3-Praktische Magie
Das schlechte Gewissen wurde ein ständiger Begleiter für Beliok. Immer wenn sie sich mit Morirok unterhielt, biss es sich an ihr fest. Manchmal wollte sie ihr Geheimnis herausschreien, doch Angyonnes eindringliche Worte hallten in ihrem Kopf.
„Ich frage mich, wieso nur ihr zwei spezial Unterricht bekommt", die drei Mädchen lagen in ihren Betten, draußen war es dunkel.
„Es ist wirklich nicht so toll", sagte Zamra ohne zu zögern.
„Du hast deine Kräfte unter Kontrolle, wir nicht."
Morirok schwieg eine Weile, Beliok hatte kurzzeitig das Gefühl, dass ihre Freundin eingeschlafen war.
„Ich will aber soviel Zeit wie möglich mit euch zwei verbringen."
Das schlechte Gewissen krallte sich in Belioks Körper. Sie tat so, als wäre sie eingeschlafen. Die restliche Nacht wachte das Mädchen immer wieder auf.
Eigentlich war es viel zu früh, um aufzustehen, doch Angyonne hatte Beliok und Zamra einen strengen Zeitplan zugeteilt.
Die Sonne war gerade dabei aufzugehen, beide hatten sich Trainingskleidung angezogen und waren in die Turnhalle geschlichen.
„Wie schön, euch zu sehen", begrüßte Angyonne sie. Die Turnhalle hatte einen grünen Linoleumboden, an den Wänden hingen Leitern und an der Decke einige Ringe. Hinter einem Gitter an einem der Wände befanden sich weitere Sportgeräte.
Anygonne war nicht allein. Neben ihr stand Arona.
Nachdem Beliok und Zamra sich ausgiebig aufgewärmt hatten, begann die Direktorin zu sprechen.
„Heute werde ich testen, wie gut ihr die Grundlagen eurer Kräfte beherrscht. Beliok, erschaffe eine kleine Kugel, nur aus den Schatten in diesem Raum."
Langsam bewegte das Mädchen ihre Handflächen Richtung Boden. Sie begann, an den Schatten zu zerren. Ihr eigener Schatten, war am einfachsten zu bewegen, doch vor allem Aronas Schatten, schien ihr zu widerstehen.
Mit einer fließenden Bewegung hielt sie beide Hände vor sich. In ihnen pulsierte nun eine kleine, schwarze, violette Kugel.
Angyonne nickte und Beliok ließ die Kugel zerstreuen.
„Zamra, eine Eiskugel."
Der Raum wurde ein wenig kühler. Weißer Nebel stieg von Zamras Händen auf, verfing sich in ihren roten Haaren und schlang sich um ihre Hörner.
Sie verfestigte den Nebel, es waren knirschende Geräusche zu hören, bis schließlich das erste Eisstück in ihren Händen erschien.
Das Knirschen wurde immer lauter und dann hielt Zamra eine kleine Eiskugel in den Händen.
Die Direktorin lächelte zufrieden.
„Beliok, wie gut kannst du deine Drachenform kontrollieren?"
Das Mädchen sah zu Boden.
„Nicht sehr gut. Das letzte Mal ist nicht so gut ausgegangen."
Ihr Gesicht brannte, während die Schatten immer weiter aus ihren Augen und Händen traten. Panisch schlug Beliok mit ihren Flügeln um sich, doch nichts konnte den Schmerz lindern.
„Macht nichts, darum bist du ja hier. Arona, bitte."
Falls Beliok sich nicht täuschte, hatte Arona kaum merklich ihre Augen verdreht. Dennoch trat die Ältere vor.
Die Temperatur im Raum fiel rapide.
Ihre zweifarbigen Augen begannen zu leuchten, dann riss sie ihren Mund zu einem stummen Schrei auf. Es ertönte ein lautes Knacken, während Aronas Körper sich in unnatürlicher Weise verbog. Zwei schuppige Flügel brachen aus ihrem Rücken hervor, getränkt in einer dunklen Flüssigkeit.
So sehr Beliok wegsehen wollte, sie konnte nicht. Eine groteske Faszination zwang ihren Blick auf das Szenario. Sie beobachtete, fast mit Freude, dass sich Aronas Hände
verbogen, brachen und schließlich zu Krallen wurden.
Die Kälte, die von Arona ausging, verschwand und den beiden Mädchen stockte der Atem als sie die Ältere betrachteten.
