//DAS PORTAL DES PHARAOS//
»GOLLUM HAT WAS?« Susi will eigentlich gerade ihr Zimmer auf Vordermann bringen, aber die Behauptungen des kleinen Käfers sorgen prompt dafür, dass ihr alles aus den Händen fällt, was sie mühevoll aufgesammelt hat.
Ich kann es ihr nicht verdenken. Auch ich muss mich erst mal kurz hinsetzen. Das kann eigentlich gar nicht stimmen. So verrückt würden Elrond und Gandalf nicht sein. Skarabäus muss sich irren. Zu lange in der Wüste gewesen, vielleicht? Sonnenstich? Zu wenig getrunken? Hm, er scheint mir recht fit zu sein, der Krabbler mit den königlichen Symbolen. Dennoch, er muss da etwas missverstanden haben.
»Nie im Leben!«, schüttelt auch Max mit dem Kopf und schiebt sich eine Handvoll Kartoffelchips in den Mund.
Ist er sich sicher, dass der Käfer vorhin in dieser Tüte nicht eventuell sein – ach, das lasse ich lieber.
»Ich komme ganz bestimmt nicht den weiten Weg hierher, in dieses Kaff am Popo der Welt, um Märchen zu erzählen. Was denkt ihr euch eigentlich?« Jetzt ist der kleine Kerl wohl beleidigt. Aber ganz im Ernst. Ich kann und will ebenfalls nicht glauben, was er da behauptet.
»Davon hat uns Herr Elrond nichts gesagt«, findet Susi langsam die Fassung wieder. »Wir wissen, dass sich der Schleicher im Seniorenheim nicht sonderlich gut gemacht hat und dass man für Gollum einen neuen Einsatzort finden wollte«, erinnert sie sich an ihr letztes Gespräch mit dem Elbenfürsten. »Aber darüber, dass er ausgerechnet im Museum arbeiten soll, wurde kein Wort verloren. Das wäre nämlich eine verdammt schlechte Idee.«
»Korrigiere: Das IST eine verdammt schlechte Idee. Gewesen, um noch präziser zu sein.« Skarabäus kratzt sich besserwisserisch an seiner Nase.
»Also habe sie ihn rausgeschmissen?« In Max' Gesicht macht sich Hoffnung breit.
Um es mit den Worten des Käfers zu sagen: Ich glaube nicht, dass dieser sich auf den weiten Weg gemacht hat, nur um zu erzählen, dass Gollum seinen Job im Museum verloren hat. Da muss es noch mehr zu wissen geben. Etwas, das mit ihm persönlich zu tun hat. Mit – ja! - womöglich mit diesem Portal, das das Insekt bewacht. Macht euch dieser Gedanke auch solche Bauchschmerzen?
»Also noch mal von vorne«, Max legt die Chipstüte zur Seite und lässt sich auf das mintgrüne Sofa fallen. Den ganzen Plunder darauf schiebt er halbwegs elegant mit dem Po beiseite. »Gollum hat nach seinem Rausschmiss aus dem Seniorenheim im städtischen Museum in Eichenstedt gearbeitet?«
»Bestätige.« Der Käfer nickt einmal hart mit dem Kopf.
»Dieser Einsatz sollte in Zusammenhang mit einer Therapie erfolgen?«
Wieder nickt der Käfer. »Damit er seine Obsession für goldene Dinge aus alter Zeit, die einst mächtigen Leuten gehört haben, loswird«, ergänzt er und betrachtet sein Spiegelbild auf einem umgestürzten Glas.
»Soweit so gut. Und dann?«, hakt Susi ungeduldig nach.
»Hat er das Portal entdeckt«, antwortet Skarabäus trocken und beginnt, die Chipskrümel vom Boden aufzusammeln.
»Dein komisches Pharaonen-Portal?« Max verzieht ungläubig das Gesicht.
Ich verziehe ungläubig das Gesicht.
Ihr verzieht ungläubig das Gesicht.
