Kapitel 14
Verbissen starrte Khione auf die Schriftzeichen aus der vor ihr liegenden Schriftrolle und versuchte, sie zu entziffern. Es fiel ihr nicht leicht, die fast gleichaussehenden Zeichen auf dem ausgeblichenen, gelblichen Papier auseinanderzuhalten. Sie konnte nicht fassen, dass es für Kinder in einfacher Sprache geschrieben war. Durch die handgemalten Bilder war zwar einiges zu erraten, aber das war nicht der Sinn und Zweck. Langsam bezweifelte Khione jemals in der Lage zu sein, das Wirrwarr an Strichen zu beherrschen.
Es wäre gelogen, die Unterrichtsstunden bei Kabiha oder Tehew als spaßig zu bezeichnen. Es war nicht, weil sie unhöflich ihr gegenüber waren, sondern nichts war ihr mehr verhasst, als stillzusitzen und stur auswendig zu lernen. Sie fand es unendlich langweilig. Dank ihrer Eltern war sie eher für die Praxis geeignet und brauchte Bewegung.
Leise seufzend schob sich Khione eine Haarsträhne hinter das Ohr und warf Kabiha einen kurzen Seitenblick zu. Diese saß ihr gegenüber und stickte etwas auf ein ledernes Oberteil. Geschickt führte sie die Nadel durch das Material und erzeugte dadurch Ornamente in verschiedenen Farben. Sie schien in Gedanken versunken zu sein und an sich mochte Khione ihre ruhige Art, aber es ließ sie oft hibbelig werden. Wie hielt Kabiha es nur aus, die meiste Zeit in der Burg zu sein? Khione würde verrückt werden!
„Kann ich bitte das Fenster öffnen?", fragte sie höflich. Am besten schlief sie, wenn die Balkontür einen Spalt geöffnet war. Sobald sie geschlossen war, fühlte sie sich eingesperrt und so, als würde sie nicht atmen können. Vor allem in der Bibliothek mit ihren vollgestellten, dunklen Regalen. Es grauste Khione vorm Winter, in dem sie auf die frische Luft in der Nacht verzichten musste.
„Natürlich", sagte Kabiha und sah kurz von ihrer Arbeit auf. „Wie kommst du voran?"
„Nicht wie erhofft", gab Khione widerwillig zu und erhob sich. „Heute fällt es mir besonders schwer, die Schriftzeichen auseinanderzuhalten", antwortete sie und löste den Riegel des Fensters. Mit einem kleinen Ruck öffnete sie es einen Spalt und sog tief die frische Luft ein.
„Bedrückt dich etwas, Kind?"
Langsam schüttelte Khione den Kopf und verneinte. Oder doch, sie zweifelte an sich und ihrer Zukunft, aber sie wollte nicht für eine Jammerliese gehalten werden.
„Am besten gehen wir einen Schritt zurück und fangen wieder mit dem Alphabet an", schlug Kabiha vor, ohne herablassend zu klingen.
Überrascht drehte sich Khione zu ihr um, blieb aber am Fenster stehen, um den frischen Luftzug zu genießen. Er half sofort, die Wolke in ihrem Kopf zu lösen. Sie lauschte dem Vogelgezwitscher, das sie unruhig werden ließ. Wie sehr sehnte sich Khione danach, draußen bei den anderen zu sein ... Trotz der Kommunikationsschwierigkeiten fühlte sie sich dort wohler. Erst recht, weil Sabah ihr Versprechen eingehalten und niemandem ihren Geburtstag verraten hatte. Nur von ihr hatte sie am Morgen eine enge Umarmung und zwei Küsse sowie einen Blumenstrauß aus dem Garten bekommen. Da Makhahs Schwester jedoch oft mit den Blumen farbige Tupfer in der Burg verteilte, fiel das nicht weiter auf.
„Wirklich?", fragte sie vorsichtig, da sie nicht damit gerechnet hatte, auf so viel Verständnis zu stoßen. Es war ihr peinlich und sie nahm an, für dumm und unzurechnungsfähig gehalten zu werden, doch Kabiha war geduldig und nett.
