20|Die schlechteste Schlittschuhfahrerin der Welt
17. Dezember
Die Stimmung war aufgeladen mit allerlei Emotionen. Von Aufregung zu einer Menge Tatendrang, war alles dabei.
Ich stand etwas abseits von den Menschenmassen, die sich um die Eisfläche verteilt hatten und sah zu, wie die Jungs zwischen Familien und Crew-Mitgliedern hin und her geschoben wurden. Eine Handvoll Kamera-Männer folgten ihrem jeden Schritt.
Seitdem wir am heutigen 'Film-Set' angekommen waren, hatte ich mich etwas von den anderen distanziert. Mit war bewusst, dass es ein Privileg war, überhaupt hier sein zu dürfen, deshalb hielt ich mich zurück und ließ die Jungs ihren Job machen.
Coda hatte zwar versucht, mich anfangs mit in die Meute zu ziehen und weder die anderen Bandmitglieder, noch Ryan, der Manager von Four Kings, schienen Einwände zu haben, doch ich hatte seine Hände lächelnd abgeschüttelt. Das hier war ein ganz anderes Kaliber von Publicity. Selbst mit meinem Gesicht bereits im Internet kursierend, schreckte es mich ein kleines bisschen mehr ab, in einem offiziellen Four Kings Video aufzutauchen. Noch dazu handelte es sich um ein Charity Projekt, bei dem es mit Sicherheit wichtiger war, die Kinder bei Laune zu halten und Momente mit ihnen einzufangen, anstatt mich in den Fokus zu setzen.
Außerdem schaute ich mir vorerst das Getümmel sehr gern von Weitem an. Es war ein schönes Bild. Kinder aus jeder Altersgruppe, Eltern und Begleitpersonen, Event-Coordinators und die Band. Sie alle trudelten in einem chaotischen Tumult, trugen aber alle begeisterte Mienen. Von Weitem erschien die ganze Gruppe wie ein Schwarm Bienen, der summend und brummend bebte, gerade zu darauf wartend, endlich auf das nasse Kalt losgelassen zu werden.
Es war ein glücklicher Zufall, dass das Projekt der Jungs meiner ursprünglichen Weihnachts-To-Do-Liste folgte. So musste ich Coda nicht einmal dazu zwingen, Schlittschuhlaufen zu gehen, weil er von einer höheren Autorität, auf die er hören musste, dazu gedrängt wurde.
Ganz davon abgesehen, sah der Drummer nicht sonderlich abgeneigt aus. Nicht einmal die Menschenmassen schienen seine Laune kippen zu können. Vielleicht lag das daran, dass es sich nicht um kreischende Teenies handelte, sondern um Familien. Ich erspähte ihn mehrmals, was nicht wirklich schwer war, weil die meisten Anwesenden bis zu mehrere Köpfe kleiner waren als er, und jedes Mal hatte er ein breites Lächeln auf dem Lippen.
Es ließ mein Herz höher schlagen, zu sehen, wie er zwischen den ganzen Kindern zu einem zuckersüßen Sonnenschein wurde. Wer hätte gedacht, dass der eiskalte Coda Walker, den ich vor wenigen Wochen das erste Mal getroffen hatte, so viel Wärme für Kinder übrig hatte.
"Also gut, ihr wisst, was ihr zu tun habt!" Die Stimme einer Frau mittleren Alters durchdrang das stetige Gemurmel der Erwachsenen und das gelegentliche Rufen der Kinder. Mein Blick fiel auf die Dame, welche ein Megafon vor ihren Mund hielt und die Gruppe von Leuten anstrahlte. Sie schien wohl mehr oder weniger die Chefin zu sein.
"Gebt euer Bestes und habt Spaß! Die Eisbahn ist nun eröffnet."
Mit diesen Worten schwoll die Lautstärke auf ein Neues und zwischen aufgeregten Freudenschreien, fing ein wahrlicher Ansturm auf die geöffneten Pforten an. Die ersten mutigen Kids sprangen auf das Eis und machten in Null Komma Nichts das Eis zu ihrem Spielplatz. Die meisten anderen folgten, mit etwa genauso viel Elan, aber deutlicher weniger Lebensmüdigkeit.
