11 | Verzeihen

Heute mit einem Überraschungsgast. Hoffe, es gefällt euch

„Da vorn ist sie."

Malia deutete auf Cassie, die sich gerade etwa hundert Meter von ihnen entfernt suchend umschaute. Sie trug eine bunte Shorts und ein weißes Shirt, dazu weiße Sneakers. Ihre dunklen Locken hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie schaute gerade auf ihr Handy, vermutlich, um Malias Standort zu prüfen und sich zu orientieren, als ein dunkelhaariger junger Mann hinter ihr auftauchte, stehenblieb und mit ihr sprach. Cassie beachtete ihn jedoch kaum, sah sich stattdessen noch einmal um.

Raphael, der seinen Wagen etwas abseits des Ausgangs abgestellt hatte, um nicht sofort gesehen zu werden, startete den Motor. Cassie hatte ihn inzwischen entdeckt und ging ihnen schnellen Schrittes entgegen. Ihr dunkelhaariger Begleiter folgte ihr. Ihrem Gesichtsausdruck nach war sie darüber nicht besonders erfreut.

„Lass sie mal einsteigen", sagte Raphael an Malia gewandt, als sie Cassie erreichten. Die schenkte ihnen ein dankbares Lächeln, bevor sie erleichtert auf den knapp bemessenen Rücksitz kletterte.

„Gott sei Dank, der hat wirklich angefangen, mich zu nerven", murmelte sie, als Malia wieder eingestiegen war. Raphael warf Cassies Anhängsel einen flüchtigen Blick zu. „Hat der dich angequatscht?"

„Er ist mit mir im selben Zug gefahren. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich hinter mir habe", erzählte der Lockenkopf, während sie probierte, sich anzuschnallen.

„Tut mir leid", sagte Malia mitleidig, während Raphael weiterfuhr. Schließlich hatte ihre Freundin sich diese Strapazen ihr zuliebe angetan.

„Leidtun sollte es dem Herrn auf dem Fahrersitz. Ich meine, wer zur Hölle gibt so viel Geld für einen Sportwagen aus, in dem man hinten nicht mal vernünftig sitzen kann?", stänkerte sie an Raphael gewandt. Der lachte.

„Ich dachte, bei deiner Größe passt das schon."

„Penner", schmunzelte Cassie, als es ihr endlich gelungen war, die Schnalle des Gurtes in die Sicherung zu schieben. Raphael wusste, dass seine Sticheleien bezüglich ihrer Körpergröße an ihr vorbeigingen. Dass sie so klein war, hatte nie an ihrem Selbstbewusstsein genagt. Sie störte sich nicht einmal am enormen Größenunterschied zu ihrem Freund, der knappe zwei Meter maß. Cassie warf Raphael ein freches Grinsen zu.

„Sei froh, dass ich John nicht mitgebracht habe. Er war nämlich schon Feuer und Flamme, mich zu begleiten. Hat die ganze Zeit davon gesprochen, dass ihr ja ins Studio gehen könntet und er ein paar Tage später mit dem Zug zurückfährt."

„Und wieso hat er das nicht gemacht?", wollte Raphael wissen und warf ihr einen kurzen Blick im Rückspiegel zu.

„Weil meine Oma am Wochenende Geburtstag hat", erzählte Cassie.

„Wie alt wird sie?", wollte Raphael wissen.

„Vierundachtzig", antwortete sie, zog ihr Handy aus der Tasche und tippte darauf herum.

„Cool. Was schenkt ihr?", fragte Raphael weiter und bremste vor einer roten Ampel ab.

„Karten für König der Löwen – schon diesen Sonntag. Sie hat das Musical noch nie gesehen und denke, sie wird sich tierisch freuen", antwortete Cassie.

„Geht John mit?", hakte Malia interessiert ein. Cassie lachte und strich sich eine Locke aus der Stirn.

„Was denkst du denn? Es war seine Idee. Er ist mindestens so verrückt nach König der Löwen wie Nika", schmunzelte sie.

„Die nehmt ihr aber nicht auch noch mit, oder?", lachte Raphael, der den Wagen an der roten Ampel zum Stehen gebracht hatte, und fuhr neugierig zu ihr herum.

„Das ist Martens Ding, damit habe ich nichts zu tun", kommentierte Cassie grinsend.

„Schade eigentlich; wäre sicher ein netter Familienausflug geworden mit John, Marten – und deinen Großeltern", feixte Malia.

„Ein anderes Mal vielleicht. Jetzt muss ich erstmal dafür sorgen, dass Oma niemals erfährt, wie viel Geld wir für diese Karten ausgegeben haben, denn sonst weigert sie sich, mit uns hinzugehen", erzählte Cassie und lümmelte sich bequemer in den Rücksitz.

„Aber du freust dich schon sehr, oder?", hakte Malia nach, als sie das Leuchten in den Augen ihrer Freundin bemerkte.

