Kapitel 21

„Wann hast du vor, loszureiten, Shiharu?", erkundigte sich Asku. Er nahm einen tiefen Zug an der länglichen Pfeife, blies den Rauch in die Nacht hinaus und reichte sie an Makhah weiter.

Starr sah das Oberhaupt in das Feuer und griff automatisch nach ihr. Die Stille der späten Abendstunde nutzte er, um mit seinen engsten Vertrauten über den anstehenden Kontrollritt zu sprechen. Dafür hatten sie ein Lagerfeuer abseits der Khemahs und der Burg auf einer Wiese errichtet. Hier waren sie ungestört. „Bevor sich die Blätter der Bäume lösen", antwortete er und betrachtete das Holz, das im Licht des Feuers fast schwarz aussah. Die Pfeife verströmte einen etwas bitteren, würzigen Geruch, den er als angenehm und entspannend empfand. Makhah sog einmal daran, hielt die Luft für einige Sekunden an und genoss das wohltuende Gefühl, das durch seinen Körper wanderte. Geräuschvoll atmete er aus und sah dem in den Himmel steigenden Rauch nach, ehe er sie an Tehew übergab.

Dafür reichte ihm sein Berater ein kleines Gefäß. „Das ist eine gute Idee. Sobald der Schnee kommt, wird es sicher ruhiger", bemerkte er und warf ein Stück Holz in das Feuer. Einige Funken stoben auf und verglühten, bevor sie den Boden erreichten. „Was ist mit Khione? Nimmst du sie mit?", fragte er.

Unschlüssig wiegte Makhah den Kopf hin und her und nahm einen Schluck. Die brennende Flüssigkeit wärmte ihn von innen, dabei war es rund um das Feuer keineswegs kalt. „Nein. Sie ist zu jung und unerfahren", meinte er. „Mit kratzen und beißen wird sie kein Tier erlegen oder sich bei einem Angriff wehren können. Sie wird eher im Weg stehen", fügte er nüchtern hinzu.

Makira lachte leise. „Unterschätze sie nicht, Makhah. Sie ist gewitzt und lernt schnell, wenn sie sich etwas in den Kopf setzt", bemerkte sie. „Es wird ihr guttun, die Umgebung besser kennenzulernen und zu üben, wie man kämpft."

„Warum bringst du ihr nicht das Bogenschießen bei?", schlug Pahra vor und spuckte etwas zur Seite aus.

Überrascht sah Makhah sie an. Bisher war die Heilerin still geblieben und hatte sich nur geringfügig am Gespräch beteiligt. Lieber verarbeitete sie in einem kleinen Mörser Kräuter zu Pulver, wobei sie mit ihren Gedanken weit weg zu sein schien. Ihre Bemerkung sagte ihm jedoch, dass sie zuhörte.

„Der Meinung bin ich auch", stimmte Asku sofort zu, was ihn die Augenbrauen heben ließ. „Sie muss lernen, sich im Ernstfall selbst zu versorgen." Damit hatte sein Freund zweifelsfrei recht. Sogar die Jüngsten im Terikan beherrschten die Grundlagen des Kampfes und waren in der Lage, Tiere zu erlegen, daher war Khiones Alter keine Ausrede.

„Hast du Angst, sie könnte dich bei der nächstbesten Gelegenheit abschießen?", fragte Pahra rau und nahm ein neues Kraut zwischen die Lippen.

„Zuzutrauen wäre es ihr", murmelte Makhah sie musternd. Erneut trank er einen Schluck aus dem Gefäß, den er anschließend an Kabiha weiterreichte. Tehews Frau lächelte und nickte ihm dankbar zu. Wie immer hatte sie angeboten, hierzubleiben und nach dem Rechten zu sehen. Er vertraute ihr, hatte sie doch in der Vergangenheit oft bewiesen, dass sie imstande war, den Terikan in seiner Abwesenheit zu leiten und Entscheidungen zu fällen. Die Selbstständigkeit schätzte Makhah an ihr. „Wo ist Khione überhaupt?", fragte er stirnrunzelnd. Seit dem Abendessen hatte er sie nicht mehr gesehen. Oft verschwand sie und kehrte erst zum Schlafengehen zurück.