Eisblumen bedeckten ihre Haut, die schwarzen Schuppen unter ihren Augen hatten sich auf ihren gesamten Körper ausgebreitet und zwei gewaltige, weiße Drachenflügel ragten aus ihrem Rücken hervor.
Die Direktorin lächelte breit. Sie strahlte großen Stolz aus, während sie Arona ansah.
„Sehr gut. Bevor du dich zurückverwandelst, zeige doch kurz deine Kräfte.", Ihre Augen begannen zu leuchten.
Aronas Handbewegungen waren schnell, der Boden um die vier Frauen war mit Eis bedeckt. Aus dem Eis erschienen verschiedenste Figuren, mal Waffen, mal eine Kugel, zu Belioks erstaunen Hände und schließlich ein Abbild von Arona selbst.
„Wunderbar!", sagte Angyonne.
„Darf ich jetzt gehen?"
„Natürlich. Oh, bevor ich es vergesse, Beliok, Zamra, wenn ich nicht da bin, wird Arona euch mit euren Kräften helfen."
Die drei Mädchen sahen sich an. Arona verzog ihr Gesicht, doch als Angyonne ihr einen Blick zuwarf, nickte sie.
„Nun, es ist noch eine Stunde Zeit, bevor euer Unterricht beginnt. Ich werde euch noch ein wenig zu euren Kräften erläutern."
Sie drehte sich vollends zu den zwei Mädchen. Beliok bemerkte erst jetzt, wie überragend Angyonne war.
„Ihr seid die Auserwählten, das heißt ihr werdet uns vor den Lumari retten. Die Lumari sind von Natur aus böse und wollen uns verderben. Sie wollen die Welt für sich übernehmen. Ihr werdet sie stoppen, wie vorhergesagt und dann wird Frieden herrschen. Eure Kräfte werden ein neues Zeitalter für uns Runi einläuten. Ihr werdet Helden sein."
Mit großen Augen sahen Beliok und Zamra sich gegenseitig an.
„Das heißt natürlich, dass ich viel von euch erwarte. Vor allem von dir, Beliok."
„Was ist mit unseren Kräften?", fragte Beliok.
„Wie bitte?"
„Du- Sie haben gerade noch gesagt, sie erläutern uns zu unseren Kräften."
Angyonne lachte kurz auf. Irgendetwas stimmte damit nicht, fand Beliok. Sie hatte nicht versucht, lustig zu sein.
„Natürlich, Natürlich. Nun, welche Fragen habt ihr denn?"
Sofort ergriff Zamra das Wort.
„Wieso bin ich ein Diables, aber Beliok ein Drache? Wo ist der Unterschied zwischen mir und einer Runi des Eises?"
„Hmmm...deine erste Frage ist besonders schwer zu beantworten, das wäre ungefähr so, wie wenn ich mich fragen würde, wieso ich zweifarbige Augen habe. Ich denke, ihr zwei hattet einfach Glück. Viele Runi würden alles für eure Fähigkeiten und euer Level von Stärke geben. Der größte Unterschied zwischen euch wäre wohl tatsächlich eure Stärke. Kaum jemand in eurem Alter wird in der Lage zu sein, das zu tun, was ihr können werdet."
„Und es ist wichtig, um die Welt zu retten?", fragte Zamra.
„Genau."
„Was ist, nachdem wir die Welt gerettet haben?", die Frage verließ Belioks Mund, bevor sie darüber nachgedacht hatte.
Angyonne überlegte.
„Das wird sich zeigen. Ich denke, das sind genug Antworten für heute.", ihr Ton machte klar, dass das Gespräch beendet war.
Ein wenig enttäuscht verließ Beliok die Turnhalle. Bis zu ihrem Zimmer gingen die Mädchen schweigend nebeneinander her.
„Hattet ihr zwei Spezial-Unterricht?", fragte Morirok, kaum dass Zamra die Tür geöffnet hatte.
Sie war nicht mehr ihren Pyjama.
Stattdessen trug sie ein weißes Kleid mit schwarzen Socken. Ihre gelben Augen funkelten neugierig.
„Yep", murmelte Beliok, vermied Augenkontakt und verschwand im Badezimmer.
◇─◇──◇─◇
Jeryn saß alleine in ihrer Küche. Es war viel zu früh, um wach zu sein, doch ihre Sorge um Beliok hatte sie wachgehalten. Zwei Monate schon hatte sie ihre Tochter nicht gesehen. Ihr Streit mit Elyon war nach wie vor ungelöst.
