Kapitel 31
Stirnrunzelnd beobachtete Khione Makhah, wie er zum wiederholten Male in seine Tasche griff und etwas Weißes herausholte, das er anschließend in den Mund nahm. Seit der Ankunft der Arakis aus dem hohen Norden hatte sie ihn nicht mehr gesehen, doch sie sah ihm deutlich seinen Zorn an. Er wirkte verbissener mit seinen zu schmalen Strichen verzogenen Lippen und seine dunklen Augen, die im Feuerschein fast schon wie Kohle aussahen, waren starr auf einen Punkt gerichtet. Leicht lehnte sich Khione zu ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm. Durch die Nähe roch sie seine Süße, die ihr mittlerweile bekannt war. Dennoch meldete sich ihr Magen auf eine unangenehme Art.
„Makhah, was ist los?", wisperte sie und versuchte, einen Blickkontakt mit ihm herzustellen. Alles, was sie bekam, war lediglich ein Schnauben als Antwort. Daher ließ sie nicht locker und nickte zu den Arakis, die sich in der Empfangshalle eingefunden hatten. Wie immer war er ein Versammlungsraum, sobald es etwas Wichtiges zu besprechen galt, das alle betraf.
In den vordersten Reihen saßen die Besucher mit Drystan und Ylva auf dem Boden. Sorin war aufgrund seiner Verletzungen nicht in der Lage, an der Versammlung teilzunehmen. Gemeinsam mit Sabah war er im Krankenflügel und wurde von Pahra versorgt. Während der Untersuchung hatte sich Khione mit ihnen unterhalten und erfahren, dass der Sturm vor allem Sorin gegen die Klippen geworfen hatte. Zwar trugen sie ebenfalls Blessuren und Narben davon, aber er wäre fast ertrunken, weil er das Schwimmen nicht gelernt hatte. So hatten die Wellen ein leichtes Spiel mit ihm gehabt. Das hatte Spuren an Sorin hinterlassen, die nicht zu unterschätzen waren: Er fürchtete sich vor Wasser und schaffte es nicht mehr, sich zu waschen. Weder in einem Fluss noch in einem See. Das tat Khione unendlich leid. Es war sicher schwierig, sich mit der Angst zu reinigen.
Bei der gründlichen Begutachtung hatte Pahra festgestellt, dass seine Wunden nicht lebensgefährlich waren, er jedoch Zeit brauchte, bis er wieder gesund war. Das erleichterte Khione, doch die Tatsache, dass sie ihn für immer beeinträchtigen würden, stimmte sie traurig. Er war noch jung und hatte sein ganzes Leben vor sich ... Inständig hoffte sie, dass Makhah die Sheikahs nicht fortschickte. Hier wären sie in Sicherheit und hätten die Möglichkeit, ihm zu beweisen, dass nicht alle gleich waren.
Eine Bewegung von Makhah reichte aus, ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm zu lenken. Im letzten Moment sah sie, wie er sich ein weißes Blütenblatt auf die Zunge legte und tief durchatmete. Waren das etwa ... Aislingblüten?
Khiones Augen weiteten sich und sie starrte ihn ungläubig an. Wie lange nahm er sie schon? Hatte Pahra nicht davon gesprochen, dass sie bei zu hohem Konsum zur Abhängigkeit führten? War er sich dessen überhaupt bewusst? War das sogar der Grund für seine Veränderung?
Khione setzte zum Sprechen an, doch in dem Augenblick begann Makhah die Versammlung mit einem Räuspern. Daraufhin wurde es in der Empfangshalle mucksmäuschenstill und alle starrten zum Thron.
„Ich habe über die drei Sheikahs nachgedacht und bleibe bei meiner Entscheidung. Sie haben in unserem Gebiet nichts verloren. Wir werden sie nicht bei uns aufnehmen und sie werden – sobald es Sorin besser geht – zur Steppe gebracht. Eine Kontrollgruppe wird dortbleiben, damit sie nicht in die Aevaria Berge zurückkehren. Hiermit ist die Besprechung beendet", sagte Makhah kühl.
Ein Raunen ging durch die Arakis und Khione schnappte nach Luft, als sich diese erhoben und einige mit hängenden Schultern die Halle verließen. Ihr entging nicht, wie vor allem Drystan, Ylva und Yakari enttäuscht waren.
Eilig hielt Khione Makhah davon ab, sich zu erheben. Mit funkelnden Augen sah sie ihn an und schluckte angesichts der Härte in seinem Gesicht. Jeder Muskel war zum Zerreißen gespannt und sie bemerkte, wie er mit den Zähnen knirschte. „Was soll das? Ich dachte, als Shihara habe ich auch etwas zu sagen!", flüsterte sie ungläubig. Warum hatte er allein entschieden?
„Mein Wort steht, Khione", erwiderte er emotionslos.
Bitter lachte sie auf. „Wofür brauchst du dann eine Shihara, wenn du sowieso alles ohne mich entscheidest?", wollte sie hitzig wissen, doch als er ihr Handgelenk packte und es warnend drückte, verstummte sie und biss sich auf die Lippen. Erst, als sie unter sich waren und die Tür der Halle ins Schloss fiel, riss sie sich los.
„Ich habe wirklich gehofft, dass du die Situation aus einem anderen Blickwinkel siehst und ihnen ein neues Zuhause gibst, Makhah. Vielleicht hätte Yakari sie mit zu sich genommen, wenn du sie nicht hier haben willst", zischte sie mit einer Handbewegung zur Tür. „Du kannst nicht alle Sheikahs mit denen vergleichen, die für die Vergangenheit zuständig sind! Ich bin mir sicher, dass sie sich hier genau wie Pahra und ich einfügen würden, sobald du ihnen die Möglichkeit gibst!", fuhr sie aufgebracht fort. „Was hast du gegen sie?"