„Sie ist mit Sabah in der Bibliothek", erklärte Makira lächelnd mit dem Blick auf die Burg gerichtet. „In den letzten Tagen ist sie häufig dort."

Das Oberhaupt nickte. „Sie liest nach, ob ich sie angelogen habe oder nicht", vermutete er schulterzuckend. Ein weiterer Zug an der Pfeife, die er in die Hand gedrückt bekam, folgte. Mit dem Rauch im Mund sah er in den Himmel. Die bleischweren Wolken, die durch den Feuerschein leicht orange aussahen, hingen wie ein Nebelschleier schon den ganzen Tag schwer über den Bergen und brachten immer wieder Regenschauer mit sich. Mit einer Hand strich Makhah über das feuchte Gras, rupfte ein bisschen davon ab und betrachtete es. Es besaß nicht mehr die satte, grüne Farbe und Elastizität wie vor einigen Wochen und die Nährstoffe waren weniger, aber das war für die Jahreszeit, in der die Nächte länger wurden, nicht unüblich. Auch die Luft hatte sich schon verändert und roch würzig, fast erdig.

„Das glaube ich nicht", widersprach Kabiha plötzlich. Sie rieb die Handflächen aneinander und hielt sie dem Feuer entgegen. „Seit eurem Gespräch im Tempel ist Khione noch mehr bestrebt, unsere Sprache zu lernen. Oft bittet sie, gemeinsam ein Buch oder eine Schriftrolle durchzugehen, damit sie alles versteht, nicht war, Tehew?"

Ihr Ehemann nickte und stocherte mit einem Stock in den Flammen herum, um die Holzscheite zusammenzuschieben.

Überrascht blies Makhah den Rauch aus und musterte die beiden. Davon hatten weder sie noch Khione bisher gesprochen. Was ging hinter seinem Rücken vor sich? „Wirklich?", fragte er brüchig. Als selbst Pahra berichtete, dass Khione beim Kräuterverarbeiten oft nachhakte, wurde er nachdenklich. Sie wollte scheinbar sichergehen, dass sie die Hintergründe für die Feindlichkeit zwischen den Rassen verstand. Das imponierte Makhah, war er doch davon ausgegangen, dass nichts auf der Welt ihre Vorurteile gegenüber den barbarischen Arakis ändern würde. Er hatte sie falsch eingeschätzt, so viel stand fest.

„Ich befürchte, dass die Sheikahs zurückkommen, wenn Khione mitkommt. Sie könnte sie ungewollt anlocken und auf eine ... Wiederholung bin ich nicht aus", meinte Makhah. Der Kummer über Ahyokas Verlust sorgte für eine Enge in der Brust und einen Kloß im Hals, den er durch Schlucken zu lindern versuchte. Als es nicht half, holte er ein weißes Blütenblatt aus dem Beutel an seinem Gürtel heraus und legte es sich auf die Zunge.

„So, wie Khione von ihnen erzählt hat, ist das unwahrscheinlich", bemerkte Pahra mit hochgezogenen Augenbrauen. „Dieser Nadir und seine Männer wollten die Frauen und Kinder auf den Sklavenmärkten anbieten und sie so schnell wie möglich loswerden. Ich nehme an, dass ihr Angriff nur deshalb erfolgte, weil sie noch in der Nähe der Berge waren und sie sich ihre Sklavin zurückholen wollten. Nach all den Wochen werden sie weitergezogen sein", vermutete sie.

„Das denke ich auch", sagte Tehew, der seine Hände ineinander faltete und Makhah sah, wie sich die Flammen in seinen dunklen Augen widerspiegelten. „Du weißt selbst, wie viele lebend entkommen sind. Sie werden es sicher nicht auf einen weiteren Versuch ankommen lassen."

