Kapitel 11
Nach einer Woche erreichten sie endlich Pah Koha. Kaum erblickte Makhah die Burg, wurde ihm warm ums Herz. Die grauen Gemäuer, die Wind, Regen und Eis standhielten und sich von blühenden Wiesen und Wäldern abhoben, waren Überreste der Sheikahs. Sie boten Schutz und ein komfortables Heim, an das sich die Arakis erst hatten gewöhnen müssen. Einige von ihnen konnten sich selbst im Winter nicht damit anfreunden, von Mauern umgeben zu sein und bevorzugten weiterhin das Leben im Khemah.
„Ahyoka, wir sind zuhause", flüsterte er und folgte mit seinem Blick Arranoa, wie dieser ins Tal hinunterflog. Wenige Sekunden später kam die Antwort von dort und Makhah trieb Denali an. Hinter sich hörte er erleichtertes Murmeln, aber auch Khiones Geflüster. Sie schien über ihr neues Zuhause überrascht zu sein. Was sie wohl von den Betten und der Einrichtung hielt? Nach der Reise glaubte sie sicher, dass Arakis nur in Höhlen und Khemahs hausten.
Obwohl das Mobiliar anfangs befremdlich und ungewohnt gewesen war, hatten sie sich damit angefreundet. Mittlerweile schätzten die Arakis in seinem Terikan den Komfort, den die Burg mit sich brachte, aber keiner hätte ein Problem, ohne zu leben. Auch nicht Makhah. Dennoch wollte er die Mauern nicht einreißen. Wer wusste schon, was in Zukunft passierte ...
Unerwartet ritt Sabah an seine Seite und legte mit einem Lächeln ihre Hand auf seinen Oberschenkel. „Willkommen zuhause, Bruder", sagte sie liebevoll.
Er erwiderte das Lächeln, das jedoch mit dem Blick auf Khione erstarb. Sie starrte geradeaus und war ungewöhnlich steif. Das erkannte er an ihren Händen, die sich krampfhaft an Sabah festhielten, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. Er ahnte, dass die Reise Spuren an ihr hinterlassen hatten.
„Sobald wir da sind, sorge dafür, dass Khione ein Bad und Essen bekommt", ordnete er an und runzelte die Stirn, als diese leise schnaubte. Mühsam hielt er ein Seufzen zurück. „Das Zimmer neben mir ist ihres."
Damit ließ er seine Schwester stehen und trieb Denali an. Ahyokas Stute folgte willig mit erhobenem Kopf und stieß ein schrilles Wiehern aus.
Insgeheim bewunderte Khione das traumhafte Pferd. Die dunkelbraune Stute, dessen Fell im Licht des Sonnenuntergangs rötlich schimmerte, spitzte die Ohren und blähte die Nüstern. Ihr Stern auf der Stirn war durch die prachtvolle Mähne teilweise verdeckt. Der Charakter war sanft und liebevoll, wie sie mitbekommen hatte.
Gerne schmiegte sich Sakari an Makhah oder wer auch immer ihr Liebkosungen zukommen ließ. Von Sabah hatte Khione erfahren, dass er sie eigens für Ahyoka eingeritten hatte. Die besondere Verbindung zur Stute bestand seit ihrer Geburt, bei der das Oberhaupt mitgeholfen hatte. Allein das sprach für die Sanftheit von Makhah, an die Khione bisher nicht glaubte.
Ihr Blick schweifte zur Burg, die eingebettet zwischen kleinen Wäldern im Tal lag. Mit dieser Behausung hatte sie im Leben nicht gerechnet. Es wirkte surreal zu dem, was sie in den vergangenen Tagen erlebt hatte. Wenn sie sich nicht täuschte, gab es auf der linken Seite sogar einen Stall, obwohl die Pferde auf einer abgetrennten Wiese friedlich grasten.
Trotz der Gemäuer erkannte Khione Khemahs, die rund herum aufgebaut und scheinbar bewohnt waren. Sie fragte sich, was der Grund dafür war, aber da Sabah ihr Pferd wieder in Bewegung setzte, schwieg sie und nahm lieber ihr neues Zuhause unter die Lupe.
