23|Die Höhle der Löwen
23. Dezember
Meine Augen glitten über Coda's lange Form. Auf und ab und wieder hinauf, bis ich jedes Detail seines teuer aussehenden Anzugs gemustert hatte. Als ich schließlich in seinem Gesicht landete, zogen sich meine Augenbrauen zusammen.
"Was hast du da an?"
"Das sollte ich wohl eher dich fragen.", erwiderte er und blickte amüsiert zurück. Während er lässig seine Hände in den Taschen seiner maßgeschneiderten Hose verschwinden ließ, schnaufte ich nur frustriert.
"Du hast nicht erwähnt, dass ihr euch wie Adelige anzieht, wenn ihr zusammen esst!", rief ich aufgebracht und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum.
"Ich habe angenommen, das muss ich nicht sagen... Ich sehe meinen Fehler ein."
Aber augenscheinlich bereute er seinen Fauxpas nicht sonderlich, wenn man nach seinem breiten Grinsen urteilte.
Mit zusammen gepressten Lippen, schaute ich an mir herunter. Mein Lebkuchenmann-Overall war mein traditionelles Outfit, welches ich jedes Weihnachten hervorkramte. Normalerweise durften sich Elena und ihre Familie an dieser Augenweide ergötzen, doch dieses Jahr hatte ich bestimmt, dass ich es zu einem Abendessen bei Coda's Großmutter tragen würde.
Alles, was mich dazu getrieben hatte, wurde nun innerlich in Grund und Boden geflucht. Ich hätte ahnen müssen, dass es sich nicht um ein familiäres, kuscheliges Abendmahl handeln würde. Die Zeichen, dass Coda in einer möglicherweise spießigen, aber auf jeden Fall reichen Familie aufgewachsen war, waren klar und deutlich für mich zu sehen gewesen.
Wie ich nicht ein einziges Mal auf die Idee gekommen war, dass sich der Abend nicht etwa mit lustigen Brettspielen und gemütlichem Miteinander gestalten würde, war mir ein Rätsel.
Doch es war zu spät, um nochmal nach Hause zu fahren, und sich etwas passenderes anzuziehen. Larry hatte mich nach Coda's Anweisungen abgeholt und hier her chauffiert und das auf die Minute genau. Es war ein Anwesen, auf dessen langer Auffahrt mir hätte dämmern müssen, dass meine Outfit-Wahl alles andere als angemessen war.
"Kannst du mir irgendwas leihen, dass ich mich nicht zum kompletten Volltrottel mache?"
Coda schüttelte belustigt den Kopf und trat näher.
"Sorry, aber ich hab keine Ersatzklamotten heimlich auf dem Grundstück meiner Großmutter versteckt. Du wirst wohl oder übel so eine Vorstellungsrunde überstehen müssen." Ich gab einen wenig begeisterten Ton von mir, doch mir blieb nicht viel anderes übrig, als mich meinem Schicksal zu ergeben.
"Mach dir nichts draus. Meine Familie wird dich bestimmt ganz einfach mit einem Kleinkind verwechseln und ich werde derjenige sein, der erklären muss, wieso ich ein Kind mit zum Dinner bringe." Empört schlug ich gegen Coda's Schulter. Dieser miese Wicht!
"Hey, hey! Keine Gewalt gegen deinen Aufsichtsberechtigten!", lachte er und versuchte meine Hände zu fangen.
"Mach dich nicht über mich lustig!", rief ich aufgebracht.
"Ich mach mich nicht über dich lustig. Du bist nur so klein und mit deinem Babystrampler ist es ziemlich leicht, zu denken, dass du ein Kind bist."
Eingeschnappt, holte ich erneut aus, doch Coda fing meinen Arm ab, bevor ich treffen konnte. Mit Leichtigkeit, zog er mich zu sich, bis ich an seine Brust gedrückt war und sein fortwährendes Lachen zusätzlich spürte.
"Ich mache nur Spaß. Mach dir keinen Kopf. Die einzige, deren Segen du brauchst, ist meine Großmutter. Alle anderen Gäste sind egal."