Makhah erhob sich ruckartig, packte erneut grob ihr Handgelenk und zog sie nahe an sich heran. Was fiel ihr ein, sich ihm gegenüber so zu benehmen? Mit verkniffenem Gesicht sah er zu ihr hinab und schüttelte den Kopf. „Du hast sie selbst gehört", presste er hervor. „Sie sind wegen Verrats verurteilt worden. Ist das nicht Beweis genug, dass sie nicht vertrauenswürdig sind?", fragte er zornig. Khione war blind und naiv und würde die anderen nur aufnehmen, weil sie Mitleid mit ihnen hatte. Für Verbrecher hatte er keinen Platz im Terikan.
„Nein!", fauchte sie. „Jeder kann sich ändern und seine Fehler wiedergutmachen", behauptete sie und zeigte auf seinen kleinen Beutel am Gürtel. „Seit wann und wie oft nimmst du Aislingblüten?", wechselte Khione das Thema, scheinbar um einen ruhigeren Ton bemüht.
Verärgert legte Makhah zwei Finger an seine Schläfe. Sie strapazierte seine Nerven bis aufs Äußerste. Am liebsten würde er sie mit den anderen Sheikahs in der Steppe aussetzen. Dann hätte er seine Ruhe! „Das geht dich nichts an", brummte er.
„Und ob es mich etwas angeht!", widersprach Khione energisch. „Pahra meinte, dass sie in großen Mengen zur Abhängigkeit führen. Ich mache mir Sorgen um dich, Makhah", flüsterte sie mit dem Blick auf den Boden gerichtet.
„Und? Was hat das hiermit zu tun?", fragte er kalt. Vor ihr würde er sich garantiert nicht rechtfertigen. Es war sein Leben, nicht ihres! Was er tat oder nicht, war seine Sache. Khione hatte keine Ahnung, wie viel Schmerz und Leid sie ihm gebracht hatte. War ihr überhaupt bewusst, dass sie der Auslöser für alles war? Dass er seither nur mit Aislingblüten in der Lage war, die Tage zu bewältigen?
„Sehr viel", antwortete sie ernst. „Wie willst du für den Terikan da sein, wenn du nicht bei Sinnen bist? Das hier ist doch der beste Beweis. Du lässt dich von Gefühlen leiten, anstatt eine subjektive Entscheidung zu fällen", warf sie ihm vor. „Du als Shiharu solltest ein offenes Ohr haben und keine vorschnellen Entschlüsse ziehen. Das scheinst du nicht zu wollen. Lieber versteckst du dich hinter Kräutern, die dich ..."
Weiter kam sie nicht. Ein unerwarteter, harter Knall ins Gesicht schnitt Khione das Wort ab und ließ sie rückwärts straucheln. Vor ihr tanzten Sterne in der Dunkelheit, die von einem piependen Ton im Ohr begleitet wurden. Bevor sie verstand, was gerade geschah, packte er sie am Kragen und zog sie so nah an sich, dass sie den süßlichen Duft der Aislingblüte direkt abbekam. Noch nie zuvor hatte sie ihn so intensiv gerochen.
Auf Makhahs Zischen hin blinzelte sie und hob den Kopf. Sein Anblick ließ sie hart schlucken. Er sah wie ein Teufel aus ... Sein Antlitz war wutverzerrt und seine Augen funkelten gefährlich. Durch das Feuer im Kamin verschwommen seine Konturen mit dem Hintergrund, dennoch erkannte sie die Anspannung seiner Muskeln. Der Abstand zwischen ihnen war so dünn wie ein Messer und sie machte sich darauf gefasst, ein weiteres Mal geschlagen zu werden.
„Schweig, oder ich reiße dir die Zunge raus, Weib! Ich bin das Oberhaupt des Terikan! Du hast mir überhaupt nichts zu sagen!", spukte Makhah ihr ungehalten ins Gesicht. „Ihr seid alle gleich und versucht, uns Arakis zu euren Gunsten zu verändern!" Grob schob er sie von sich und trat zum Kamin, um das Feuer zu schüren. „Was müssen sich die Götter gedacht haben, mich so mit solch einer Sheikah zu bestrafen?", brauste er auf. Gleichzeitig schlug er mit dem Eisenstück auf das glühende Holz ein, das daraufhin leuchtende Funken in die Höhe spie.
Zitternd und bewegungslos sah Khione ihn mit offenem Mund an, nicht in der Lage, etwas darauf zu erwidern. All die Worte, dass die Frauen den Arakis heilig waren und sie als Shihara eine gewisse Macht besaß, waren nichts als Lüge. Sie war nur dafür zuständig, Nachkommen zu zeugen. Bei allem andere hatte sie keinen Einfluss. Es war eine bittere Erkenntnis, die sie den Blick wieder senken ließ.
Mit Tränen in den Augen und vor sich ineinander gefalteten Händen wich Khione zwei Schritte zurück. Unterwürfig verbeugte sie sich. „Ich werde mich zurückziehen, Shiharu", sagte sie leise, aber deutlich. Während Makhah weiterhin wütete und ihr keine Beachtung mehr schenkte, verließ sie enttäuscht die Empfangshalle.
Der Gang war leer und lag in völliger Dunkelheit. Einen Augenblick stellte sich Khione ans Fenster und sah in die Nacht hinaus. Wie hatte sie nur glauben können, Makhah hätte sich ins Positive verändert? Er hatte sie erneut geschlagen und ihr deutlich zu verstehen gegeben, was er von ihr hielt. Nie würde er sie als seine Frau akzeptieren, egal, was sie tat. In Zukunft würde sie sich hüten, jemals wieder einen Rat, eine Idee oder ihre Sorge auszusprechen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top