Ohne Titel Teil4

Amelie saß am Tisch im Wohnzimmer ihrer Eltern und lächelte. Sie mochte es, wenn ihre Eltern fröhlich waren. In der letzten Zeit hatten sie nicht viel Grund dazu gehabt. Amelie musste leider zugeben, dass sie daran nicht ganz unbeteiligt war. Sie hatte sich teilweise wie ein verzogenes Kleinkind verhalten mit ihrem Wunsch, sich ihnen anzugleichen.

Doch heute Abend waren sie endlich wieder fröhlich und ausgeglichen.

Sie beobachtete, wie ihr Vater den Arm um ihre Mutter gelegt hatte und sie ihm immer wieder über den Schenkel strich.

Amelie hatte sich schon immer gewünscht, dass sie auch einmal einen Mann finden würde, den sie so lieben konnte, wie ihre Mutter ihren Vater. Obwohl sich manche darüber lustig machten, beneideten sie viele auch darum. Und Amelie ging es nicht anders.

Sie schloss einen Moment die Augen und gab sich ihren Träumen hin. Sie hatte die Geschichten, die ihre Eltern mit dem Professor jetzt austauschten, sehr oft gehört. Es war schon abenteuerlich, was sie damals erlebt hatten.

Sie gönnte ihren Eltern, dass sie im Moment so etwas wie Frieden hatten. Leider war sie es selbst, die diesen Frieden immer wieder durch ihren Wunsch störte.

Das ihr Vater sie heute an geschrien hatte erschreckte Amelie immer noch. Das hatte er wirklich noch nie getan. Sie merkte immer noch, dass er wegen dem komischen Ding angespannt war. Bisher hatte sie immer angenommen, dass ihren Vater nichts Angst einjagen konnte. Da hatte sie sich wohl geirrt.

Als sie in der Uni angekommen war, hatte sie sich gleich in die Bibliothek gestürzt und alles gelesen, was sie über Engel finden konnte. Am Anfang hatte sie nichts Aufsehenerregendes gefunden. Nur die üblichen Schutzengelgeschichten. Alle Engel waren friedlich und nett. Doch dann bekam sie ein Buch in die Hand. Hier ging es über die Nephilim. Dieses Mal war es kein christliches Buch. Der Autor war ein Wissenschaftler der Geschichte und er hatte alle vorhandene Literatur durchleuchtet.

Bei allen Göttern, wenn das so stimmte, dann waren Engel wirklich zum Fürchten. Erst kamen sie auf die Erde und schwängerten Menschenfrauen. Als sie dann sahen, was sie angerichtet hatten, versuchten sie erst noch den Schaden zu minimieren, aber bald merkten sie, dass sie die ersten Nephilim nicht unter Kontrolle hatten. Also töteten sie jeden ihrer Nachkommen, den sie finden konnten. Das Schlimme war, das der Autor immer noch Nephilim auf der Erde vermutete. Sie versteckten sich unter den Menschen. In den Anfangszeiten wurden sie als riesenhafte Geschöpfe beschrieben, doch das hatte sich im Laufe der Zeit wohl geändert. Nun schienen sie sich kaum von den Menschen zu unterscheiden.

Was hatte sie jetzt gesehen? War es wirklich ein Engel gewesen?

Sie wusste es nicht! Sie sah kurz zu ihrem Vater. Er betrachtete sie nachdenklich. Also hatte er ihre Gedanken mitgehört.

Was war es, Dad?

Er schüttelte kaum merklich den Kopf.

Ich weiß es nicht, Kleines!

Sie hatte früh gelernt, dass es nicht schlimm war, wenn ihr Vater in ihrem Kopf war und mit ihr sprach. Er war mächtig, aber er würde es nie ausnutzen. Meist war es ein Versehen, wenn er ihre Gedanken hörte, aber jetzt war es nicht so. Er wollte wissen, was sie dachte und legte großen Wert auf ihre Meinung. Dafür liebte sie ihn nur umso mehr, denn sie wusste, dass sie in den Augen der meisten Unterweltbewohner ein nutzloser Mensch war.

Ich muss mehr darüber wissen. Kann ich in dein Arbeitszimmer?

Er nickte und sie stand auf.

„Ich muss noch lernen. Ihr entschuldigt mich?"

Alle, bis auf ihren Dad, sahen sie verwundert an, aber sie fragten nicht nach, warum sie gerade jetzt noch lernen wollte. Sie waren es gewohnt, dass sie so etwas auch in unmöglichen Zeiten tat.

„Soll ich dir noch ein Sandwich machen? Ich kann dir auch etwas zu trinken bringen, Mäuschen!"

Amelie ging zu ihrer Mutter und küsste sie auf die Wange.

„Das ist nicht nötig, Mum. Wenn ich hungrig bin, mache ich mir selbst was. Genieße den Abend!"

Ihre Mutter erwiderte den Kuss und umarmte sie.

„Lerne aber nicht so lange. Du brauchst deinen Schlaf!"