Ich beruhigte mich etwas und schaute interessiert nach oben.
"Heißt das, deine Oma wird kein Problem damit haben, dass ich einen Lebkuchenmann verkörpere?"
Coda legte seinen Kopf schief, als würde er einen Moment nachdenken müssen.
"Mhh, ich denke, selbst sie wird das in Frage stellen."
Jegliche Hoffnung, dass ich nicht automatisch als komisch abgestempelt werden würde, flog davon.
"Was ist mit deinen Eltern? Ist deren Meinung nicht wichtig?"
Ein zynisches Schnaufen. Dann ein Kopfschütteln.
"Nein, um die beiden brauchst du dir keine Sorgen machen. Ich bezweifle, dass sie uns überhaupt genug Aufmerksamkeit schenken können, um dich zu bemerken."
Langsam nickend, löste ich mich etwas aus Coda's Griff. Er schien daraufhin zu entscheiden, dass es Zeit war, in die Höhle der Löwen vorzudringen. Ohne Zögern schnappte er sich meine Hand und zog mich auf die große Eingangstür zu, durch deren Glaspanele Licht flutete.
Ich versuchte, gelassen an die Sache zu gehen und gab mein Bestes, das wilde Flattern in meinem Hals zu ignorieren. Meine Hand drückte Coda's stärker als gewohnt, doch er sagte nichts dazu. Es war offensichtlich, dass ich nervös war.
Selbst wenn ich nicht in einem flauschigen Overall aufgetaucht wäre, hätten mich meine Nerven aufgefressen. Immerhin würde ich Coda's Familie treffen. Ich fühlte mich unvorbereitet und mehr als nur fehl am Platz, aber es war zu spät, um mich zurückzuziehen.
Coda hatte bereits den goldenen Türklopfer betätigt und ich konnte sehen, wie eine schlanke Person auf die Tür zugeeilt kam. Ein paar Sekunden später wurde sie aufgerissen und eine Frau mit dunklen Augen und schulterlangen, grauen Haaren lächelte Coda an.
Mit ausgebreiteten Armen und einem 'Coda, da bist du ja endlich!' , begrüßte sie ihren Enkel, während ich mir nicht entgehen ließ, ihre Gestalt zu betrachten. Sie war in einem eleganten, dunkelgrünen Zweiteiler gekleidet, der bei jeder Bewegung glitzerte. Ihre High-Heels waren höher denn je, ein glattes Todesurteil, wenn ich sie tragen würde. Und trotz deren Höhe, reichte sie nur knapp bis zu Coda's Schulter.
Neben ihrem glitzernden Anzug, fingen regelrechte Klunker von Diamanten und Edelsteinen das Licht des Eingangsbereiches ein und blendeten mich. Ringe, Armbänder, eine Kette und Ohrringe. Zusätzlich trug sie am Revers ihres Jackets noch eine Brosche in der Größe eines Golfballs.
Coda's Großmutter schien nicht darauf bedacht, ihren Reichtum zu verheimlichen. Ich schluckte. Was würde sie wohl von mir halten, wenn sie meine kindische Aufmachung bemerkte?
Lange darüber grübeln und bangen, brauchte ich nicht. Nach der kurzen Umarmung der beiden, fielen zwei Paar Augen auf mich. Zögerlich lächelte ich, machte aber keine Anstalten, meine Jacke enger um mein Outfit zu ziehen. Je schneller das Pflaster abgerissen wurde, desto schneller konnte ich den Schmerz vergessen. In meinem Fall die absolute Demütigung, die ich mir selbst eingebrockt hatte.
"Grams, das ist Callie, meine Begleitung." Ich wagte es nicht, meinen Blick von Coda's Großmutter abzuwenden und hielt ihren kalkulierenden Blick stur, wenn auch leicht eingeschüchtert.
Ihre Augen glitten über mich, ohne einen Kommentar abzugeben, dass ich in diesem Look nicht willkommen war. Als sie aber innerhalb von einer Sekunde auch nichts anderes sagte, hielt ich es nicht mehr aus.
