Kapitel 3



Mittlerweile sitze ich in einer der pferdelosen Kutschen und schaue angestrengt aus dem Fenster. Vi hat mir gegenüber Platz genommen, neben ihr lümmelt der Junge mit dem lockigen, braunen Haar und ein hübsches, asiatisches Mädchen, das er verknallt anschmachtet. Olly O'Connor heißt er. Ihren Namen habe ich mir nicht gemerkt. Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie ihn mir gesagt hat.

Diese Szene auf dem Bahnsteig war... uncool. Anders kann ich das, was passiert ist, nicht beschreiben.

„Wollte dich Hagrid wirklich mit den Erstklässlern mitnehmen?", fragt Olly zum wiederholten Mal.

Wieder nicke ich. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich das schon getan habe. Es scheint alle hier köstlich zu amüsieren.

„Ich an deiner Stelle hätte das gemacht. Ich werde mein erstes Mal nie vergessen." Er seufzt verträumt und ich ziehe eine Augenbraue hoch.

„So?"

Olly starrt seine Freundin an und wird knallrot. „Also, mein erstes Mal in Hogwarts, Sandy!" Er räuspert sich. „Die Fahrt mit den Booten über den See... Die Nacht war sternklar...es war..."

Sandy sieht ihn an und beide sagen zeitgleich: „Magisch."

Vi seufzt und an ihrem Blick sehe ich, dass sie das gleiche denkt.

Ich sehe aus dem Fenster und halte plötzlich inne. Wankend biegt die Kutsche um eine Kurve und... dort ist es. Hoch oben auf dem Berg kommt das Schloss in mein Sichtfeld. Majestätisch thront es dunkel und gleichzeitig hell erleuchtet über dem See. Die Türme recken sich erhaben in den Nachthimmel, schwarze Wolkenfetzen hängen vor dem sichelförmigen Mond, der sein Licht nur zaghaft preisgibt. Der See liegt spiegelglatt vor uns und ich erkenne ein paar flackernde Flecken, die sich bewegen. Die Boote, mit den Erstklässlern? Ich kann mir vage vorstellen, was die drei damals so beeindruckt hat. fünf, sechs Jahre jünger, auf dem pechschwarzen See, mitten im Dunkel, auf das riesige Schloss zuzufahren, muss wahrhaftig magisch gewesen sein.

„Oh, der erste Abend ist immer so besonders..." Sandy seufzte melancholisch auf. „Die ganzen Erstis sind immer so nervös, wenn der sprechende Hut sie auswählt." Dann dreht sie sich zu mir um. „Warte: wenn du die Schule wechselst... musst du dann nicht auch..."

Ich schlucke dumpf. Ich will nicht vor der ganzen Schule diesen Hut über den Kopf gestülpt bekommen. Wenn ich mir vorstelle, dass der Hut mich einsortiert und ich am Ende mit diesem blonden Pavian in einem Haus lande und seine selbstgefällige Visage den ganzen Tag ertragen muss, wird mir ganz grün im Gesicht. „Kann ich den Hut irgendwie beeinflussen?"

Alle drei geben mir gleichzeitig unterschiedliche Antworten. Sandy sagt nein, während Olly vielleicht sagt und Vi mich ansieht und nickt. „Ja", gibt sie zu. „Kannst du."

Olly starrt sie an. „What?!"

Sie saugt ihre Unterlippe ein. „Hab ich gehört."

„Von?"

Sie zögert. „Al."

„Albus Potter?", japst Sandy.

„Sein Vater hat mit dem Hut diskutiert, hat er erzählt." Vi reibt sich die Nasenwurzel. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie noch etwas sagen will. „Und es gibt Zauberer, die Tauglichkeiten für mehrere Häuser haben. McGonagall, zum Beispiel."

„Du bist so eine unverbesserliche Klugsch-"

„Das hat mich unsere Tür im letzten Jahr gefragt. Ich musste in der Bibliothek suchen!" Vi verzieht das Gesicht und Olly lacht.