Sie rührte lustlos in ihrem schwarzen Kaffee herum. Was, wenn Beliok Kontrolle verlor? Würde Angyonne sie einsperren? Wofür brauchte sie ihre Tochter überhaupt?
Mit wenigen Schlucken trank Jeryn, das inzwischen kalte Gebräu aus und zog sich einen Mantel und ihre Stiefel an. Es war kalt geworden und Valertos war ab und zu von einer Schneeschicht bedeckt. Diesmal hielt sich diese Schneeschicht besonders hartnäckig.
Jeryn hasste den Schnee, doch sie musste ihren Kopf freibekommen. Leise schloss sie die Tür hinter sich.
Valertos lag still vor ihr, die Sonne war gerade dabei aufzugehen. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, während Jeryn in keine bestimmte Richtung ging.
Die Läden waren gerade dabei, sich zum Öffnen bereitzumachen. Jeryn kam an dem „Seidenen Blumenblatt" Kaffe vorbei. Das hölzerne Namensschild quietschte im Wind. In einer Ecke des Schildes befand sich eine kleine Sonne, wer nicht wusste, wo sie war, hätte sie nicht gesehen.
Solei hatte den Kampf um dieses Kaffee wohl gewonnen.
Jeryn seufzte tief. Zu viele Bewohnerinnen von Valertos war der Machtkampf, welcher vor ihren Augen ausgetragen wurde, nicht bewusst. Kaum jemandem war bewusst, dass die ganze Stadt von zwei Clans beherrscht wurde.
Sie wünschte zu den Unwissenden zu gehören, aber sie musste sich in Angyonne verlieben.
◇─◇──◇─◇
Den Unterricht über fühlte Beliok sich schuldig. Sie wollte Morirok so gerne in ihr Geheimnis einweihen. Immer wieder sah sie zu ihrer Freundin, welche den Lehrerinnen wie gebannt lauschte.
Irgendwas über die Geschichte von Valertos und Yonith. In den Pausen lauschte sie den Gesprächen von Zamra und Morirok. Zamra schien kaum Schwierigkeiten mit ihrem Geheimnis zu haben.
Schließlich hatten sie praktischen Magieunterricht. Beliok grauste davor.
Ihre Professorin hatte breite Schultern, kurze schwarze Haare und fast runde Ohren. Ihre Haut war violett. Sie trug ein schwarzes Tanktop und dunkelgrüne Jogginghosen.
„Guten Morgen, Mädchen. Ich bin Professorin Salno. Zuerst werdet ihr fünf Runden laufen, danach werdet ihr euch dehnen und dann-", sie machte eine Pause und sah jede Schülerin der Reihe nach an.
„Werde ich mir ein Bild von euren Fähigkeiten machen."
Die fünf Runden kamen Beliok unendlich lang vor, das Dehnen war nicht besser. Schließlich wurden sie alle in Gruppen zu drei Schülerinnen eingeteilt. Zum Glück kam Beliok mit ihren Freundinnen in eine Gruppe.
„Unsere drei Neuzugänge", sagte die Professorin, als sie vor ihnen stand. Sie wirkte einschüchternd, jedoch nicht so einschüchternd wie Angyonne.
„Wer von euch ist die Runi des Feuers?"
Sofort machte Morirok einen Schritt nach vorne.
„Eine Flamme."
Es dauerte nicht lange, bis über Moriroks Hand eine kleine Flamme brannte. Sie züngelte eine Weile hin und her, wurde ein wenig größer und kleiner.
„Gut."
Dann drehte sich die Professorin zu der Klasse und sagte die nächste Übung an. Verwirrt sahen die drei Mädchen ihr hinterher.
„Wurdet ihr gerade ausgelassen?", fragte Morirok.
„Scheint so.", antwortete Beliok. Ihre Stimme klang hohl.
Nach der Stunde wurden Beliok und Zamra von Salno zurückgeholt.
„Euch ist aufgefallen, dass ihr ausgelassen wurdet?"
Beide nickten.
„Ich hatte bereits einen Überblick über eure Fähigkeiten und bei dir, war das Risiko auf einen Kontrollverlust zu groß."
„Aha", machte Beliok.
Diese Aussage löste Unbehagen in ihr aus. Mehr, als ihr lieb war.
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