"Hi, ich bin Callie. Wie Coda bereits gesagt hat. Es tut mir schrecklich leid, dass ich so aussehe. Ich hätte wissen müssen, dass ich etwas normales anziehen sollte. Es ist nur so, dass ich diesen Overall seit Jahren zu Weihnachten trage, also ist es eine Tradition und irgendwie dachte ich, dass Coda mich auf einen spaßigen Familienabend eingeladen hat. Nicht, dass ein kultiviertes Dinner nicht auch spaßig sein kann. Ich habe es mir nur anders vorgestellt. Aber dann wiederum hat der Abend ja noch nicht einmal begonnen, also was weiß ich schon. Wenn Sie mich nicht dabei haben wollen, verstehe ich das. Ich kann einfach wieder nach Hause gehen."
Nach meinem Wortschwall, schloss ich meinen Mund fester denn je. Im Augenwinkel konnte ich sehen, wie Coda seine Stirn runzelte, doch ich beachtete ihn nicht weiter. Es gab größere Fische, die gerade wichtiger waren. Und seine Großmutter sah mich mit einer solch undurchdringlichen Miene an, dass sich Angstschweiß auf meinem Nacken bildete, als ich ihre Gedanken nicht einfach aus ihrem Blick lesen konnte.
Mit zusammengebissenen Zähnen, räusperte ich mich. Wenn sie noch etwas länger stumm blieb und mich so anschaute, blieb mir nichts anderes übrig, als umzudrehen und die lange Auffahrt hinunter zu rennen. Gott, wie peinlich ich mich verhielt.
"Junge Lady, ich würde dir raten, dass du beim nächsten Mal, wenn du dich jemandem vorstellst, nicht so mit der Tür ins Haus fällst." Ich zog meinen Hals ein, als wäre ich eine Schildkröte und wandte meinen Blick endlich dem Boden zu. Hätte ich einfach nur meinen Mund gehalten! Toller erster Eindruck...
"Tut mir leid.", murmelte ich kleinlaut. Insgeheim grübelte ich bereits, wann ein angemessener Moment war, um sich schnell zu verkrümeln, falls ich trotz meines Auftritts hinein gebeten wurde. Es durfte nicht zu frech wirken, aber ich befürchtete, dass ich nicht allzu lange unter den Blicken dieser Frau aushalten würde. Die Jungs hatten Recht gehabt, ihr in keiner Sache zu widersprechen.
"Grams-"
"Du musst sie nicht verteidigen.", unterbrach sie Coda und wischte mit ihrer Hand durch die Luft, als wolle sie seine Unterbrechung zur Seite schieben.
"Ich habe nicht vor, Callie bloßzustellen. Ich rate ihr lediglich, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zu haben. Sie hat keinen Grund, sich vor irgendjemandem rechtfertigen zu müssen. Ganz zuletzt vor mir."
Ich hob mein Kinn, bis ich wieder zu der Frau schaute. Ein winziges Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen. Unsicher zuckte auch mein Mundwinkel nach oben.
"Ich will bloß nicht, dass Sie denken, dass ich versuche, lustig zu sein. Das ist nicht meine Intention."
"Ich kann nicht leugnen, dass ich äußerst interessiert daran bin, was deine tatsächliche Intention ist. Es war schier unmöglich nicht über dich informiert zu werden, wenn die ganze Presse wissen will, wer du bist. Es wird Zeit, dass ich mir ein eigenes Bild darüber machen kann. Mein Enkel hat es darauf abgesehen, mir so viel wie irgend möglich von seinem Privatleben zu enthalten. Ich muss also zur direkten Quelle wechseln."
Mit großen Augen sah ich zu, wie die Frau mir ihrer Hand gestikulierte und andeutete, einzutreten. Wie in Trance tat ich, was sie verlangte. Ein flinker Blick zu Coda half weder dabei, mich besser, noch schlechter zu fühlen. Er zuckte nur mit den Schultern und warf mir ein kurzes Lächeln zu.