Ich runzle die Stirn, weil ich keine Ahnung habe, von was sie spricht. Mir soll es egal sein. Ich will nur auf gar keinen Fall einen Gemeinschaftsraum mit diesem Kotzbrocken teilen müssen.

„Wir sind gleich da", Sandy zeigt aus dem Fenster. Die Kutsche rumpelt eine Anhöhe hinauf und der Untergrund verändert sich. Steinmauern erscheinen an den Seiten des Weges und plötzlich überqueren wir eine steinerne Brücke und mit ihr eine Schlucht. Dann das Burgtor – und die Kutsche kommt mit einem Ruck im Hof zum Stehen.

Die Türen der Kutsche schwingen von Zauberhand auf und ich bin die Erste, die aussteigt. Schweigend starre ich nach oben. Das Portal ist gewaltig, der Turm riesig und die Dimension dieses Schlosses so enorm, dass ich mich frage, wie ich annehmen konnte, Ilvermorny sei eine große Schule.

Hogwarts ist ehrfurchterregend und ich habe am ganzen Körper Gänsehaut, als mir Olly die Schulter tätschelt und sagt: „Na, dann... Willkommen in Hogwarts, Miss America."

Staunend lege ich den Kopf in den Nacken, um die Spitze des Turmes erkennen zu können, doch es gelingt mir nicht recht. Es ist mittlerweile dunkel – daran kann es liegen, oder an der Tatsache, dass die Spitze schlichtweg in den tiefhängenden Wolken verschwindet.

„Aus dem Weg, Erstklässler!" McDougal rammt mich mit der Schulter um, als er an mir vorbeistürmt. Sein Umhang bauscht sich hinter ihm wie eine Schar Raben auf, die in die Nacht auffliegen und meine Hand zuckt zu meinem Zauberstab, als ich eine piepsige Stimme meinen Namen rufen hören. „Aurora Evans?"

Meine Finger berühren das kühle Holz meines Zauberstabes und ich schließe die Augen. Wie gut würden sich diese gewaltigen Popel in seiner Nase machen... „Das bin ich." Ich drehe mich um und sehe den winzigen Zauberer von vorhin vor mir stehen, der in Hogsmead die Kutschen dirigiert hat.

„Professor Flitwick", stellt er sich vor. „Kommen Sie mit. Ich bringe Sie zu den anderen Erstklässlern."

„Aber ich bin kein-", setze ich an.

Flitwick mustert mich gründlich und dreht sich auf dem Absatz um. „Ja, das hat Minerva mir mitgeteilt." Er blinzelt irritiert. „Wir sind noch nicht sicher, was wir mit Ihnen anstellen sollen, Miss Evans." Er ist ziemlich schnell für seine geringe Größe und ich muss mich anstrengen, um Schritt zu halten.

„Also bringen Sie mich zu den Erstklässlern."

„So ist es."

Er wedelt mit dem Zauberstab und das Portal schwingt auf. Zum ersten Mal in meinem Leben betrete ich Hogwarts – und bin nicht weniger beeindruckt, als wir die gewaltige Treppe aus Stein hinaufgehen, an deren Ende verschüchtert und verschreckt eine ganze Horde Erstklässler bereits wartet. Behütet von Wildhüter Hagrid. Als er mich sieht, wirft er mir ein schiefes Lächeln zu und ich beschließe, dass ich den Wildhüter mag. Der kann nicht so verkehrt sein.

„Evans, mh?", macht er und mustert mich von oben bis unten, dann kratzt er sich am Bart. „Kommst mir bekannt vor", murmelt er. „Kann's sein, dass du mit ihr verwandt bis'?", nuschelt er und mustert mich eindringlich, schüttelt dann aber den Kopf.

„Mit wem?"

„Na, mit ihr! Mit Lily! Lily Evans!"

Ich lege verwirrt den Kopf in den Nacken und runzele die Stirn. Ich verstehe kein Wort. „Entschuldigung?", mache ich und zucke mit den Schultern. „Ich hab keine Verwandte namens Lily."

„Sicher?", hakt er nach und sieht dann zum Portal, das sich knarrend öffnet. „Es geht los", murmelt er.

„Sehr sicher." Niemand heißt Lily. Nicht mal die Cousine einer Großtante.

