Kapitel 13

In der darauffolgenden Zeit lebte sich Khione langsam ein. Der Unterricht bei Kabiha und Tehew war anstrengend, doch sie biss die Zähne zusammen und übte mit Sabah die Aussprache. Darauf achteten die beiden akribisch, aber auch auf ihre Schreibübungen. Tagsüber streifte sie mit Sabah durch die Burg und durch die Reihen der Khemahs, wobei sie mehr und mehr lernte, dass Pah Koha einem kleinen Dorf ähnelte.

Neben dem Stall gab es Unterstände, in denen sich Männer um das Schmieden der Waffen kümmerten. Jeden Morgen hörte Khione beim Aufwachen gedämpft die regelmäßigen Hammerschläge. In einem anderen Teil wurden die Felle der in der Jagdnacht erlegten Tiere verarbeitet. Es war eine anstrengende, mühsame Arbeit, bis das Leder biegsam wurde. Überwiegend hielten sich dort Frauen auf, die geschickt daraus Kleidung herstellten.

Durch Sabah kannte sie mittlerweile die Jagdroutine der Arakis. Zu jedem Halbmond jagten sie in der Nacht, bei Vollmond bei Tag. Der Neumond war ihnen heilig und wurde als Neuanfang des Zyklus gefeiert. Die Arakis versammelten sich auf dem Burghof und bedankten sich bei ihren Göttern für die Gaben mit einem Fest.

So befremdlich die Regeln für Khione waren, so schnell gewöhnte sie sich daran, bei Aufbruch den Jägern Glück zu wünschen und auf ihre Rückkehr zu warten, um die Beute zu verarbeiten. Scheinbar hatten die Arakis damit gerechnet, dass sie verwöhnt war und lieber am gedeckten Tisch saß, anstatt zu helfen. Sie scheute sich nicht, die Tiere auszunehmen, geschweige denn zu häuten. Oft haperte es an der Kommunikation, da nicht alle Arakis ihre Sprache beherrschten, aber sie versuchte immer wieder, das bisher Gelernte aus dem Unterricht anzuwenden. Reichte das nicht aus, verständigte sich Khione mit Gesten.

Am meisten gab sich Khione jedoch Mühe im Reitunterricht. Egal, wie sehr ihr Körper mit Muskelschmerzen und blauen Flecken nach dem Herunterfallen zu kämpfen hatte, sie gab nicht auf und litt stumm. Beharrlich schwieg sie sich über ihren Gesundheitszustand aus, aus Trotz, dass Makhah sie für einen Schwächling hielt.

Auch gegenüber Sabah und Pahra sagte Khione nichts, aber sie schöpfte neue Kraft in den Stunden, die sie mit den beiden verbrachte. Manchmal durfte sie der Heilerin bei der Herstellung von Salben und Tees helfen und bekam dafür eine Paste für ihre blauen Flecken.

Anstatt die Nächte zur Erholung zu nutzen, schlich sie in den dunklen Stunden zu den Weiden. Dabei achtete sie darauf, von niemanden gesehen zu werden. Das Aufspringen auf Halona bereitete ihr nach wie vor Schwierigkeiten, und obwohl sich Makhah dazu genauso wenig äußerte wie zu ihren Fortschritten im Reiten, wusste sie, dass er sich über ihre Ungeschicklichkeit amüsierte. Ein Lob kam fast wie nie, und wenn, waren sie geschickt in Worte gekleidet. Oft bemerkte sie, wie er die Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzog oder mit den Augen rollte. Das entfachte nicht nur ihre Wut, sondern auch ihren Trotz. Sie wollte ihm beweisen, dass sie kein hoffnungsvoller Fall war!

Nach jedem Abendessen wartete sie sehnsüchtig darauf, dass die Nacht eingeläutet wurde und sich die Ruhe über Pah Koha legte. War Jagdnacht, blieb sie in der Burg, bis die Jäger außer Sicht waren. Selbst bei Starkregen besuchte sie Halona, sprach mit ihr und machte sich mit ihr vertraut, bevor sie trotz matschigen Bodens das Aufspringen versuchte. Khione mochte die sanfte Stute, die es ihr nicht übel nahm, wenn sie wie ein Sack an ihrer Mähne hing.

