Kapitel 32

„Zum Glück ist Sorin außer Lebensgefahr", seufzte Yakari und schloss leise die Tür. Aufatmend folgte er Asku und Tehew aus dem Heilerflügel und fuhr über seinen geflochtenen Pferdeschwanz, der auf seiner Brust ruhte. „Ich hatte Bedenken, dass er die Reise überlebt. Unser Bestand an Minae Kräutern ist kritisch und er braucht sie."

„Er ist stärker, als er aussieht", bemerkte Asku anerkennend und führte die beiden zur Eingangshalle. Der Schein ihrer Fackeln spendete ein angenehmes, warmes Licht. „Ich bin mir sicher, dass Pahra ihn während eures Besuches soweit heilt, dass er selbst reiten kann."

„Sie ist eine ausgezeichnete Heilerin. Ich vertraue ihrem Urteil und ihren Fähigkeiten", erwiderte Yakari und seufzte erneut leise. „Leider befürchte ich, dass er nicht überleben wird, wenn Makhah die drei ernsthaft in der Steppe aussetzt. Ich verstehe seine Sorge, aber er könnte sie wenigstens so lange hierbehalten, bis sie in der Lage sind, allein weiterzugehen. Ich habe ihm sogar vorgeschlagen, dass sie bei uns bleiben. Wir brauchen mehr Leute."

„Und er hat abgelehnt?", fragte Asku und runzelte die Stirn, als er ein merkwürdiges Geräusch hörte.

„Ja", mischte sich Tehew ein. „Er hat deutlich gesagt, dass sie hier nichts zu suchen haben."

„Er ist so stur wie ein Bock", meinte Yakari nüchtern und blieb stehen. Sich dem Fenster und der Dunkelheit dahinter zuwendend, schwieg er einige Sekunden lang. „Sogar noch schlimmer als sonst. Was ist nur in ihn gefahren?"

„Ihr habt euch bisher nicht untereinander ausgetauscht, nicht wahr?", fragte Asku.

Der Anführer des anderen Terikan bejahte. „Seit unserem Ankommen habe ich ihn nur bei der Versammlung gesehen. Das passt nicht zu ihm."

Asku tauschte einen kurzen Blick mit Makhahs Berater aus und nickte. Es lag nicht in seinem Ermessen, über die Umstände zu reden, daher schwieg er zu dem Thema und schlug vor, auf den Burghof zu gehen. Dort saßen die Arakis um ein großes Lagerfeuer, aßen, tranken und erzählten von den vergangenen Wochen. Bei jedem Besuch war es völlig normal, bis spät in die Nacht hinein zu feiern.

Schweigend setzten sie ihren Weg fort und erreichten die Eingangshalle, doch bevor sie in die kühle Nacht hinaustraten, unterbrach ein qualvoller Schrei die Stille. Erschrocken starrte Asku die beiden Männer an und lauschte. Da, erneut ein Aufschrei, der durch die leeren Gänge der Burg hallten.

„Das ist doch Khione!", rief Asku atemlos und der Griff um sein Speer verfestigte sich. „Wir müssen nach ihr sehen!", drängte er und rannte die Treppen hinauf. Dabei nahm er zwei Stufen auf einmal und war längst oben, während die Älteren erst bei der Hälfte waren. Je näher sie dem Schlafgemach kamen, desto lauter wurden ihre Schreie. Zwischendrin meldete sich eine wütende, tobende Stimme, die Asku ein mulmiges Gefühl im Magen auslöste.

„Makhah, bitte hör auf! Du tust mir weh", hörte er Khione wimmern und flehend.

„Du sollst dafür büßen, dass du mir alles weggenommen hast!", schrie Makhah. „Du willst mir vorschreiben, was ich zu tun habe? Du willst uns nur zerstören, Weib!"

An der Tür angekommen, bot sich ihnen ein Anblick des Grauens und Asku sog scharf die Luft ein. Mit einem Blick erfasste er die Situation und stürzte auf Makhah zu, der seine Frau wie besessen mit brutalen Stößen von hinten penetrierte und sie grob nach unten presste. Khione weinte, flehte und versuchte, sich von ihm zu lösen, aber er hielt mit einer Hand ihre so auf dem Rücken, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Mit der anderen zog er fest an ihren Haaren. Das war kein Liebesakt, das sah Asku sofort.

Mit einem Ruck riss er Makhah von ihr und warf ihn zu Boden. „Beruhige dich!", forderte er kühl, woraufhin das Oberhaupt erst recht aufbegehrte. Yakari und Tehew schienen den Ernst der Situation zu verstehen. Eilig halfen sie, ihn dort festzuhalten.

