Cherry High - Try not to die! [3/3]

location: Auf der Schülertoilette, gut versteckt, während draußen das Morden vergessen wird, weil zwei Leute gerade Dörtitalk ausprobieren.

time: Wahrscheinlich Mittelalter, weil keine Sau hier Schusswaffen nutzt.

mood: Die einzige Waffe, die ich brauche, habe ich in meiner Hose, Baby.


Welcome back, Dalies and Mentlegen <3

Alice: Wisst ihr, was ich trotz allem von diesem Buch bekommen habe? Gewaltfantasien. Aber das hat absolut nichts mit der Handlung zu tun ...

Asrai: Dem kann ich nur zustimmen, denn diese Handlung ist nicht sonderlich gut darin zu übermitteln, was Gewalt überhaupt ist.

Ace: Okay, aber - Menschen sterben? Ist das nicht gewalttätig genug für dich?

Asrai: Ace, hör mir jetzt exakt zu. Ich werde für den Kampf ausgebildet. Ich weiß, was Gewalt ist, ich weiß, wie Kämpfe und Schlachten ablaufen, weil ich das studiere. Und das hier, dieser Verschnitt, ist alles, außer eine korrekte, gute Darstellung von Gewalt, du Zwerg.

Ace: *während er in Sicherheitsabstand zu Asrai rutscht* ...Okay, ja? Dann erklär mal.

Asrai: Gut, dann wollen wir sehen, was man dir hoffnungslosen Fall noch beibringen kann.


Zunächst - warum benutzt jeder Nahkampfwaffen? Das nächste, was wir haben, sind Wurfäxte, die ineffizient sind. Wenn man sie wirft, verliert man eine ganze Waffe. Bis man seine Ersatzwaffe gezogen hat, hat der Gegner längst diese Chance genutzt. Aber trotzdem gelten sie als Fernkampfwaffe, das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass die erlaubt sind. Warum zur Hölle nutzt das niemand aus?

Selbst, wenn keine Pistolen oder Gewehre zugelassen werden, dann sind Pfeil und Bogen oder eine Armbrust noch immer eine Option, und sehr effektiv. Man kann seine Ziele aus der Entfernung in Deckung ausschalten und verdient sich so in Ruhe seine Punkte, ohne in Gefahr zu geraten. Da sieht man ja schon: Ein bisschen taktischer Unterricht über das Jahr hinweg wäre Bombe. Diese Kinder haben keinen Schimmer von dem, was sie tun. Apropos Bombe. Die Kinder hätten so viele Möglichkeiten! Sie könnten Fallen stellen, eine Pistole mitschmuggeln, oder gleich eine Mini-Gun mitbringen, Himmel, selbst Flammenwerfer existieren. Bomben, Granaten, irgendetwas! Selbst, wenn man nicht an das schwere Zeug kommt, weil der Rest der Welt angeblich normal ist, Molotov Cocktails lassen sich auch easy selbst mischen.

Zweitens - warum versucht in diesem Mörderspiel keiner, am Leben zu bleiben oder wirklich effizient zu töten? Das hier ist eben kein Anime, und damit gibt es keine Entschuldigung, warum die Charaktere sich beim Sehen begrüßen, ein paar Worte plaudern und dann erst nach gemeinsamen Einverständnis mit dem Kampf beginnen. Jeder von uns wäre ein besserer Mörder als diese Kinder, die

-Mittendrin mit ihrem Opfer Selfies machen. Eine Hand hat die Kamera, die andere liegt um seine Schultern. Damit sind beide Arme eingenommen, die Seiten des Mädchens sind komplett ungeschützt. Wenn du sie schon nicht tötest, attackiere sie doch heftig genug, um weglaufen zu können.

-Während der Kindermörderspiele eine Pause einlegen, um Sex auf dem Schulklo zu haben. So etwas ist dem Überleben nicht unbedingt zuträglich, vor allem, weil so ein bisschen zwischenmenschliche Kopulation sehr ablenkend sein kann.

-Allein als zierliches Mädchen mit einer Axt das Territorium betreten, in dem es mehrere Sportlerjungen gibt, die alle zusammenarbeiten. In der Geschichte gewinnt das Mädchen dank der Macht der Wegblende und Animelogik, aber wir alle wissen, was im realen Leben passiert wäre.