Nachdem ich Schuhe und Jacke in einem Garderobenraum verstaut hatte, durfte ich mit ansehen, wie Coda sich ein Lachen verkneifen musste, als er mich in voller Pracht sah. Nichts versteckte mehr den 'Strampelanzug'. Noch nie hatte ich mich für ihn geschämt und mit den Worten von Coda's Großmutter im Kopf, entschied ich, dass ich keinen Grund dafür hatte, jetzt damit anzufangen. Selbstbewusstsein fehlte mir sicher nicht, wenn es um mein geliebtes Weihnachtsfest ging.
Mit stramm zurück gezogenen Schultern, marschierte ich zurück in Foyer und präsentierte mich Coda's Großmutter.
"So ist's besser." Ihr Kommentar fühlte sich wie Balsam auf meiner Seele an. Plötzlich war ich unbesiegbar.
Ich lächelte stolz, dann trat ich näher, als sie ihren Arm nach mir ausstreckte.
"Komm, ich stell dich der Familie vor."
Sie hakte unsere Arme ineinander und führte mich davon. Ich hatte gerade noch genug Zeit, um Coda einen flüchtigen Blick zuzuwerfen, doch der stand einfach nur etwas perplex da und sah zu, wie wir ihn verließen.
"Keine Sorge, Coda kennt den Weg, er wird es alleine schaffen." Meine Hand wurde getätschelt und ich richtete meine Aufmerksamkeit zurück auf die Frau neben mir.
"Ich war überrascht, als mein Enkel mir gesagt hat, dass er jemanden mitbringen würde. Normalerweise sträubt er sich, überhaupt zu kommen. Ein echter Sturkopf. Ich kann es ihm aber auch nicht allzu übel nehmen. Seine Eltern sind unmöglich. Hätte ich die Mittel, hätte ich sie schon längst auf die richtige Bahn gezwungen."
Ich blieb stumm, während ich in Familienangelegenheiten eingeweiht wurde.
"Aber Coda ist mein Enkel. Man würde meinen, er könne über seinen Schatten springen und wenigstens herkommen, um seiner Großmutter eine Freude zu machen."
Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
"Ich vermute, ich habe es dir zu verdanken, dass er dieses Jahr so willig ist."
"Oh, nein. Ich habe nichts getan.", versicherte ich schnell. Ihr Blick verharrte etwas länger auf meinem Gesicht, als würde sie mir nicht glauben und nach der Wahrheit forschen. Dann wandte sie sich ab und wir traten in einen riesigen Raum.
Leute tummelten sich in diversen Gruppen. Manche saßen auf Sofa's verteilt, einige hatten sich vor dem großen, lodernden Kamin versammelt und wieder andere standen neben einem absolut massiven Weihnachtsbaum. Allesamt waren in Gesprächen vertieft und nippten an lebendig, sprudelnden Getränke aus glitzernden Gläsern.
Ich nahm die eleganten und unbezahlbaren Kleider und Anzüge der Gäste war und für einen Moment schoss mir erneut durch den Kopf, dass ich nicht hier her gehörte, dass ich mich jeden Augenblick bloßstellen würde. Doch nach einem tiefen Durchatmen, fasste ich mich wieder.
Vielleicht stach ich aus der Gruppe heraus. Vielleicht gehörte ich hier nicht hin. Aber das war nebensächlich, denn letztendlich stand ich trotzdem hier, war von mindestens zwei Personen willkommen geheißen und würde mir einen genaueren Blick auf den Weihnachtsbaum ganz sicher nicht entgehen lassen.
-
Die Vorstellungsrunde, die wir durch den Raum gedreht hatten, war in etwa, was man erwarten würde. Viele Blicke, die mindestens noch ein zweites Mal zum genauer-Hinsehen geworfen wurden, höfliche Begrüßungen, die mit Unsicherheit getränkt waren und das ein oder andere Schmunzeln. Ein paar kleine Kinder, die quietschend und kreischend durch den Raum jagten, hatten Gefallen an meinem Outfit gefunden und ich erhaschte sie mehrfach dabei, wie sie mich von Weitem beobachteten.
