Kapitel 37

So leicht, wie es sich Makhah vorgestellt hatte, war es nicht. Selbst nach der Verhandlung schlief Khione weiterhin im Stall und blieb zurückgezogen. Sie vermied es, in die Nähe der Burg zu kommen oder mit anderen zu sprechen. Versuchten Inyan und Taira, sie zum Essen und Bleiben zu überreden, reagierte sie nicht, obwohl ihr Magen laut knurrte. Asku sah, wie sie manchmal nachts auf einem Strohhalm herumkaute, ansonsten verweigerte sie das Essen komplett. Lieber lief sie nach der Arbeit direkt zum Fluss, wusch sich rasch die Hände und kehrte in den Stall zurück. Dabei war sie stets darauf bedacht, einen Umweg einzulegen.

Eines Nachmittags besuchte Makhah mit Yakari und seiner Frau Yona seinen Hengst, der noch immer in der Box stand. Die Verletzung an Denalis Bein heilte, aber er ließ ihn absichtlich hier, da er scheinbar eine beruhigende Wirkung auf Khione hatte. Asku hatte erzählt, dass sie jeden Abend die Pferde streichelte und sobald sie bei Denali ankam, legte dieser seinen Kopf auf ihrer Schulter ab. Daher blieb sie bei ihm länger stehen, ehe sie sich zu den Heuballen in der Ecke zurückzog.

„Wir müssen bald zu unserem Terikan zurückkehren", erklärte Yakari, der Denalis Hals sanft klopfte. Sie waren schon länger als sonst geblieben und durften die Abreise nicht mehr hinauszögern, denn in der Nacht hatte sich eine zarte Schneedecke über das Gras gelegt. Jeder weitere Tag hier würde die Gefahr auf der Rückreise erhöhen, das wusste Makhah. „Was ist nun mit den Sheikahs? Bleiben sie hier, werden sie wie von dir gewünscht ausgesetzt oder nehmen wir sie mit?"

Makhah schüttelte den Kopf. „Nehmt meinen Wunsch nicht mehr ernst", bat er. „Ihr Schicksal liegt in Khiones Händen." Nie würde er die Ansprache der Heilerin vergessen. Khione war weiterhin Shihara, die über alles entschied, doch es wirkte nicht, als wäre sie sich der Macht bewusst. „Wenn sie sich nicht dazu äußert, solltet ihr mit Kabiha und Tehew reden. Beide haben genug Erfahrungen."

„Sie tut mir leid", bemerkte Yona leise, als sie den Heuballen sah, auf dem Khione nächtigte. Darauf waren sogar einige getrocknete Blutflecken zu sehen. „Es muss schrecklich sein, in Angst und Einsamkeit zu leben. Sie vegetiert vor sich hin und scheint alles aufgegeben zu haben."

Bedrückt sah Makhah zu Boden. Ihre Worte trafen ihn ins Herz, denn an der Situation war er allein schuld. Nicht einmal Sabah kam an sie heran, worüber sie zutiefst bestürzt war. Zwar war sie teilweise wieder auf den Beinen, doch Pahra befahl ihr, sich im Warmen aufzuhalten, bis ihr Husten besser wurde. Zudem sollte sie Khione nicht zu sehr bedrängen. Trotzdem ließ es sich seine Schwester nicht nehmen, jeden Tag nach ihr zu sehen, aber sie bemerkte rasch, dass Khione bei jeglichen Berührungen sofort zurücktrat. Die stumme Abweisung tat Sabah unglaublich weh.

„Wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte ...", murmelte Makhah. „Ich würde ihr so gern zeigen, wie leid es mir tut und wie ich wirklich bin."

Yakari legte seine Hand auf Makhahs Schulter. „Niemand kann die Vergangenheit ändern, sondern nur aus ihr lernen", sagte er. „Wir sind Menschen und begehen Fehler, aber es liegt an uns, was wir daraus mitnehmen."

So etwas Ähnliches hatte Khione auch gesagt. Oh, wie sehr wünschte er sich, er hätte auf sie gehört! Laut seufzend kraulte er Denalis Ohren, die bei jedem Geräusch zuckten. Wie immer war der Hengst aufmerksam und achtete auf seine Umgebung. „Es wird nicht leicht werden, ihr zu beweisen, dass ich nicht so bin, wie sie mich kennengelernt hat, wenn sie mich nicht an sich heranlässt und die Kommunikation verweigert ...", meinte er niedergeschlagen.

„Liebst du sie, Makhah?", fragte Yona plötzlich.