-Sich jedes Mal ankündigen. Lachen, Rufen, dumme Sprüche, irgendwas. Wer auch immer in der Lage ist, die Klappe zu halten, müsste eigentlich sämtliche Ranglisten anführen.

-Zwischendurch wichtige Gespräche über Liebe und das Leben führen und dabei alles um sich herum vergessen. Allerdings wurde der Typ dafür auch umgebracht. Verdient, muss ich leider sagen. Jeder, der diese Spiele nicht mit 100 % Aufmerksamkeit verfolgt, hat sich für den Darwin-Award schonmal vorprogrammiert.

-Alle fünf Minuten ihr Handy checken, um ihren Erfolg auf der App nachzuverfolgen. Haben wir bereits erwähnt, dass ein Überlebensspiel Aufmerksamkeit braucht?

-Samt und sonders NAHKAMPFWAFFEN benutzen. Anhand der Chandler-Drillinge müssen wir davon ausgehen, dass Fernkampfangriffe erlaubt sind. (Auch wenn hier jemand die Gefährlichkeit von Wurfäxten enorm zu überschätzen scheint. Werte Isobel, bist du dir bewusst, dass du - sobald deine Axt einmal geworfen ist - keine Waffe mehr hast?

Der Kampf ums Überleben verlangt Effizienz. Die Tatsache, dass all diese Schüler strunzdämlich und furchtbar ineffizient sind, macht allein aus menschlicher Sicht keinen Sinn. Wir - also, unser Organismus - wollen am Leben bleiben. Wenn unser erzogenes Gehirn zu doof dafür ist, wird der Körper einen anderen Weg suchen.

Asrai: Überraschung, bei unseren meisten Teilnehmern sind sowohl Hirn als auch Körper dysfunktional!

Ace: ...Aber vielleicht gehört das ja zum Plot? Vielleicht wurden diese Kinder extra so erzogen, dass sie nicht wissen, wie man kämpft und überlebt?

Alice: Das macht Sinn. Damit sie dann später nicht die Besten sind und nicht durchscheinen lassen, auf was für einer kranken Schule sie waren, und damit die Eltern nicht Fragen stellen ... wehe, einer von euch sagt etwas zum Thema Satzgrammatik. Ich glaube jedenfalls, ich bin hier einer großen Sache auf der Spur.


Drittens: Die Art und Weise, wie Menschen auf Gewalt reagieren, ist komplex und durch Jahrhunderte an Evolution geprägt, und es ist nicht mit Gelassenheit. Gerade Leute, die in der heutigen westlichen Welt aufwachsen, sind körperlich und physisch so sehr entfremdet von Gewalt, dass sie gar nicht in der Lage wären, geistig umzuschalten. Doch selbst wenn all diese Kinder durch ein Wunder die Ausbildung und das Mindset für solche anstrengenden Jagden und Kämpfe hätten: Morden (und gegebenenfalls ermordet werden) verändert das Denken und Handeln. Der komplette Körper steht unter Adrenalin, das Sichtfeld verschwimmt, evolutionäre Impulse nehmen Überhand. Dein Training bedeutet nicht plötzlich mehr, sondern weniger - deine Gliedmaßen werden taub, deine Gedanken sind im schlimmsten Fall unfokussiert, und die Angst kann dich dazu bringen, vollkommen zu erstarren oder dich irrational zu benehmen. Im besten Fall schaltest du ab und vertraust auf dein Körpergedächtnis, das durch immenses Kampf- und Situationstraining auf solche Fälle geschult wurde. Im schlimmsten Fall zieht dein Gehirn Schleifen, und du stotterst dieselben Worte immer und immer wieder, während man dir den Kopf zu Brei schlägt.


Viertens: Die körperlichen Grenzen und Fähigkeiten der Menschen werden nicht im geringsten beachtet. Eine Kannibalin verspeist angeblich eine ganze Leiche, jemand anderer reißt einem Opfer einfach so mal eben das Herz heraus. Köpfe von Hälsen zu trennen ist übrigens auch eine sehr einfache Aufgabe, die gar nicht durch kräftige Muskeln, Rückgrat, Sehnen und das ganze hübsche Zeug, das einen Körper im Idealfall zusammenpuzzelt, erschwert wird.

Ein Schlag mit einer Schnittwaffe auf dem Oberarm wird mit der Kraft der Freundschaft und Psychose weggelacht, oder so.