Alles in allem, besser, als ich gehofft hatte. Das war wohl nicht zuletzt der Frau an meiner Seite zu schulden, die keinerlei Anstalten machte, mich zu einem aktiven Witz zu machen.
Nur als ich vor Coda's Eltern gestanden hatte, war mir ein wenig flau im Magen geworden. Der abschätzende Blick und die ungläubig angehobenen Augenbrauen, die Coda's Mutter nicht mal versuchte, zu kaschieren, konnte ich noch wegstecken. Aber sein Vater hatte einen beiläufigen Kommentar abgegeben, dass sein Sohn wohl neuerdings Groupies mit zu Familiendinnern brachte und das hatte eine kleine Bombe platzen lassen.
Ich hatte gar keine Chance, mich zu verteidigen, weil plötzlich Coda wie aus dem Nichts aufgetaucht war, und diese Aufgabe für mich übernahm. Erst als seine Großmutter ein Schlusswort sprach, war die Situation geschlichtet und eine größere Streiterei konnte umgangen werden. Trotzdem hatten es alle mitbekommen und es regte zu Getuschel an. Das resultierte darin, dass wir einen großen Bogen um das Paar machten und sowohl Coda, als auch ich, ignorierten sie mit besonders großer Mühe, um kein neues Feuer zu entfachen.
Glücklicherweise waren unsere Plätze an der ellenlangen Tafel, die in geschmackvollen Weihnachtsfarbtönen dekoriert war, so weit wie möglich voneinander entfernt. Während Grammy Walker am Kopfende saß, hatte sie mich rechts neben sich geordert und Coda rechts neben mir. Er hatte sich fast schon schmollend über die Sitzordnung beschwert, immerhin war er ihr Enkel. Ein äußerst ernstes "Du erzählst mir sowieso nichts aus deinem Leben und ich spreche ungern über die Köpfe von anderen hinüber." hatte ihn verstummen lassen. Nach einem schadenfrohen Lachen von mir, tröstete er sich, indem er sich meine Hand schnappte und mit meinen Fingern spielte.
Erst, als der erste Gang von mehreren Butlern aufgetischt wurde, entzog ich meine Hand.
"Ich muss mich erneut für Coda's Eltern entschuldigen. Die beiden haben keine Manieren. Ich habe Marcus zu sehr als Kind verwöhnt. Er ist unmöglich geworden, seitdem ich keinerlei Mitspracherecht mehr in seinem Leben habe. Und Gloria ist kein bisschen besser. Nimm dir die Worte nicht zu sehr zu Herzen."
Ich lächelte und schüttelte schnell den Kopf.
"Keine Sorge. Ich bin fälschliche Anschuldigungen gewöhnt. Coda hat mich anfangs auch beschuldigt, dass ich nur was von seinem Ruhm abhaben wollte."
Ein Husten rechts neben mir. Ich drehte mich zu Coda und schlug ihm ein paar Mal auf den Rücken, dann trank er einen Schluck Wasser. Seine Augen waren geweitete, als er zu mir blickte.
"Wie das? Wie habt ihr euch denn kennengelernt?", ertönte von links.
"Oh, naja... Coda hatte diese wirklich wundervolle Tanne vorm Haus stehen und ich wollte sie haben, weil es echt der perfekte Weihnachtsbaum ist. Also habe ich ihn ausgeliehen."
"Gestohlen!", rief Coda mit kratziger Stimme.
"Ich habe ihn mit deiner Zustimmung entwand!"
"Du hast den Baum bereits gefällt, bevor ich dich davon abhalten konnte!"
"Aber du wolltest ihn nicht behalten!"
Ein vorwurfsvoller Zeigefinger war auf mich gerichtet.
"Du-"
Bevor er weiter diskutieren konnte, schnappte ich mir seinen Finger und drückte ihn nach unten.
"Du hast gesagt, du würdest die Sache fallen lassen, wenn ich mit dir hierher komme! Halte dich an dein Wort!"
Coda schloss seinen Mund und ich grinste triumphierend. Ich widmete mich wieder meinem Essen, nicht bewusst, dass wir die Aufmerksamkeit von einigen Familienmitgliedern auf uns gezogen hatten. Erst ein Räuspern gegenüber von mir, ließ mich einen Blick in die Runde werfen.