Kurz vor ihrer Volljährigkeit gab Khione langsam die Hoffnung auf, jemals ohne Hilfe aufsteigen zu können. Makhah bestand ausdrücklich darauf, dass sie genau wie die Arakis lernte, von beiden Seiten aufzuspringen. Im Unterricht hatte sie es zum ersten Mal fast geschafft, doch ausgerechnet in dem Moment hatte ihre rechte Schulter blockiert. Seitdem war die Kraft darin spürbar gesunken und sie überlegte, ob sie Pahra davon erzählen sollte. Nach Makhahs abfälliger Bemerkung, dass sie besser auf einem Hund reiten sollte, hatte sie den Gedanken sofort verworfen. Khione hatte ihre Tränen und eine patzige Antwort unterdrückt und sich nicht anmerken lassen, wie sehr er sie mit der Aussage verletzt hatte. Wahrscheinlich war es sein Ziel, dass sie vor ihm wie ein kleines Kind losheulte.

Am Abend saß Khione wie gewöhnlich am Fenster ihres Zimmers und beobachtete, wie der tiefblaue Himmel der Nacht wich und die Sterne zum Vorschein kamen. Das entspannende Bad von Sabah lag hinter ihr und sie wartete darauf, endlich zur Weide zu können.

Nachdenklich rieb sie sich ihre Schultern und ihren Arm. Wenn sie doch wenigstens von einer Seite den Aufsprung beherrschte ... Es musste einfach funktionieren! Was machte sie bloß falsch?

Obwohl sich ihr Körper nach Ruhe und Schlaf sehnte, ließ sie das Thema nicht los. Alles in ihrem Kopf drehte sich nur um das Reiten und Makhah, daher legte sie das Buch auf ihrem Schoß schließlich zur Seite und stand auf.

Khione öffnete die Balkontür und lauschte, ob sie Geräusche von den Khemahs hörte. Nichts. Alles war still, und sie sah die Schatten der Wachen, die wie gewohnt auf ihren Positionen standen. Sie wechselten sich in einem regelmäßigen Rhythmus ab und schwiegen, wenn sie Khione sahen.

„Auf geht's", murmelte sie und kehrte ins Zimmer zurück. Eilig schlüpfte sie in die Reitkleidung und schloss ihre Haare mit einem Band, das sie von Sabah erhalten hatte. So behinderten sie nicht unnötig. Ein kurzer Blick in den Spiegel ließ sie die Grimasse verziehen. Makhahs Schwester begehrte Khiones hellblondes, welliges Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Das hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Auch von den blau-grünen Augen war Sabah hellauf begeistert und nannte Khione heimlich Göttin.

„Pah", murmelte sie und streckte sich selbst die Zunge heraus. Nur, weil die Arakis bronzefarbene Haut, schwarze Haare und dunkle Augen hatten, war sie noch lange keine Gottheit. Egal, wie oft sie Sabah in dem Punkt widersprach, sie wurde nicht erhört.

Wie die Nächte zuvor schlich sich Khione aus ihrem Zimmer, die gespenstisch stillen Flure entlang und gelangte ungesehen zur Weide. Dort sah sie Halona, die ein wenig abseits der anderen graste und ihren Kopf hob, sobald sich Khione ihr näherte.

Unter ihren Füßen nahm sie das nasse Gras und den Schlamm wahr, der durch einen ordentlichen Regenschauer während des Abendessens entstanden war. Nach den Übungen würde sie sich im Fluss reinigen, egal, wie kalt das Wasser war.

Liebevoll begrüßte sie die Stute und streichelte über deren Nüstern. „Vergib mir, dass ich so ungeschickt bin", flüsterte sie und schmiegte sich an das Fell, das trotz der aufgezogenen Kühle angenehm warm war. Halona prustete und Khione nahm es als Zuspruch wahr. Lächelnd sah sie dem Pferd in die Augen, die durch die schwache Beleuchtung der Fackeln und des Mondes funkelten.

