21|Einen Rudolf zum Mitnehmen, bitte!

18. Dezember

"Seit wann setzt ihr euch eigentlich für Kinder ein?", murmelte ich neugierig, mit vollem Mund. Vielleicht nicht gerade die feinste Art, mit Menschen zu reden, aber nachdem ich die Tischsitten der Jungs mehrere Tage mitbekommen hatte, fühlte ich mich nicht gerade schlecht. 

Man könnte meinen, man war bei einer Tierfütterung dabei, wenn sie sich gemeinsam auf Essen stürzten. Es gab kein Skrupel und keine Rücksicht. Der einzige Gedanke aller, war, so viel abzubekommen, wie möglich und ja niemand anderem mehr zu überlassen. 

Ich hatte mich ohne Probleme angepasst und meine Stellung in der Gruppe bewiesen. Ob das an Coda's tödlichen Blicken lag, die er jedem zuwarf, der auch nur Anstalten machte, mir nicht den Vortritt zu lassen, oder weil die Jungs genügend Respekt hatten, einer Lady nicht alles wegzuschnappen, blieb eine unbeantwortete Frage. Sicher war nur, dass mir so schnell niemand was vom Teller klaute und glücklicherweise benötigte ich auch nur ein Achtel von dem, was die anderen in sich schaufelten.

Unser gemeinsames Frühstück hatten wir zwar schon beendet, aber Leon hatte es sich nicht entgehen lassen, ein paar Snacks mit in den Transporter zu schmuggeln. Ein nicht gerade heimliches Geheimnis, was ich nun ebenfalls ausnutzte. 

Auf einem süßen Plätzchen kauend, schaute ich in die Runde. 
"So ziemlich seit der Entstehung der Band.", kommentierte Cash. Ich nickte anerkennend.
"Das ist echt eine tolle Sache. Wie kam es dazu?"
"Wir hatten keine wirkliche Wahl. Nicht, dass wir aufhören würden, wenn wir selbst entscheiden dürften.", lachte Brody. Ich zog meine Augenbrauen nach oben, deutlich zeigend, dass ich eine genauere Erklärung forderte. 

"Coda's Oma ist so ziemlich die angsteinflößendste Lady, die du jemals kennenlernen wirst. Nicht, dass sie nicht auch ein riesiges Herz hat. Aber glaub mir, wenn du dich gegen ihren Willen sträubst, wirst du nicht lebend aus der Sache rauskommen." Die Jungs lachten alle, als hätte jeder von ihnen bereits solche Erfahrungen gemacht. 
"Also ist deine Oma die Ursache, dass ihr Kinder und Familien unterstützt?" Coda, welcher neben mir saß und sich nicht entgehen ließ, sich breiter als nötig zu machen, nickte.

"Sie ist so ziemlich für alles verantwortlich, was in meinem Leben passiert. Es ist fast so, als hätte ich einmal in meinem Leben einen Deal mit dem Teufel gemacht und kann jetzt nie wieder entfliehen. Ein wahrer Teufelskreis." Investiert drehte ich mich zu dem Drummer. Seine Oma klang nach einer sehr interessanten Person. 

"Ich will mehr hören, erzähl mir alles!"
Coda schmunzelte, bevor er seufzend fortfuhr.
"Auf eine Weise ist sie die Schöpferin von Four Kings. Zumindest hat sie uns zu dem gemacht, was wir jetzt sind. Wenn sie nicht gewesen wäre, würden wir vielleicht nur eine kleine Garagen-Band sein. Aber sie hat in meinen Traum investiert und ihre Kontakte genutzt, um uns am Start unserer Karriere einen Schubser zu geben."

"Man kann also sagen, dass du ein Nepo-Baby bist..." Meine Worte ließen die restlichen Jungs kichern. Coda sah mich trocken an, als hätte ich ihn zutiefst beleidigt.
"Wenn wir kein Talent hätten, würden wir selbst mit dem Willen meiner Großmutter nicht auf Welttournee gehen. Außerdem ist Cash der Leadsänger, also ist er die meiste Zeit im Fokus."

"Das ändert nichts an der Tatsache, dass jemand in deiner Familie dazu beigetragen hat, dass ihr überhaupt aus den Startlöchern gekommen seid.", grinste ich. 
"Es ist nicht so, als hätte ich das umsonst bekommen!", verteidigte er sich weiter. Für einen Moment erschien er mir wie ein empört, aufgeplustertes Hühnchen, dann drehte er sich halb schmollend zum Fenster und schaute die an uns vorbeiziehende Winterlandschaft an. 