Er zuckte zusammen und blinzelte. Bevor er antwortete, horchte er in sich hinein und suchte nach der Antwort, die nicht gelogen war. Je mehr er in sich ging, desto klarer wurde sie, denn sein Herz fing bei den Erinnerungen mit Khione an, schneller zu schlagen. Und das auf eine Art, die ihm einen angenehmen Schauer über den Rücken bescherte. Gleichzeitig tanzten Schmetterlinge in seinem Bauch, die er bisher nur bei Ahyoka verspürt hatte. „Ja. Ich habe es nur vor lauter Sehnsuchtsschmerzen, Hass und Aislingblüten nicht verstanden", gestand er leise.

Yona kam zu ihm, packte seine Schultern und drehte ihn zu sich. „Bist du sicher, dass es nicht aus Mitleid ist?", fragte sie argwöhnisch und als Makhah nickte, fuhr sie fort. „Wenn du dir deiner Gefühlen bewusst bist, wird es einfacher für dich sein, es ihr zu zeigen", sagte sie ernst. „Du kannst nicht erwarten, dass sie alles mit einem Fingerschnippen vergisst, aber du kannst mit Kleinigkeiten dafür sorgen, dass sie deine Fürsorge und Liebe sieht."

„Ich werde mein Bestes geben", versprach Makhah feierlich und in der Hoffnung, dass seine Frau ihm eines Tages verzieh und sie von vorne anfangen konnten. Ohne Vorurteile, Drogen und Hass. „Ich schäme mich so sehr, dass ich so blind war. Anfangs hatte ich keine Gefühle für Khione, aber das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Sobald ich weniger an Ahyoka dachte und mehr an Khione, kam ich nicht damit klar und habe zu den Blüten gegriffen, aus Angst, Ahyoka zu vergessen. Dabei hat mir Göttin Inara doch gezeigt, dass sie wohlbehalten aufgenommen wurde", erklärte er.

„Mach das Beste daraus", erwiderte Yona aufmunternd. „Wenn dir wirklich etwas an ihr liegt, wird alles zwischen euch gut", sagte sie überzeugt. „Was die drei Sheikahs angeht, wären Yakari und ich dankbar, sie mit zu uns zu nehmen. Wie wir erzählt haben, mangelt es uns an Leuten."

„Sprecht mit Khione darüber", wiederholte Makhah, obwohl er nicht sicher war, ob sie eine Antwort erhielten. Auf jeden Fall würden Kabiha und Tehew eine zufriedenstellende Entscheidung treffen. Seine eigene hatte er in den letzten Tagen geändert, da er endlich verstanden hatte, dass nicht alle Sheikahs gleich waren. Zwar wusste er nicht, ob Drystan, Sorin und Ylva vertrauenswürdig waren, doch nur ein Versuch würde es zeigen. Er durfte seine Augen nicht vor der Zukunft verschließen.

„Ich gehe zu ihr. Vielleicht redet sie mit mir", schlug Yona vor, woraufhin die beiden Männer nickten und sie lautlos aus dem Stall verschwand.

Yakari verkündete, mit Pahra über Sorins Zustand zu reden, und verließ ebenfalls den Stall. Als er allein war, spielte Makhah nachdenklich mit Denalis Stirnlocke, ehe er die Stirn gegen dessen lehnte. Der Hengst schnaubte ihn sanft an, was er beruhigend und hoffnungsvoll empfand. „Meinst du, sie wird mir jemals verzeihen?", fragte er hilflos. Denali prustete ihm ins Gesicht und es sah aus, als würde er nicken. Das nahm Makhah als seine Antwort, doch ihm war bewusst, dass er derjenige war, der auf Khione zugehen musste. Daher fasste er einen Entschluss und verließ den Stall.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte Makhah mit einem Tablett zurück. Dieses stellte er auf den Heuballen, den er extra neben Khiones Schlafstätte platziert hatte. Frische Kleidung hatte er zuvor hingelegt. Grübelnd sah er auf die dampfende Schüssel, in die Avilla eine großzügige Portion von Hirscheintopf mit dem selbst angebauten Gemüse geschöpft hatte. Zusammen mit dem Kräutertee sollte es Khione helfen, langsam wieder zu Kräften zu kommen. Hoffentlich blieb beides bis zu ihrer Ankunft warm, aber wenn er richtig lag, wusch sie ihre Hände im Fluss. Er kannte ihren Ablauf, weshalb er eilig in die Burg zurückkehrte, um Felle zu holen. Da sie nicht bei ihm schlief, wollte er wenigstens sichergehen, dass ihr nicht kalt war.