Bevor sie zur Übung überging, erzählte sie der Stute von ihrem Tag. Das war zu einem Ritual geworden und es war merkwürdig beruhigend, jemanden zu haben, der nur zuhörte, alles für sich behielt und einfach da war. Bei Pahra und Sabah war sie sich nicht sicher, weshalb sie nie Probleme mit Makhah ansprach.

„Ich wünschte, alles wäre leichter, Halona", seufzte Khione leise und spielte mit der Stirnlocke des Pferdes. „Wahrscheinlich werde ich mich nie ganz an eure Gewohnheiten anpassen können. Allein mein Aussehen unterscheidet sich deutlich." Auch kam sie auf die großen und kleinen Sorgen zu sprechen. Zwar waren einige ihr gegenüber nett, aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, ständig von allen Seiten schief angesehen zu werden oder dass hinter ihrem Rücken über sie geredet wurde. Das ließ Khione einsam fühlen. Sie war jemand, der sich im Kreise der Familie und Freunden wohlfühlte und auftaute. Hier jedoch ... sie war kein Teil des Terikan, obwohl sich Sabah die größte Mühe gab, sie willkommen zu heißen.

Nach einigen Minuten war Khione mit ihren Erzählungen fertig und sie trat einen Schritt von der Stute zurück. „Bleib bitte stehen", flüsterte sie und sah sich nach rechts und links um, ehe sie mit ihren Übungen begann.

Mit verschränkten Armen stand Makhah am Fenster seines Zimmers und beobachtete Khione auf der Weide. Ihm fiel es nicht schwer, im Dunkeln einiges zu erkennen. Erstaunlich, wie viel Ehrgeiz sie besaß und sie jede Nacht klammheimlich übte. Vom Wetter ließ sie sich nicht abbringen und der wenige Schlaf schien ihr kaum etwas auszumachen, wobei er festgestellt hatte, wie ihre Kraft und Konzentration darunter litten. Trotzdem beschwerte sie sich nicht, sondern schwieg eisern. Das imponierte Makhah. Er war davon ausgegangen, dass sie wie die meisten weiblichen Sheikahs eine Zimperliese war und aufgab, sobald er sie kritisierte. In ihren Augen sah er oft den Trotz, der sie vermutlich anstachelte. Manchmal reizte er Khione absichtlich, weil er herausfinden wollte, wie sie reagierte.

Umso erstaunter war er, dass sie nur wenig Widerstand leistete und nach außen hin scheinbar alles hinnahm. Dennoch ihre Körpersprache verriet sie. Sagte Makhah etwas, das ihr nicht passte, spannte sie sich an und mahlte mit den Kiefern. War sie beschämt oder eingeschüchtert, traute sie sich nicht, ihm in die Augen zu sehen. War ihr überhaupt bewusst, dass er sie wie ein offenes Buch lesen konnte?

Kopfschüttelnd seufzte Makhah, als er Khiones Schatten auf der Wiese sah. Wie oft war sie heute schon hingefallen? Ein Dutzend Mal bestimmt. Und das nicht nur beim Reiten. Über Sabah bekam er von den zahlreichen blauen Flecken mit, über die sich Khione kein einziges Mal beschwert hatte. Nicht einmal seiner Schwester gegenüber, wenn diese sie wusch und pflegte. Laut Sabah war die junge Frau tapfer und gab keinen Ton von sich, aber ihr fiel jeden Tag auf, wie Khione ihre Lippen zusammenpresste. Selbst den Vorschlag, zu Pahra zu gehen, lehnte sie ab.

Als wollte sie damit etwas beweisen ...

Mit einem Blick zu seinem Nachttisch seufzte Makhah erneut. Khione war unglaublich stur und ließ sich von nichts abbringen. Vielleicht sollte er ihr ins Gewissen reden und ihr zu verstehen geben, dass sie ohne Schlaf und genug Ruhe nicht weit kommen würde. Gleichzeitig ahnte er, dass seine Worte Feuer ins Öl gießen und sie zum Weitermachen anstacheln würden.