Mal ganz davon abgesehen, dass das alles ineffizient ist, überschreiten diese Dinge doch die Fähigkeiten von Jugendlichen, die über das restliche Jahr keinerlei Training erhalten. Sie sollten weder die Kraft, noch das Wissen darüber haben, wie das funktioniert. Gerade drei zierliche Mädchen, die einfach so in die Kämpfe rennen, sind scheinbar die tödlichsten Spieler in der ganzen Veranstaltung. Warum? Sie benutzen die gleichen Waffen wie alle anderen, sie werden mit zierlicher Statur beschrieben, und haben keinen erkennbaren Vorteil. Trotzdem fürchtet der größte Teil der Schulgemeinschaft sie.

Ich schätze, da sind wir wieder bei der Animelogik.


Fünftens: Gewalt - und ihre Auswirkungen auf den menschlichen Körper - werden in der Geschichte entweder über- oder untertrieben. Kleine Mädchen bekommen den Oberarm aufgeschnitten und lachen lediglich darüber. Akademiker ungenannter Profession probieren scharfe Klingen an ihren minderjährigen Töchtern aus, ohne dass es langfristige Schäden gibt. Mehrere Schläge ins Gesicht knocken ein junges Mädchen nicht aus, sondern machen nur ein klein wenig Aua. Sobald die Edgyness für den Schockfaktor allerdings hochgedreht werden soll, fliegen an jeder Ecke Blut und Gedärme, weil man jemanden mit dem Katana angestupst hat. Diese Mischung aus Inkonsistenz und übertriebener Härte ist nicht etwa schockierend, sondern wird für Leser, die schonmal einen Thriller aufgeschlagen haben, schnell irritierend und langweilig. Wenn man Autoren rät, auf das Innenleben seines Charakters einzugehen, meint man damit nicht 'Schlitz sie auf, die Leser mögen das.'


Und jetzt einmal aus der Perspektive eines Autors: Das, was wir hier vorliegen haben, ist im besten Fall ein Gewaltporno. Dem Leser wird sehr viel Sex, sehr viel Blut, und sehr viele menschenverachtende Taten entgegengeworfen, in der Hoffnung, zu verstören. Aber das funktioniert nicht so. In einem anderen Medium wie im Film vielleicht, weil wir als Menschen visuelle Kreaturen sind und stark auf Bilder reagieren. Aber Text funktioniert anders. Der Leser hat keine Bindung zu den Charakteren, deren Reaktionen auf die präsentierten Grausamkeiten entweder flach oder dermaßen inkonsistent sind, dass sie unfreiwillig witzig wirken.

Für den Leser ist der Erzähler, aus dessen Sicht eine Szene erzählt wird, eine Brücke zur Welt, in der sich die Personen bewegen. Wenn diese Brücke so unsicher in ihren Reaktionen wirkt wie ne uralte Hängebrücke, kommt man nicht weit mit der Immersion.

Der Punkt ist - die Reaktionen der Charaktere sind unrealistisch, und der Leser verliert damit so gut wie jeden Anreiz, mit den Figuren zu sympathisieren und vielleicht einen feuchten Furz darauf zu geben, was mit ihnen gerade passiert.

Aber wisst ihr, was abschließend noch einmal erwähnt werden sollte? Es gibt ja ein Happy End. Denn, als Finley sich als Bösewicht outet und mit blutverschmierter Krone aus der Toilette auftaucht und es sich herausstellt, dass auch er - gegen die Regeln, das Spiel ist ja vorbei - töten kann, da geht die Sonne auf. In diesem Moment wird es Lucia endlich klar, da versteht sie, wovor sie in Wirklichkeit die ganze Zeit ihr Herz verschlossen hat. Da tritt Traver hinter den rosaroten Schleier, denn ein neuer Kandidat ist auf der Bühne ihres Lebens erschienen. Da entdeckt sie, dass sie zu Emotionen fähig ist, die sie immer rigoros verdrängt hatte. Lucia hat sich in Finley verliebt. Also haltet inne und lasst diese Entwicklung noch einmal auf euch einwirken.

Dankeschön.

Anyway, wir wollen nicht auf einer schlechten Note enden. Es gab Details, die wir mochten - unter anderem die, die wir aus Aces Perspektive erwähnt haben - und viele der Ideen der Autorin (Was steckt hinter der Schule? Was sind die Kopfschmerzen? Wer ist Finley, und woher kommt seine andere Persönlichkeit?) sind nicht schlecht, was es umso trauriger macht, dass sie nur am Rand oder gar nicht behandelt wurden.