„Lasst mich sofort los!", zischte dieser mit einem wütenden Blick zu Khione. „Sie ist das Weib des Teufels und soll büßen!"

„Khione, lauf zu Pahra und lass dich versorgen", keuchte Asku und drückte Makhah fester zu Boden. Woher nahm er nur die Kraft, sich fast gegen drei Männer durchzusetzen? „Wir kümmern uns um ihn."

In Zeitlupe richtete sich Khione benommen auf. Ihr Herz pochte so heftig gegen die Rippen, dass sie kaum atmen konnte. Alles in ihr schmerzte, als würde sie am lebendigen Leib zerrissen werden. Angefangen vom Unterleib bis zu ihrem Hintern pulsierte und brannte ihr Körper höllisch. Bei der winzigsten Bewegung zwickte es qualvoll im Bauch und sobald Khione stand, bemerkte sie, wie etwas an ihren Beinen hinab lief. Trotz all der Schmerzen fühlte sie sich ... leer, taub und eiskalt.

Ohne auf die Feuchte zu achten, drückte sie sich mit der Hand auf den Mund gepresst an der Wand entlang zur Tür. Dabei behielt sie die Männer mit verschwommener Sicht im Blick, vor allem Makhah, der sich wie ein wilder Stier benahm und scheinbar nur mit Müh und Not an Ort und Stelle gehalten wurde. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, da er ihr tobend und zeternd wüste Beschimpfungen und Bedrohungen entgegen schrie. Sie begleiteten Khione sogar, als sie eilig aus dem Schlafgemach schlüpfte und letztlich im dunklen Gang stand.

So lautlos wie möglich setzte sie sich in Bewegung, taumelte aber so stark, dass sie gegen die Wand prallte. Ihre Umgebung flimmerte und drehte sich, woraufhin ihre Beine nachgaben und sie stöhnend zu Boden sank. Leise wimmernd versuchte sie, Makhahs weiterhin präsente Stimme auszublenden, die sie scheinbar verfolgte. Durch die Ruhe in der Burg hallte sie unheilvoll und bedrohlich durch die Gänge. Trotz all der Schmerzen zwang sich Khione nach einer Weile dazu, erneut aufzustehen. Mühsam lief sie weiter, wobei sie die Mauer als Anhaltspunkt und Hilfe nutzte. Neben der Finsternis erschwerten ihr der verschwommene Blick und ihre steifen Glieder das Laufen.

Wie in Trance geisterte Khione durch die Burg, bis ihr unerwartet jemand entgegenkam. Zitternd drückte sie sich an die Wand und hielt den Atem an. Selbst durch den Schein der Fackel erkannte sie nur eine nebelhafte Silhouette. Erst die Stimme verriet ihr, wer es war.

„Shihara?", fragte Pahra rau. „Ist alles in Ordnung?"

Stumm sah Khione die Heilerin an, doch als Makhahs Schrei die Stille zerschnitt, lief sie eilig an ihr vorbei. Sie hörte Pahras Ruf, der sie zum Stehenbleiben aufforderte. Dann Schritte, die ihr folgten. Wenige Sekunden später wurde sie an den Schultern festgehalten, woraufhin sie panisch versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Wortlos schlug sie die Hände weg und wollte fliehen, doch von Schmerzen gebeutelt war sie deutlich langsamer und Pahra schnitt ihr problemlos den Weg ab.

Die Heilerin hob ihre Fackel ein wenig an, musterte Khione eindringlich und sog scharf die Luft ein. „Ganz ruhig", sagte die ältere Frau sanft. „Komm. Ich bringe dich in den Heilerflügel und du erzählst mir, was passiert ist. Dort bist du sicher."

Sicher vor Makhah? Daran glaubte Khione nicht. Ein Weglaufen war zwecklos, denn mit seinen Jagdinstinkten würde er sie überall finden. Es gab keinen Ort, an dem sie in Sicherheit war. Sie war und blieb eine Gefangene, die nichts wert war.

Schweigsam folgte sie Pahra, die sie von der wütenden Stimme wegführte. Dabei schien die Heilerin genau auf sie zu achten. Zumindest hatte Khione das Gefühl, immer wieder von der Seite gemustert zu werden. Im Krankenflügel angekommen, wurde sie sachte in ein Zimmer geschoben. Sobald die Tür ins Schloss fiel, wurde es so still, dass sich Khione unbehaglich die Arme rieb. Während Pahra ihre Fackel im Halter an der Wand befestigte und eine Kerze entzündete, bat sie um Auskunft.