Nachdenklich fuhr sich Makhah durch die Haare und sobald die erhoffte Wirkung des Blütenblatts einsetzte, seufzte er leise. „Sie könnten dennoch Verstärkung holen. Was, wenn Khione mit ihnen unter einer Decke steckt?"

„Denkst du wirklich, dass sie ihr Leben hier aufs Spiel setzen würde?", fragte Asku. Sein Freund zuckte mit den Schultern, woraufhin er weitersprach. „Khione würde sicher nicht mit Männern mitgehen, die sich mit Freuden an Frauen und Kindern vergreifen und gnadenlos töten."

Geräuschvoll sog Makhah die Luft ein und runzelte die Stirn. Das ekelhafte Verhalten der Bande war ihm gänzlich zuwider. „Woher weißt du das?" Ihm gegenüber hatte Khione nichts davon gesagt, sondern hüllte sich in Schweigen, was die Zeit der Gefangenschaft anging.

„Ich habe es gehört, als sie es Sabah und Pahra erzählt hat", antwortete sein Freund schulterzuckend, wobei er Makhah mit leicht geneigtem Kopf musterte.

„Ich bin mir sicher, dass sie die Wahrheit sagt. Manche sind leider so grausam", mischte sich die Heilerin ein. Aus ihrer Tasche holte sie einige Phiolen heraus und befüllte sie vorsichtig, wobei sie ein getrocknetes Blatt benutzte, auf das sie das Pulver gab und so faltete, dass es in die enge Öffnung passte.

Gedankenverloren lehnte sich Makhah auf seine Unterarme und beobachtete Pahra bei ihrer Sorgfalt. So nervig die alte Hexe war, so sehr schätzte er ihr Wissen und ihren Respekt vor der Natur. Über zwei Jahrzehnte lebte die Heilerin schon bei den Arakis und hatte in der Zeit nicht nur deren Gewohnheiten, sondern auch ihre Sprache angenommen. In Gedanken ließ er ihre erste Begegnung Revue passieren. Was wäre passiert, wenn der Bruder seines Vaters, der damals Shiharus des Terikans war, die Kolonne an königlichen Soldaten nicht bemerkt hätte? „Sag mal, Pahra", fing Makhah an und hielt einen Augenblick inne. Er überlegte, ob er sie jemals direkt zu ihrer Vergangenheit befragt hatte, aber ihm fiel nichts dergleichen ein. Sicher hatten die Erwachsenen von den Geschehnissen gewusst, doch er hatte nie gefragt. Kaum sah die Heilerin ihn an, richtete er sich wieder auf. „Was ist damals eigentlich geschehen, als Akai auf euch aufmerksam wurde? Warum wurdet ihr in Käfigen gehalten?"

„Du weißt es nicht?", fragte sie verblüfft. Dabei hatte sie angenommen, dass jeder im Terikan von ihren Umständen wusste. Als Makhah den Kopf schüttelte, sah sie die anderen reihum an, die ihr aufmunternd zunickten.

Daraufhin schloss Pahra ihre Augen und atmete tief durch, ehe sie in die Vergangenheit abtauchte.

Das Ruckeln der alten Karre hallte in Pahras Ohren lauter, als es tatsächlich war. Mit den Zähnen klappernd bewegte sie leicht ihre Finger hinter ihrem Rücken, die durch die Fesseln klamm und steif waren. Die Kälte drang durch die abgewetzte Kleidung, die durch einen Regenschauer wie ein eisiger Mantel auf ihrer Haut klebte. Nicht einmal eine Decke hatte sie in der Nacht bekommen und das schmerzhafte Kratzen im Hals nahm zu, das schon am Vortag angefangen hatte. Mittlerweile war es schwer zu Schlucken.

Erschöpft lehnte sich Pahra gegen die Gitterstäbe des Käfigs und sah zum zweiten Karren, der schräg vor ihnen fuhr. Dort befand sich ihre Mutter, die zusammengekauert auf dem Boden lag und sich seit dem Sonnenaufgang nicht mehr rührte. Es tat ihr in der Seele weh, wie die Soldaten des Königs mit ihr trotz des gebrochenen Beines umgegangen waren.