Etwas abseits der Burg gab es einige Felder, die sich bis zum Wald erstreckten und vermutlich zum Anbau genutzt wurden.
Khione fiel auf, wie die Tiere ihre Schritte verlängerten und sich zur Begrüßung zuwieherten. Sie waren vermisst und erwartet worden. Hier waren sie zuhause. Der Gedanke trieb Khione Tränen in die Augen. Würde sie sich hier jemals heimisch fühlen oder würde sie bis zu ihrem Tod Feindlichkeit begleiten? Nur, weil Makhah sie zur Frau nehmen wollte, hieß das nicht, dass die anderen sie akzeptierten.
Je näher sie der Burg kamen, desto größer wurde der Knoten in Khiones Magen. Das Gebäude mit den hohen Fenstern erinnerte sie an ein Schloss, das eher von einem König bewohnt wurde. Wurde Makhah als Oberhaupt wie einer angesehen? Umso unverständlicher, warum er ausgerechnet sie zur Frau nehmen wollte!
Das letzte Stück des Weges ritten sie am Waldrand entlang. Tief atmete Khione den intensiven, würzigen Geruch der Nadelbäume ein, die überwiegend vertreten waren. Er war beruhigend und wie Balsam auf ihrer Seele. Hoffentlich bekam sie die Erlaubnis, hier Zeit zu verbringen, anstatt in der Burg eingesperrt zu sein. Denn davon ging Khione aus: Ein tristes Dasein, eingesperrt in einem Zimmer, um jederzeit dem Mann dienen und ihn befriedigen zu können. Seine Gebärmaschine sein, damit er genug Nachkommen hatte.
So hatte sie sich ihr Leben nicht vorgestellt.
Als sie den Burghof erreichten, wurden sie von einigen begrüßt, die mit dem Aussortieren einer Ernte beschäftigt waren. Zumindest glaubte Khione es. Sie sah, wie Makhah von seinem Hengst stieg und mit Sakari an der Hand auf eine Frau wartete, die mit erhobenem Kopf die Stufen herunterkam. In ihren langen, pechschwarzen Haaren waren Perlen eingearbeitet, die sie elegant und nobel aussehen ließen, aber sie trug die gleiche Kleidung wie die anderen Frauen.
Wer das wohl war?
Er hakte seinen Arm für einen Augenblick bei ihr ein und unterhielt sich mit ihr.
Khione rutschte von Sabahs Pferd und drängte sich gegen das warme Fell, als sie bemerkte, wie sie von der Frau mit einem wütenden Blick gemustert wurde. Ausgerechnet in dem Moment gesellte sich Makhahs Schatten zu ihnen und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Das ist Tehews Frau Kabiha", erklärte Pahra die scheinbar Khione genau beobachtete. Ächzend stieg sie von ihrem Pferd und nahm ihm die Taschen ab, die sie auf den Boden legte. „Tehew ist seit Jahren Makhahs Berater und Kabiha hält hier Stellung, wenn wir unterwegs sind."
Khione nickte. Wenigstens erfuhr sie endlich seinen Namen. Er war merkwürdig, aber sie kannte ihn nicht genug.
„Ahyoka sein Schwester Tehews", mischte sich Sabah ein, während sie ausgiebig und dankbar die Stirn ihrer Stute kraulte.
Mit aufgerissenen Augen starrte Khione in seine Richtung. „W-Was?", stotterte sie. Jetzt konnte sie seine Ablehnung ihr gegenüber nachvollziehen. Er war der gleichen Meinung wie Makhah, dass sie schuld an Ahyokas Tod trug.
Unerwartet legte Pahra ihre Hand auf Khiones Schulter. „Wir können die Geschehnisse nicht zurückdrehen, sondern müssen weiterleben. Das ist Tehew bewusst. Er hat bereits seine zweite Schwester und einen Bruder verloren."