Ups.
Ich schaufelte mir ein bisschen mehr Suppe in den Mund und dankte dem Weihnachtsmann, als die anderen Leute wieder in ihr eigenes Gemurmel ausbrachen und mich weitestgehend nicht beachteten.
"Das klingt... interessant.", warf Coda's Großmutter ein. Ungefragt, fuhr ich fort.
"Coda hatte die brillante Idee, mich und meine beste Freundin zu filmen und es online zu stellen. Daraufhin sind alle irgendwie durchgedreht und alle dachten, ich wäre jemand, den man kennen müsste. Und ihr Enkel hat mich gestalkt und als er mich gefunden hat, hat er mir vorgeworfen, dass ich das Gerücht verbreitet hätte, dass wir zusammen wären, oder so. Nicht zu fassen! Diese Dreistigkeit..." Ich schüttelte den Kopf, als wäre es noch immer eine Unmöglichkeit.
"Du lässt es klingen, als wäre ich dir auf Schritt und Tritt gefolgt!", murrte Coda neben mir.
"Bist du ja auch fast. Du hast sogar meine Adresse rausbekommen und standst plötzlich auf der Matte, als wären wir befreundet."
"Ich hab dir Medizin gebracht, als du krank warst! Das zeigt ja eindeutig, dass ich keine bösen Absichten hatte."
"Deine Absicht war, mich auszunutzen. Ich weiß nicht, ob das als gute Tat zählt.", entgegnete ich. Coda sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und beugte sich näher.
"In unserem Fall war es für dich doch mindestens genauso profitabel, wie für mich. Du konntest mich zu allerlei Dingen zwingen, die ich sonst nie im Leben getan hätte. Auf eine Art, habe ich mich freiwillig in eine Situation gebracht, in der du mich erpressen konntest."
"Ich habe das alles nur gemacht, weil ich es tragisch fand, dass jemand Weihnachten nicht mag. Und jetzt, wo du es bald hinter dir hast, haben wir ja auch beide unser Ziel erreicht."
Wir verstummten und starrten einander an. Ich hielt es nicht lange aus, bevor ich in ein Grinsen ausbrach und kurz darauf machte es mir Coda nach, bis wir uns gegenseitig anstrahlten. Er streckte seine Hand aus und umfasste die Seite meines Gesichts. Seine Finger strichen sanft über meine dunklen Haare.
"Ich verstehe...", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir und ich drehte mich zurück zu Coda's Oma. Sie schaute uns mit einem amüsierten Glitzern in den Augen an und ich rückte mich schnell wieder in eine ordentliche Sitzposition.
-
Coda's POV
Ich brauchte nur dem Lachen meiner Cousins folgen, um Callie zu finden. Am Türrahmen lehnend, schaute ich zu, wie sie von meinen jüngsten Verwandten umgeben war und zusammen mit ihnen spielte.
Nachdem das Dinner endlich beendet war, hatte sie sich zusammen mit den Kindern davon geschlichen. Allem Anschein nach hatten sie sie ins Spielzimmer geführt und nutzen Callie nun als Packesel.
Meine jüngste Cousine, Juniper, saß freudestrahlend und quietschend auf ihrem Rücken und ließ sich von Callie durch den Raum tragen. Die anderen Kinder machten es ihnen nach oder rannten nebenher, mindestens genauso begeistert.
Ich sah, wie unterschiedliche Brettspiele auf dem Boden verteilt lagen und Callie bedacht war, jedes einzelne zu umgehen. Mein Herz pochte verdächtig laut, als sie sich umdrehte und ich ihr gerötetes Gesicht ausmachte.
"Schneller, schneller!"
"Ich will als nächstes!"
"Callie, schau mal, was ich kann!"
Es war beinahe unmöglich die einzelnen Schreie zuordnen zu können. Für eine Handvoll Kinder hatten sie mächtige Organe.