„Ich bin gespannt, was passiert, wenn zwei Sturköpfe wie du und sie aufeinandertreffen", hatte die Heilerin gemeint, als er nach der Aislingblüte verlangt hatte. Mit einem ernsten Blick in seine Augen hatte sie ihm diese in die Hand gedrückt. „Übertreibe es damit nicht, Makhah."

Was verstand sie schon von den Schmerzen, die er durchlitt? Jede Nacht zerbrach er an der Sehnsucht nach Ahyoka und wurde im Schlaf von den Verletzungen und ihrer geschwächten, sterbenden Stimme verfolgt. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht, bevor sie die Augen schloss und ihren letzten Atemzug nahm.

Allein die Gedanken daran ließ Makhah wütend und zugleich unendlich traurig werden. Es hätte jeden treffen können! Warum war seine Geliebte diejenige gewesen? Er verstand es bis heute nicht. Nie würde er eine Antwort darauf bekommen.

Langsam wandte sich Makhah wieder der Weide zu und beobachtete Khiones Schatten, wie er sich bewegte. Erneut fiel sie hin, blieb einige Sekunden lang liegen und stand in Zeitlupe auf.

Murrend drehte sich das Oberhaupt um und lief zur Tür. So konnte das nicht weitergehen.

„Verdammt", fluchte Khione keuchend und schlug voller Zorn auf den schlammigen Boden ein, sodass er nach allen Seiten und in ihr Gesicht spritzte. Wütend wischte sie sich mit dem Arm darüber und stand auf. Ihr Fuß rutschte plötzlich weg und sie plumpste unsanft auf ihren Hintern. Sogleich fuhr ein stechender Schmerz durch ihr Steißbein. Stöhnend blieb Khione sitzen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie hatte den Regenguss und seine Folgen gewaltig unterschätzt. Ihre Kräfte waren am Ende. Von oben bis unten war sie mit Schlamm bedeckt und würde Halona deshalb noch vor dem Morgengrauen bürsten müssen. Hoffentlich fand Khione danach ein oder zwei Stunden Erholung ...

Plötzlich blies ihr ein warmer Atem ins Gesicht und sie riss die Augen auf. Die Stute stand vor ihr und hatte ihren Kopf herabgesenkt. Vorsichtig stupste das Pferd sie an, als wolle es Khione aufmuntern.

Das ließ Khione kichern und sie rieb Halona dankbar die Stirn. „Du hast recht. Ich darf nicht aufgeben."

Ächzend stand sie daraufhin auf. Es gab keinen Muskel und Knochen im Körper, der nicht schmerzte. Wann hatte das endlich ein Ende?

Flüchtig wischte sich Khione den Schmutz von der Hose und entfernte sich einige Meter von Halona. Tief atmete sie ein, feuerte sich in Gedanken an und sprintete los. Je näher sie der Stute kam, desto entschlossener wurde sie und sprang so hoch ab, wie es ihr noch möglich war. Unerwartet landete sie bäuchlings auf Halonas Rücken und zog sich zitternd mit letzter Kraft in die richtige Position.

„I-Ich habe es ... geschafft", flüsterte sie atemlos und ein Glücksgefühl breitete sich in ihrer Brust aus, das sich bis in jeden Winkel ausdehnte. Sie konnte nicht fassen, dass sie nach unendlichen Fehlversuchen ohne Hilfe auf die Stute gekommen war!

„Gut gemacht."

Die durch die Nacht hallende, dunkle Stimme ließ Khione zusammenzucken. Hastig sah sie sich um und ihr Herz sank buchstäblich in die Hose, als sie eine Gestalt zwischen den grasenden Pferden auf sie zukommen sah. Sie versteifte sich und legte vorsichtshalber ihre Unterschenkel an Halonas Bauch.

„Du kannst stolz auf dich sein, Khione", sagte Makhah leise, sobald er sie erreichte und den Hals des Tieres streichelte.