Sprach die Heilerin ihr damit Mut zu oder wie sollte Khione die Worte verstehen?
Ein kurzer Blick zu Kabiha reichte aus, sie eingeschüchtert zu Boden sehen zu lassen, doch in ihren Augenwinkeln bekam sie mit, wie Tehew ihre Hand nahm und etwas sagte. Seine Stimme war dunkel und ähnlich rauchig wie Pahras.
Daraufhin nickte Kabiha, ließ den Shiharu und ihren Mann stehen und trat auf Sabah zu. Da sie wie bei Makhah ihren Arm bei ihr einhakte, ging Khione davon aus, dass es eine Begrüßung war.
„Ich lassen frei mein Pferd, dann wir gehen Zimmer", sagte Makhahs Schwester und führte mit Pahra die Tiere fort.
Plötzlich stand Khione verlassen und allein auf dem Burghof und wusste nicht, was sie tun sollte. Erwartete man von ihr, dass sie mithalf, oder sollte sie auf Sabah warten?
Die Entscheidung wurde ihr von Kabiha abgenommen, die sich vor sie stellte. „Du musst Khione sein", sagte sie sanft mit einem Lächeln. Khione nickte. „Willkommen. Die Reise muss anstrengend gewesen sein. Möchtest du dich erfrischen, stärken und ausruhen?", fragte sie.
„J-Ja", stotterte Khione.
„Komm, ich begleite dich und zeige dir dein neues Zuhause", schlug Kabiha vor.
„A-Aber Sabah ..."
„Sie kommt nach", versicherte Tehews Frau mit einer einladenden Geste zur Burg.
Unschlüssig sah Khione den Pferden hinterher und wünschte sich, sie wäre schon wieder zurück. Alles in ihr rief nach der geborgenen Anwesenheit von Makhahs Schwester, aber Kabiha schien darauf zu brennen, sie hineinzuführen. Es war merkwürdig, aber Khione hatte Angst vor der eleganten Frau. Sie wirkte erhaben und ernst. Die Tatsache, dass ihr Mann der Bruder von Ahyoka war, verschlimmerte das Ganze.
Langsam setzte sich Khione in Bewegung und folgte ihr mit zitternden Beinen die Stufen hinauf. Eilig wischte sie sich ihre feucht gewordenen Hände an der Kleidung ab, als Kabiha das Eisentor öffnete. Von drinnen wehte ihr ein kühler Luftzug entgegen, der einen leckeren Essensgeruch mit sich brachte.
Zögernd setzte Khione einen Fuß in die Burg und blieb wie angewurzelt stehen. Der marmorierte Boden funkelte durch das natürliche Sonnenlicht, das von hohen Fenstern hereinschien. An beiden Seiten der Eingangshalle gingen Treppen nach oben, die mit Teppichen ausgelegt waren.
Kabiha drehte sich zu Khione um und lächelte. „Es gibt eine Küche, einen Speisesaal, eine Bibliothek sowie Empfangs- und Kaminzimmer. Auf der linken Seite sind überwiegend Makhahs Räume und rechts für die engsten Vertrauten", erklärte sie bereitwillig und ging die Treppe hinauf.
Genau wie die anderen trug sie keine Schuhe und Khione fragte sich, ob sie nicht durch den kalten Boden fror. Ihre Füße waren eisig und schmerzten nach den letzten Wochen ohne Schutz. Die rauen Bedingungen hatten ihre Spuren hinterlassen.
„Sind ... alle Räume belegt?", wagte Khione zu fragen.
„Oh nein. Dem Shiharu gehört die Burg, aber er lässt die Kranken hier schlafen und leben. Die Heilerin hat einen extra Flügel für sich und ihre Experimente."
Die Art, wie Kabiha von Pahra sprach, hatte etwas Bitter-Süßes, das Khione stutzig werden ließ. Mochte sie Pahra etwa nicht, weil sie eine Sheikah war? Oder war es ihre normale Art, von anderen zu sprechen?