Schmunzelnd beobachtete ich weiter, startete aber keinen Versuch, mich bemerkbar zu machen. Einen Augenblick später, bereute ich es, nicht selbst mit in das Getümmel gesprungen zu sein.
"Das Lebkuchen-Outfit scheint wohl ein ziemlicher Erfolg zu sein."
Mein Lächeln verschwand, als ich mich zu meiner Großmutter umdrehte. Sie hatte sich still hinter mir positioniert, trat nun aber neben mich, um einen besseren Blick ins Zimmer werfen zu können.
Ich beobachtete sie bedacht. Es war schwer, ihre Gedankengänge zu verfolgen, sie hatte das beste Pokerface, was ich jemals gesehen hatte. Doch zu meinem Erstaunen, kräuselte ein winziges Lächeln ihre Lippen. Es war nicht, als hatte ich sie noch nie so gesehen, es war nur überraschend, dass Callie solch eine Reaktion bei ihr hervor zu rufen schien.
Insgeheim hatte ich befürchtet, dass meine Familie den Abend versauen würde. Meine Eltern hatten es beinahe geschafft und wir waren nur haarscharf an einer Katastrophe vorbei gekommen, doch auch meiner Großmutter traute ich nicht.
Bisher gab es keine Anzeichen, dass sie Callie loswerden wollte. Dann wiederum war sie die Meisterin der Manipulation. Sie hatte großes Talent, Situationen so zu drehen, dass sie ein, für sich, zufriedenstellendes Ergebnis aufwiesen, ohne blicken zu lassen, dass sie mehr als nur eine Hand im Spiel hatte.
Ich traute dem Braten nicht.
"Es war meine Schuld. Ich habe ihr nicht gesagt, dass sie etwas anziehen soll, was dem Standard der Familie entspricht."
Als Larry Callie vor ein paar Stunden vor mir abgesetzt hatte, war mir bei ihrem Anblick glatt der Verstand verloren gegangen. Sie hatte zuckersüß in ihrem Overall ausgesehen und für einen Moment hatte ich vergessen, dass meine Familie teilweise aus Snobs und hochnäsigen Freaks bestand.
Jeden anderen Abend hätte es mich nicht gestört, was Callie trug, doch heute hatte ich gebetet, dass niemand aus der Reihe tanzte und ihr Herz brach. Die Erinnerung an ihr erstes Aufeinandertreffen mit meiner Großmutter, ließ einen fetten Stein in meinem Bauch sinken. Ihre sonst so undurchdringliche Fassade purer Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung anderer, hatte deutliche Risse gezeigt.
Die Panik und Wut, die ich gespürt hatte, als sie die Möglichkeit in den Raum warf, nach Hause zu gehen... Am liebsten hätte ich alle Anwesenden angebrüllt, dass sie sich gefälligst auch in Rentier- und Weihnachtsmann-Kostümen kleiden sollten, damit sich Callie nicht ausgeschlossen fühlte.
Doch meine Großmutter hatte, bewusst oder nicht, für meine innere Ruhe gesorgt. Nur die Anspannung, die meinen Körper fest im Griff hatte, verschwand lediglich, wenn Callie mir einen Krümel Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Das war am heutigen Abend zu einer Rarität geworden, denn zwischen Grammy's ständigen, stichelnden Fragen und der Horde Kinder, hatte Callie frustrierend wenig Zeit für mich gehabt.
"Das war keine Anschuldigung, Coda. Einfach nur eine Feststellung." Sie schaute mich intensiv an und es brauchte nicht lange, da schien sie gefunden zu haben, wonach sie gesucht hatte.
"Du magst sie, nicht wahr?"
Ich hatte das dringende Bedürfnis zu lügen, Callie nicht ins Fadenkreuz zu schieben. Aber das hatte ich bereits getan, als ich sie hierher eingeladen hatte. Also nickte ich abgehackt.
"Sehr. Und es ist mir egal, ob du willst, dass ich mich von ihr fernhalte, weil sie nicht das ist, was du dir vorgestellt hast. Du kannst mir andere Dinge vorschreiben, meinetwegen mache ich den Rest meines Lebens genau das, was du von mir willst. Aber Callie wird die eine Sache sein, die du mir nicht verbieten kannst."