Mit dem Blick starr auf die kleine Flamme gerichtet, stand Khione mitten im Raum, ohne zu antworten. Aus Angst, dass Makhah seine Drohung in die Tat umsetzte und ihr die Zunge abtrennte. Das hatte sich genauso tief in ihr eingebrannt wie das Hisokan auf der Brust. Sie vertraute niemanden mehr, vor allem nicht Makhah. Das Vertrauen, das sie in den letzten Monaten zu ihm aufgebaut hatte, war zerstört. Durch seine ungezügelte Wut ihr gegenüber hatte er es komplett ruiniert. Wie lästiges Unkraut in den Boden getrampelt, als wären ihr Vertrauen und ihre Gefühle nichts wert. Vermutlich war es auch so.

Obwohl das Verhältnis zu Pahra sonst gut war, schaffte es Khione nicht, sich zu überwinden und sich ihr anzuvertrauen. Die Furcht vor Makhah schürte den Kloß im Hals und verbot jeglichen Laut. Sicher würde er die Heilerin ausquetschen, nur damit er einen Grund fand, seinen Hass an ihr auszulassen. Zudem war ihr Mund durch die Hilfeschreie so trocken wie die Steppe vor den Aevaria Bergen und ihre Zunge klebte am Gaumen. Nein, es war besser, wenn sich Khione nicht dazu äußerte. Es würde sowieso nichts ändern.

Ihr Schweigen schien Pahra zu irritieren. Sie nahm ihre Fackel wieder aus der Halterung und trat auf Khione zu, um ihren Körper genauer anzusehen. „Was hat der Esel nur mit dir angestellt?", fragte die Heilerin entsetzt. „Das ... das ..." Ihr fehlten die passenden Worte.

Khione rührte sich nicht, doch sobald Pahra die Hand hob, trat sie eilig zurück, bis sie eine Wand im Rücken spürte. Zitternd drückte sie sich dagegen und hatte das dringende Bedürfnis zu fliehen, als Pahra sich ihr mit einem Geräusch näherte, das sie wohl beruhigen sollte, aber den gegenteiligen Effekt auslöste.

In der Erinnerung der letzten Stunden gefangen, sah sich Khione angsterfüllt nach einem Fluchtweg um, doch sie fand keinen. Verzweifelt hob sie ihre Hände und hielt sie über ihren Kopf. Die darauffolgende Berührung ließ sie leise wimmern und sie verkrampfte sich. Was auch immer Pahra zu ihr sagte, sie verstand sie nicht. Das Rauschen in ihren Ohren war zu laut und die Schmerzen im Körper blendeten alles um sie herum aus. Vor sich sah sie Makhah, wie er mit wutverzerrtem Gesicht und erhobener Hand auf sie zukam ...

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Pahra! Wir brauchen deine Hilfe. Makhah dreht durch!"

Die dringenden Worte des Arakis holten Khione mit einem Schlag in die Gegenwart zurück und sie bemerkte einen Araki, der einen Blick zwischen ihr und der Heilerin hin und her warf. Sofort senkte Khione den Kopf und presste sich so an die Wand, in der Hoffnung, mit ihr zu verschmelzen.

„Bleib hier. Ich kümmre mich schnell um den Esel und komme dann wieder", bat Pahra eindringlich, wobei Khione ihr deutlich ansah, wie unentschlossen sie war.

Gehorsam nickte sie, aber sobald die Tür ins Schloss fiel und sich die Schritte entfernten, suchte Khione in der Truhe am Fußende des Betts eilig nach Kleidung und wurde fündig. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sie mit der Hose, die ihr viel zu lang war. Unter größter Anstrengung schaffte sie es, das Kleidungsstück anzuziehen, doch die grauenvollen Schmerzen ab dem Bauchnabel verhinderten das Sitzen und Beugen. Daher ließ sie die Hosenbeine, wie sie waren, und zog sich das Hemd über. Auch das war ihr zu groß, aber es bot nicht nur Schutz, sondern einen gewissen Komfort, den Khione tröstlich fand.

Leise schlüpfte sie auf den Flur und lauschte angespannt. Die Gänge der Burg blieben still, ausgenommen Makhahs Schreie, die durch die Entfernung wie ein grollender Donner klangen. Schaudernd rieb sich Khione ihre eiskalten Glieder und wartete einige Sekunden, ehe sie die Möglichkeit nutzte und sich an der Wand entlang tastend dem orangefarbenen Lichtschein näherte.

