Kapitel 7
Die Luft bleibt auch weiterhin geladen und dick. Wann immer McDougal und Susie aufeinandertreffen wird es hässlich. Mich selbst erinnert das ganze Theater schmerzlich daran, dass ich Liam diesen Brief geschrieben habe, der vor lauter halbgaren Belanglosigkeiten nur so gestrotzt hat.
Er hat mir seine Liebe gestanden. Ich habe ihm gesagt, dass ich gehe. Danach war die Luft zwischen uns ähnlich dick wie die Luft zwischen McDougal und Susie. Ähnlich, aber nicht vergleichbar. Wir sind nicht im Streit auseinandergegangen, aber ich habe ihn verletzt. Und ich glaube, ich weiß, dass mein Brief ihn verletzt hat. Wenn er ihn bekommen hat.
Vielleicht kam dieser Kauz ja nie bei ihm an.
Einen Tag nach meinem Schneezauber sitzen wir in der großen Halle beim Mittagessen. Ich schaufele mir den Teller voll mit Spaghetti Bolognese und streue großzügig Parmesankäse darüber, als die Tür der Halle aufgeht und McGonagall mit wehendem Umhang hineinkommt. In der Hand hält sie eine Rolle Pergament und ein Päckchen in mittlerer Größe. „Evans!" Ihre Stimme durchschneidet den Lärm des klappernden Bestecks und ich halte automatisch inne.
Die meisten Köpfe in meiner Nähe drehen sich zu mir herum. McGonagall bleibt hinter mir stehen und sieht mich mit strengem Blick an. Ich traue mich nicht, mir die Gabel mit den Spaghetti in den Mund zu schieben, sondern drehe mich lieber zu ihr herum und schlucke. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich etwas angestellt habe – obwohl ich nichts gemacht habe. Ich habe zum Gück seit Tagen keinen Klassenraum mehr geflutet oder einen Pukwudgie herbeigezaubert, ohne es zu wollen. Selbst McDougal hat noch keine Schnecken gespuckt – aber da lege ich meine Hand nicht ins Feuer, dass das nicht noch passiert.
„Professor."
„Wenn Sie das nächste Mal Post erwarten, schreiben Sie ihren Freunden", sie rümpft die Nase, „dass der Geier bitte nicht im Büro der Schulleiterin landen soll." Damit drückt sie mir die Pergamentrolle und das Päckchen in die Hand.
Vi und Cassie starren mich mit riesigen Augen an. „Geier?!", platzt es aus ihnen heraus, während ich auf das Päckchen und die krakelige Schrift starre, die ich aus tausenden erkennen würde. Nate.
Dieser Idiot hat nicht wirklich Zitkala geschickt. Fassungslos schaue ich der Schulleiterin hinterher, greife mir drei große Hühnerbeine, das Päckchen und den Brief und springe auf.
„Hey, Rory!" Ich höre, wie Vi und Cassie ebenfalls überstürzt das Mittagessen verlassen und mir eilig folgen. „Hat McG wirklich Geier gesagt?"
Ich hetze die Stufen der Treppe in den ersten Stock hinauf. „Hm, ja. Kann sein."
„Einen echten Geier?" Cassie steht der Mund fassungslos offen, während sie versucht, mir zu folgen. „Wo rennst du denn hin?"
„Eulerei." Mehr sage ich nicht.
Wir sind schon fast beim West-Turm angelangt und ich hoffe, dass dieser Vogel noch hier ist. Der Drang, dieses Tier zu sehen, ist größer, als den Brief zu lesen. Ich stoße die Tür am Fuß der Treppe auf und stolpere die Treppe förmlich nach oben. Der Wind pfeift mir entgegen, als ich die Tür aufstoße und die Eulen kreischen entsetzt auf, als ich abgehetzt durch die Tür trete. Ein paar Federn fliegen durch die Gegend und ich sehe mich eilig um. „Zitkala?", rufe ich leise, und dann sehe ich ihn. Er sitzt ganz oben auf einer Stange und schaut mich wachsam aus dunklen Augen an.
„Das ist er?" Vi mustert Zitkala und wirkt enttäuscht. Ich glaube, sie hat einen riesigen Gänsegeier erwartet, mit vorgeneigtem, weißem Kopf und Kragen, einen typischen Geier eben. Wie man ihn sich vorstellt.
Zitkala ist ein sehr würdevoller, pechschwarzer Rabengeier. Sein Kopf ist schwarz, wie das Gefieder, und voller Narben, wie bei all seinen Artgenossen und wenn er aufrecht steht ist er etwa siebzig Zentimeter groß. Seine Spannweite ist recht ordentlich, Nate hat es mal gemessen und kam auf einen Meter sechzig.
„Das ist er." Ich muss lächeln, schnalze mit der Zunge und grinse, als der Vogel den Kopf schief legt und mit dem Schnabel klappert. „Ziti, schau..." Ich halte eins der Hühnerbeine hoch und ein sehr warmes, zufriedenes Gefühl macht sich in meiner Brust breit, als Zitkala von der Stange flattert und sich vor mir das Hühnerbein schnappt.
Cassie springt entsetzt einen halben Meter zurück – Ziti scheint ihr nicht ganz geheuer zu sein.