"Also gut, was war der Preis?", hakte ich belustigt nach, während ich versuchte, seinen Blick einzufangen. 
"Wie gesagt, es ist, als hätte ich mein Leben an einen Dämonen verkauft. Und die anderen sind auch nicht viel besser weggekommen. Schonmal nach den Regeln und Anforderungen von anderen gelebt?" Innerlich nickte ich. Ich war mir sicher, dass jeder Mensch nach der Pfeife anderer tanzen musste. Außer vielleicht Superreiche und Machthaber. Das das ein fremdartiges Erlebnis für Coda sein musste, erahnte ich anhand seiner Dramatik.

"Wenn ich auch nur das kleinste bisschen Trotz ihr gegenüber zeige, hält sie mir vor, dass ich ohne sie nichts hätte und nichts wäre."
"Was auch irgendwie stimmt.", neckte Brody und bekam kurz darauf einen mahnenden Klaps auf den Hinterkopf. 

"Was? Na gut, vielleicht hättest du dich von allein entwickelt. Aber Fakt ist, dass sie dir dein erstes Schlagzeug gekauft und uns von Anfang an finanziert hat."
Coda schnaufte nur wie eine beleidigte Leberwurst. 
"Ich weiß immer noch nicht, was der Preis ist, außer dass du genötigt wurdest, Dankbarkeit zu zeigen."

"Meine Freiheit! Das ist der Preis. Sie hat mich gezwungen, in ein Haus in einer Kleinstadt zu ziehen, damit ich nicht ständig die Möglichkeit habe, auf High-Society-Partys zu gehen. Sie drängt mich immer und immer wieder mit ihr zu dinieren, als müsse sie ein Auge auf mich werfen, damit sie nicht die Kontrolle über mich verliert. Und sie ist auch der Grund, warum ich dieses Jahr mit dir auf das Weihnachts-Event gehen muss."

Überrascht schaute ich Coda an. Die Worte waren nicht unbedingt voller Hass aus ihm herausgebrochen, aber man konnte deutlich spüren, dass er sich unfair behandelt fühlte. Doch während er die angesprochenen Punkte mit so viel Abneigung nannte, als wären das alles Strafen, sah ich es in einem ganz anderen Licht. 

Bevor ich meine Meinung sagen konnte, hielt der Transporter und wir stiegen nacheinander aus. Coda reichte mir seine Hand, damit ich mich auf dem unebenen Boden nicht direkt wieder hinlegte, machte danach aber auch keine Anzeichen, dass er mich wieder loslassen würde.

Ich sagte nicht dazu, schaute mich stattdessen an unserem Ziel um. 

Die dichte Wolkendecke über uns drohte dicke Schneeflocken an, hielt bisher allerdings fest, weshalb mein Blick ungehindert über unsere Umgebung gleiten konnte.

Wir befanden uns auf einer Art Farm mit großen Holzgebäuden, umgeben von Weideland, welches unter Schnee begraben war. Der Hof, auf welchen wir eingefahren waren, war mit Lichterketten geschmückt und eine zusammengewürfelte Ansammlung von Bänken und Tischen war überall verteilt und mit hübschen Tischdecken versehen. 

Es brauchte nicht lange, da erkannte ich auch schon wieder eine Gruppe von Familien. Am Rande der Ansammlung, machte ich Ryan aus. Und als der uns bemerkte, kam er auf uns zu geeilt.

"Da seid ihr ja. Wir haben schon auf euch gewartet. Ihr wisst nicht, wie anstrengend es ist, eine Horde Kinder davon abzuhalten, zu Tieren zu rennen." 
Auf den Kommentar des Managers hin, schaute ich mich wie wild um, um besagte Tiere zu erspähen. Die Jungs hatten mich mit Absicht im Dunkeln gelassen. Ich befürchtete, dass Coda etwas damit zu tun hatte. Anders sah ich nicht, wieso Cash und Co. mir etwas verheimlichen würden. 

Auf Zehenspitzen stehend, drehte ich meinen Kopf in alle Richtungen. Doch bevor ich irgendein Lebewesen auf einer Koppel erkennen konnte, drehte mich Coda wieder um, sodass ich keine Wahl hatte, als ihn anzuschauen. 

"Was für Tiere?" Coda lächelte mich nur verschwörerisch an.
"Das wirst du schon noch erfahren." 
"Am liebsten jetzt sofort."

Er schüttelte amüsiert den Kopf und schob mich dann auf den Mob zu, der mindestens genauso viel Energie hatte, wie am Tag zuvor auf der Eisbahn. Coda hielt mich davon ab, einen heimlichen Blick zur heutigen Hauptattraktion zu stehlen, indem er meinen Kopf an beiden Seiten festhielt und mich so immobilisierte. 