Kurz vor der Eingangshalle blieb sie stehen und sah aus dem Fenster in den Burghof. Mit einem Funken Wehmut bemerkte sie, wie die Arakis um das Lagerfeuer saßen. Sie ahnten sicher nicht, was sich drinnen abspielte und Khione war nicht darauf erpicht, sich ihnen zu präsentieren und Fragen zu beantworten. Daher drehte sie um und wählte einen Gang, der zu einer Seitentür und auf die andere Seite der Burg führte. Von dort trat sie ungesehen in die Dunkelheit.

Kaum draußen, drang die kühle Luft in Khiones Nase und ließ sie trotz Kleidung schaudern. Ein Blick in den Nachthimmel verriet ihr, dass sich die Wolken aufgelöst hatten. Über ihr schimmerte ein Band an unendlich vielen Sternen, die sie normalerweise faszinierten. Heute konnte sie dank des Tränenschleiers nichts erkennen. Es war sowieso egal. Weshalb sich an eine Hoffnung krallen, die nie in Erfüllung ging?

Vorsichtig schritt Khione den Weg entlang, wobei die zu langen Hosenbeine ein schlurfendes Geräusch verursachten. Es hörte sich in der Stille beängstigend laut an. Alles in ihr schrie, dass sie wegrennen sollte, doch ihre Vernunft siegte und sie blieb nahe der Burg. Schuld daran war auch die eisige Kälte, die ihren Körper fast lähmte. Es spielte keine Rolle, wo sie war. Sobald die anderen Makhah losließen, würde er nach ihr suchen, um seinen Zorn erneut gegen sie auszulassen.

Ohne ein festes Ziel vor Augen fand sich Khione plötzlich im Tempel wieder. Wie immer brannten hier die Fackeln und spendeten warmes, tröstliches Licht, das das Bild von Göttin Inara leuchten ließ. Obwohl kein Vollmond war, passten die Arakis darauf auf, dass das Feuer nie erlosch und die Verbindung zu ihr abbrach.

Jeder Schritt fühlte sich auf einmal verboten an, doch Khione lief um den kleinen Altar herum und strich mit den Fingern über das Gemälde. Die Steinmauer war kalt, fast schon gefroren, aber genauso glatt, wie sie es in Erinnerung hatte.

Merkwürdig, dass die Arakis ausgerechnet eine Frau verehren und sie Göttin nennen, dachte Khione. Sie prahlten damit, ihre Eigenen respektvoll zu behandeln, aber das war nicht der Fall. Hatte man ihr all die Monate etwas vorgespielt? Konnte Khione mit Sicherheit sagen, dass sie hinter den Zeltwänden genauso achtungsvoll waren wie außerhalb? Nein, mittlerweile wusste sie nicht mehr, was der Wirklichkeit entsprach. Es war, als wöbe eine Spinne mit seidenen, fast unsichtbaren Fäden ein raffiniertes Netz aus Lügen, aus dem niemand entkam. War das sogar der Grund, dass Pahra hier lebte?

Langsam fuhr Khione mit den Fingerspitzen die Zeichnung nach. Wenn es Inara tatsächlich gab, warum ließ sie dann zu, dass Makhah seine ungezügelte Wut an seiner Frau ausließ? Stand er als Shiharu über dem Gesetz und durfte sich alles erlauben?

„Ich wünschte, du würdest mich aus der Hölle holen und mich mit meiner Familie vereinen", murmelte Khione tonlos. Ein Wunsch, der nie in Erfüllung gehen würde, das war ihr bewusst. Daher verließ sie den Tempel und setzte ihren Weg fort. Vorbei an den Kräuter- und Blumengärten, die seit Wochen nichts als braune Gräser waren, zwang sich Khione unter unerträglichen Schmerzen zu jedem Schritt. Sie raubten ihr den Atem und sorgten dafür, dass sich ihre Umgebung des Öfteren drehte. Wie durch ein Wunder blieb Khione jedoch aufrecht und lief weiter durch die Dunkelheit, behielt aber stets das Lagerfeuer auf dem Burghof im Augenwinkel. Das reichte zur Orientierung aus.

Sobald sie der Burg den Rücken zukehrte, wagte Khione, leise auszuatmen. Niemand schien sie bemerkt zu haben. Ihr Weg führte zu dem einzigen Wesen, das sie nie enttäuschen würde; Sakari. Die Stute hatte ihre Besitzerin gern und zeigte es auch, wann immer Khione bei ihr war. Wenigstens Tiere versteckten ihre Gefühle nicht oder logen. Es war der Grund, weshalb sie oft bei den Pferden war. Die Reinheit und Unschuld schätzte Khione sehr. Daran könnten sich die Menschen ein Beispiel nehmen ...