Mit einem Poltern waren sie in ihr Haus eingedrungen und hatten die Familie aus den Betten gerissen. Die Frau des Königs bezichtigte Pahras Mutter des Mordes, da sie ihr Kind bei der Geburt verlor. Durch Komplikationen hatte sie hohes Fieber bekommen, woraufhin der Herzschlag des Ungeborenen immer schwächer wurde. Auf die Bitte hin hatte ihr ihre Mutter Kräuter zur Schmerzlinderung verabreicht, jedoch mit der Warnung, dass es dem Kind schaden würde. Das wurde ignoriert und als es auf die Welt kam, hatte es nicht mehr geatmet. Pahra, ihre Mutter und eine weitere Heilerin hatten alles gegeben, um es zu retten. Vergebens. Die Frau klagte, dass Pahras Mutter eine Hexe sei, die sie schon in der Schwangerschaft mit Tränken verflucht hatte. Nur deshalb sei es überhaupt zu Komplikationen gekommen.

Dafür wurde die ganze Familie zur Rechenschaft gezogen. Obwohl ihre Mutter versicherte, dass es nicht nur an den Kräutern während der Entbindung lag, sondern auch an der langwierigen Krankheit der Frau, war sie zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt worden. Pahra und ihr Vater kamen mit jeweils hundert Peitschenhieben davon. Überlebten sie, dienten sie ihr Leben lang als Sklave. Das war keine rosige Aussicht.

Ein plötzliches Schlagloch ließ die Karre so stark ruckeln, dass Pahras Kopf gegen die Gitterstäbe knallte. Für einen Augenblick drehte sich ihre Umgebung und sie nahm ein stechendes Pochen an ihrem Hinterkopf wahr. Mehrmals blinzelte sie, bevor sie wieder klar sehen konnte. Mit einem Blick auf ihre regungslose Mutter wurde ihr schwer ums Herz. Sie war sich sicher, dass sie nicht mehr lebte. Inständig hoffte Pahra, dass sie so friedlich wie möglich eingeschlafen und nicht dem grausamen Tod auf dem Scheiterhaufen ausgeliefert war. Niemandem würde sie solch einen Tod wünschen. Zwar würde sie während ihrer eigenen Strafe der Verbrennung zusehen müssen, doch sie war erleichtert, dabei nicht die qualvollen Schreie ihrer Mutter hören zu müssen.

Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Vater. Wie es ihm wohl erging? Soweit sie mitbekommen hatte, würde er nach den Peitschenhieben in den Minen arbeiten. Sie hatte erwartet, dass er durch seine hohe Stellung beim König eine mildere Strafe bekam, aber sie hatte sich getäuscht. Nichts und niemand war vor den Gesetzen sicher.

„Wurde Zeit, dass der Bastard aus dem Verkehr gezogen wird."

Die gemurmelten Worte eines Soldaten ließ sie die Luft einziehen. Wovon sprach er? „Welcher Bastard?", fragte Pahra heiser.

Verächtlich schnaubte der Mann, dessen Gesicht hinter einem eisernen Helm versteckt war. Keiner hatte sich bisher dazu herabgelassen, mit ihr zu sprechen, doch er trat dem Karren näher, mit dem er mühelos schritt hielt. „Was denkst du? Dein Vater natürlich. Dieses Schwein ist dort, wo er hingehört", sagte er gehässig.

„Mein Vater ist kein Schwein! Du bist eins und ein hässliches mit dazu!", schrie Pahra und spukte wütend den Soldaten an. Daraufhin griff dieser durch die Gitterstäbe und seine Hand legte sich fest um ihren Hals. Röchelnd und der Panik nahe sah Pahra ihn an. Der Helm ließ nur einen Blick auf seine hellblauen Augen zu, die nichts als Verachtung zeigten.

