3|Paparazzi-Freunde
»Callie! Oh Gott, geht es dir gut? Sie haben doch nicht auf dich geschossen, oder? Bist du verletzt? Und wo bist du? Muss ich weit fahren? Siehst du ein Straßenschild?« Ich musste etwas grinsen, als ich die panische Stimme in mein Ohr kreischen hörte.
»El, du kannst dich beruhigen. Mir geht's wundervoll. Kannst du zu mich einsammeln kommen? Ich habe Angst, dass ich meinen Tannenbaum kaputt mache, wenn ich ihn über den Boden schleife.«
»Mädchen! Ich habe mir vor Panik fast ins Unterhöschen gemacht!«, rief Elena am anderen Ende der Leitung und ich verkniff mir ein Kichern. Ihren Blick konnte ich mir gerade nur zu gut vorstellen.
»Kein Grund zur Sorge. Komm einfach zurück zum Haus.« Auf ihr zustimmendes Summen legte ich auf und steckte mein Handy zurück in meine Jackentasche.
»Ich hoffe, du hast nicht gerade deine Paparazzi-Freunde gerufen. Falls doch, dann überlege ich es mir vielleicht nochmal anders mit der Polizei.«
Überrascht, dass Coda Walker noch immer hier draußen stand und nicht bereits zurück in sein Haus verschwunden war, drehte ich mich wieder zu ihm um. Meine Augen ließen es sich nicht entgehen, über seine komplette Figur zu wandern. Verdammt, vielleicht sollte ich anfangen, die Promi News zu verfolgen. Er sah wirklich gut aus für einen Kerl. Welch Seltenheit! Definitiv etwas, womit man seine Augen tagtäglich segnen konnte.
Seine hellbraunen Haare waren in natürlichen Wellen auf seinem Kopf drapiert, doch ich konnte mir denken, dass der lässige Look mehr Zeit zum Stylen in Anspruch nach, als meine komplette Make-Up Routine. Coda's dunkle Augen sahen irgendwie verführerisch aus, weil sie mit so dicken Wimpern umrandet waren und seine Wangen- und Kieferknochen gaben ihm eine gewisse Härte, die alles perfekt abrundete. Er trug einen schwarzen Strickpulli, dunkle, zerrissene Jeans und irgendwelche sau-teuren Designerschlappen. Sein Rockstar Image schien er wohl selbst in seinen eigenen vier Wänden nicht abzulegen.
Nachdem ich ihn kurz genauer unter die Lupe genommen hatte, räusperte ich mich.
»Das war nur mein Taxi. Kein Grund zu übertreiben«, erklärte ich und drehte mich dann wieder weg, um die Straße zu beobachten. Was dauerte denn so lange? So weit weg hatten wir doch gar nicht geparkt... Eins war klar, wenn ich am Steuer gesessen hätte, dann wäre das Auto schon hier und wir wären beim Verladen des Baumes.
Aber ich wartete schließlich auf einen der wenigen vernünftigen Menschen in meinem Leben, also war es irgendwie doch nicht so verwunderlich, dass sich an Verkehrsregeln gehalten wurde und Abholzeiten dementsprechend etwas länger dauerten.
Da ich nichts zu tun hatte und mir direkt langweilig wurde, drehte ich mich also doch wieder zu dem Schlagzeuger um.
»Willst du nicht langsam wieder rein gehen? So ganz ohne Jacke ist es ziemlich frisch.«
»Ich passe lieber auf, dass nicht noch mehr Leute in meinen Vorgarten schleichen und meine Bäume fällen«, antwortete Coda unbeeindruckt.