Amelie musste grinsen. Die jetzige Ava hatte absolut nichts mit dem göttlichen Wesen zu tun, dass Amelie auch kannte. Einmal hatte sie ihre Eltern bei der sogenannten Jagd beobachtet. Sie war damals noch ein unwissender Teenie gewesen und die Wandlung, die beide durchgemacht hatten erschreckte sie sehr. Sie hatten beide furchterregend ausgesehen. Sobald ihre Mutter bemerkt hatte, dass Amelie sie beobachtete, hatte sie sich zurück verwandelt und Amelie in ihre Arme genommen. Es war ihr damals egal gewesen, dass um sie herum der Kampf getobt hatte. Sie wollte nur ihre Tochter beschützen und trösten. Dafür liebte sie Amelie.

Niemals war Ava etwas anderes wichtiger gewesen als ihre Kinder. Von ihren Mitschüler hatte Amelie erfahren, dass dies bei den Menschen nicht immer der Fall war.

„Ist schon okay, Mum. Ich werde nicht mehr lange lernen und rechtzeitig zur Uni gehen."

Ava streichelte ihre Wange.

„Ich weiß, Mäuschen. Ich liebe dich! Das weißt du?"

Amelie nickte.

„Und ich liebe dich, Mum!"

Sie küsste ihren Vater noch auf die Wange.

Wenn du etwas heraus findest, sag es mir! Egal wann!

Sie versprach es ihm und ging aus dem Zimmer.

Lange stöberte sie im Internet, konnte aber nichts Brauchbares finden. Irgendwann ging sie in den Gästetrakt, wo ihre Eltern ihr eine Suite eingerichtet hatten und duschte sich. Bald würden ihre Vorlesungen beginnen und sie war hundemüde. Heute Nacht würde sie Duncan endlich den Gefallen tun und nur schlafen.


Aidan saß vor dem Unigelände und betrachtete die Studenten.

Insgeheim musste er lachen. Sie wirkten alle so lächerlich in ihren bunten Klamotten und ihrem Gehabe. Nur eine stach unter ihnen hervor und das war die Frau, die er beschützen sollte. Amelie war die einzigste, die noch etwas normal aussah.

Sie sah heute wirklich sehr nett aus. Sie hatte einen langen weißen Rock an, der sich bei jedem Schritt um ihre Füße bauschte. Diese steckten in flachen offenen Sandalen. Solche, die eigentlich nur aus der Sohle und einem Lederriemen bestanden. Sie trug ein sandfarbenes Top und man konnte ihre Armmuskeln erkennen, die man bei so einer kleinen Person gar nicht vermuten würde. Doch Aidan wusste es besser. Sie trainierte fast jeden Tag mit diesem Mondjäger, den sie Onkel Magic nannte. So wie er aussah, konnte er als ihr Bruder durchgehen, aber er wusste eben auch das besser.

Aidan fuhr mit seiner Beobachtung fort. Ihre Haare hatte sie heute gegen ihrer Gewohnheit offen. Ein Schwall roter Haare ergoss sich über ihren Rücken. Es erinnerte Aidan an buntes Herbstlaub, denn es hatten sich noch einige helle Strähnen dazu geschlichen. Immer wieder fuhr sie sich über das Haar. Am liebsten hätte er ihr ein Haarband gebracht und es höchst persönlich gebändigt. Aber er hatte dazu kein Recht.

Sie lief über den Campus und trat durch das Tor. Dort blieb sie stehen und sah sich um. Sie wartete offenbar auf jemanden, denn ihr Blick ging immer wieder auf ihre Armbanduhr.

Einige ihrer Mitstudenten sprachen sie an, aber mehr als ein freundliches Wort hatte sie kaum für sie übrig. Dann endlich schien derjenige zu kommen, auf den sie gewartet hatte.

Ein schwarzes Motorrad kam angerauscht und hielt direkt vor ihr. Ein riesiger Kerl stieg von der Maschine und Aidan sprang auf.

Den Geruch konnte er von Weitem erkennen.

Es war ein Dämon!

Schnell näherte sich Aidan, doch dann erkannte er, wer es war, denn der Kerl hatte seinen Helm abgezogen. Es war ihr Bruder Lucian, ein Halbdämon.

Obwohl er der jüngere war, überragte er Amelie um mindestens drei Kopflängen.

Er grinste sie frech an und umarmte sie. Amelie schlug ihm auf die Schulter und zeigte auf das Motorrad und ihren Rock. Sie schimpfte mit ihm, doch Lucian lachte nur und holte aus seinem Tankrucksack eine Lederhose und Jacke.

Sie verdrehte genervt die Augen, dann zog sie sich um.

Aidan ließ sich wieder an seinem Versteck nieder. Doch er war offenbar nicht schnell genug.

Lucians Kopf hob sich und er sah alarmiert in Aidans Richtung. Dann drängte er Amelie zur Eile an, die mehr schlecht als recht versuchte, sich in aller Öffentlichkeit um zu ziehen.

Kaum war sie fertig, hob er sie auf das Motorrad und brauste im halsbrecherischen Tempo davon.


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