„Und wie. John ist immer so süß mit ihr, dass mir das Herz aufgeht, wenn ich die beiden zusammen sehe", schwärmte sie.

„Dann verstehe ich natürlich auch, dass er nicht mit dir hergefahren ist", sagte Raphael. Cassie lächelte.

„Um ehrlich zu sein, hätte ich ihn auch nach Berlin fahren lassen, wenn er dich unbedingt hätte sehen wollen. Dann hätte ich eben Willow seine Karte gegeben", erzählte sie.

„Nein, man. Geht mal mit deiner Oma in dieses Musical. Das ist viel wichtiger", betonte Raphael ernst.

„Wir kommen einfach ein anderes Mal nach Berlin", lächelte Cassie. „Dann kann ich auch Iara mal in Ruhe besuchen."

Sie hatte Raphaels Nachbarin bei einem gemeinsamen Pärchen-Abend kennengelernt und sich sofort blendend mit ihr verstanden. Leider sahen die beiden sich aufgrund der Entfernung nicht so oft und mussten deshalb häufig auf Telefonate umschwenken.

„Hast du ihr geschrieben, dass du kommst?", hakte Raphael nach. Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich hätte ja sowieso keine Zeit gehabt, sie zu sehen", antwortete sie.

„Wenn du willst, könnt ihr auch noch ne Nacht bei mir bleiben", schlug er vor. Malia drehte ihm überrascht den Kopf zu.

„Und dein Song, an dem du arbeiten wolltest?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Kann ich auch morgen machen."

„Du bist dir sicher, dass du einen Abend mit Malia, Iara und mir unbeschadet überstehst?", grinste Cassie amüsiert.

„Was ist schon dabei? Du tust so, als hätten wir noch nie Zeit zusammen verbracht", erinnerte er sie.

Cassie warf Malia einen fragenden Blick zu.

„Hättest du Lust? Dann würde ich Iara gleich anrufen und fragen, ob sie spontan heute Abend Zeit hat."

Malia fuhr sich durch das dunkle Haar und seufzte schwer.

„Ich weiß nicht; wir sind nicht unbedingt die dicksten Freundinnen seit-."

Sie brach ab. Es war offensichtlich, dass sie die Vergangenheit nicht erneut aufrollen wollte.

„Vielleicht sollten wir das doch besser lassen", klinkte sich nun auch Raphael ein. Cassie runzelte die Stirn.

„Eben warst du doch noch dafür zu haben", sagte sie.

„Aber Malia hat Recht. Die beiden sind nicht gut aufeinander zu sprechen und ich habe keinen Bock auf Stress heute Abend."

Cassie schob traurig die Unterlippe vor.

„Okay. Dann besuche ich sie ein anderes Mal."

Eine ganze Weile schwiegen sie. Cassie beschäftigte sich mit ihrem Smartphone, Malia sah zum Fenster hinaus und Raphael lenkte seinen Wagen durch die Straßen Berlins. Inzwischen hatten sich dichte Wolken vor die Sonne geschoben. Hin und wieder warf er der Kroatin zu seiner rechten einen flüchtigen Blick zu. Der Kuss heute hatte ihn regelrecht befreit, denn diesmal hatte sie nichts getrunken. Sie hatte ihn aus freien Stücken geküsst, einfach so, und ihm damit ein gutes Gefühl gegeben. Er glaubte, dass sie nun bereit war, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Auch Malia lächelte ab und zu verschmitzt zu ihm herüber. Er war so erleichtert über diese Entwicklung, dass er am liebsten seine Hand auf ihre gelegt hätte. Doch möglicherweise war es noch zu früh dafür.

Als er etwas später seinen Wagen neben dem von Malia abstellte, seufzte er lautlos. Er wollte nicht, dass sie gleich schon wieder nach Hause fuhr. Die gemeinsame Zeit war viel zu kurz gewesen, auch, wenn er sie ursprünglich überhaupt nicht eingeplant hatte. Er stieg aus und half Cassie aus dem Auto. Als auch Malia ausstieg und zu ihm herüberschaute, bemerkte er, dass sie sehr viel entspannter wirkte als gestern. Ob das nur mit dem Zweitschlüssel zusammenhing, den Cassie mitgebracht hatte? Oder steckte auch bei ihr der Kuss dahinter?

„Verlier ihn nicht wieder", stichelte Cassie grinsend, als sie den Autoschlüssel hervorzog und ihn Malia reichte. Die atmete hörbar auf. „Vielen, vielen Dank nochmal, dass du das gemacht hast", sagte sie und fiel ihrer Freundin freudestrahlend um den Hals. Cassie lächelte. „Du musst dich nicht bedanken. Wozu sind wir sonst Freunde?"

Mit einem leisen Klicken öffnete sich Malias Auto, als sie auf den kleinen Knopf auf der Fernbedienung drückte.