Hagrid murmelt etwas vollkommen Unverständliches, wendet sich dann von mir ab und sammelt die Erstklässler ein. Gemeinsam ziehen wir unter dem gewaltigen Applaus der Schulgemeinde in die große Halle von Hogwarts ein und tatsächlich spüre ich ein kleines bisschen von der Magie, von der Olly vorhin so geschwärmt hat. Die Halle wird von schwebenden Kerzen erhellt und die Decke besteht nicht aus Stein, sondern zeigt den Nachthimmel. Oberhalb der Kerzen ziehen ein paar dunkle Wolken über die Decke, aber wenn ich den Hals ein wenig recke, kann ich die Sterne erkennen. Wie von selbst wandert meine Hand an den Anhänger um meinen Hals und mein Daumen streicht über die glatte Kugel. Ich kann nicht sehen, welche Farbe sie jetzt hat, ob sie noch immer grau ist, wie heute Morgen, oder ob sie ihre Färbung zwischenzeitlich verändert hat. Aber ich spüre die Kugel kühl unter meiner Haut und werde etwas ruhiger.

Sterne. Nett, Hogwarts. Wirklich nett...

Ich kann nicht sagen warum, aber plötzlich überkommt mich sowohl ein Gefühl der Verbundenheit mit dieser Schule, obwohl ich mich gleichzeitig danach sehne, meinem Bruder zu erzählen, wie sehr ich das alles nicht will.

Wir werden nach vorne geführt und dann beginnt bereits die „Einschulungsfeier". Die Schulleiterin, Professor McGonnagall, tritt nach vorne und begrüßt uns feierlich zum neuen Schuljahr. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie gut leiden kann. Sie wirkt etwas steif und unnahbar mit ihrer geraden Haltung und der Brille. Ihr spitzer Hut, der strenge Knoten, all das lassen sie wirken, als ob sie im letzten Jahrhundert feststecken geblieben ist. Aber sie scheint eine kluge Hexe zu sein. Sie sagt in ihrer kurzen Begrüßung scharfsinnige Sachen, auf die ich aber nicht wirklich achte, weil meine Augen auf dem ranzigen Hut hängen bleiben, der in der Mitte der Empore auf einem Schemel liegt. Verdammt. Offensichtlich muss ich da wirklich durch.

McGonnagall beginnt die Zeremonie mit Abanassy, Zoé, die nach kurzer Überlegung des sprechenden Hutes nach „Gryffindor!" geschickt wird. Ohrenbetäubender Jubel bricht aus. Und so geht es weiter. Ich stehe sehr weit abseits und beobachte, wie die ganzen Elfjährigen auf ihre Häuser verteilt werden. Butcher, Balthazar – Slytherin, Dexter, Molly – Ravenclaw. Es ist erstaunlich, wie gleichmäßig der Hut seine Verteilung vorzunehmen scheint, es gibt scheinbar keinen wirklichen Überhang zwischen den einzelnen Häusern. Bei Filmoore, Simon zögert er jedoch erstmals deutlich, bis er sich hier für Slytherin entscheidet. Ich muss daran denken, was Vi vorhin in der Kutsche erzählt hat: dass man es beeinflussen kann, wenn man will. Ob das hier der Fall war? Hat Simon mit dem Hut diskutiert? Ob ich ihn irgendwann mal danach fragen soll? Wird der Hut mit mir diskutieren oder - viel wichtiger: werde ich mit dem Hut diskutieren?

Ich schaue Simon nach, wie er an den Tisch der Slytherins geht, die ihn laut jubelnd in Empfang nehmen und mein Blick fällt auf die Affengang in der Mitte des Tischs. McDougal sitzt mit dem Rücken zu mir und lehnt lässig auf einem Ellbogen auf dem Tisch, während seine Entourage hibbelig alles beobachtet. Was für ein Affe.

⭐🌟🌠⭐🌟
Hogwarts 😍

Welches ist euer Haus? 💙💚💛❤
Und wo landet die kleine Miss Evans bloß - falls man ihr den Hut wirklich überstülpt? 🤔😎

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