Nach ein paar Minuten, waren so gut wie alle auf der glatten Fläche und drehten Runden oder klammerten sich aneinander fest, um nicht zu fallen. Das nahm ich als mein Zeichen, auch endlich in den Spaß einzutauchen. Solange ich nicht mit Coda, Cash, Brody oder Leon zusammenstieß, würde ich prima zwischen den anderen untergehen und nicht auffallen.
In Theorie.
Denn man schaffte es auch irgendwie nur zu einem gewissen Grad, unentdeckt zu bleiben, wenn man so wenig Talent im Schlittschuhlaufen hatte, wie ich. Und jeder wusste, dass Leute, die totale Profi-Moves hinlegten und Leute, die sich beim besten Willen nicht auf den Beinen halten konnten, diejenigen waren, die immer beobachtet wurden.
Zu meinem großen Glück, fand ich allerdings am Eingang der Eisfläche ein paar Gleichgesinnte. Eine Frau mit zwei Kindern im Grundschulalter versuchte mit größter Mühe einem Mädchen mit zwei Zöpfen zu animieren, sich von der Bande zu lösen. Ihre lockende Stimme schaffte es allerdings nicht, den Todesgriff der Kleinen zu lockern.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, bisher noch nicht vergossene Tränen glitzerten in ihnen und ein leichtes Bibbern war an ihrer Unterlippe auszumachen.
"Ich kann das nicht!" Die Stimme des Mädchens klang geradezu erbärmlich und herzzerreißend.
"Natürlich kannst du das, Schatz! Du musst nur loslassen. Ich hab dich, Sarah." Die Frau zog ganz leicht an dem rosaroten Mantel von Sarah, woraufhin sie sich fast über das Geländer stürzte, um zu entkommen.
"Die anderen werden mich auslachen! Alle können Eislaufen, nur ich nicht." Hysterie machte sich in Sarah's weinerlichen Stimme breit und als auch ein weiterer Versuch sie zu beruhigen, nichts brachte, entschloss ich, mich einzumischen.
"Hey, Sarah? Richtig?" Große, runde Kinderaugen blickten neugierig zu mir. Ein Nicken.
"Mein Name ist Callie." Die Vermutung, dass sie ihre Hände nicht von ihrer einzigen soliden Halterung nehmen wollte, hielt mich davon ab, meine Hand auszustrecken und so winkte ich ihr nur kurz zu.
"Ich hab gehört, dass du versuchst, den Platz der schlechtesten Schlittschuhläuferin zu beanspruchen. Das kann ich nicht zulassen. Das ist nämlich mein Titel."
Ich sah Sarah dramatisch an und schlug die Hände vor meine Brust. Meine Behauptung lenkte sie prompt von ihrer Panik ab und sie zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.
"Du bist jetzt schon allemal besser, als ich.", erzählte ich weiter.
"Ich kann nicht Mal einen Schritt aufs Eis machen, ohne hinzufallen. Und schau! Du stehst ganz alleine, ohne umzukippen! Du bist so viel besser."
"Ich glaub dir nicht." Empört riss ich meinen Mund auf. Das war gar nicht mal unbedingt gespielt. Meine Talente mochten sonst in winterlichen Angelegenheiten recht passabel sein, doch gefrorene Flächen waren mein größter Erzfeind.
Schon bei geraden und ebenen Gehwegen hatte ich meine Probleme, nicht zu stolpern und geradeaus zu laufen. Wenn leichte Unebenheiten dazu kamen, musste man sich vorsehen, dass ich regelmäßig zur Seite eierte, weil mein Gleichgewichtssinn scheinbar alles andere als gut war. Aber brachte man Glätte ins Spiel, war Aus die Maus.
Was auch immer es war, sobald meine Schuhsohle oder eine Schlittschuhkufe zwischen mir und Eis landete, gab es nur einen Weg. Der Weg gen Boden.
"Ich mache keine Witze!"
"Beweise es." Sarah's Augen schauten mich herausfordernd an. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, auch wenn es zur Folge haben würde, dass ich mir einen schönen blauen Fleck einhandele.
Entschlossen machte ich ein paar weitere Schritte auf das kleine Tor zu, hielt mich konzentriert am Geländer fest und setzte langsam eine Kufe auf das Eis.