Während Kabiha sie in den linken Flügel brachte, fuhr sie mit ihren Erklärungen fort. Die Küche wurde nach den Jagden oft benutzt und war für jedermann zugänglich. So konnten die weniger haltbare Nahrung zügig verarbeitet werden.
Zudem gab es einige Badekammern, in denen Becken eingelassen waren, aber auch Waschzuber standen. Eine davon zeigte ihr Kabiha. „Die armen Diener der Sheikahs. Sie hätten sich hier zu Tode geschleppt, nur um ein Becken zu füllen", meinte sie spöttisch mit der Zunge schnalzend.
„Also werden sie nicht benutzt?", erkundigte sich Khione.
„Nein. Oder nur selten, wenn Makhah dazu aufgelegt ist. Die Waschzuber sind wesentlich handlicher."
Das wusste Khione aus Erfahrung, doch auch diese brauchten eine gewisse Zeit, bis sie zum Baden bereit waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie viele Eimer für ein Becken gebraucht wurden.
„Du hast eine eigene Badekammer, die gleich neben deinem Zimmer liegt. Ich werde dafür sorgen, dass dir ein Bad eingelassen wird", schlug Kabiha vor.
„D-Danke", erwiderte Khione überrumpelt und senkte den Blick, da sie von oben bis unten betrachtet wurde. Kabihas Musterung war ihr genauso unangenehm wie Makhahs.
„Und du brauchst etwas zum Anziehen."
Leicht presste Khione ihre Fingernägel in die Handballen. Das hatte sie geahnt. Außer den Löchern und dem Schmutz war ihre Kleidung das Einzige, was ihr von zuhause geblieben war. Wenn es sein musste, würde sie darum kämpfen! „K-Kann ich nicht meine behalten?"
Verflucht, warum brachte sie in Kabihas Gegenwart keinen vernünftigen Satz ohne Stottern zustande? Sie schaffte es nicht einmal, ihren Blick zu heben!
Khione zuckte zusammen, als Kabiha ihren Finger unter ihr Kinn hielt und mit einem sachten Druck nach oben drückte. Stück für Stück ließ Khione ihre Augen aufwärts wandern und schluckte, als sie in die Dunklen ihr gegenüber sah.
„Kind, deine Kleidung sollte gesäubert und ausgebessert werden. Solange wirst du dich mit unserer anfreunden müssen", erklärte Kabiha. „Liegt dir so viel daran, dass du dich von ihr nicht trennen kannst?"
Khione schluckte und nickte. „Sie ist ... alles, was ich noch habe."
Einen Augenblick lang sah es aus, als würde Kabiha ihre Kleidung verbrennen wollen, doch deren Antwort überraschte sie: „In Ordnung. Sie soll dennoch ausgebessert und gesäubert werden."
Leise atmete Khione aus. Tehews Frau schien weitaus toleranter zu sein als Makhah. Bei ihm wusste Khione, dass er ihr am liebsten alles wegnehmen wollte, so wie sie ihm das Liebste genommen hatte.
Kabiha setzte sich wieder in Bewegung und blieb schließlich vor einer Tür stehen. „Das hier ist dein Zimmer", sagte sie und öffnete sie.
Khione folgte ihr und staunte. Das war ihres?
Ein gigantisches Bett, indem sicher drei Menschen, ohne sich zu berühren, Platz fanden, war das Herzstück des Raumes. Drum herum war ein Gestell angebracht, an dessen Seiten schwere, dunkelgrüne Vorhänge zurückgezogen waren. Die Matratze sah dick und weich aus und Khione konnte es kaum erwarten, sie auszuprobieren.
Sie ließ ihren Blick schweifen und entdeckte eine Truhe am Fuß des Bettes. Beim Nähertreten fiel ihr auf, wie edel das dunkle Holz war und im Sonnenlicht glänzte. Wurden darin Kleidung oder Waffen aufbewahrt oder diente sie lediglich zur Dekoration?