Schnaufend fügte ich mich seiner Führung, bis wir vor den anderen Gästen hielten. 

Ich winkte ein paar Kindern zu, als sie mich schüchtern oder komplett begeistert musterten und freute mich, als sie die Geste zurück gaben. Dann schaltete ich für ein paar Minuten ab und lehnte mich unauffällig gegen Coda's Körper, als die Erwachsenen noch ein paar Informationen austauschten. 

Wir wurden kurzerhand in ein paar kleinere Gruppen aufgeteilt. Die frostige Stille, die zwischen Ryan und Coda ausbrach, als der Manager versuchte, mich vom Drummer zu trennen und in ein anderes Team zu stecken, kommentierte ich nicht. 

Ich war viel zu aufgeregt und voller Vorfreude, was für Tiere wir wohl sehen würden, als dass ich mich mit solchen Kleinigkeit befassen konnte. Es war sowieso kein Krieg, den ich führen musste. Coda war derjenige, der entschieden hatte, dass wir wie ein Klettverschluss zusammen haften mussten und er tat auch mächtig viel, dass wir nicht auseinander gerissen wurden. 

Sei es bei der Platzwahl am Frühstückstisch und im Auto oder bei offiziellen Angelegenheiten, bei denen die Jungs vertraglich verpflichtet waren, ihren Job zu tun.

Ich hörte erst wieder richtig hin, als ein Paar vor die angesammelten Leute trat, um ein paar Worte zu sagen. Es war offensichtlich, dass sie von der Farm waren - sie trugen die selben grünen Westen, wie eine Handvoll andere Personen. Ein Schriftzug zog sich über die Brust und ein, auf die Ferne, nicht erkennbares Clipart prangte darunter. Was mir ebenfalls auffiel, war eine typisch rot-weiße Bommelmütze auf dem Haupt des Mannes und der roter Haarreif der Frau. 

"Willkommen auf unserem Hof! Wir freuen uns unglaublich, euch hier zu haben. Leider muss Santa sich gerade auf Weihnachten vorbereiten, deshalb kann er nicht hier sein, aber wir haben ein paar andere Freunde, die euch gern sehen wollen. Habt ihr Lust, ein paar der wichtigsten Weihnachtshelfern zu treffen?"

Die Kinder riefen allesamt Ja im Chor und ich stimmte lauthals mit ein. Das erntete ein Lachen von Coda, woran ich mich nicht stören ließ. Stattdessen eilte ich unserer Gruppenführerin Penelope und den Familien hinterher, als es endlich losging. 

Ich staunte nicht schlecht, als wir auf eine Weide geführt wurden und ich unter einem hölzernen Unterstand die lang ersehnten Tiere ausmachen konnte. Nach Luft schnappend, blieb ich wie angewurzelt stehen und starrte die Vierbeiner an. 

Coda gesellte sich schmunzelnd an meine Seite.
"Überraschung gelungen?"
Weil mir die Worte fehlten, nickte ich nur mit weit aufgerissenen Augen. Überraschung sowas von gelungen!

Coda schob mich vorsichtig weiter, sodass wir den Anschluss zu unseren Leuten nicht verloren. Ich war mindestens genauso ekstatisch, wie die Kinder, als sie die Rentiere zu Gesicht bekamen. 

"Heißt das, du kaufst mir einen Rudolf?", fragte ich fast atemlos. Ich hatte den Wunsch vor Kurzem nur beiläufig ausgesprochen. Nie im Leben hatte ich damit gerechnet, jemals ein echtes Rentier zu sehen. Ganz Live und in Farbe.

Coda lachte leise und zog mich an sich, als wir uns langsam um das Tier verteilten. 
"Wo genau willst du denn ein Rentier halten?" Das war ein guter Punkt, aber ich war mir sicher, mir würde eine Lösung einfallen. 
"Ich kann's nicht fassen! Ein Rentier!"

Ich sah mit großen Augen zu, wie unsere Gruppenleiterin nah an das Tier trat und sanft über dessen Stirn strich. 
"Das hier ist Donner. Wie ihr sicherlich alle wisst, ist ein Rentier ein wichtiger Teil der Weihnacht. Ohne sie, würde es der Weihnachtsmann nicht schaffen, Geschenke in der ganzen Welt zu verteilen. Bis es bald soweit ist, und Santa seine treuen Gefährten abholt, kümmern wir uns um sie."

Wie gebannt beobachtete ich das Tier, was selbst umgeben von aufgeregten Kindern keinerlei Anstalten machte, nervös zu sein.