Der Schreck steckte in Khiones Gliedern und die Angst ließ ihren Mund trocken werden. Hatte er sie gerade etwa gelobt? Sicher litt sie an Wahrnehmungsstörungen! Bisher hatte sich Makhah nie zu einem echten Lob hinreißen lassen! „W-Wie lange bist du schon d-da?", stotterte sie und vergrub ihre Hände in Halonas Mähne.

Makhah löste seinen Blick von Halonas Kopf und er sah zu Khione hoch. „Denkst du wirklich, ich weiß nicht, was in meinem Terikan vor sich geht?", fragte er gegen und musterte die junge Frau eindringlich. Von der Nähe sah sie noch erschöpfter aus, als er angenommen hatte. Beim Abendessen war ihm schon aufgefallen, wie sie mit der Müdigkeit kämpfte. Nun waren ihre Augen vor Angst aufgerissen und ihre Anspannung übertrug sich auf das Pferd. Halona spielte mit den Ohren, hörte damit aber auf, als Makhah sie beruhigend klopfte.

Auf seine Gegenfrage erhielt er keine Antwort, dafür hielt Khione ihren Blick auf die Hände gesenkt. Sie schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte, daher legte er aufmunternd seine Hand auf ihren Oberschenkel und ignorierte ihr Zucken.

„Lass es gut sein für heute, du bist am Ende deiner Kräfte. Ich kümmere mich um Halona. Geh dich waschen und schlaf danach, aber lass dich nicht von Sabah erwischen", fuhr er fort. Trotzig schüttelte Khione den Kopf, woraufhin er seinen Griff an ihrem Oberschenkel fester werden ließ. „Keine Widerrede, Khione", sagte er streng. „Dein Ehrgeiz in allen Ehren, nur wirst du ohne genug Erholung nicht lange weitermachen können. Du solltest lernen, deine Grenzen einzuschätzen."

„A-Aber du bist doch derjenige, der mich ständig antreibt!", murmelte Khione. Konnte sich Makhah endlich mal entscheiden? „Du bist nie zufrieden."

„Wer sagt das?"

Khione erkannte, wie sich seine Augenbrauen nach oben zogen. „Ich sehe es an deinem Augenrollen und dem dämlichen Grinsen, wenn ich falle", brummte sie unwirsch. „Ständig machst du dich lustig über mich, selbst, wenn du nichts sagst." Das Oberhaupt seufzte leise, aber deutlich hörbar. Ohne es zu wollen, übernahm Khiones Temperament die Kontrolle. „Und dein übertriebenes Seufzen genauso!"

„Das ist nicht wahr", widersprach Makhah abwinkend. „Du stellst dich nicht ungeschickter an wie andere Anfänger."

„Na, danke auch", knurrte Khione. Ihr Glücksgefühl über den Erfolg war dank Makhah im Nichts verpufft. Hätte er ihr ihn nicht wenigstens ein paar Stunden lassen können? Missmutig wischte sie seine Hand weg und schwang sich vom Pferderücken. Bevor sie ihren Übungen wieder nachgehen konnte, hielt er sie an den Schultern fest.

„Khione!"

Sein drohender Ton ließ sie zusammenzucken, doch sie reckte trotzig das Kinn vor. „Nein. Anstatt mir zu sagen, was ich richtig oder gut mache, kritisierst du mich permanent. Manchmal ist ein Lob hilfreicher", sagte sie und starrte in seine dunklen Augen. „Du denkst, jeder Sheikah wäre nobel und faul, aber ich muss dich enttäuschen. Ich komme aus einer hart arbeitenden Familie, der nichts nachgeworfen wurde oder ein Privileg vom König bekam. Und ich kämpfe dafür, mich zu verbessern. Davon hältst du mich nicht ab. Wenn du also nichts dagegen hast, widme ich mich wieder dem Aufspringen."

Sie versuchte, seine Hände an ihren Schultern wegzuwischen, aber sein Griff verfestigte sich dadurch ein wenig. Ein bisschen mehr Schmerz war ihr egal. Khione würde für sich einstehen!

