Kapitel 7


Violetts Haare sind beim Mittagessen in den nächsten Tag wieder violett. Auch ihre Laune ist deutlich besser als an den Tagen zuvor. Ihre Aufregung in Bezug auf die Quidditch-Auswahlspiele am Wochenende steigt. Und nicht nur ihre.

Olly ist total nervös deswegen. Er hat Angst, dass er nicht aufgestellt wird und nicht gut genug ist. Er hat den ganzen Sommer über trainiert, erzählt er. Er will unbedingt ins Team.

„Was soll da schief gehen?", frage ich ihn, als wir zu Kräuterkunde hinuntergehen. „Du hast doch letztes Jahr auch schon gespielt."

„Und? Die Konkurrenz schläft nicht." Er zuckt mit den Schultern.

Ich grinse ihn schief an. „Olly, du hast deine Nase für das Team geopfert, das wird dein Captain zu schätzen wissen. Der wird dich schon aufstellen."

Automatisch greift er sich an die Nase, grinst aber. „Haha." Dann mustert er mich. „Spielst du eigentlich auch? Du könntest vorspielen und-"

„Nein." Ich sage es fest und so, dass meine Stimme keine weiteren Nachfragen zulässt. Ich will nicht über Quidditch sprechen. Schon gar nicht darüber, ob ich Quidditch spiele. Das tue ich nämlich nicht.

Ich denke an Collin. An früher. An ihn und mich, an die Ausflüge in die Wälder, an Quidditch auf unseren Besen, an Mom, die das alles mit ihrer verzauberten Kamera festhielt und an Dad, der sich maßlos ärgerte, nicht selbst fliegen zu können. Ich erinnere mich an den Stolz in Cols Augen, als er nach der Schule seinen Profivertrag bei den Boston Battlebrooms unterzeichnet hat. Ich war mir so sicher, dass ich das auch-

Dass ich auch-

Dass ich-

Und dann ist das im Frühjahr passiert. Collin... ist einfach verschwunden. Auf dem Weg zu einem Auslandsspiel ist er nie dort angekommen. Ohne eine Spur. Vermutlich abgestürzt. Wurde für tot erklärt. Niemand kann sich erklären, was passiert ist.

„Rory?"

Ich spüre die Berührung auf meiner Schulter nicht. Erst, als Olly noch ein weiteres Mal meinen Namen sagt, reagiere ich darauf. Wir stehen vor Gewächshaus 4 und der Rest unserer Klassenkameradin ist bereits im Inneren. „Alles okay bei dir? Du bist ein bisschen blass um die Nase?"

Ich sehe durch die beschlagenen Glasscheiben und schließe kurz die Augen. Susie Fletcher richtet schon ihren Arbeitsplatz ein – weit weg von Sly McDougal. Nach dem Gezetere nach der tränenreichen Trennung ist jede Unterrichtsstunde mit den beiden ein Drama. Ihm scheint die Trennung ziemlich egal zu sein, aber sie ist ausgesprochen theatralisch. Bei jeder Gelegenheit macht sie ihm eine Szene, und zwar so schlimm, dass die Maulende Myrte eigentlich ganz fröhlich neben ihr wirkt. Susie übertreibt maßlos. Ich kann nicht verstehen, warum sie ihm überhaupt hinterher trauert. Sie soll froh sein, dass sie diesen Holzkopf los ist.

„Ich bin okay", sage ich lahm und hoffe, dass er mir das abkauft.

„Sicher?"

Ich schüttele die Gedanken ab und nicke fest. „Ganz sicher." Ich sollte mir keine Gedanken um Susie Fletchers Trennung von McDougal machen. Im Grunde genommen steigere ich mich auch nur darin hinein, damit ich nicht über Ollys Frage nach Quidditch nachdenken muss. Alle hier in dieser Schule sind so besessen von diesem Spiel.

Während wir in Kräuterkunde unseren Mimbulus Mimbeltonia umtopfen und anschließend die Tentakeln einer jungen Teufelsschlinge untersuchen dürfen, die Professor Longbottom mitgebracht hat, höre ich überall Gemurmel, in dem es nur so von Spekulationen von den bevorstehenden Tryouts so wimmelt. Wer es wohl in die Teams schafft? Wer den Quidditch-Pokal gewinnt? Und natürlich wird darüber getuschelt, ob McDougals Trennung von Susie Auswirkungen auf sein Spiel haben wird. Das finde ich irgendwie lächerlich. Soll er sich doch von ihr trennen, wenn er wirklich so gut ist, wie alle behaupten, wird er auch ohne Susies Zunge im Mund fantastisch sein.

Collin hat es nicht interessiert, ob er eine Freundin hatte oder nicht. Wenn ein Spiel anstand, war er immer fokussiert, egal, wie viel Stress er hatte. Ob unser Schul-Ghul diese Qualitäten mitbringt, da bin ich mir noch nicht so sicher.