"Können wir sehen, wie er fliegt?", rief ein kleiner Junge mit fast so roter Nase, wie man von  Rudolf erwartete. Die anderen Kids stiegen mit einem begeisterten Jubeln auf den Vorschlag ein. 
"Mhh, leider geht das nicht. Die Rentiere können nur mit Santa's Magie fliegen. Außerdem müssen sie ihre Kraft tanken, damit ihr alle eure Geschenke rechtzeitig bekommt."

Die Freudeschreie verblassten etwas, aber scheinbar waren alle damit einverstanden, Weihnachten nicht wegen einer frühzeitigen Flugshow zu verschieben. 

"Übrigens, wisst ihr schon, dass Donner und der Rest von Santa's Rentieren Weibchen sind?" 
Ich schüttelte in Tandem mit den anderen den Kopf. 
"Tatsächlich ist sogar Rudolf eine Dame. Die Männchen der Rentiere haben den Winter über gar kein Geweih, so kann man also ganz einfach erkennen, dass der Weihnachtsmann sich eine Ladies-Truppe ausgesucht hat." Penelope sah zu, wie wir diese Information aufnahmen. 

Dann fing sie an zu grinsen. 
"Wie wär's. Wollt ihr Donner ein bisschen füttern? Damit sie den Schlitten zu Weihnachten ganz besonders schnell ziehen kann?"

Damit verfielen alle erneut in Euphorie. Ich klatschte leicht in die Hände und wippte aufgeregt auf meinen Sohlen herum. So etwas hätte ich mir in meinen wildesten Fantasien nicht erträumt. Dass ich einem echten Rentier mal so nah kommen würde?!

Ich sah zu, wie die ersten Kinder langsam auf das Tier zugeführt wurden. Gleichzeitig machte ich den ein oder anderen bänglichen Blick von Eltern aus, denen die Sache wohl nicht ganz geheuer war.

Hibbelig wartend, bis ich an der Reihe war, drehte ich mich wieder zu Coda, welcher sich das Spektakel (besonders meine Reaktion) lächelnd anschaute. 
"Ich hab's! Wir können Rudolf einfach in deinem Garten halten. Du hast mehr als genug Platz. Und ich wohne nicht so weit weg, ich kann jederzeit vorbei kommen und Rudi besuchen."

Er blickte mit einem belustigten Glitzern in den Augen auf mich runter. 
"Du würdest also nur kommen, wenn ich ein Rentier besitze?"
"Nein. Tatsächlich würde ich mich auch nochmal blicken lassen, wenn du mir sagst, dass du ein paar andere, perfekte Weihnachtsbäume hinterm Haus versteckt hast."

Ich grinste ihn unschuldig an, während er seine Augenbrauen zusammen zog. Dann ließ er ganz vorsichtig und hauchzart die Knöchel seiner Finger über meine Wange streichen. Sie schmerzte zum Glück nicht länger, aber ich spurtete einen blass blauen Fleck über meinem Wangenknochen.

"Bäume und Rentiere also? Dir fällt kein anderer Grund ein, zu meinem Haus zu kommen?"

Schulterzuckend drehte ich mich zurück zu Donner, biss mir aber auf die Lippe, um mein Lächeln zu verstecken.

Ich denke, wir beide wussten, dass es noch etwas anderes gab, was mich zu seinem Grundstück lockte, aber wo war denn der Spaß, wenn man es einfach so in die Weltgeschichte rief?

Coda kam nicht dazu, etwas anderes anzumerken, denn ich rückte auf und war somit als nächstes an der Reihe, dem Rentier einen Snack anzubieten. 

Glücklich nahm ich das Grünzeug, was mir von Penelope angeboten wurde. Dann befolgte ich die Anweisung, wie ich meine Hand halten sollte. Ich nahm an, andere fütterten ihre Pferde so, aber ich musste sagen, dass Rentierefüttern schon ein bisschen cooler war. 

Mit dem fettesten Grinsen im Gesicht, das die Welt je gesehen hatte, bot ich die Blätter an. Donner drehte sich interessiert zu mir. Während ich stocksteif und überglücklich die Luft anhielt, vernaschte die fellige Lady das Leckerli in Windeseile. Dabei streifte ihre kuschelige Nase meine Finger.

Einen leisen Freudenton von mir gebend, wandte ich mich zu Coda, meine Hand ausgestreckt, als hätte ich eine heilige Reliquie berührt. 
"Ich glaube, ich weiß jetzt, wie sich eure Fans fühlen. Ich werde meine Hand nie wieder waschen!"






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