»Ich glaube nicht, dass noch jemand so verrückt ist, wie ich. Und außerdem habe ich den schönsten Baum allen anderen weggeschnappt. Die könnten höchstens bei deinen Nachbarn schauen, ob die auch so hübsche Tannen haben. Aber letztendlich wird bei mir trotzdem der beste Weihnachtsbaum stehen.«
»Wieso genau stellt man überhaupt jetzt schon einen Baum auf?«
»Ich dachte, wir haben das schon klargestellt... Es ist bald Weihnachten. Hätte ich schon eher die Chance gehabt, wäre ich schon vor ein paar Wochen hergekommen. Aber ohne Auto ist so ein Bäumchen doch etwas schlecht zu transportieren. Also musste ich bis heute warten und bangen, dass der Hauseigentümer... also du, nicht selbst auf die Idee kommen würde, das Prachtstück umzulegen.«
Dummerweise besaß ich selbst kein anderes Fortbewegungsmittel als ein paar Rollschuhe und ein klappriges Fahrrad, welches kaum als solches benannt werden konnte. Und die einzige Person, die einwilligen würde, meinen Baum zu transportieren, war Elena, die leider einen sehr vollen Terminkalender besaß und erst heute eine Lücke für mich frei hatte.
»Ich habe es hier also mit einem Mädchen in komplettem Weihnachtsfieber zu tun.«
»Und mir kommt es fast so vor, als hätte ich es mit einem Grinch zu tun.«, feuerte ich zurück und kniff meine Augen misstrauisch zusammen. Wenn er mich von oben herab anschauen wollte, würde ich das nicht auf mir sitzen lassen. Nicht, nachdem ich es hier allem Anschein mit dem Feind der Weihnachtszeit zu tun hatte.
»Keine Ahnung, was das ist. Und bevor du jetzt ausrastest... lassen wir es einfach. Ich kann Weihnachten sowieso nicht verstehen. Und die Leute, die es feiern, auch nicht. Will ich auch nicht, also kein Bedarf das auszudiskutieren.«
Ich bekam meinen Mund gar nicht mehr zu, als er seine Sünden aussprach. Wenn er jetzt noch anfing, darüber zu reden, wie er Pläne schmiedete, um die schönste Zeit des Jahres für andere zu zerstören, dann würde es mich einiges an Kraft kosten, ihn nicht zu einer voll gestopften Weihnachtsgans zu machen.
»Weihnachten ist das Beste am ganzen Jahr! Sei froh, dass wir uns nicht kennen und du einen Star-Faktor hast, sonst würde ich dich mitnehmen und dich zwingen Weihnachten mit mir zu verbringen! Unendlich viele Weihnachtsfilme, haufenweise Kekse und Süßigkeiten, Geschenke und die beste Musik überhaupt.«
»Dann kann ich mich wohl glücklich schätzen, dass wir uns nicht kennen und ich einen Star-Faktor habe«, meinte Coda und lächelte mich an. Perplex schaute ich mir diesen ganz neuen Gesichtsausdruck an und vergas glatt, dass seine Worte Empörung in mir auslösen sollten. Selbst spöttischer Herkunft ließen seine nach oben gezogenen Mundwinkel ihn noch attraktiver wirken und ich ahnte, dass die Herzen einer Menge von Fans flatterten, wenn sie so einen Blick erhaschen konnten.
Ich setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, da hupte es hinter mir. Ein kurzer Blick reichte aus, um Elenas Auto zu erkennen und ich bückte mich schnell zu meinem Bäumchen und packte es erneut am Stamm.
Mit so viel Kraft, wie ich aufwenden konnte, zog ich die Tanne über das Gras von Codas Vorgarten. Elena stieg aus dem Wagen, machte Anstalten mir entgegen zu kommen und zu helfen, blieb allerdings auf halber Strecke stehen, als sie die Person hinter mir entdeckte.
Ihre Augen weiteten sich und fielen blitzschnell auf mich, Panik ganz klar ins Gesicht geschrieben. Sie schien wohl zu denken, dass ich Coda's Anwesenheit noch nicht mitbekommen hatte.
"Ach du scheiße, ich kann nicht ins Gefängnis, ich hab-" Sie verstummte plötzlich wieder und schaute zurück zu Coda. Diesmal verharrte sie dabei und ich sah zu, wie ihre Kinnlade nach unten klappte.