„Mach so weiter, und ich trage dich höchstpersönlich in die Burg", drohte Makhah dunkel. Wie geahnt, trafen seine Worte auf Widerstand und fachten Khiones Trotz sowie Ehrgeiz an.

„Versuch es, aber du wirst dich sicher nicht schmutzig machen wollen."

Makhah war nahe dran, seine Warnung in die Tat umzusetzen, doch er besann sich rechtzeitig. „Nein, Khione", sagte er ernst. „Nimm das Lob und meine Fürsorge an. Ich will dir nichts Böses. Vielleicht sage ich zu wenig, wie gut du dich im Reiten schlägst, aber du hast dich in der kurzen Zeit enorm verbessert."

Khione beschloss, dass es einem Kompliment gleichkam, und nickte leicht. „Danke. Mehr wollte ich nicht wissen", flüsterte sie. Es gefiel ihr nicht, wenn er nun dachte, sie wäre nur auf Lob aus, doch seine Worte halfen ihr, dem Unterricht entspannter entgegenzusehen. Bisher war sie davon ausgegangen, keinen Fortschritt zu machen. Nun wusste sie es besser und es gab ihr nicht nur neue Hoffnung, sondern auch Kräfte.

„Jetzt geh dich waschen und danach schlafen", befahl Makhah. Er ließ ihre Schultern los und zeigte auf Halona. „Ich kümmere mich um sie und werde nachher kurz nach dir sehen, um sicherzugehen, dass du wirklich im Bett bist."

Khione zog ihre Augenbrauen in die Höhe, obwohl sie bezweifelte, dass er es erkennen konnte. „Kontrollierst du mich etwa?", fragte sie trocken und sah ein Schulterzucken seinerseits. „Ich bin alt genug, Makhah."

„Das mag sein, aber du setzt dich gerne gegen mein Wort zur Wehr", sagte er abwinkend. „Sei so gut und gehe es in der nächsten Zeit etwas ruhiger an, damit du wieder zu deinen vollen Kräften kommst", fuhr er fort und räusperte sich, als er einen Schritt zurückging. „Und nun geh."

Für einen Augenblick war Khione versucht, sich zu widersetzen und ihren Kopf durchzusetzen, doch ihr Körper signalisierte ihr, dass es genug war. Bevor sie ging, trat sie an Halona heran und bedankte sich leise für deren Geduld. Daraufhin warf sie Makhah einen Blick zu und setzte sich wortlos in Bewegung. Als sie Halonas Schnauben und Platschen hörte, wusste sie, dass er ihr folgte. Außerhalb der Weide trennten sich jedoch ihre Wege.

Khione lief den Trampelpfad entlang, der sie zum Fluss brachte und lächelte, sobald sie ankam. Über dem vom Mondlicht funkelnden Wasser tanzten einige Glühwürmchen und sie nahm das Rascheln aus den naheliegenden Büschen zur Kenntnis. Tief sog sie den Geruch des vergangenen Regenschauers ein. Er war erfrischend und fühlte sich wie ein Neuanfang an.

Langsam entkleidete sich Khione, nachdem sie sich versichert hatte, dass niemand in ihrer Nähe war. Der Mond spendete gerade genug Licht dafür, aber mit einem Blick in den Himmel sah sie, wie Schleierwolken ihn milchig werden ließen.

Seufzend warf Khione ihre Kleidung ins Gras und tastete sich am Flussufer entlang, um einen geeigneten Einstieg zu finden. Durch den Regen war Vorsicht geboten, wenn sie sich nicht verletzen wollte. Das schwindende Licht erschwerte ihre Suche, doch letztlich fand sie eine flache Stelle, in der sie sich gleiten ließ. Nur mühsam unterdrückte Khione einen Aufschrei, als das Wasser wie tausend feine Nadeln auf ihren Körper einschlug und lähmte. Die eisige Kälte raubte ihr regelrecht den Atem und sie war nahe dran, sofort wieder ans Ufer zu gehen. Hinzu kam die Strömung, die an ihr zerrte und nur darauf wartete, dass Khione einen falschen Schritt setzte, um sie mit sich zu ziehen.

