Kapitel 6

Beim Mittagessen ist Violett schweigsam und bockig. Ich hoffe, dass sie mir nicht übel nimmt, dass ich sie darauf angesprochen habe, dass sie in Sly verknallt ist. Das sieht ein Blinder mit dem Krückstock.

„Bist du sauer?", frage ich sie, als sie sich lustlos Blumenkohl zu ihren Würstchen auf den Teller klatscht.

„Quatsch."

Sauer?" Cassie rutscht schwungvoll neben uns. „Habt ihr Streit?" Sie hat ihre dunklen Locken hochgebunden und verstaut ihre Schultasche unter der Bank. Dann greift sie nach der Kelle und lädt sich irre viel Kartoffelbrei auf den Teller. „Habt ihr schon das Neueste gehört?", fragt sie dann und grinst.

Vi stochert gelangweilt in ihrem Blumenkohl herum. „Nee, was? Dass Olly einen megagroßen Knutschfleck hat, wissen wir schon. Riesig, das Ding."

„Nein. Besser." Sie schaufelt sich eine große Gabel Kartoffelbrei in den Mund. „McDou hat Susie abgeschossen!" Sie grinst. „Oder sie ihn. Man weiß es nicht so genau, aber ich vermute, er war es. Jedenfalls gibt es ein riesiges Gezetere im Mädchenklo im 2. Stock."

Vi lässt abrupt die Gabel fallen und auch ich kann kaum glauben, was ich da höre. „Er hat was-?", fragt Violett und erstickt fast an ihrem Blumenkohl.

Ich kann es ihr irgendwie nachfühlen vor zwei Stunden waren McDous Lippen noch an Susie Fletchers Mund festgetackert und jetzt das? Das ist irgendwie kaum zu glauben.

Cassie grinst. „Das Geschrei ist so groß, dass die Maulende Myrte aus dem Mädchenklo geflüchtet ist, kannst du dir das vorstellen? Ge-flüch-tet!"

Ich hatte den Geist der Maulenden Myrte bislang einmal getroffen, als ich dort auf der Toilette war und meide das Mädchen-Klo im 2. Stock seitdem weiträumig. Sie ist ein ziemlich anstrengender Geist, weinerlich, leicht beleidigt und eingeschnappt.

„Wann?", fragt Vi.

„Vorhin." Cassie zuckt mit den Schultern. „Susie und Persephone sind sicher seit zwei Stunden im Mädchen-Klo. Seitdem schwebt Myrte durch die Gallerie mit den Rüstungen und versteckt sich abwechselnd in dieser rostigen Rüstung am Fenster und der alten Rüstung von Hugo dem Hurtigen und heult."

„Wer heult mehr: Susie oder Myrte?", frage ich trocken.

„Uh, das ist schwer zu sagen. Myrte flennt eher und Susie ist richtiggehend hysterisch."

Vi starrt auf ihren Blumenkohl, bevor sie den Teller von sich schiebt. „Keinen Hunger mehr", murmelt sie.

„Was?" Cassie sieht sie entsetzt an. „Ich dachte, das wäre die beste Nachricht, die ich dir machen kann?!"

Vi sieht mich schräg an und schnauft. Dann nimmt sie ihren Rucksack, steht auf und stapft davon. Cassie sieht ihr verdutzt hinterher und runzelt die Stirn. „Was ist denn mit der los?"

Ich tue es ihr gleich und zucke mit den Schultern, obwohl ich eine ziemlich genaue Ahnung habe, was los ist. Sie ist in Sly McDougal verknallt und jetzt eröffnet ihr Cassie, dass er sich von seiner Freundin getrennt hat. Ich schätze, sie ist verwirrt. Wobei ich mich ernsthaft frage, was sie von ihm will, von diesem schleimigen Knallfrosch.

„Sie ist komisch drauf heute", sagt Cassie und sieht mich an. „Sicher, dass ihr keinen Streit habt? Ihre Haare waren heute ganz blassrosa."

Das war mir gar nicht aufgefallen. „Ist sie eigentlich ein Metamorphmagus?" Ich hatte immer gedacht, ihre Haare wären einfach permanent verhext.

Cassie schüttelt den Kopf. „Nein, ist sie nicht. Sie braucht aber viel Energie, um den Zauber aufrecht zu erhalten. Und wenn sie sich ärgert, verpuffen die Haare irgendwann. Ihre Mutter sagt immer, der Haarzauber wäre überflüssiger Schnickschnack."

„Das ist fortgeschrittene Magie... Verwandlung am eigenen Körper."

Cassie sieht zum Tor und zuckt mit den Schultern. Dort stehen an der Ecke an der Säule Violett und Sly McDougal und reden. Nein, sie reden nicht: Sie diskutieren. Und zwar heftig.