„Oh mein Gott", freute sie sich und zog die Fahrertür auf.

Raphael beobachtete, wie sie begeistert hinter das Steuer ihres Wagens fiel und das Lenkrad streichelte. Dann stieg sie wieder aus, umrundete das Fahrzeug und öffnete den Kofferraum. Cassie runzelte skeptisch die Stirn, als sie ein paar Klamotten aus ihrem kleinen Handgepäck-Trolley kramte.

„Was machst du da?"

„Ich muss mich umziehen. Ich habe seit gestern Morgen dieselben Sachen an", erklärte sie, bevor sie auf dem Rücksitz verschwand. Raphael grinste, bevor er sich abwandte. Cassie tat es ihm gleich.

„Echt cool von dir, dass du gekommen bist", sagte er leise zu ihr.

„Echt cool von dir, dass du sie bei dir aufgenommen hast", nuschelte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Er erwiderte es.

„Glaubst du, ich würde sie einfach ihrem Schicksal überlassen?", murmelte er. Sie grinste.

„Obwohl sie dich hat schmoren lassen?"

Er warf ihr einen düsteren Seitenblick zu.

„Ich weiß, dass ich das verdient hatte."

„Hattest du", bestätigte sie. „Aber ich verzeihe dir."

Er runzelte die Stirn.

„Oh. Wie kommt's?"

„Du gibst dir wirklich Mühe. Das sehe ich. Versau's einfach nicht wieder", flüsterte sie. Er lächelte.

„Und du hör auf, John das mit dem Fotoshooting vorzuhalten. Er hat es nur gutgemeint."

Sie grinste.

„Das war echt eine miese Aktion von ihm. Weißt du, wie sauer Malia war, weil sie dachte, das wäre auf meinen Mist gewachsen?"

Raphael drehte sich wieder zu Malias Auto um. Sie war gerade fertig damit, sich umzuziehen und er fragte sich, weshalb er überhaupt weggeschaut hatte. Schließlich hatte er sie schon oft genug nackt gesehen. Er schenkte ihr ein Lächeln, als sie wieder ausstieg. Für einen Moment stockte ihm der Atem, denn sie hatte ihr langes Sommerkleid gegen ein deutlich kürzeres getauscht, das viel mehr Haut zeigte und einen schönen Kontrast zu ihrer sonnengebräunten Haut bildete. Auch Cassie war sein Blick nicht entgangen, denn sie schmunzelte zufrieden.

„Schön, dass du hier warst", lächelte Raphael, als er Cassie zum Abschied in eine kurze Umarmung zog.

„War auch schön, dich zu sehen", sagte sie, als sie sich wieder von ihm löste. Malia stand unschlüssig neben ihr. Auch Raphael schien vor Cassie nicht zu wissen, was er sagen sollte. Ein unangenehmes Schweigen entstand. Johns Freundin ließ ihren Blick zwischen den beiden hin- und hergleiten, bevor sie sich räusperte.

„Ich setz mich schonmal rein", nuschelte sie, bevor sie ihren Worten Taten folgen ließ, im Auto verschwand und betont abwesend auf ihrem Handy herumtippte. Malia schmunzelte, als sie sich wieder Raphael zudrehte.

„Danke, dass ich bei dir übernachten durfte", lächelte sie ein wenig unbeholfen. Cassies Anwesenheit schien sie zu verunsichern.

„Ich danke dir."

„Wofür?", fragte sie irritiert.

„Das weißt du ganz genau", grinste er und entschied, in die Offensive zu gehen. Als er sie entschlossen zu sich heranzog, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und schaute zu ihm auf. Sie war ihm so nah, dass ihre Nasenspitze seine streifte, doch sie küsste ihn nicht. Er schmunzelte. Nachdem sie zweimal die Initiative ergriffen und ihn zuerst geküsst hatte, forderte sie ihn nun heraus. Da Cassie im Auto saß, konnte er es ihr nicht verübeln. Seine Hände strichen ihren Rücken hinab, während er eindringlich in ihre dunklen Augen sah. Sie strahlten. Er hatte sie lang nicht mehr so glücklich gesehen. Seine Fingerspitzen kribbelten, als er sie an ihr Gesicht legte. Sie war ihm so nah, dass ihr Atem seine Lippen kitzelte. In ihren Augen lag ein sehnsüchtiges Flackern. Auch er ertrug diese Spannung zwischen ihnen nicht länger, also überbrückte er die letzten Millimeter und senkte seine Lippen auf ihre, um sie mit einem erlösenden Kuss zu verschließen. 

Was soll ich sagen, nicht mal ein mieser Cut. Ich hoffe, ihr seid stolz auf mich und das Kapitel hat euch gefallen, besonders Cassies Gastauftritt 😄 ich weiß, John hättet ihr noch lieber gehabt, aber wer soll denn dann mit Cassies Oma in König der Löwen gehen? 🤷🏼‍♀️

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top