„Ich weiß, wie unterschiedlich unsere Sprachen sind und, dass du sehr viel Neues lernen musst", sagte Kabiha und legte ihre Arbeit zur Seite. In einer eleganten Bewegung stand sie auf und kam auf Khione zu. Wie alle weiblichen Arakis besaß sie eine Anmut, die Khione den Barbaren des Nordens nicht zugetraut hatte. Mit einem Lächeln auf ihren Lippen strich Kabiha ihr über die Wange. „Du gibst dir Mühe und wirst es sicher lernen", meinte sie aufmunternd.
Zaghaft erwiderte Khione die Geste. Anfangs hatte sie Angst gehabt, dass Tehews Frau sie mit Abneigung behandeln würde, weil seine Schwester ums Leben gekommen war, doch der Eindruck hatte getäuscht. „Danke", flüsterte sie erleichtert.
Kabiha nickte und wandte sich dem vollgestellten Regal des Kaminzimmers zu. Viermal die Woche fand hier der Unterricht statt. Es verfügte über eine gemütliche Sitzecke mit bequemen Sesseln und schien ihr liebster Ort dafür zu sein. Ihr Mann hingegen bevorzugte bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen die Terrasse. Ein Sonnenschirm schützte vor dem grellen Licht und obwohl Tehew weitaus strenger war und kaum etwas durchgehen ließ, genoss sie die Stunden dort mehr. Nur seine Argusaugen lösten manchmal ein ängstliches Gefühl in ihr aus. War das Wetter ungemütlich, zogen sie in sein Arbeitszimmer, das sie nur in seiner Begleitung betreten durfte. Darauf achtete er akribisch.
Während Kabiha nach einer Schriftrolle suchte und ihr den Rücken zugewandt hielt, überlegte Khione, ob sie die Erlaubnis bekam, ein paar mit in ihr Zimmer zu nehmen. So konnte sie abends ein wenig lernen, doch es schien, dass die Arakis nicht gerne ihre Schriften anderen überließen. An wen sollte sie sich der Sache bezüglich wenden?
Ein wenig wehmütig dachte Khione an ihre Eltern. Würden sie noch leben, hätten sie den Tag trotz der Arbeit gefeiert. Seit deren Tod hatte sie jedoch keineswegs das Bedürfnis zum Feiern. Umso froher war sie, dass jeder Araki seinem Alltag nachging und ihr keine Beachtung schenkte. Das half ihr immens, nicht ständig über ihr Zuhause nachzudenken.
Nach dem Unterricht würde sie Pahra aufsuchen, um ihr bei der Herstellung von Salben behilflich zu sein. Es war eine ihrer liebsten Tätigkeiten, bei der sie von einer angenehmen Ruhe heimgesucht wurde. Die Hexe, wie Makhah sie gerne nannte, war manchmal ruppig und besaß einen trockenen Humor, aber sie war niemals herablassend gegenüber Khione. Bisher hatte sie sich nicht getraut, die Heilerin zu fragen, wie sie bei den Arakis gelandet war. Sie erinnerte sich an Pahras Erzählung, dass es ewig gedauert hatte, bis Makhah sie nicht mehr als Feindin angesehen hatte.
„Hier."
Khione zuckte zusammen, als Kabiha plötzlich vor ihr stand und eine Schriftrolle hinhielt. „D-Danke", sagte sie und griff nach ihr. „Könnte ich sie bitte mit aufs Zimmer nehmen und heute Abend lernen?"
„Ich de..." Ein Klopfen unterbrach Kabiha. „Herein!"
Die Tür öffnete sich und Makhah trat ein. Mit einem kurzen Nicken zu Tehews Frau kam er auf Khione zu. „Kann ich dich sprechen?"
Sein ernster Ton ließ Khione schlucken, doch sie bejahte, wobei sie Kabiha einen fragenden Blick zuwarf. „Ist der Unterricht beendet? Darf ich die Schriftrolle mitnehmen?", wiederholte sie ihre Frage.