Gegenüber ihres Bettes gab es eine Kommode aus dem gleichen Holz, über der ein Spiegel hing und die sogar über eine Waschschüssel verfügte. An den zahlreichen Schubladen befanden sich vergoldete Knöpfe. Khione vermutete, dass der Schrank in der Ecke für die weibliche Garderobe war. Auf beiden Seiten des Raumes waren Türen, wovon jeweils eine in die Badekammer, die andere zu Makhah führte.
Zur Demonstration öffnete Kabiha diese und ließ Khione einen Blick hineinwerfen. Das Zimmer des Oberhaupts war in einem ähnlichen Stil gehalten, doch seine Vorhänge waren weinrot und es besaß einen Ständer, der, wie Khione annahm, für Waffen war. Auch bei Makhah gab es einen runden Tisch mit gemütlichen Sesseln, die einen herrlichen Blick auf die Landschaft freigaben. Zudem hatte er genauso einen Zugang zum Balkon wie sie.
Khione fand, dass die Einrichtung in der Tat edel und für einen noblen, angesehen Lord oder sogar König geeignet war. Der Gedanke, hier zu wohnen, ließ ihre Haut prickeln. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, die Frau des Shiharus zu werden. Wenn er sie weiterhin ignorierte und sie nur für Nachkommen zu sich rief, hoffte Khione, dass sie ansonsten ein weitaus besseres Leben als bisher haben würde. Es grauste ihr davor, Makhah an sich heranzulassen, geschweige denn ein Bett mit ihm zu teilen und seine Gebärmaschine zu sein. Aber war das nicht das kleinste Übel für das, was sie im Gegenzug bekam?
Kabiha zeigte ihr die Badekammer, in der ein hoher Waschzuber stand. „Am Ende des Flurs gibt es das Becken, das ihr gemeinsam nutzt", sagte sie und faltete ihre Hände vor sich. „Ich werde dich nun allein lassen und jemanden bitten, dir das Bad vorzubereiten. Bei Fragen wende dich an Sabah oder an mich", fuhr sie fort.
„Ich ... danke Euch", flüsterte Khione.
„Es reicht Kabiha. Im Übrigen hat Makhah angeordnet, dass Tehew und ich dir Unterricht in unserer Sprache und Gepflogenheiten geben. Ich bin deine Ansprechpartnerin", meinte sie mit einem Lächeln, von dem Khione nicht wusste, was sie davon halten sollte.
Fassungslos starrte sie Kabiha an. Sie musste Unterricht nehmen? So hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt, aber sie sah ihre Chance darin, ihre Zeit totzuschlagen. Wenn nur nicht Tehew wäre ... Schon bei Kabiha fühlte sich Khione wie ein mickriger Wurm, der es nicht wert war, in ihrer Gegenwart zu sein. Vor allem, weil sie ihr zuerst einen bösartigen Blick zugeworfen hatte und doch so nett war.
Kabiha nickte ihr lächelnd zu und zog sich zurück.
Erst, als die Tür geschlossen war, atmete Khione tief ein und aus. Endlich allein. Langsam drehte sie sich um ihre eigene Achse und ging zum Fenster. Von hier hatte sie nicht nur einen guten Blick auf die Landschaft, sondern auch auf den Stall und die Khemahs. Zwischen ihnen erkannte sie Sabah, die scheinbar angeregt mit Pahra und Makhah sprach.
Khione öffnete die Tür zum Balkon und ließ die frische Luft herein, die den Geruch von Gras mit sich brachte. Sie trat hinaus und krallte sich an das vergoldete Geländer. Der Wind spielte mit ihrem Haar, bis sie es festhielt und hinter ihr Ohr schob. Die Geräusche des geschäftigen Treibens unter ihr war merkwürdigerweise ... beruhigend. Er erinnerte sie an zuhause, von dem sie weit entfernt war.
Ein Klopfen riss sie aus den Gedanken und sie eilte zurück in den Raum. „J-Ja?", rief sie. Die Tür wurde geöffnet und Makhah trat herein. Sofort versteifte sich Khione. Ihr war völlig entgangen, wie seine Unterhaltung mit Sabah und Pahra geendet hatte.