Anstatt ihr Leben zu riskieren, beeilte sich Khione mit dem Waschen. Sie tauchte für einige Sekunden unter, was sie sofort bereute, als ein stechender Schmerz ihren Kopf durchfuhr. Trotzdem hielt sie aus und konzentrierte sich auf das Herunterzählen von zehn auf null. Erst dann richtete sich Khione ruckartig auf und schüttelte sich bibbernd, um das Wasser aus ihren Ohren zu bekommen.

Auf dem Weg zu ihrer Kleidung fiel ihr siedend heiß ein, dass sie diese in dem Zustand gar nicht anziehen konnte. Sie würde eine Spur an Schmutz hinterlassen, wenn sie damit in die Burg ging. Nackt wollte Khione aber auch nicht durch Pah Koha streifen.

Was sollte sie jetzt tun?

Der Mond war mittlerweile hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden und sie befürchtete, dass sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, ob die Kleidung sauber war oder nicht. Trotzdem ließ es Khione darauf ankommen und sie setzte sich ans Ufer. Dort tauchte sie die Stoffe unter Wasser und rieb sie gegeneinander, bis ihre Hände durch die Kälte schmerzten und fast taub wurden. Danach wrang sie alles einzeln aus und schlüpfte in die Hose hinein. Leicht war es nicht, denn sie klebte an ihrer Haut.

Plötzlich hallte ein Donnergrollen durch die Nacht. Khione zuckte zusammen und beeilte sich mit rasendem Herzen, die Hose nach oben zu zerren. Auf das Oberteil verzichtete sie, da sie nicht wusste, wie weit das Gewitter noch entfernt war. Die Bergwände warfen die Geräusche mehrmals zurück, weshalb Khione es nicht einschätzen konnte.

Stolpernd rannte sie den Weg zurück zur Burg und fluchte, als ein erneuter Regenschauer einsetzte. Anfangs war es ein angenehmer Nieselregen, der innerhalb Minuten zu einem Starkregen mutierte und Hagelkörner mit sich brachte.

Ungeachtet dessen, dass Khione eigentlich nicht nackt durch Pah Koha laufen wollte, hielt sie ihr Oberteil schützend über den Kopf. Viel half es nicht und sie spürte an ihren Armen, wie die Eiskörner auf sie einprasselten. Mit zusammengebissenen Zähnen rannte Khione durch die Reihen der Khemahs und erreichte nach Luft japsend die Eingangstür zur Burg. Eilig drückte sie diese auf und wollte schon aufatmen, als ein Blitz die Umgebung erhellte und gleich darauf ein gewaltiger Donner durch die Nacht folgte.

Khione hatte das Gefühl, dass das Geräusch sogar in den Mauern nachhallte. Mit wackelnden Beinen schlich sie die Flure zurück zu Makhahs Flügel und betete, dass ihr niemand begegnete. Ihr Gebet wurde nicht erhört.

Kaum erreichte sie die oberste Treppe, bog Makhah mit einer Fackel um die Ecke. Ihre Blicke trafen sich und sie presste den Stoff ihres Oberteils fest an sich, als das Oberhaupt auf sie zukam.

„Gut, dass du es rechtzeitig geschafft hast. Ich wollte schon nach dir sehen", sagte er, wobei er das Feuer zwischen sich und Khione hielt.

„J-Ja", brachte sie hervor und hoffte, dass er keinen Kommentar bezüglich ihrer Gestalt verlauten ließ. Einige Sekunden herrschte eine zum Zerreißen gespannte Stille, die mit einem erneuten Donner abrupt endete. „Ich gehe ins Bett", flüsterte Khione bemüht darum, ihr Zähneklappern zu verstecken. Alles, was sie wollte, war, sich unter die Felle zu kuscheln und bis zum Morgen durchzuschlafen. „Gute Nacht."

Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ Makhah einfach stehen. Hastig lief sie zu ihrem Zimmer und schloss aufatmend die Tür hinter sich. Das war knapp gewesen. Ihr war nicht entgangen, wie das Oberhaupt seine Augenbrauen nach oben gezogen hatte.