„Nimm sie mit, vergiss sie aber nicht", sagte diese mit einem etwas warnendem Ton, ehe sie sich auf Makhahs gebieterische Handbewegung hin zurückzog.
Auf einmal standen er und Khione allein im Raum und in ihrem Magen bildete sich ein Knoten. Wie so oft wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Was wollte er überhaupt zu der Zeit von ihr? Bisher hatte er kein einziges Mal eine Unterrichtsstunde unterbrochen.
„Du wolltest mich sprechen?", fragte sie vorsichtig.
„Setz dich", sagte er mit einem Nicken zum Tisch.
Augenblicklich wurde ihr heiß und kalt. Er klang ernst und das ließ sie misstrauisch werden. War etwas vorgefallen, was sie betraf und er war deshalb sauer? Steif setzte sie sich auf den Stuhl und knetete ihre Hände. Erst jetzt fiel ihr die Feuchte an ihnen auf, die sich seit Makhahs Erscheinen gebildet hatte.
Anstatt ihn anzusehen, starrte Khione auf den Boden und wartete auf einen Tadel. Sekundenlang herrschte eine Stille zwischen ihnen, die zum Zerreißen gespannt war, doch dann sagte er etwas auf arakisch, das Khione den Kopf heben und leicht zur Seite neigen ließ. „Was?", fragte sie.
Makhah antwortete nicht sofort, stattdessen griff er in seine Hosentasche und holte etwas heraus. „Lhrot mhab trupht wkao noek", wiederholte er und zog sich den Stuhl heran, auf dem Kabiha gesessen hatte. „Alles Gute zum Geburtstag, Khione", sagte das Oberhaupt und nahm ihre Hand, in die er das Herausgeholte legte.
Überrascht betrachtete sie das Armband, das aus Leder und Pferdehaaren bestand. Dazwischen waren rote und weiße Perlen angebracht, die ein fließendes Muster bildeten. Es sah wie Wellen aus und erinnerten Khione in gewisser Weise an den Fluss Krishna. „Ist das für mich?", fragte sie tonlos und drehte das Schmuckstück in ihrer Hand hin und her. Auf den ersten Blick erkannte sie, dass es handgemacht war und wie viel Mühe darin steckte.
„Gefällt es dir?"
„J-Ja. D-Danke", flüsterte Khione, verfluchte aber Sabah in Gedanken. Scheinbar hatte sie doch nicht ihren Mund gehalten! „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen, Makhah", sagte sie mit einem dicken Kloß in ihrem Hals.
„Du gehörst jetzt zu uns", erwiderte er nüchtern.
Khione erinnerte sich an das Gespräch mit Pahra und Sabah auf der Heimreise und ihr wurde bewusst, wie unglücklich ihr Start mit Makhah verlaufen war. In den letzten Wochen hatte sie ihn ein wenig besser kennengelernt und bemerkt, dass er keineswegs brutal war, obwohl er oft spottete. Das hatte ihr die Sache mit dem Reiten gezeigt. „Hast du es angefertigt?", fragte sie.
„Ja", sagte er und hob langsam seine Hand.
Khione zuckte und kniff ihre Augen zusammen, doch als er ihre Wange berührte und anschließend ihr Haar hinters Ohr strich, blinzelte sie. Auf seinen Lippen lag ein winziges Lächeln. „Danke, Makhah. Es gefällt mir sehr", meinte sie leise.
„Lass es mich dir anlegen", bat er, nahm ihr das Armband aus der Hand und verknotete es geschickt um ihr Handgelenk. Dabei achtete er darauf, dass es nicht zu eng lag und einschnürte.
Sein musternder Blick entging ihr nicht. Sie war erstaunt, wie angenehm weich es sich an ihre Haut schmiegte. Wie lange er dafür gebraucht hatte, es so biegsam und geschmeidig zu bekommen? Sie ahnte, wie viel Arbeit dahintersteckte. „Sind das Pferdehaare von Halona?", wollte sie wissen, während sie ihren Arm hin- und herdrehte, um das Geschenk von allen Seiten zu betrachten.