»Moment. Mal langsam.« Susi hebt beschwichtigend die Hände hoch. »Du redest über dieses Portal, als wäre es etwas sehr Bedeutendes.«
Skarabäus nickt stolz.
»Etwas Wichtiges, auf das man aufpassen muss, weil sonst was Doofes passieren könnte«, tastet sich Susi weiter vor.
»Jo«, gibt ihr der Pillendreher diesmal etwas verhaltener recht und zieht mit seinem Beinchen unsichtbare Kreise auf dem Boden.
»Deswegen befindet sich das Portal natürlich weit weg an einem sicheren Ort, damit kein Strauchdieb sich daran zu schaffen machen kann, richtig?« Susi knabbert auf ihrer Unterlippe herum.
»Falsch.« Skarabäus lässt sich schlaff auf den Boden sinken und stopft noch ein paar Chipskrümel in sich hinein. »Es war alles ein ganz großes Malheur. Ein Unglück. Ein Verbrechen!« Er steigert sich wieder in seine Wut hinein, wodurch seine Stimme immer schriller wird. »Ein Forschungsteam hat das Portal in einer alten Tempelanlage in Karnak entdeckt, konnte es aber nicht wirklich zuordnen. Und was machen diese unfähigen Menschen dann?« Skarabäus breitet seine Flügel aus und guckt Max und Susi abwechselnd vorwurfsvoll an. »Sie packen es ein, nehmen es mit und machen es zum Teil einer großen Wanderausstellung. Als wäre es nichts weiter als irgendeine Steinplatte mit ein paar Hieroglyphen drauf. Na ja, mehr ist es auch nicht. Zumindest nicht, wenn man dessen Bedeutung nicht kennt.«
»Lange Rede, kurzer Sinn«, mischt sich Max ein und kniet sich zu Skarabäus runter. »Das Portal des Pharaos ist Teil der Ägypten-Ausstellung im Eichenstedter Museum.«
»Ja«, ruft der goldverzierte Mistkäfer und scheint zu denken, dass nun alles gesagt sei.
Aber ist es das? Was denkt ihr? Überlegen wir mal, welche Infos wir jetzt haben. Gollum im Museum. Portal im Museum. Gollum findet Portal. Käfer ist Wächter von Portal. Käfer ist völlig aufgebracht. Käfer kommt zu Susi und Max, weil er sie für kompetent hält. Käfer braucht Hilfe.
Shit!
»Shit!« Sag ich ja! Offensichtlich hat es auch bei Susi Klick gemacht. Sie schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn und lässt sich auf das Sofa sinken. Allerdings ohne dabei Rücksicht auf den ganzen Krempel darauf zu nehmen.
Die Schulhefte! Ach, ihr habt recht. Wen interessieren jetzt noch Schulheft?
»Was? Ich habs immer noch nicht verstanden.« Max blickt zwischen seiner Freundin und dem Überraschungsgast hin und her.
»Mensch Max, das ist das klar wie Kloßbrühe«, klärt Susi ihren Schulfreund auf. »Gollum hat dieses Portal nicht nur entdeckt, er hat es auch geöffnet!«
»Hat er?«
»Hat er.«
Hat er.
»Und er ist hindurch gegangen oder was?« Max schüttelt unablässig mit dem Kopf.
»Ist er.« Skarabäus bestätigt, was ich die ganze Zeit befürchtet hatte. Gollum ist durch das Portal des Pharaos gegangen. Aber wohin eigentlich?
»Und wo isser nun?«, will auch Max endlich alles über diesen unerfreulichen Zwischenfall erfahren.
Skarabäus verdreht die Augen. »Na rate mal.«
»Komm, ich habe keine Lust mehr darauf, dir alles aus den Fühlern ziehen. Wenn wir dir helfen sollen, dann sprich bitte Klartext.« Da hat Max recht. Diese überhebliche Art von diesem Insektenfuzzi ist wirklich anstrengend. Sympathiepunkte bekommt man damit nicht.