„Du handelst dir gerade weitere Peitschenhiebe ein", warnte er kühl und drückte einmal zu, bevor er ihren Hals wieder freigab. Sofort sank Pahra keuchend in sich zusammen und blieb erschöpft sitzen. „Habt ihr das gehört? Das Töchterchen vom Berater hat keine Ahnung", grölte der Soldat hämisch, woraufhin die anderen lachten. „Sie will sogar noch mehr Hiebe."

Wütend starrte sie den Mann an und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihm einen Fluch aufzuerlegen. Leiden sollte er, bis ihn der grausame Tod einholte! Sobald das Lachen verebbt war, lehnte sich Pahra wieder gegen die Gitterstäbe und sah in die dunklen Wolkentürme, die sich über ihnen zusammenbrauten. Feiner Nieselregen setzte ein und vertuschte die Tränen, die sich unaufhörlich in Pahras Augen bildeten. Sie fragte sich, was ihr Vater getan hatte, dass die Männer, die bisher unter seinem Kommando standen, so über ihn sprachen. War er am Ende gar nicht der, für den sie ihn gehalten hatte?

Wie aus dem Nichts scheuten die Pferde und Pahra wurde in ihrem Käfig durchgeschüttelt. Sie wieherten und stiegen, sodass der Kutscher seine Mühe hatte, den Karren auf der Straße zu halten. Wildes Geschrei, Hundebellen und Gejaule, das die Tiere zusätzlich verängstigte und durchdrehen ließ. In einer Kurve kippte der Karren durch ihr rasantes Tempo um und Pahra fiel mitsamt ihrem Gefängnis in einen Graben, ehe sich das Gefährt über sie legte und in den Schlamm drückte. Dadurch wurde sie von dem Chaos um sie herum abgeschirmt.

Mit heftigem Herzklopfen sah sie auf das Metall, das das Holz davon abhielt, sie zu zerquetschen. Wer wagte es, die Soldaten des Königs anzugreifen? Wo waren sie überhaupt? Noch nie hatte Pahra den Teil der Welt gesehen.

Ein Ruck ließ sie zusammenzucken und sie bemerkte durch einen kleinen Spalt, wie panisch die Pferde im Graben strampelten, aber sie kamen durch den Schlamm nicht mehr auf die Beine. Die kräftigen Rösser, die mühelos große und prunkvolle Kutschen zogen, kämpften ums Überleben. Am liebsten hätte Pahra geholfen und wäre mit ihnen geflohen, doch ihre Fesseln gaben einfach nicht nach und je mehr der schwere Karren ihren Käfig in den Dreck drückte, desto mehr geriet sie in Panik. Schon jetzt steckte er zur Hälfte drin und der nasse, kalte Schlamm raubte ihr die letzten Kräfte. Um sie herum war es furchtbar laut, sodass niemand ihren Hilfeschrei mitbekam. Wie sollte sie hier nur wieder herauskommen?

Jeder Schrei ließ ihre ohnehin schon raue Stimme leiser werden. Das Kratzen im Hals schmerzte so sehr, und als sie hustete, hatte Pahra das Gefühl, dass sich ein Feuer in ihrem Rachen entfacht hatte.

„Hilfe ...!", rief sie immer und immer wieder, während sie Stück für Stück unterging. War das ihr Schicksal? Sollte sie so etwa sterben? Pahra war nicht gewillt, einfach aufzugeben, aber die Erschöpfung, Angst und Schmerzen ließ sie letztlich zusammenbrechen.

„Das ist das Letzte, woran ich mich erinnere", endete Pahra ihre Erzählung. Ihr Blick war auf die glühenden Kohlen gerichtet, die eine angenehme Restwärme aussandten, doch im Rücken nahm sie die Kälte der Nacht wahr. Tief atmete die Heilerin ein und seufzte leise. Schon lange hatte sie nicht mehr an den verhängnisvollen Tag zurückgedacht und sie hatte nicht vor, sich wieder von den schrecklichen Erinnerungen beherrschen zu lassen.