„Ja, auch von ihr."
„Auch?", wiederholte Khione verblüfft. Von welchem Pferd hatte er noch Haare eingearbeitet? So sehr sie sich darum bemühte, andere Farben zu erkennen, im Kaminzimmer war das beim besten Willen kaum möglich.
„Komm, lass uns ein wenig spazieren gehen", sagte Makhah und stand auf. Er bemerkte ihren Blick auf die Schriftrollen. „Ich werde Sabah bitten, sie in dein Zimmer zu legen. Für heute ist der Unterricht beendet." Noch immer wirkte sie unschlüssig, erhob sich aber zögernd. Von Kabiha und Tehew hatte er von ihren Schwierigkeiten im Lernen mitbekommen, doch er sah den gleichen Willen wie beim Reiten: Khione würde nicht aufgeben. Manchmal war es besser, eine Sache nicht zu verbissen anzugehen.
„Wohin gehen wir?", fragte Khione leise, als sie die Flure durch die Burg entlangliefen.
Anstatt darauf zu antworten, warf Makhah ihr einen kurzen Seitenblick zu. Ihr Verhalten war ihm oft ein Rätsel. In Sabahs und Pahras Gegenwart war sie neugierig und stellte Fragen, aber in seiner wirkte sie wie ein eingeschüchtertes Tier, das er zur Schlachtbank führte. Es wunderte ihn, da er seiner Meinung nach keinerlei Anzeichen gegeben hatte, ihr etwas tun zu wollen. „Wie lebst du dich ein? Kommst du mit dem Lernen voran?", lautete seine Gegenfrage.
„Danke, ich lebe mich gut ein", antwortete sie mit dem Blick fest auf den Boden gerichtet, zögerte aber bezüglich des Unterrichts.
Makhah ließ nicht locker und wiederholte die Frage. Ihm entging ihr leises Seufzen nicht, genauso wenig wie sie knirschte. Er ahnte, dass sie keine Schwäche zugeben wollte, die zum Spott führte. Weiterhin drückte sich die junge Frau um eine Antwort. Das ließ ihn stehenbleiben. „Khione", sagte er ernst, woraufhin sie zuckte. Ihr Körper spannte sich an, sobald er seine Hand auf ihrer Schulter platzierte. „Sieh mich an", befahl er.
Widerwillig kam sie seinem Befehl nach, schaffte es jedoch nur wenige Sekunden, den Blickkontakt zu halten. Makhah legte einen Finger unter ihr Kinn, bis sie ihn wieder ansah. „I-Ich ... habe ein paar Probleme", stotterte sie.
Mehr sagte sie nicht. Das Oberhaupt rollte in Gedanken mit den Augen. Musste er ihr alles aus der Nase ziehen? Wann verstand Khione endlich, dass sich ihr Leben hier abspielte und es keine Geheimnisse gab? Wenn sie nicht sprach, kam er auf anderen Wegen an Informationen, aber er wollte, dass sie von sich aus auf ihn zuging.
Der zartrosa Teint auf ihren Wangen zeigten, wie beschämt sie war. Vorsichtig strich er über die glatte Haut und lächelte leicht. „Woran liegt es?", erkundigte er sich und musterte sie eingängig. Fast schon trotzig schüttelte Khione den Kopf, als wollte sie nicht darüber reden. „Khione, das ist keine Schande. Wichtig ist, dass du dich rechtzeitig dazu äußerst und auf uns zukommst", versuchte er sie aufzumuntern.
Ihr Schulterzucken hatte etwas Hilfloses an sich. „Es ist einfach alles anders. Ich verwechsel oft die Zeichen und wenn ich ein Wort entdecke, indem sie sich ähnlich sehen, weiß ich plötzlich nicht mehr, was was ist. Bei uns sind sie wenigstens eindeutig."