Die ersten Schüler verlassen gerade das Mittagessen und schieben sich an den beiden vorbei. Vi sieht überhaupt nicht glücklich aus, als Sly irgendwann hitzköpfig den Arm hochreißt und energisch davon stapft.

Danach sieht Vi noch viel unglücklicher aus.

☆☆☆


Am nächsten Morgen bin ich lange vor Violett wach und verschwinde ins Bad im Turmzimmer, bevor die anderen Mädchen auch nur ansatzweise aufgewacht sind.

Nach unserem „Streit" - oder was immer das gestern war - ist sie mir aus dem Weg gegangen. Ich habe mich in die Bibliothek verzogen und gelernt, und sie? Nach ihrem „Gespräch" mit McDougal habe ich sie nicht mehr gesehen, abgesehen von dem Moment, als sie in den Schlafsaal kam - da habe ich aber so getan, ob ich schon schlafe.

Aus ihrem Verhalten werde ich nicht schlau. Warum tut sie so, als ob sie ihn hasst, wenn sie ihn doch ganz offensichtlich mag? Und dass zwischen den beiden etwas ist, ist offensichtlich.

Vielleicht ist Vi der Grund, weshalb er mit Susie Schluss gemacht hat?

Ich habe keine Ahnung, was das ganze soll.

Nach meiner Dusche sind Sandy und Jessica bereits wach und kommen mir müde entgegengeschlurft, während ich den Weg zum Schlafsaal zurücklaufe.

Vi rutscht aus ihrem Himmelbett und blickt mich ausgelaugt an. „Du, wegen gestern", setzt sie an. Zerknirscht zaust sie sich das wirre Haar, das heute komplett die rosa Farbe verloren hat und zum Naturfarbton zurückgekehrt ist. Es ist ein helles aschblond.

Ich wickle das Handtuch von meinen Haaren und erwidere ihren Blick. „Ja?"

„Ich war mies drauf. Entschuldige."

Ich zögere einen Moment, nicke dann aber. „Schon okay."

Sie setzt sich im Schneidersitz aufs Bett und kaut auf ihrer Unterlippe herum. „Also, wegen dem, was du da gesagt hast..." Sie holt tief Luft. „Wegen Finneagan und mir..."

Finneagan. Der Name klingt, als ob sie über einen verkappten schottischen Lord spricht und nicht über den buckligen Schul-Ghul.

„Lass. Du musst nichts dazu sagen." Ich lächele knapp und suche im Schrank nach frischer Unterwäsche. Diese Hauselfen an dieser Schule übertreiben. Sie bügeln wirklich die Socken und Unterhosen! Das sollten sie bleiben lassen. Das ist doch totaler Quatsch.

Violett sieht mich an, als ob sie eben doch Erklärungsbedarf hat - aber gleichzeitig auf gar keinen Fall darüber reden möchte. „Sollte ich vielleicht", murmelt sie und stöhnt sie leise.

Aber sie hadert damit. Ich weiß, wie das ist, wenn einer über Dinge sprechen will, für die der andere noch nicht bereit ist. Gut, das ist jetzt vielleicht nicht unbedingt mit meiner Situation mit Liam vergleichbar, aber ein bisschen verstehe ich sie schon.

„Wenn du nicht darüber reden willst, ist das okay." Ich ziehe mir ein weißes Top über und schlüpfe dann in die Bluse meiner Schuluniform. „Hör mal, Gefühle sind-"

Ich habe keine Gefühle für McDougal!", zischt sie und meine Augenbrauen fahren automatisch in die Höhe. „Zumindest nicht solche, okay? Finn und ich-" Sie stöhnt und rauft sich die Haare. „Wir- Das ist ziemlich kompliziert, okay? Aber glaube mir, ich will definitiv auf gar keinen Fall irgendetwas von ihm - und er auch nicht von mir."

„Sicher?"

„Wooa..." Sie lacht angewidert. „Auf jedenfall, Schwester." Damit rutscht sie vom Bett und streckt sich gähnend. „Ich bin mal duschen. Wir sehen uns beim Frühstück."

Ich sehe ihr stirnrunzelnd nach, wie sich ihre schmale Gestalt aus dem Schlafsaal Richtung Gemeinschaftsbad verabschiedet. Ihre Haare sind noch immer blond, lediglich ihre Haarspitzen haben noch einen blassrosa Schimmer. Von dem farbenfrohen Violett aus dem Hogwarts-Express ist nichts mehr übrig.

Ich glaube ihr nicht.

Wie auch immer diese komplizierte Beziehung zu McDougal auch geartet sein mag, sie tut ihr nicht gut. Das sieht man ihr einfach an.

Frühstück für euch! 🥐🥞☕

Und damit serviere ich den neusten Schul-Tratsch 📰. Was sagt ihr dazu?

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