Außerdem hatten wir erwähnt, dass diese Geschichte keine Parodie sein soll - vermutlich. Allerdings gibt es eine Szene, die durchaus humoristisch zu lesen ist und in der die Autorin alles auf uns losgelassen hat, was sie in ihrem Schubfach der Kuriositäten fand. Wir wären Monster, würden wir euch diese Szene vorenthalten.

Asrai: „Die einzige Waffe, die ich brauche-" Was in aller Götter Namen ist das?!

Alice: Also ich habe gegrinst. Weiß nicht, warum ihr das so eng seht.

Ace: ...Warum sagt er 'bis zum bitteren Ende'? ... Ich meine, das ist Sex, oder? Da hört man doch nicht... mittendrin auf? So 'Ja, das war ganz nett, aber ich muss noch Abwasch machen, um diese Sache mit dem Orgasmus kümmern wir uns dann einfach nächsten Mittwoch'?

Asrai: Ace, halt deinen gottlosen Mund! Die sind mitten in einem tödlichen Wettkampf voller angeblicher Signifikanz für ihre Zukunft, mal ganz davon abgesehen, dass ich diese Autorin inklusive aller Charaktere - und dir - in ein Kloster Bocas stecken werde, wenn ich euch in die Finger bekomme!

Alice: Also in so einen Ort, wo man schön abgeschieden und unter sich ist, um zu experimentieren und Dinge zu erfahren ... ja ... ausgezeichnete Idee.

Ace: *scheint ausnahmsweise zu abgelenkt, um sich vor Asrais Worten verkriechen zu wollen* Und - und warum fragt sie, ob mit Waffen? Warum MIT Waffen? Ich meine - sie hat die einzigen hier Waffen, und - das sind Messer - Wie will sie mit Messern...?

Asrai: *eiskalt und drohend, während sie einen empörten Blick Richtung Alice wirft* Ace.

Ace: Ich stell doch nur Fragen Q.Q


Da wären wir also. Was haben wir jetzt alles in allem mitgenommen? Wir haben ungesunden Kannibalismus, wir haben Protagonisten, die einen charakterlichen moralischen Tango aufführen, der seinesgleichen sucht, wir haben fragwürdige Kampfszenen mit Jugendlichen, die keine Ahnung haben, warum sie sich eigentlich gegenseitig umbringen, und einen Plottwist, auf den nicht im Geringsten hingearbeitet wurde. Wir haben Gewaltdarstellungen, die zwar sehr grafisch, aber realitätsfremd und damit tendenziell lächerlich sind.

Aber glücklicherweise - glücklicherweise - wurden wir ja vorgewarnt. Mehrfach. In jeder erdenklichen Form. Es gibt Triggerwarnungen (am Anfang und über jedem einzelnen Kapitel) und es gibt Notruf-Hotlines, die jederzeit erreichbar sind. ("Hallo? Entschuldigung? ... Wissen Sie, ich habe 'Cherry High' gelesen und muss jetzt einfach mit jemandem reden.")

Ernsthaft. Zum Thema Triggerwarnungen haben wir eine sehr eigene Meinung, aber das wird eine lange Diskussion (zu der wir gerne auch Außenstehende einladen!) und die heben wir uns für ein andermal auf. Wir wissen, wie die Autorin es meinte und dass es ihr tatsächlich um das Wohl ihrer Leser ging, aber inwieweit ihre Mittel effektiv dazu führen, ist halt was anderes :x

Vielleicht konnten wir ja aber auch ein bisschen verdeutlichen, warum wir glauben, dass nicht alle Dinge in dieser Story funktionieren, und wie es besser wäre. Wenn ihr dazu Meinungen und/oder Anmerkungen und/oder sonstige Kommentare habt, seid ihr alle groß und wisst, wie ihr uns darüber informieren könnt. Wir freuen uns darüber - auch wenn mancher Charakter hier vielleicht anderes hat vermuten lassen.

Eventuell, ganz eventuell geht bei uns auch gerade das Gerücht um, dass wir sogar Verbesserungsvorschläge und Beschwerden annehmen würden. Eventuell.

Also verlagern wir ab hier die Diskussion erst einmal in die Kommentare, bitte nehmt kein Blatt vor den Mund - das haben wir verdient. Aber zunächst - wer will als nächstes? <3


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