Verständnisvoll nickte Makhah. Ihre Schwierigkeit war nachvollziehbar. „Hast du das Tehew und Kabiha wissen lassen?", fragte er und nahm seinen Finger unter ihrem Kinn weg. Sofort senkte Khione ihren Blick auf seine Brust.
„Ja, heute. Sie hat mir noch einmal die Schriftrolle mit dem Alphabet herausgesucht", antwortete sie leise.
„Wenn du mehr Hilfe beim Lernen brauchst, komm zu Pahra oder mir", bot Makhah großzügig an, obwohl seine eigene Zeit begrenzt war. Als Khione nickte, ließ er ihre Schulter los und setzte sich wieder in Bewegung. Er warf einen Blick nach hinten und bemerkte, dass sie einige Schritte stolperte, ehe sie ihr Gleichgewicht wiederfand. Ihr zuliebe verlangsamte er seine Schrittlänge, bis sie ihn eingeholt hatte.
Gemeinsam verließen sie die Burg und Makhah hörte, wie Khione leise und tief einatmete. Bei einem weiteren, kurzen Seitenblick sah er, wie sie ihre Augen aufmerksam umherschweifen ließ und wie sich ihre Haltung änderte. Scheinbar war sie ein Kind, das sich außerhalb der Wände wohl fühlte. In den letzten Wochen hatte er gesehen, dass sie keinesfalls wie die erhabenen Sheikahs waren, die ständig versuchten, sich mit dem größten Reichtum zu übertreffen. Vor allem deren Frauen saßen lieber im Trockenen und lästerten bei Tee und Sonstigem über andere. Khione war zurückhaltend und integrierte sich auf ihre Art in den Alltag.
„Willst du mir Reitunterricht geben?", fragte sie nachdenklich, als sie durch die Reihen der Khemahs hindurch waren und auf die Wiese zusteuerten, auf der die Pferde grasten und im Schatten der Bäume dösten. Die friedliche Idylle konnte sie stundenlang beobachten. Sobald sie nichts zu tun hatte oder gebraucht wurde, ließ sie sich etwas abseits nieder und genoss die Umgebung ihrer neuen Heimat.
„Nein."
Khione zog ihre Augenbrauen in die Höhe. Was sollte das? Warum hatte er den Unterricht beendet, wenn er scheinbar kein Ziel vor Augen hatte? Wohin wollte Makhah?
Grübelnd folgte Khione ihm und kletterte unter dem Zaun hindurch, während er mit Leichtigkeit darüber sprang. Um die Geschicklichkeit und ihre scharfen Sinne beneidete sie die Arakis. Gerade im Kräutersammeln war Makhahs Schwester hervorragend. Problemlos fand sie selbst unter Dickicht verschiedene Kräuter, die Pahra für Salben und Tee brauchte. Bis Khione sie endlich entdeckte, waren sie schon in Sabahs Korb verschwunden.
Makhah begrüßte seinen Hengst, der mit hochgehaltenen Kopf und Schweif auf ihn zulief. Wie immer war Khione von der majestätischen Art hin und weg. Selten hatte sie ein Tier gesehen, das so elegant und stark zugleich war. Aber auch Ahyokas Stute, die seit dem Tod ihrer Besitzerin meistens auf der Weide stand und nicht geritten wurde, war voller Anmut. Saß Khione auf dem Zaun und beobachtete die Pferde, kam Sakari öfters zu ihr und schnupperte neugierig an ihrer Hand. Heute schien es die Stute jedoch zu Makhah zu ziehen. Prustend begrüßte sie ihn und ließ sich ausgiebig kraulen. Dabei flüsterte er ihr etwas zu, das Khione nicht verstand.
Plötzlich trat er einen Schritt zurück. „Sakari ist nun dein Pferd. Kümmere dich gut um sie, hörst du?"
Perplex starrte Khione ihn an, ließ ihren Blick zur Stute schweifen und dann wieder zu ihm. Sie öffnete sogar ihren Mund, aber es kam kein Laut heraus. Was hatte er eben gesagt? Hatte sie sich verhört? Sakari gehörte ihr? „Ich ... dachte, dass Halona mein Pferd ist, weil du meintest, ich muss mit ihr eine Beziehung aufbauen", stotterte Khione flüsternd. Was hatte das ansonsten für einen Sinn ergeben?