Ich sehe zu ihm hinüber, wie er mit dem Vergrößerungsglas am Tisch steht und mit seinen Drachenhauthandschuhen hantiert, während sein schweigsamer Kumpel Atticus die junge Teufelsschlinge präpariert. Er wirkt genervt. Gestresst. Maßlos gestresst. Wäre ich an seiner Stelle auch, wenn diese platinblonde Furie mich in jeder Stunde ankeifen würde, wie eine Sirene. Susie selbst hat sich mit ihrer besten Freundin in die andere Ecke des Gewächshauses verzogen und beobachtet McDougal mit geröteten Augen, weil sie immer noch die meiste Zeit heult. Auf der anderen Seite habe ich sie gestern Nachmittag bereits gesehen, wie sie mit Julian Finchley aus meinem Haus geflirtet hat – oder er mit ihr. Vermutlich hat sie damit versucht, McDougal eifersüchtig zumachen. Funktioniert hat es offensichtlich nicht. Über Susies Kopf schwebt diese Gewitterwolke, während sie ihn anstiert – und er ignoriert sie mit diesem genervten Schnauben, das die Luft immer weiter verpestet. Es ist kaum auszuhalten.

Immerhin – und das ist der einzige Vorteil, den ich an dieser dramatischen Trennung, die das ganze Schloss aktuell in Atem hält, erkennen kann – lässt mich McDougal im Moment in Ruhe. Selbst in Zauberkunst werde ich von ihm ignoriert, als mir wieder mal ein Zauber daneben geht. Wir üben den Unsichtbarkeitszauber Evanesco zum warm werden. Flitwick legt wert, auf die richtige Ausführung der Technik und lässt schlampige Ausführungen nicht durchgehen.

Dieses Mal flute ich nicht wie damals mit Aquamenti das Klassenzimmer. Ich setze auch nichts in Brand. Stattdessen beginnt es zu schneien. Im Klassenraum. Wunderbar, Evans. McDougal kommentiert es nicht, tatsächlich scheint er es kaum mitzubekommen, so sehr ist er damit beschäftigt, Susie zu ignorieren.

Der Schnee rieselt sanft von der Zimmerdecke und ich greife automatisch an meinen Anhänger. Er liegt eiskalt auf meiner Haut und glitzert heute wie Eiskristalle im Sonnenlicht. Leise murmle ich „Finite", wie es McGonagall schon so manches Mal getan hat, um meine verkorksten Zauber zu stoppen, und die Schneeflocken fallen leise auf meinen Holztisch. Dort schmelzen sie zu kleinen Wasserpfützen und hinterlassen Flecken auf meinem Pergament.

Flitwick bleibt vor mir stehen und mustert mich kritisch. Beide wackelt sein Schnauzer auf und ab und er rückt seine Brille gerade. „Ein interessanter Anhänger, den sie dort haben, Miss Evans", piepst er und blinzelt interessiert. Dann wandert sein Blick zum Gewölbe des Klassenraums und wieder zurück zu meinem wasserfleckigen Pergament. „Ich frage mich...", sagt er nachdenklich und wirft noch einen Blick darauf.

„Ja?", gebe ich zurück, doch Flitwick schüttelt nur den Kopf. „Nur ein verirrter Gedanke, Miss Evans." Damit geht er weiter und studiert die Ergebnisse seiner Schüler, die keinen Schnee heraufbeschworen haben.

Mein Blick fällt ganz automatisch auf meinen persönlichen Hogwarts-Alptraum zwei Tische weiter. McDougal starrt ungerührt auf seinen Zauberstab und macht keinerlei Anstalten, seinen Evanesco-Zauber so auszuführen, wie es Flitwick sehen will. Er sitzt es einfach aus und riskiert sogar fünf Punkte Abzug für Slytherin. Er zeigt Susie noch immer die kalte Schulter. Die Luft ist inzwischen so dick zwischen den beiden, dass ich selbst kaum noch Sauerstoff abbekomme.

Erst als Susie plötzlich aufspringt und keift: „Das ist ja gerade so, als ob du mir Evanesco an den Hals gehext hättest, Sly! Du mieser Arsch!" und heulend das Klassenzimmer verlässt, dicht gefolgt von Persephone, zeigt er in dieser Stunde eine erste richtige Reaktion. Sein Blick trifft meinen und er rollt die Augen, als er frustriert schnaubt. „Weiber."

Tatsächlich gebe ich ihm insgeheim Recht und habe fast ein bisschen Mitleid mit ihm, als Flitwick ihm für diesen Kommentar im Anschluss alle Tafeln im Stockwerk wischen lässt. Richtig Sauerstoff zum Atem ist durch die kurze Entladung jedoch immer noch nicht im Schloss angelangt.

Es sollte wohl mal jemand die Fenster zum Lüften öffnen, um frische Luft in die alten Gemäuer zu lassen...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top