Der Versuch, mein zweites Bein vom festen Boden abzuschieben, schlug fehl, als mein erster Fuß unter mir wegrutschte. Es war so, wie ich vorhergesagt hatte, trotzdem behielt ich jedes Mal die Hoffnung, dass sich meine Agilität auf wundersame Weise änderte.
Mit einem überraschten Laut, versuchte ich mich, zurück zu ziehen, doch mein Körper war bereits dabei, nach vorne zu segeln.
Trotz meines eisernen Griffs, landete ich im Halbspagat auf der kalten Eisfläche.
Ein Kichern lenkte meine Aufmerksamkeit zurück zu Sarah. Ich sah zu, wie sie und ihr Bruder lachten. Die Mutter der beiden schaute mich etwas mitleidig an und half mir dann mühsam hoch. Ich machte es ihr nicht einfach, denn meine Schlittschuh wollten einfach nicht gehorchen, so wie es andere taten. Doch irgendwie schaffte sie es endlich, mich hoch zu hieven.
Halb auf der Frau lehnend, halb an ihr hängend, manövrierten wir mich zurück an den Rand, sodass ich mich neben Sarah gesellte.
"Ich hab ja gesagt, dass ich die Schlechteste bin!", rief ich und grinste schief.
"Ich wette, du bist zehn mal so gut, wie ich!"
Sarah sah mich nachdenklich an und kaute auf ihrer Lippe rum. Dann, ganz langsam, löste sie eine Hand vom Geländer, als ihre Mum ihr erneut ihren Arm hinhielt.
Mit der Zunge in Konzentration aus dem Mund gestreckt, drehte sich das Mädchen langsam und schnappte sich den angebotenen Arm. Dann ließ sie auch mit der zweiten Hand los, sodass sie ein paar Zentimeter von der Bande rutschte. Sie gab zwar einen kleinen, ängstlichen Ton von sich, doch ich übertönte das sofort mit einem begeisterten Jubeln.
"Woah! Ich hab's doch gewusst! Sieh dich an, du läufst Schlittschuh!"
Sarah begann leicht zu kichern. Mit neuem Mut geschöpft, machte sie einen vorsichtigen Schritt nach vorn. Als sie nicht sofort hinfiel, machte sie noch einen und noch einen. Nebenbei ruckelte auch ihr Bruder an ihr vorbei und motivierte sie etwas unbeholfen, aber voller Elan.
Erst nach ein paar weiteren Schritten, rutschten Sarah die Kufen etwas schneller unter den Beinen davon, sodass ihre Mum sie rasant packte, um einen Sturz zu verhindern. Daraufhin hieß es erstmal wieder, für ein paar Sekunden Verschnaufpause.
Nun von einem Ohr zum anderen grinsend, schaute Sarah zu mir hoch.
"Das macht echt Spaß!" Ich nickte, auch wenn ich nur halb so viel Freude verspürte, wenn sich meine Nase oder mein Hintern ständig dem Eis näherte. Nichts desto trotz war es eine tolle Tätigkeit. Denn selbst, wenn ich die meiste Zeit beim Schlittschuhlaufen nur an der Bande herumlungerte, verspürte ich einen inneren Frieden, wenn ich die anderen Leute dabei beobachten konnte, wie sie gemeinsam ihre Runden drehten.
"Komm schon, Callie! Du musst mitkommen. Du schaffst das auch, ich glaub an dich."
Sarah ließ mir keine Zeit, das Angebot abzuwehren. Sie schnappte sich meine Hand und zog daran. Ich hatte nicht das Herz, ihren frisch gewonnenen Enthusiasmus im Keim zu ersticken, auch wenn die Zukunft dadurch mächtig düster für mich aussah. Denn es gab nur einen Erwachsenen, der mich auffangen könnte, wenn ich mich unweigerlich dem nächsten Absturz näherte. Und diese Person war bereits damit beschäftigt ihre Tochter und gelegentlich ihrem Sohn zu helfen. Eine Bürde, zu der ich nicht ebenfalls beitragen wollte.
Das hieß dann wohl, ich war mehr oder weniger auf mich allein gestellt. Trotz der grimmigen Aussicht und dem bereits auftauchenden Phantomschmerz an meinem Steiß, schob ich mich vorsichtig von meiner Position an der Bande ab.
