferraum zu ziehen, während ich mich alles andere als anmutig rückwärts durch den Innenraum des Autos quälte und Elena weiterhin keinerlei Anstalten machte, sich zu regen.
Noch ein Schnitt und ich stand neben meiner Freundin und wedelte meine Hand vor ihrem Gesicht hin und her. Man hörte, wie ich ihr sagte, dass kein super-heißer Drummer ihr Leben retten würde, falls sie nicht atmete und dann sah ich zu, wie ich nahezu enthusiastisch auf die Kamera zulief, als ich merkte, dass Elena gefilmt wurde.
Der Clip endete, nachdem man mich fragen hörte, ob Coda mir das Video schicken konnte.
Ich blendete das TV-Programm aus, weil ich das Gesehene erst einmal sacken lassen musste. Was zur Hölle war da gerade passiert?
Empört und mit offenem Mund drehte ich mich zurück zu Elena. Irgendwie hatte ich erwartet, dass sie mindestens genauso entrüstet, wie ich sein würde und sich in Grund und Boden schämte, weil ihr Statuen Stunt für die ganze Welt zu Sehen war. Stattdessen saß sie da, ein breites Lächeln im Gesicht und mit einem Blick, der schrie, dass sie auf Wolke 7 schwebte.
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich sie und musste nicht mal lange auf eine Erklärung warten.
»CODA WALKER KANN SICH AN MICH ERINNERN! UND ER HAT EIN VIDEO VON MIR GEPOSTET!«
Ich lehnte mich nicht annähernd genauso begeistert zurück und verschränkte verärgert meine Arme vor der Brust.
"OH MEIN GOTT! CALLIE! ICH KANN'S NICHT GLAUBEN!"
Ich verdrehte meine Augen und schnaufte grimmig.
"Und ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet ein Superstar keinerlei Respekt für Privatsphäre hat und einfach ohne Erlaubnis ein Video von fremden Menschen postet. Das sollte verboten sein! Vielleicht ist es das sogar. Gibt's nicht sowas, wie Recht am eigenen Bild?" Ich grübelte und beschloss später nachzuforschen.
"Vielleicht kann ich den Arsch verklagen und bekomme eine fette Abfindung. So ein Video kann doch sicher als Verleumdung zählen. Was ist, wenn die Leute online anfangen, sich über dich lustig zu machen?"
Ich schaute zu meiner Freundin, die gar nicht auf meine Worte reagierte. Elena hatte sich inzwischen aus ihrem Kokon befreit, ihr Handy geschnappt, irgendetwas darauf herumgetippt und schlug nun mehrfach und keines Falls sanft auf meinen Oberarm ein.
"El, lass das! Das tut weh!"
"Oh Mann! Die Leute shippen dich und Coda!", lachte sie mit dem größten Grinsen im Gesicht. Sie strahlte heller als die Sonne, als sie auf dem Display scrollte.
"Ich hab doch gesagt, das wird die beste Love Story aller Zeiten."
"Was ist daran bitte auch nur ansatzweise gut? Ich werde mit einem Grinch geshippt? Skandalös! Und was an diesem Video sagt auch nur im Geringsten, dass Coda und ich 'vertraut' miteinander sind?"
"Ist doch egal. Was viel wichtiger ist... wieso habe ich keine Benachrichtigung bekommen, dass Coda was gepostet hat?"
Ich verdrehte erneut die Augen und ließ meinen Kopf mit einem unzufriedenen Laut nach hinten fallen. Dann schaute ich betrübt zu meinem Weihnachtsbaum. Das alles ist dann wohl der Preis, den ich für dich zahlen muss.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top