Auf dem Weg wurde er von Yona aufgehalten, die von ihrem Versuch berichtete. Wie geahnt, hatte Khione nicht reagiert, sondern war starr ihrer Arbeit nachgekommen. Es war zum Verzweifeln, doch Yona nahm es ihr nicht übel. „Sie braucht Zeit und Fürsorge", sagte sie. „Wir haben mit Kabiha und Tehew gesprochen. Sie sind einverstanden, dass die drei Sheikahs mit uns kommen. Übermorgen reiten wir bei Anbruch des Tages los."

„In Ordnung. Pahra wird sicher alle Kräuter vorbereiten, die ihr für zuhause benötigt", stimmte Makhah zu. „Sitzen wir morgen Abend zusammen?", fragte er. Es war eine Tradition, die anderen am Lagerfeuer Willkommen zu heißen, aber auch Abschied zu feiern. Die wollte er auf keinen Fall unterbrechen, nur weil er nicht mehr Shiharu war.

„Sicher", meinte Yona lächelnd. „Ich werde Sabah besuchen."

Ihre Wege trennten sich und sobald Makhah mit zwei Fellen und Decken aus der Burg trat, traf etwas Kühles auf seine nackte Haut. Er sah in den nachtschwarzen Himmel hinauf und atmete beim Anblick der fallenden Schneeflocken tief ein. Sie bedeckten den Boden mit einer zarten Schneedecke und sorgten für ein natürliches Licht in der Dunkelheit. Makhah eilte den Weg entlang und bekam eine Gänsehaut, als die Flocken seinen Nacken kitzelten. Ohne den Schutz der Haare war er ihnen ausgeliefert.

Kaum betrat er den Stall, sah er den orangefarbenen Schein von Askus Fackel, die in einer Halterung angebracht war. Sein bester Freund stand wachsam in einer Ecke und versperrte ihm mit seinem Speer den Weg. „Geh", befahl er kühl, aber gedämpft. Asku nahm die Anweisung, auf Khione aufzupassen, sehr ernst.

„Ich möchte ihr nur Felle und Decken bringen", verteidigte sich Makhah mit einem Nicken auf seine Arme. „Hat sie gegessen und getrunken?", fragte er.

„Nein. Sie hat sich sofort hingelegt, ohne etwas anzurühren", antwortete Asku weiterhin leise und trat sichtbar widerwillig zur Seite. Dennoch warf er ihm einen warnenden Blick zu, der Makhah sagte, dass er eingreifen würde, sollte er ihr zu nahe kommen.

Langsam ging Makhah um die Boxen herum und blieb stehen, als er Khione auf dem Bauch liegend sah. Tatsächlich, alles war so, wie er es hinterlassen hatte. Beim Nähertreten stieg ihm ein penetranter Geruch in die Nase, und er presste fest die Lippen zusammen. Er bestand aus etwas, das ihn schaudern und schwer schlucken ließ: Blut und Eiter. Den anderen Arakis war er sicher ebenfalls aufgefallen, doch da sie niemand an sich heranließ, war es nicht festzustellen, wo sie eine Entzündung hatte.

Leicht beugte sich Makhah hinab und erkannte, wie schlammig und nass ihre Kleidung war und sich beim Atmen weiße Wölkchen vor Khiones Mund bildeten. Immer wieder ging ein Zittern durch ihren Körper, das sogar ihre Zähne klappern ließ. Kurz entschlossen breitete er die mitgebrachten Felle und Decken über seiner Frau aus. Askus leises Knurren hinter sich ignorierte er, stattdessen achtete er auf Reaktionen von Khione. Diese schien so erschöpft zu sein, dass sie nichts von seinem Besuch mitbekam.

Im Lichtschein der Fackel wirkte ihr Profil zerbrechlicher und er streckte seine Finger nach ihrer Wange aus. Er wollte sie berühren und sichergehen, dass sie keine Einbildung war. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie, als Asku seinen Speer dazwischen gleiten ließ. Sofort zog Makhah seine Hand zurück.

„Geh", befahl sein Freund erneut mit einem Nicken zur Stalltür.

Den Wink verstand Makhah. Schweren Herzens sah er das letzte Mal auf seine schlafende Frau und seufzte. „Pass gut auf sie auf", bat er leise und verließ den Stall wieder. Draußen lehnte er sich an die Wand und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen, die ihm eine klare Sicht nahm. „Göttin Inara ... bitte beschütze Khione und lass sie gesund werden ...", flüsterte er. „Sie ist mir unendlich wichtig ..."

In dem Moment ahnte er noch nicht, dass sein Ausbruch weitere Konsequenzen mit sich bringen würde ...

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