»Das Portal des Pharaos hat noch einen zweiten Namen, wie ich bereits erwähnt habe. Das Tor der Zeiten.« Wieder macht Skarabäus eine Denkpause. Da keine Antwort kommt, spricht er weiter. »Euer Freund Gollum ist durch die Zeit gereist. Ins alte Ägypten. Zurück in die 18. Dynastie.« Er nickt erwartungsvoll mit dem Kopf, so als müsste beim Stichwort 18. Dynastie ein weiterer Groschen fallen.
Wisst ihr, was es mit der 18. Dynastie auf sich haben könnte? Geht es um einen bestimmten König, der in dieser Epoche geherrscht hat? Wer von euch ist denn gut in Geschichte? Hm, auch Max und Susi scheinen nicht auf die Antwort zu kommen. Skarabäus holt bereits wieder Luft.
»Sagen euch die Namen Amenophis der Vierte und seine Gemahlin Nofretete etwas?«, fragt er nun und betrachtet erneut seine winzigen Finger.
»Der Verrückte mit dem langen Kopf? Echnaton?«, spuckt Susi die erste Antwort aus, die ihr in den Sinn kommt.
»Was? Echnaton? Langer Kopf?«
Jetzt bin ich aber so richtig verwirrt. Ich denke, das Kerlchen kennt sich aus mit dem antiken Reich der Pharaonen. Dann müsste er doch wissen, dass Echnaton ziemlich verschoben dargestellt wurde auf zeitgenössischen Reliefs und Statuen.
Max schnappt sich den großen Schulatlas und schlägt eine Infoseite zum Thema Ägypten auf. »Hier drin waren doch Fotos von Echnaton und seiner Familie. Susi hat recht. Die haben alle so seltsame Alienköpfe gehabt. A-aber, hä? Wer ist das denn?«
Was hat Max entdeckt? Er blättert wie ein Irrer durch den Diercke, vor, zurück, wieder vor. Dann schüttelt er mit dem Kopf und geht an Susis Bücherregal. Er schnappt sich ein schweres Lexikon, schlägt eine Seite im Abschnitt E auf.
»Ich kann nirgends mehr die Einträge über Echnaton finden«, stellt er entgeistert fest.
»Das kann nicht sein«, widerspricht Susi ihrem Freund. »Über den haben wir uns doch so oft amüsiert. Der muss da irgendwo abgebildet sein.« Die Brünette reißt Max den Wälzer aus den Händen, um sich selbst davon zu überzeugen, das Echnaton verschwunden ist. »Nicht möglich«, murmelt sie nach einer Weile. »Nofretete und Tutanchamun stehen doch auch drin. Nur er nicht. Wasn da los?«
Das möchte ich aber auch mal wissen. Diese drei Leutchen sind mitunter die bekanntesten Persönlichkeiten des alten Ägyptens. Jedes Kind kennt die berühmte Totenmaske von Tuti! Und Echnaton war sein Vater. Warum steht auf einmal nichts mehr über ihn im Lexikon?
»Ich verstehe die Aufregung nicht«, mischt sich der Käfer wieder ein. »Mich interessiert euer Echnaton nicht. Es geht um Amenophis den Vierten. Ein großer König. Wir müssen Gollum davon abhalten, ihm etwas anzutun.«
»Was könnte dieser Schleimer einem Pharao antun?«, fragt sich Max, während Susi weiter im Lexikon wühlt.
»Amenophis IV. Gucken wir mal. Hä? Das habe ich ja noch nie gesehen. Guck mal Max! Die Buchstaben bewegen sich!« Susi stolpert auf dem Weg zu Maximilian beinahe über den ganzen Kram, der am Boden verstreut liegt. »Dieser Amenophis hat tatsächlich einen Eintrag. Aber ich kann ihn nicht lesen. Die einzelnen Buchstaben hüpfen wie Flöhe über das Papier, sortieren sich ständig neu oder verschwinden ganz.«
»Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut«, knurrt Skarabäus und läuft ziellos im Kreis herum. »Gollum hat bereits angefangen, die Vergangenheit zu ändern. Wenn wir uns nicht beeilen, dann könnte er die gesamte Weltgeschichte auf den Kopf stellen.«
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