„Genügt das Zimmer deinen Ansprüchen?", fragte er, wobei er sie eingängig musterte. Sie war blass und sah erschrocken und erschöpft aus. Ihm fiel auf, wie angespannt sie war und den Blick senkte. Scheinbar konnte sie seinem nicht standhalten.
„D-Danke, ja", erwiderte Khione leise.
„Oder erwartest du mehr?" Eilig schüttelte Khione den Kopf und meinte, dass sie mit dem Luxus nicht gerechnet hatte. „Nicht? Dabei leben Sheikahs doch so edel", sagte er spöttisch.
Seine Bemerkung traf ins Schwarze. Ruckartig hob Khione den Blick und presste die Lippen zusammen. „Ob du es glaubst oder nicht, nicht alle können es sich leisten, so zu leben", fauchte sie zwischen ihnen hervor.
Makhah rollte mit den Augen und verschränkte seine Arme. Da war sie wieder: Die ungezähmte, unverschämte Weiße. Ob sie aus Angst und Unsicherheit so reagierte? Oder war Khione von Natur aus so? Was auch immer der Grund war, aus ihren Worten hörte er heraus, dass ihre Vergangenheit nicht leicht gewesen sein musste. Er trat einen Schritt auf sie zu und ihm fiel auf, dass sie sich dazu zwang, auf der Stelle stehenzubleiben.
„Wie dem auch sei", fuhr er mit einer wegwerfenden Handbewegung fort. „Wenn du etwas brauchst, sag es. Sobald du gesäubert bist und neue Kleidung trägst, komm in den Speisesaal und stärke dich. Morgen fängt dein Reitunterricht an."
„Bei Sabah?", fragte sie.
„Bei mir."
Sofort schüttelte sie den Kopf.„Ich möchte bei Sabah Unterricht!", widersprach Khione aufgebracht.
„Keine Widerrede", sagte Makhah und trat einen weiteren Schritt auf sie zu. Ehe sie vor ihm zurückwich, packte er sie an der Schulter und sah ihr ernst in die Augen. Die Furcht, die ihr aus allen Poren triefte, ließ seinen Griff lockerer werden. „Hör zu, Khione. Mir ist bewusst, dass unser Start unglücklich war, doch ich hoffe, dass wir uns mit der Zeit verstehen."
Darauf fand sie keine Antwort. Makhah nahm wahr, wie sich alles in ihr gegen ihn sperrte, aber sie schien sich geschlagen zu geben.
„Ich werde mich bemühen", flüsterte sie.
Zufrieden nickte er. „Ich erwarte dich zum Abendessen", sagte er und ließ sie letztlich los. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch ihr Mund blieb verschlossen, weshalb er sich umdrehte und ihren Raum verließ.
Aufatmend starrte Khione mit klopfendem Herzen auf die Tür, die Sekunden später wieder geöffnet wurde. Sie erwartete Makhah, aber es war Sabah, die mit Tüchern und Kleidung im Arm hereinkam.
„Du mögen Zimmer?", fragte sie freundlich.
„Ja", antwortete Khione ehrlicherweise und seufzte. In ihrer Gegenwart entspannte sie sich langsam wieder.
„Es sein so schön wie Makhahs. Sheikahs Geschmack sein gut", fuhr Sabah fort, während sie die frische Kleidung über die Lehne des Sessels legte.
„Hast du auch so ein Zimmer?", erkundigte sich Khione.
„Fast gleich sein, nur Bett kleiner", erwiderte Makhahs Schwester lächelnd. „Es sein drei Zimmer weiter. Bad sein fertig. Komm, Pahra geben Paste für Wunde."
Dankbar nickte Khione ihr zu und folgte ihr in die Badekammer. Sie nahm sich vor, die Zeit nach dem Bad bis zum Abendessen mit Ausruhen zu verbringen. Durch Sabahs sanfte Massagen würde sie sicher leicht in den Schlaf finden.