„Das ist doch kein Geier!"
„Ein Rabengeier", sage ich und gehe in die Hocke. Sanft streiche ich ihm durch das Gefieder und lächle. Dieser Vogel ist so sehr Nate. Sohn einer Najade und eines Besenbauers, Vogelliebhaber, bester Freund. „Du bist hungrig, nicht? War ein weiter Flug..." Dass dieser Idiot Zitkala über den Atlantik hat fliegen lassen – der ist doch verrückt. Auf der anderen Seite hab ich die Schuleulen genauso nach Ilvermorny geschickt. Genauso bescheuert, aber darüber habe ich damals nicht nachgedacht.
Ich halte dem Geier das zweite und schließlich das dritte Hühnerbein hin, welche er gierig hinunter schlingt. Die Eulen um uns herum beäugen das Ganze neidisch und klappern missmutig mit den Schnäbeln.
„Wem gehört der?"
„Nate." Ich richte mich wieder auf und sehe zu, wie Zitkala zurück auf die oberste Stange flattert. „Danke, Ziti. Ich komm dich morgen besuchen, ja? Schlaf gut, Süßer."
„Wer ist Nate?" Cassie sieht mich an, als ob ich total verrückt wäre. Eine Dompteuse oder etwas in der Art. Als ob es so verrückt wäre, einen Geier hier landen zu sehen. Letzte Woche hat Annabelle Moore aus Hufflepuff Urlaubspost aus der Karibik von ihrer Oma bekommen – ein roter Ara hat die Postkarte vorbeigebracht. Insofern ist es jetzt nicht so ungewöhnlich, dass mal keine Eule im Schloss landet.
„Mein bester Freund."
Vi und Cassie sehen sich kurz an und werfen dann einen Blick auf das Päckchen. „Uuund...?"
„Nichts und." Wir steigen die letzten Stufen hinunter und verlassen den West-Turm. „Wir sind Freunde. Ich hab ihm geschrieben. Er schreibt mir zurück. Das ist alles."
Automatisch denke ich an Liam. Daran, dass ich von ihm immer noch keinen Brief erhalten habe. Das Pergament wiegt auf einmal ziemlich schwer in meiner Hand. Vielleicht hätte ich ihm doch etwas Persönlicheres schreiben sollen als dieses belanglose Zeug, das ich mir aus den Fingern gezogen habe. Vielleicht hätte ich ihm schreiben sollen, wie wichtig er mir ist.
Vi hebt eine Augenbraue. „Und warum schaust du dann so?", fragt sie.
„Wie schaue ich denn?"
„Schuldbewusst und verlegen." Sie hebt die Augenbraue und bleibt stehen. „Entschuldige, aber wenn du mir Dinge unterstellst, darf ich auch fragen, von dem du Post bekommst."
Ich kneife die Augen ein wenig zusammen und hole tief Luft. „Okay. Sorry für die Unterstellung, dass du und-"
Vi hebt die Hand und presst sie mir auf den Mund. „Psst, sag es nicht!"
Cassie sieht uns an und spitzt die Ohren. „Was hast du Vi unterstellt?"
„Nichts", sagt sie schnell und biegt Richtung Bibliothek ab. Wir laufen ihr hinterher und Cas mustert mich nachdenklich. Dann lacht sie plötzlich lauthals los. „Oh, bei Morganas Locken, du hast doch hoffentlich nicht gedacht, dass Vi und Sly-"
„Pst!", zischt Vi energisch und bleibt vor der Bibliothek stehen. „Wehe du sagst irgendein Wort zu irgendwem, Cassandra, oder ich rupfe erst deine Eule und fluche dir dann eine Akne ins Gesicht."
„Das wagst du nicht."
„Wage ich."
„Gott, und wenn es so wäre", stöhne ich genervt und sehe Vi an. „Dann wärst du halt in ihn verknallt. Und?"
Cassie und Vi sehen sich an. Ihre Mienen sind vollkommen ausdruckslos, dann prusten sie laut lachend los.
Ich habe eine Ahnung, was so lustig ist, aber schön. Ich verstehe auch nicht, warum Cassie sich so königlich darüber amüsiert, dass Vi eventuell etwas von McDougal will – sie redet doch selbst pausenlos davon, wie cool Sly ist. Ich weiß schon, warum ich mich eigentlich eher besser mit Jungs verstehe. Mein Blick fällt auf das Päckchen in meiner Hand und auf das Pergament. Dann murmle ich eine kurze Entschuldigung und verziehe mich in eine ruhige Ecke in der Bibliothek. Ich will das in Ruhe lesen. Zu meiner Überraschung folgen die beiden mir auch nicht. Sie gehen in den großen Lesesaal und machen sich an ihre Hausarbeiten.
Ich mache es mir an einem Tisch hinter einem großen Bücherregal bequem, in dem schwere, verstaubte Wälzer zur Geschichte Hogwarts und zur Geschichte internationaler Zauberschulen stehen. Vorsichtig entrolle ich das Pergament und beginne zu lesen.
Noch jemand gespannt wie Rory, was wohl in dem Brief steht?
Habt noch einen schönen Sonntag :)
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