Plötzlich zuckte ein immenser, stechender Schmerz zwischen ihren Beinen durch ihren Körper und zwang sie fast in die Knie. Wäre da nicht die Verkrampfung, die ihr jegliches Knien und Bücken untersagte. Khiones Umgebung fing erneut an, sich zu drehen, und sie suchte taumelnd nach dem erstbesten Halt. Sie ertastete eine Wand, gegen die sie sich lehnte und solange wartete, bis die Flut an Pein ein wenig nachließ. In der Zeit war Khione nicht in der Lage, sich zu bewegen.

Erst nach einigen Minuten bekam sie wieder die Kontrolle über ihren Körper. Vorsichtig setzte sie einen Schritt nach vorn und zuckte heftig zusammen, als sie ein schabendes Geräusch jenseits der Wand vernahm. Angespannt hielt sie inne und lauschte. Was war das? Wo war sie überhaupt?

Ein dunkles, leises Wiehern ließ Khione erleichtert ausatmen. Das würde sie überall wiedererkennen. Jetzt wurde ihr bewusst, wo sie war. Ohne es zu bemerken, hatten ihre Beine sie zum Pferdestall gebracht. Lautlos schlüpfte sie hinein, da die Tür nur bei Unwettern geschlossen war, und sog den Geruch von Heu und Pferden tief ein. Er hatte etwas Tröstliches an sich, das Khiones Herz schwer werden ließ. Sie kannte den kleinen Stall in- und auswendig. Ihr Ziel waren die Heuballen in der hintersten Ecke, doch ein warmes, sanftes Prusten an ihrem Ohr hielt sie auf. Instinktiv wusste sie, dass es von Denali kam. Er stand in der letzten Box und wenn sie richtig lag, war sie genau dort.

Langsam streckte Khione die Hand aus und wartete, bis Makhahs Hengst sie berührte. Als er sie anschnaubte, schniefte sie leise und versteckte ihr Gesicht an seinem warmen Hals. Daraufhin legte er den Kopf auf ihrer Schulter ab, als würde er sie beruhigen und aufmuntern wollen. Seine Geste löste die Tränen, die sich seit Askus Hilfe in ihr angestaut hatten. Unaufhaltsam drückten sie sich unter den Augenlidern hervor und wurden von Denalis Fell aufgefangen.

Warum konnte Makhah nicht genauso sein? In beiden steckte Feuer und Temperament, doch Denali achtete auf seine Herde und ließ seinen Zorn nicht an ihnen aus. Gewiss, manchmal wies er die anderen Pferde in ihre Schranken, aber das war alles.

Makhah hingegen ... Nie hatte er sie so gehalten und ihr das Gefühl gegeben, respektiert und akzeptiert zu werden, geschweige denn ihr Halt zu sein. Außer der Pflicht im Bett waren seine Berührungen auf ein Minimum beschränkt. Khione erwartete nicht, dass er ihre Gefühle erwiderte, doch sie hatte sich ein wenig mehr Interaktion seinerseits gewünscht, damit sie ihn besser verstand. Hatte sie zuvor angenommen, ihm in den Monaten nähergekommen zu sein, wusste sie jetzt genau; zwischen ihnen bestand eine Kluft, die unüberwindbar war ... Egal, was sie tat. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, sich bei den Arakis einzuleben und eine würdige Shihara zu sein, und doch war es nicht genug für Makhah. Warum war sie dann überhaupt noch hier? Wäre es nicht besser, ihr Leben aufzugeben, damit er sich nicht mit ihr herumquälte? So wäre er frei und könnte sich eine neue Frau suchen ...

Eine traurige Erkenntnis, die Khiones Herz in tausend Stücke zerbrach. Langsam löste sie sich von Denali und lief um die Box herum zu den Heuballen. Von Schmerzen gebeutelt versuchte sie mehrmals, sich hinzusetzen, doch ihr Körper war weiterhin steif wie ein Brett. Daher legte sie sich umständlich, aber vorsichtig mit dem Bauch voran auf einen Ballen. Es war die einzige Lösung, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen.

Erschöpft blieb Khione liegen und biss die Zähne zusammen. Einige Zeit lang starrte sie in die Finsternis und kämpfte gegen den Schock und die Kälte, die sie wie Espenlaub zittern ließen. Obwohl Khione voller Schmerzen, Trauer und Angst war, fühlte sie gleichzeitig eine Leere in sich, als wäre sie innerlich gestorben. Nie hatte sie angenommen, Makhah würde seinen ganzen Hass an ihr auslassen und ihr auf grausame Weise zeigen, was sie für ihn war: nichts.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top