Makhah stand am Fenster des Speisesaals und beobachtete, wie die Sonne ihre goldenen Strahlen über das Land warf und in ein mysteriöses Licht tauchte. Nicht mehr lange, und sie würde sich hinter den Bergspitzen verstecken und die Nacht einläuten. Der Anblick des friedlichen Bilds trieb Makhah Tränen in die Augen. Er erinnerte sich an Ahyoka, wie sie zu der Zeit am Fluss saß und die Wasserperlen auf ihrer Haut funkelten. Ihre Stimme, die ihn zu sich rief und ihr warmes Lächeln, mit dem sie ihn empfing.
Das Oberhaupt blinzelte mehrmals und besann sich mit einem tiefen Atemzug auf das Hier und Jetzt.
Es war angenehm, wieder zuhause in seinem Terikan zu sein. Ihm war nie wohl dabei, ihn wochenlang allein zu lassen, aber er war gezwungen, nach dem Rechten zu sehen und sein Gebiet zu verteidigen. Das jüngste Ereignis mit Khione bewies ihm, dass den Sheikahs nicht zu trauen war.
Wenigstens konnte er auf Kabiha in der Zeit zählen. Tehews Frau hatte alles unter Kontrolle und bei ihrem Gespräch hatte sie versichert, dass es keinerlei Probleme gab. Das beruhigte ihn. Noch mehr konnte er zurzeit nicht brauchen.
Er warf einen Blick über die Schulter auf den gedeckten Tisch. Die anderen hatten ihr Mahl bereits zu sich genommen, sodass er mit Khione allein sein würde. Wo blieb sie überhaupt? Wusste sie nicht, wann es Abendessen gab? Wollte sie ihre Ablehnung deutlich unterstreichen, indem sie nicht kam?
Makhah fiel es schwer, die junge Frau einzuschätzen. Sie war ein verängstigter Hase mit einem feurigen Temperament, das in seiner Gegenwart leicht ausbrach. Ihm war unklar, ob es rein an ihrer Angst vor ihm lag. Zu behaupten, dass er glücklich über die Entscheidung der Götter war, wäre gelogen, aber er wagte nicht, sich ihnen zu widersetzen.
Die Tür öffnete sich und er erwartete Khione, doch lediglich Sabah trat ein. In ihrer Sprache ließ sie ihn wissen, dass Khione seit dem Bad fest schlief und nicht durch ihr Rufen oder Schütteln wach wurde. Makhah brummte, da er davon ausging, dass die junge Frau etwas vortäuschte, aber seine Schwester fuhr fort.
„Khione tut alles weh, vor allem die Füße und der Rücken. Die letzten Wochen haben Spuren an ihr hinterlassen. Pahra ist der Meinung, du solltest ihr ein paar Tage Ruhe gönnen, bevor sie reiten lernt. Ihr machen die Verletzungen Sorgen."
Leicht waren die Narben und Wunden nicht auszublenden. Makhah hatte sie mit eigenen Augen gesehen und insgeheim bewunderte er Khione für ihre Zähigkeit, die sie trotz ihnen an den Tag legte. Ihr stummes und stures Leiden hatte er beenden wollen, indem sie vor ihm auf Denali ritt. So hätte sie sich entspannen und ausruhen können.
Es war ihre eigene Schuld, dass sie nun noch mehr litt, aber Sabahs bittender Blick erweichte Makhah. Ihre Fürsorge war ihre größte Schwäche.
Leise seufzte er. „Bring ihr Essen aufs Zimmer. Sie soll sich erholen und sich an die Umgebung gewöhnen. Ich sehe in den kommenden Tagen nach ihr."
Daraufhin fasste Sabah nach seiner Hand, drückte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Danke, Bruder", flüsterte sie sichtbar erleichtert.
Mit seinen Fingern schob er ihre Haare hinters Ohr und lächelte leicht. Hoffentlich beging er keinen Fehler, wenn er Khione alles durchgehen ließ.
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