"Ich habe nicht vor, dir Callie zu verbieten.", erwiderte meine Großmutter lachend. Schock und eine Prise Misstrauen breitete sich in mir aus.
"Coda, ich weiß, du denkst, deine Lebensaufgabe ist es, dich mir zu widersetzen. Aber du musst wissen, dass ich nur das Beste für dich will. Das habe ich schon immer. Ich weiß auch, dass es für dich nicht immer so ausgesehen haben mag... aber alle meine Entscheidungen rühren daher, dass ich dich beschützen will. Ich habe bereits den größten Fehler gemacht, als ich blindes Vertrauen in deine Eltern gehabt habe, dich ordentlichen zu erziehen und dich zu lieben. Ich hatte nur gehofft, dass es nicht zu spät war, als ich endlich eingriff."
Sie strich ihre Hände über meine Schultern, meine Arme hinunter, bis sie meine Hände ergriff und ihre weichen Finger meine drückten.
"Wenn du mich fragst, habe ich das Segel noch rumreißen können. Du bist zu einem stattlichen, jungen Mann heran gewachsen. Das soll was wert sein."
Sie seufzte laut.
"Ich habe nicht vor, dein ganzes Leben zu dirigieren. Du bist immerhin erwachsen, ich werde nicht für immer hier sein und du bist jetzt schon allemal besser, als mein eigener Sohn jemals sein wird. Ich habe volles Vertrauen, dass du auch in Zukunft große Dinge vollbringen wirst. Aber ich hoffe, du kannst einsehen, dass ich hier bin, um dir zu helfen und das alles, was ich von dir verlangt habe, zu deinem Schutz war."
Mein Mund war so trocken, wie eine Wüste und meine Zunge fühlte sich wie Sandpapier an, als ich zu einem Satz ansetzten wollte. Ihre Erklärung klang fast, wie was Callie mir gesagt hatte. Ich konnte nicht fassen, dass jemand Fremdes, der die Frau vor mir noch nie kennengelernt hatte, scheinbar so viel mehr über sie wusste, als ich.
"Und du denkst nicht, dass du mich vor Callie schützen musst?" Es war eine rhetorische Frage. Selbst, wenn sie Ja sagte, würde das nichts an meinem Standpunkt ändern. Ich war allerdings neugierig.
Meine Großmutter lächelte mich belustigt an und warf einen Blick zu Callie, die inzwischen ihre Aufgabe als Packesel hinter sich gelassen hatte, um die Kinder durch das Zimmer zu jagen.
"Ganz im Gegenteil. Sie mag vielleicht etwas Feuer unterm Hintern haben, aber ich habe keine Zweifel daran, dass sie dir gut tut. Ich weiß nicht, wann ich dich das letzte Mal so entspannt gesehen habe, während du von deiner Familie umgeben warst. Das ist eine wirklich traurige Tatsache, aber ich bin froh, dass du endlich jemanden gefunden hast, der das ändert."
Ich sagte nichts. Wir schauten zu, wie die Kinder das Blatt umdrehten und Callie zur Gejagten wurde.
"Ich mag sie. Nicht zuletzt, weil sie Weihnachten zu lieben scheint. Vielleicht schafft sie es, es dir etwas näher zu bringen."
Daraufhin konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen.
"Keine Sorge, das hat sie bereits."
Der überraschte Blick meiner Großmutter war so wunderbar, dass ich ihn am liebsten eingerahmt hätte. Doch bevor ich die Chance hatte, mein Handy zu zücken, kam es, wie es kommen musste und wir wurden endlich gesichtet.
"Coda, Coda! Komm und sei mein treues Ross!", kicherte Jason und zog ungeduldig an meiner Hand. Ich schaute zu ihm runter, dann zu Callie, die erneut auf allen Vieren hockte und wieherte.
Laut los prustend, ließ ich mich in das Spielzimmer ziehen und wurde kurz darauf zum schnellsten Pferd, was das Haus Walker jemals gesehen hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top