Seufzend stellte ich fest, dass Coda Walker weiterhin der Störfaktor in meiner Planung blieb. Mit seiner Anwesenheit hatte ich keine Chance Elena's Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Das hätte ich mir denken sollen, als ich sie angerufen hatte. Mist! Hätte ich mir nur mehr Mühe gegeben, den Superstar zurück in sein Haus zu treiben.
Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Lippen zusammen zu pressen und die Niederlage einzugestehen. Grummelnd zog ich den Baum weiter hinter mir her, bis ich die Rückseite des Autos erreicht hatte.
Schnaufend öffnete ich den Kofferraum und warf einen Blick zu meinen Mitmenschen, die sich beide nicht vom Fleck gerührt hatten. Elena stand da, als wäre sie zur Salzsäule mutiert und Coda sah tatsächlich etwas belustigt aus. Ob es an der Reaktion meiner besten Freundin lag, oder an der Tatsache, dass er Gefallen an meinem Leiden fand, wusste nur er.
"Ich will nur mal kurz erwähnen, dass es durchaus nett wäre, wenn mir jemand dabei helfen könnte, einen Tannenbaum in ein zu kleines Auto zu quetschen? Hat irgendjemand Interesse?"
Meine Worte waren umsonst, niemand schien sie zu hören, niemand reagierte. Wundervoll.
"Nein? Na gut, selbst ist die Frau! Ich brauch keine Hilfe." Mit entschlossen zusammen gezogenen Augenbrauen schob ich die Ärmel meiner Jacke nach oben und kletterte in den Kofferraum.
"Was solls? Wer es nicht schafft, seinen eigenen Weihnachtsbaum zu transportieren, der hat ihn nicht verdient." Mit diesen Worten packte ich den Stamm und zog mit aller Kraft daran bis er auf der selben Höhe der Kofferraumkante war.
Fluchend krabbelte ich rückwärts tiefer ins Auto und gab mein Bestes den Baum nicht loszulassen. Ich musste mal wieder lächerlich aussehen, wie ich mich hier abmühte, aber wer einen perfekten Baum wollte, musste da einfach durch. Wenigstens konnte Mister Ich-mache-alle-deine-Pläne-zunichte nichts mehr daran ändern, dass Elena und ich im Voraus bereits die Rücksitzbank umgeklappt hatten und den Kleinwagen mit Müllbeuteln ausgelegt hatten.
Ächzend ruckte ich am Baum, bis er endlich im Innenraum des Autos gelandet war, dann kletterte ich mäßig elegant auf die Vordersitze und began ihn soweit wie möglich mit mir zu ziehen, bis ich fast sicher war, dass auch die Spitze ins Auto passte.
Es war eine haarscharfe Angelegenheit, soviel war klar. Aber ich hatte es geschafft, ganz alleine.
Zufrieden und durchgeschwitzt stieg ich aus der Fahrertür aus und warf einen prüfenden Blick hinter das Fahrzeug. Tatsächlich hatte ich es geschafft mein Bäumchen ins Auto zu bekommen. Zwar war der Innenraum nun ausgestopft mit Tannennadeln und ich bekam gerade so den Kofferraum zu, ohne ein paar Äste zu zerstören, aber ich hatte es geschafft.
Grinsend klatschte ich in die Hände und wandte mich gleich dem nächsten Problem zu.
"El, ich bin dann soweit. Wenn du dich vielleicht wieder einkriegen kannst, wäre ich dir äußerst verbunden."
Es war irgendwie schon etwas amüsant, wie sie sich kein Bisschen regte, als wäre jeder ihrer Muskeln zu Stein erstarrt. Ich für meine Verhältnisse, würde womöglich eher in ein Schreiorchester verfallen und aussehen, wie ein Flummi auf Ecstasy, wenn ich irgendwann mal Keanu Reeves treffen würde. Aber das zeigte nur, dass wir uns ganz gut ergänzten.