Ich begab mich in eine äußerst attraktive Po-raus-Knie-gebeugt-Arme-seitlich-ausgestreckt-Haltung und glitt die erste Distanz über das gefrorene Wasser. Ein Blick zu Sarah zeigte, dass auch sie nicht zu stoppen war, doch während sie quasi in ihren Schlittschuhen lief, versuchte ich kläglich, mich mit einer Kufe abzuschieben und auf der anderen vorwärts zu kommen.
Ich war nicht sonderlich erfolgreich.
Neidisch flogen meine Augen zu den vielen anderen Leuten, die an uns vorbeizogen. Sie ließen es so einfach aussehen.
Eine etwas tiefere Spur im Eis riss mich aus meinen kurzen Tagträumen, als ich darüber schlitterte. Die etwas größere Unebenheit triggerte sofort meine Unsicherheit. Als hätte mir jemand ein Bein gestellt, begann ich zu taumeln. Meine Füße versuchten vergebens Halt zu finden, meine Arme versuchten vergebens mich zu balancieren, doch es brachte nichts.
Mit einem Hrmpf schoss ich auf den eisigen Boden zu und landete verdammt schmerzhaft auf meinem Gesicht.
Eine Kakophonie aus Uhh's und Ahh's erklang um mich herum und meine eigenen schmerzhaften Laute gingen darin unter. Jämmerlich drehte ich mich auf meinen Rücken und hielt mir meine Wange, die das größte Übel abbekommen hatte.
Bevor ich versuchen konnte, den Sturz und den Schmerz richtig zu verarbeiten, hingen plötzlich mehrere Gesichter über mir. Sarah's Mum schaute mich mit großen, bestürzten Augen an, das kleine Mädchen selbst trug beinahe den selben Blick. Und dann war da auch noch Coda.
Zuerst dachte ich, dass ich mir vielleicht eine Gehirnerschütterung eingebrockt hatte und ich ihn halluzinierte. Doch als er nach meiner, auf die Wange gepresste, Hand griff und sie wegzog, fühlte sich das ein bisschen zu echt an.
"Callie?" Seine Stimme klang auch nicht, wie in einem Traum.
"Boah, das hat echt weh getan.", murmelte ich und setzte mich trotz mehrerer besorgter Einwände auf. Leise jammernd rieb ich über meine Wange, die schmerzhaft pochte. Es war wohl Fluch und Segen zugleich, dass es mich auf dem Eis langegelegt hatte. Zum einen war es eine unglaublich harte Unterlage gewesen, zum anderen war ich direkt an der Quelle, um meine neue Verletzung zu kühlen.
Nicht, dass ich dazu kam. Übereifrige Hände umfassten mein Gesicht und drehten es in alle Richtungen.
"Das sollte sich ein Sanitäter anschauen.", beschloss Coda. Ich runzelte meine Stirn und schüttelte den Kopf.
"Ach was, das ist doch nichts weiter. Vielleicht ein blauer Fleck, im schlimmsten Fall ein blaues Auge, wenn es dumm läuft. Was soll da ein Sanitäter machen?"
Coda's Augen funkelten mich nicht sehr begeistert an, doch ich wedelte nur meine Hand zwischen uns.
"Kein Grund, ein Drama daraus zu machen. Mir geht's gut. Ich werde noch eine kleine Runde drehen und dann schaue ich von außerhalb zu. Also geh zurück zu deinem Job."
Meine Worte klangen so sicher, dass ich mir fast glaubte, dass ich es tatsächlich allein schaffen würde, das Eis zu überqueren. Doch scheinbar glaubte mir das niemand anderes mehr, nach meinem eleganten Kuss mit dem Boden. Fair.
"Ich glaube, das ist keine so gute Idee.", kommentierte Sarah's Mutter und tätschelte mir aufmunternd die Schulter. Für einen Moment dachte ich nach. Ich war nicht bereit, den Spaß aufzugeben, auch wenn es eine Tortur für mich war. Aber ich konnte mir schon denken, dass ich nach meinem kleinen Stunt nicht mehr aus den Augen gelassen werden würde.
Nicht die Folge, die ich mir erhofft hatte.
"Haben die hier nicht vielleicht solche Hilfs-Pinguine? Damit kann man mich alleine lassen." Begeistert von meiner eigenen Idee, schaute ich in die Runde, bekam allerdings nur nichtssagendes Schulterzucken zurück.