Jetzt beeilte sich Khione, die nasse Kleidung auszuziehen und in ihr leichtes Leinennachthemd zu schlüpfen. Beim Ausbürsten ihrer Haare fror sie erbärmlich, weshalb sie sich vor das lodernde Feuer im Kamin setzte. Wer auch immer dafür verantwortlich war, Khione war dankbar für die behagliche Wärme, die die Kälte langsam verdrängte.

Nach dem Bürsten sah sie sich ihre Arme an. Die Hagelkörner hatten ihre Spuren auf der Haut hinterlassen, aber es waren nichts weiter als Kratzer und leichte Schürfungen. Khione sah keinen Grund, diese zu versorgen. Sie würden von selbst heilen.

Ein besonders lauter Donner ließ Khione nach einer Weile aufstehen und die Bürste zurück auf die Kommode legen. In dem Moment klopfte es leise.

„Du kannst hereinkommen", sagte sie in einer Lautstärke, von der sie wusste, dass Makhah sie hörte. Wenige Sekunden später stand das Oberhaupt in ihrem Zimmer und musterte sie nachdenklich. „Ich gehe schon", murmelte sie mit einem Nicken zum Bett.

„Lass mich zuvor deine Arme ansehen", bat Makhah.

„Bloß ein paar Kratzer und Schürfungen", winkte Khione ab. „Das heilt wieder", sagte sie überzeugt und lief auf das Bett zu, doch Makhah griff nach ihrem Handgelenk. Ohne sich umzudrehen, blieb sie stehen.

„Davon will ich mich selbst überzeugen", kam es fast schon warnend von ihm.

Widerwillig wandte sich Khione zu ihm um und sah in seine dunklen Augen, in denen sie seit dem ersten Tag jede Emotion gesehen hatte. Je nach Lichteinfall waren sie schwarz wie Kohle oder so dunkel wie nasse Erde. In ihnen lag eine Macht, die seine Feinde mit Furcht und Angst erfüllte, die Unwürdigen in die Knie und die Widerspenstigen zum Gehorsam zwang. Das war aber nicht alles. Neben tödlicher Verachtung hatte Khione in den Wochen die Güte, Dankbarkeit, Besorgnis und die Liebe in manchen Momenten erkannt.

So wie jetzt. Im orangefarbenen Licht des Feuers war sie sich sicher, dass er besorgt war. Nur deshalb streckte sie ihm die Arme hin und schauderte, als er sie vorsichtig drehte und von allen Seiten betrachtete. Er schien genau vorzugehen und sich versichern zu wollen. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf den Boden und ließ die Prozedur über sich ergehen. Es kam Khione wie eine Ewigkeit vor, bis er nickte und sie wieder freigab.

„Sieh morgen dennoch bei Pahra vorbei. Sie soll dir einen Stärkungstrank geben."

Schaudernd rieb sich Khione ihre feucht gewordenen Finger. „Nein, danke. Das Hexengebräu ist so bitter."

Ihre Aussage entlockte Makhah ein Lächeln. „Je bitterer, desto mehr hilft es. Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Und nun ab ins Bett", sagte er mit einem Fingerzeig auf die Schlafstätte.

Wie auf Kommando gähnte Khione. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Binnen Sekunden schlüpfte sie unter die Felle und zog diese bis zu ihrer Nasenspitze nach oben, ohne Makhah aus den Augen zu lassen. Dieser war auf der Stelle stehengeblieben und nickte scheinbar zufrieden.

Wortlos ging er zum Kamin und schürte das Feuer mit ein paar weiteren Holzscheiten, ehe er auf die Verbindungstür zuging und Khione einen Blick über die Schulter hinweg zuwarf. „Gute Nacht."

Leise erwiderte sie den Gruß und starrte lange in die Flammen, die sich um das Holz züngelte und langsam in Kohle verwandelte. Erst, als das Gewitter weiterzog und die krachenden Geräusche nachließen, zehrte die Müdigkeit sie in einen tiefen Schlaf.

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