Trotzdem wurde es Zeit, dass wir uns langsam aus dem Staub machten. Wer wusste schon, wie lange Coda sich das noch mit ansehen würde. Und ich konnte nicht sagen, ob Elena nicht doch noch spontan entschied, dass es ein Gefängnisaufenthalt wert war, solange sie sich auf Coda Walker stürzen konnte.
Als ich weiterhin keine Reaktion bekam, trat ich näher an sie ran und ließ meine Hand vor ihrem Gesicht hin und her schwenken. Nichts.
»Komm schon, wach auf! Atmest du überhaupt noch?«, fragte ich besorgt.
"Nur damit das klar ist, wenn du umfällst und stirbst, wird dir kein super heißer Drummer Mund-zu-Mund Beatmung geben. Diese Ehre steht ganz allein mir zu. Aber du hast wieder diesen Erdbeer-Lipgloss drauf und du weißt, dass ich den Geschmack nicht leiden kann. Also bitte sterbe nicht und atme weiter."
Ich rüttelte sie an der Schulter, doch nichts passierte.
Vorsichtig wagte ich einen Blick in Richtung Coda, hoffend, dass er nicht mit seinem Handy am Ohr dastand und die Schnauze voll hatte von zwei Gören, die ihn mehr oder weniger belästigten.
Zu meiner Erleichterung, nutzte er sein Handy ganz anders.
»Filmst du etwa?«, fragte ich neugierig und lief kurzerhand zu ihm. Als ich neben ihm angelangt war, sah ich, dass er grinsend nickte. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen, um über seine Schulter auf das Display blicken zu können und tatsächlich lief seit ein paar Minuten ein Video, welches Elena in ihrer Versteinerung zeigte.
»Ich habe noch nie so eine Reaktion bekommen. Das ist weltrekordverdächtig. Sie blinzelt nicht mal.« Coda klang ehrlich beeindruckt. Ich konnte nicht anders, als selbst zu grinsen. Es war schon eine sehenswerte Sache. Auf jeden Fall etwas, was ich El ihr Leben lang auf die Nasen binden würde.
"Das ist echt Gold wert. Kannst du mir das Video schicken?", fragte ich und kramte bereits nach meinem Handy. Coda beendete seine Aufnahme und schaute kurz darauf mit hochgezogenen Augenbrauen zu mir runter.
Erst da merkte ich, was ich da tat.
"Oh. Stopp! Ich bin kein Mann! Das war kein Versuch, deine Nummer zu ergattern. Dann wiederum, ein Mann wäre niemals so smooth gewesen... Das tut nichts zur Sache. Ich will deine Nummer nicht."
Ich streckte abwehrend meine Handfläche aus und trat einen großen Schritt zurück.
"Ich werde jetzt gehen und meine Freundin mitnehmen. Wir werden dich nicht weiter stören."
Mit schnellen Schritten lief ich zurück zu Elena und begann sie zum Auto zu schieben. Sie wehrte sich zwar nicht, aber eine besonders große Hilfe war sie auch nicht in diesem Zustand. Mit purer Willenskraft schaffte ich es, sie auf den Beifahrersitz zu verfrachten. So konnte sie auf keinen Fall ein aktives Verkehrsmitglied sein, das war sicher. Also würde ich wohl fahren müssen.
"El, kannst du dich wenigstens anschnallen?" Wieso fragte ich überhaupt?
"Der super heiße Drummer ist doch nicht mal mehr in deinem Blickfeld. Wach endlich auf", grummelte ich wenig begeistert, als ich mich über sie beugen musste und den Gurt festschnallte.
Kopfschüttelnd schloss ich die Beifahrertür und begab mich auf die andere Seite. Coda stand noch immer draußen und ich fragte mich, wieso er immer noch so tat, als würde ich ihm gleich auch noch den Rasen klauen.
Er war ja anscheinend eher von der dramatischen Sorte.
"Wir sind dann mal weg. Bis nie wieder!", rief ich ihm zu, salutierte mit ernster Miene und stieg ins Auto ein.
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