"Nichts da! Wir machen es auf die altmodische Art." Coda stand auf, als befänden wir uns nicht auf einem spiegelglatten Untergrund. Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Er schien dann wohl auch von der Sorte Mensch zu sein, die sich auf dem Eis bewegten, als wäre es seine natürliche Umgebung.
Erst als er sich hinter mich gesellte und seine Arme unter meine schob, bemerkte ich, dass er mir auf half. Ich sträubte mich nicht und da er mehr Kraft hatte, als Sarah's Mum, stand ich auch innerhalb weniger Sekunden.
Ich wartete darauf, dass er mich los ließ, mein Körper versteifte sich bereits, darauf wartend, für mich selbst sorgen zu müssen. Doch er entfernte seine Arme nicht. Stattdessen schlang er sie weiter um meinen Oberkörper, bis ich an ihn gepresst war und ich sein Kinn an meiner Schläfe spürte.
"Ich hab dich."
Seine tröstenden Worte, wärmten meine Haut und ich gab mein absolut Bestes, um nicht in seinen Armen zu einer labberigen Spaghetti zu werden.
Laut schluckend, klammerte ich mich an seine Hände. Erst dann bemerkte ich die neugierigen Blicke von Sarah und ihrer Mutter. Ich lächelte sie an, darum betend, dass sie keine unangenehmen Kommentare oder Fragen für uns hatten. Sie enttäuschten mich nicht.
"Komm, Sarah. Ich glaube, Callie ist jetzt in guten Händen. Lass uns noch ein bisschen weiter laufen." Ich sah zu, wie Sarah mir ein verschmitztes Grinsen zu warf, als verstand sie mehr von der Situation, als eine Grundschülerin sollte, dann drehte sie sich wieder hochkonzentriert um und setzte ihren Weg fort.
Das gab mir die Möglichkeit, meine Missbilligung zu äußern.
"Du brauchst mir nicht helfen, Coda. Dein Job ist es, dich mit den Familien zu beschäftigen, nicht mit mir."
"Und wie soll ich dich bitte allein lassen, wenn du dir nach nicht mal zehn Minuten den Schädel brichst? Das wäre dann doch Fahrlässigkeit, oder nicht?"
Schnaufend, schüttelte ich den Kopf.
"Darum geht es nicht."
"Ich kann dich aber nicht einfach guten Gewissens loslassen, wenn du die anderen jederzeit in Gefahr bringen könntest. Was ist, wenn du plötzlich auf eins der Kinder fällst? Oder du dich an jemandem fest klammerst, weil du versuchst, dein Gleichgewicht zu finden, stattdessen reißt du die Person zu Boden. Und lass mich gar nicht erst anfangen, was diese scharfen Kufen alles anrichten können." Seine Finger strichen sanft über meinen Handrücken. Dann setzte er theatralisch fort.
"Das kann und will ich einfach nicht zulassen."
Seufzend, lehnte ich mich etwas weiter gegen ihn.
"Aber die Leute sind wegen euch Jungs hier. Am Ende werden sie schlecht über dich reden, weil du dich nur mit einer einzigen Person abgegeben hast, anstatt dich für alle anderen zu interessieren."
"Also erstens sind die ganzen Familien und Kinder nicht unbedingt unsere Fans. Sie wurden hierher eingeladen, um zusammen Spaß zu haben. Das bedeutet, sie machen ihre Erlebnisse und Erinnerung bestimmt nicht daran fest, wie viel Zeit sie mit Four Kings verbringen konnten. Zweitens macht es mir nichts aus, wenn jemand schlecht über mich redet. Aber ich bezweifle stark, dass hier irgendjemand Energie in solche Sachen verschwenden wird. Und drittens, selbst wenn es so ist und gesagt wird, dass ich mich nur mit einer einzigen Person beschäftigt habe, was mir übrigens keiner verboten hat, dann kann ich dir versichern, dass es mir egal ist."
Er drehte mich plötzlich in seinen Armen um, woraufhin ich, unvorbereitet wie ich nun mal war, beinahe aus seinem Griff rutschte. Ich riss ihn leicht panisch näher und packte seine Jacke. Mit einem amüsierten Schmunzeln, zog er mich wieder sicher an seine Brust, sodass ich mich, selbst wenn ich wollte, nicht von ihm wegbewegen konnte.