„Dein Vater war Berater beim König und deine Mutter Heilerin?", fragte Makhah stirnrunzelnd. Pahras Erzählung war schockierend und ein weiterer Beweis für die Brutalität der Sheikahs, die sich sogar gegen die eigenen Leute richtete. Er war sich sicher, dass Khione nicht zu ihnen zurückgehen würde. „Verfügst du deshalb über so viel Wissen in Kräuterkunde?"

„Ja, selbst meine Großmutter war gelernte Heilerin und es war normal, dass die Frauen in unserer Familie die Arbeit ausführten", antwortete Pahra. „Die Männer hingegen waren entweder Schmied oder Soldat. Mein Vater war der Erste, der es je bis zum König geschafft hat", fügte sie schulterzuckend hinzu.

„Ich frage mich, warum ihr solch drastische Strafen bekommen habt. Der Verlust eines Kindes ist immer schrecklich, aber deine Mutter deswegen als Hexe zu bezeichnen und ihr den Tod aufzuerlegen, ist übertrieben", bemerkte Asku und rieb sein Kinn, ehe er einen Zug der Pfeife nahm, die bei Pahras Erzählung reihum gewandert und wieder bei ihm gelandet war.

Der Meinung war Makhah auch. Irgendetwas schien an der Sache faul zu sein, doch es herauszufinden, war nicht leicht. Ob der König nur nach einem Grund gesucht hatte, seinen Berater aus dem Weg zu räumen? Nach all der Zeit war es unmöglich, und er nahm an, dass ihr Vater nicht mehr am Leben war. „Hast du jemals deswegen Rache gewollt?"

Pahra schüttelte den Kopf. „Ganz am Anfang, ja. Aber je länger ich bei euch war, desto weniger wurde der Wunsch. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, warum also soll ich mich in einem Hass verreiten, der mich nirgendwohin führt? Das verbraucht nur unnötige Energie."

Die weisen, nüchternen Worte der Sheikah ließen Makhah nachdenklich werden und seine Gedanken lenkten sich wie von selbst zurück zu Khione. Erging es ihr ähnlich wie Pahra? Hatte sie die gleiche Brutalität zu spüren bekommen? Er nahm sich vor, mehr zu ihr vorzudringen, und sie in einem passenden Moment deswegen auszufragen, in der Hoffnung, sie wäre bis dahin ihm gegenüber offener.

Eine angenehme Stille legte sich über das Lagerfeuer, bis die ersten Regentropfen auf Makhahs Haut trafen. Seufzend fuhr er sich durch die Haare. „Was soll ich eurer Meinung nach mit Khione anstellen?", fragte er unschlüssig.

„Bring ihr Bogenschießen bei und entscheide kurz vor dem Kontrollritt, ob sie gut genug ist", schlug Kabiha vor. Sie und ihr Mann standen auf und streckten sich ausgiebig. Es war spät und der nächste Regenguss zum Greifen nah.

Das ließ auch Asku aufstehen. „Schlaf eine Nacht darüber", riet Makhahs Freund, ehe sich ihre Wege trennten. Er hielt gemeinsam mit drei anderen für einige Stunden Wache und wurde danach abgelöst.

Während Tehew, Kabiha und Pahra zurückgingen, blieb Makhah am Lagerfeuer, bis der stärker werdende Regen die Glut zum Erlöschen brachte. Erst dann erhob er sich und warf einen Blick zur Burg. Hinter den meisten Fenstern war es bereits dunkel, doch in der Bibliothek leuchtete es leicht und er nahm an, dass sich Khione dort noch aufhielt.

Kaum betrat er die Eingangshalle, öffnete der Himmel gänzlich seine Schleusen. Er griff nach einer Fackel an der Wand und stieg die Treppen hinauf. Das Geräusch des strömenden Regens begleitete ihn auf dem Weg zur Bibliothek, wobei er an einem Fenster stehenblieb und in die Dunkelheit hinaus starrte. Sie verschluckte das Tal und verwandelte es in ein tiefschwarzes Loch, das bedrückend wirkte. Würde es sich jemals wieder ändern und sie in Pah Koha ohne Angst Frieden finden?

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