„Solange du sie reitest, ja", gab Makhah zu. „In erster Linie wollte ich sehen, wie du mit ihr umgehst. Halona wird immer als Anfängerpferd benutzt und gehört allen. Aber Sakari ...", bei ihrem Namen sah er die Stute liebevoll und mit einer Spur Trauer an, „... soll dir gehören. Sie braucht eine Bezugsperson und ist ein passendes Geburtstagsgeschenk."
Khione war nahe dran, ihm ins Gesicht zu sagen, dass sie Ahyoka weder ersetzen konnte noch wollte, doch im letzten Moment hielt sie den Mund. Vielleicht meinte es Makhah gar nicht so, sondern wollte ihr eine Freude bereiten. „Bist du dir sicher?", fragte sie zögernd. Es wäre dumm, das Geschenk auszuschlagen, da sie von nun an reiten konnte, wann immer ihr danach war. Zuerst musste sie aber mit Sakari vertraut werden.
„Ja, ich bin mir sicher. Morgen reitest du sie anstatt Halona."
Khione hob ihre Hand hoch und zeigte auf das Armband. „Hast du auch ihre Haare darin verarbeitet?", wollte sie wissen. „Was haben sie für eine Bedeutung?"
Das Oberhaupt räusperte sich und nickte. „Sakaris und Halonas Haare sind eingearbeitet. Sie stellen eine Verbindung zu ihnen dar. Bei uns sind solche Kleinigkeiten normal und wichtig", erklärte Makhah und als Khione auf sein Band am Oberarm zeigte, meinte er, dass darin Denalis Haare und zwei Federn von Arranoa integriert waren.
„Das ist ... eine schöne Tradition", flüsterte Khione, während sie zuhörte und ihr Pferd streichelte. Sabah und Pahra hatten nicht gelogen. Die Volljährigkeit war den Arakis heilig und sie schienen angemessene Geschenke dafür auszusuchen. Zwar brauchte sie keine, aber sie würde Makhahs sicher nicht ausschlagen. Es zeigte ihr, dass er sich Gedanken um sie gemacht hatte. Tief atmete Khione ein.
„Danke, Makhah", sagte sie mit Tränen in den Augen. „Ich weiß deine Gaben zu schätzen und werde gut auf beides aufpassen", versprach sie feierlich mit dem Blick in den Himmel, wo sich Sonne und Wolken den ganzen Tag abwechselten. In den letzten Wochen war er zuvorkommend und nett gewesen, wenn sie die strenge Art im Reitunterricht ignorierte. Es gab nichts Negatives, das ihr bei ihm aufgefallen war und mit der Zeit hatte sich Khione an seine Gegenwart beim Essen gewöhnt. Daher fasste sie einen Entschluss, der ihr Leben komplett verändern würde. Lange hatte sie darüber nachgedacht und nun fühlte sie sich bereit. Sie nahm Makhahs Hand und sah ihm fest in die Augen. „Und ... ich werde deine Frau."
Das Oberhaupt zog seine Augenbrauen in die Höhe und um seinen Mund bildete sich ein harter Zug. Ihre Entscheidung überraschte ihn, aber nach wenigen Sekunden hatte er sich wieder gefasst und sein Blick wurde ernst. Er schien etwas sagen zu wollen, doch er nickte lediglich. „Heute Abend", sagte er. „Sabah und Makira werden dich vorbereiten."
Der Boden fing unter Khione zu wanken an und ein merkwürdiges Gefühl keimte in ihr auf, das ihren gesamten Körper in Beschlag nahm. Als würde sie ihre Kräfte verlieren und jeden Augenblick ohnmächtig werden. So schnell wollte er sie zur Frau nehmen? Damit hatte sie am wenigsten gerechnet. Beging sie etwa einen Fehler? Eins war klar: Makhah hatte recht behalten.
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