Ich schaute ihn unentschlossen an. Mein schlechtes Gewissen nagte wie eine hungrige Maus an mir, aber seine Worte klopften mich auch irgendwie weich.
"Die Kinder brauchen mich nicht, um den Spaß ihres Lebens zu haben. Außerdem... ist es nicht unfair, wenn ich mich mit anderen Leuten abgebe, ohne ihnen meine volle Aufmerksamkeit schenken zu können?"
Verwirrt starrte ich ihn an. Mit seinem Mundwinkel nach oben gezogen, sah er so unglaublich weich aus, dass ich Mühe hatte, nicht meine Finger über seine Haut gleiten zu lassen, um zu fühlen, ob er zu dem Blütenblatt einer Rose mutiert war.
"Was meinst du?"
"Ich befinde mich am anderen Ende des Eisrings und alles, wonach meine Augen suchen, bist du. Ich bin in Konversationen, doch meine Gedanken gehören dir. Ich erlebe Sachen, aber kann nicht aufhören, mir zu wünschen, dass wir diese Erinnerungen zusammen erleben."
Mein Atem stockte und ich spürte mein Herz wie wild gegen meine Rippen pochen. Das klang verdächtig nach etwas weitaus Größerem, als ich mir eingestehen konnte.
"Also sag mir, wirst du mich davonjagen, um dein Leben und das der anderen allein zu riskieren, oder lässt du mich, dich halten."
Mein Mund war zu trocken, als das ich sofort etwas erwidern konnte. Also räusperte ich mich und versuchte meine Zunge zu befeuchten.
"Wie soll ich da Nein sagen?" Eine mickrige Antwort, aber alles, was ich in diesem Augenblick rausbringen konnte. Es schien jedenfalls befriedigend zu sein, denn Coda grinste mich prompt an und schob uns ohne Warnung nach vorn.
Ich konnte mich nicht davon abhalten, laut zu quietschen, als meine Schlittschuh über das Eis glitten. Es war noch nie passiert, dass ich so ein Tempo unter den Kufen gespürt hatte. Nicht, dass es sonderlich schnell war, und nicht, dass ich überhaupt etwas anderes tat, als mich an jemandem festzuklammern. Aber es war ein ungewohntes Gefühl.
Coda manövrierte uns gekonnt an Kindern und Eltern vorbei, alles, während er mich in seinen Armen hielt. Vielleicht klappte es besonders gut, weil ich keinerlei Versuch startete, selbst etwas zu tun. Ich ließ mich einfach treiben und genoss die Fahrt. Womöglich genoss ich seine Nähe noch mehr.
"Wir sind ein echt gutes Team.", murmelte ich nach einer Weile gegen seine Schulter. Er lachte leise.
"Ich bring dir Eislaufen schon noch bei, dann können wir den Aufwand vielleicht 50/50 aufteilen."
"Entweder überschätzt du deine Fähigkeiten, oder du unterschätzt mein Talent, nicht Schlittschuhlaufen zu können. Du würdest mich nämlich mit ziemlicher Sicherheit die nächsten Zehn Jahre trainieren müssen, damit ich auch nur ansatzweise dazu in der Lage wäre, allein übers Eis zu sausen."
Coda hielt nach ein paar weiteren Momenten etwas mittig im Eisring an, sodass wir der hauptsächlichen Bahn nicht in den Weg kamen. Vorsichtig schob er mich etwas von sich weg, bis er mir wieder ins Gesicht schauen konnte.
Seine Hand schnellte augenblicklich zu meiner Wange, deren Schmerz ich in Coda's Beisein so gut wie vergessen hatte. Seine Fingerkuppen fuhren über meine Haut und es war so zart, dass ich kein Stechen oder Pochen verspürte.
"Dann bedeutet das wohl oder übel, dass du mich die nächsten Zehn Jahre ertragen musst."
Er legte seine Lippen in einem kurzen Kuss auf meine. Es war so schnell vorbei, dass ich weder auf seine Worte, noch auf seine Aktion reagieren konnte.
In einem Moment stand ich noch perplex da, im nächsten hatte er mich ein weiteres Mal umgedreht und schob mich nun vorwärts heran, sodass ich sehen konnte, wo lang es ging. Seine Arme wanden sich erneut um mich, als hätten sie nie ein anderes Zuhause gekannt.
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