Kapitel 26

Finneagan



Ich sehe Rory nach, wie sie den Raum verlässt, den Kopf leicht gesenkt, als wolle sie nicht auffallen. Ihr Aufbruch kommt plötzlich und lässt mich verwirrt zurück. Sie wirkt seit dem Training so... abwesend. Eine seltsame Distanz ist da zwischen uns, wie ein unsichtbarer Schleier, den ich nicht lüften kann. Es sollte mir eigentlich nichts ausmachen, dass sie gerade jetzt geht. Aber das tut es.


Ich stoße mit der Gabel in mein Essen, schiebe das Gemüse auf dem Teller hin und her, ohne wirklich hungrig zu sein. Ich versuche, mir einzureden, dass ihr Verhalten nichts mit mir zu tun hat. Wahrscheinlich ist sie einfach müde nach dem Training. Oder liegt es daran, dass ich sie mit meinen Worten über die verlorenen Punkte abgeblockt habe? Oder... war es das, was sie mir erzählt hat – über Liam, diesen Typen, der ausgerechnet auch noch ihr Ex ist?

Ich will nicht eifersüchtig sein. Rory und ich sind ein Team, wir verstehen uns blind auf dem Spielfeld, und darüber hinaus. Ich weiß nicht, wann mir ein anderer Mensch je so nah war, und mich so gut verstanden hat wie sie. Da ist kein Raum für Eifersucht, sage ich mir. Aber tief in mir gärt das Gefühl, breitet sich wie ein langsames Gift aus. Der Gedanke, dass sie mit ihm... Ich schüttle den Kopf, als könnte ich den Gedanken so einfach abwerfen. Aber er bleibt. Jeder Gedanke an Rory und diesen Liam bohrt sich in mein Inneres wie ein Stachel, den ich nicht herausziehen kann.

Vi redet über den Zauberkunstunterricht, schwärmt von einem der neuen Sprüche, den sie mit mir durchgehen will, aber ich nehme kaum etwas wahr. Meine Gabel bleibt in einer Karotte stecken, die ich nicht esse, weil mir der Appetit vergangen ist. Vi starrt mich an, hebt eine Augenbraue. „Hörst du mir überhaupt zu, Finn?"
Ich blinzele, reiße mich von meinen Gedanken los und sehe sie an. „Was? Klar, natürlich." Aber meine Stimme klingt hohl, auch in meinen eigenen Ohren. Vi lässt nicht locker und mustert mich mit diesem bohrenden Blick, der mir immer schon zu direkt war.
„Stimmt was nicht?" fragt sie, leise, aber forschend.
Ich will ihr sagen, dass alles in Ordnung ist, dass ich nur müde bin, aber es wäre eine Lüge. Da ist ein Druck in meiner Brust, der sich seit Monaten aufbaut, wie ein immer schwerer werdender Stein, den ich nicht abschütteln kann. Es ist das Turnier, die Erwartungen, mein Training, das Gefühl, nicht zu genügen – und dann noch Rory. Rory, die mir immer wieder zeigt, wie gut sie ist, wie mühelos sie die Situation meistert, und doch scheint etwas Unausgesprochenes zwischen uns zu stehen. Etwas, das ich nicht ganz verstehe und das mich fertig macht.
Ich seufze leise und lasse die Gabel sinken. „Es ist... alles okay, Vi," sage ich schließlich. Aber sie sieht mir an, dass es nicht stimmt.
Ich werfe einen letzten Blick zur Tür, in die Rory gerade verschwunden ist, und merke, dass ich nichts lieber tun würde, als hinterherzulaufen und endlich herauszufinden, was in ihr vorgeht.Ich stochere weiter gedankenverloren in meinem Essen herum und versuche, nicht zu viel zu grübeln, aber Rorys Abwesenheit hängt wie ein Schatten über meiner Stimmung. Ich bilde mir ein, dass es nicht an mir liegt. Dass sie vielleicht einfach mit dem Kopf woanders ist – das Training, die ganze Aufregung um das Turnier und das Wiedersehen mit Ilvermorny. Trotzdem, die Unruhe bleibt, die drückende Schwere, die seit Tagen in mir wächst.
Neben mir fragt Vi zum dritten Mal etwas über das Training, und ich nicke nur, bis sie die Augen verdreht. „Finn, komm schon! Ich dachte, wir sind wieder ein bisschen weiter." Sie schnaubt verschnupft und lehnt sich näher. „Woran denkst du die ganze Zeit? Ist es das Turnier? Ilvermorny? Alle reden von Durmstrang... hast du sie gesehen?"
„Du nervst, Vivi", murmele ich und schiebe das Essen auf meinem Teller hin und her.
Vi mustert mich mit ihren durchdringenden Augen, die nichts übersehen. „Das ist alles?" Sie legt eine Pause ein und hebt eine Augenbraue. „Na gut, also ist es Rory, oder? Es gibt sicher viel zu reden, seit die Ilvermorny-Leute da sind."
Ich blicke kurz zu ihr auf und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Aber das ist schon Reaktion genug. Ich sehe es an ihrem Lächeln. Trotzdem sage ich: „Ja, klar. Sie kennt eben die Leute von dort."

Vi scheint damit nicht zufrieden zu sein und stützt den Kopf in die Hand. „Ist da irgendeiner, den Rory besonders gut kennt? Oder...?"

„Vi", meine Stimme ist rasiermesserscharf. Ich halte kurz inne und zwinge mich, die Augen auf sie zu richten, obwohl ein beklemmendes Gefühl in mir aufsteigt. „Das ist alles Training, nichts weiter."
„Klar, Finni... Kein Grund, so bissig zu werden." Vi zieht die Schultern zurück und mustert mich mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis. Sie kennt mich zu gut, ich kann es sehen – und sie weiß, dass ich mehr auf dem Herzen habe, als ich zugebe.
Aber ich bin nicht in der Lage, ihr alles zu erklären.
Vi schaut mich einen Moment stumm an, als würde sie versuchen, hinter die Fassade zu blicken. Ich tue mein Bestes, mein Gesicht gleichgültig zu halten, doch ihre Augen verengen sich ein wenig, und ich sehe die Fragen, die in ihr aufsteigen. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, dass sie mir auf den Kopf zusagt, was ich selbst kaum zugeben will.
„Also..." Sie hebt die Gabel und stochert in ihrem eigenen Essen. „Rory hat dich in letzter Zeit ein bisschen durch den Wind gebracht, hm?"
Ich seufze, ein schweres, müdes Ausatmen, und drücke die Worte gegen meine Lippen, als könnte ich verhindern, dass sie einfach so herausrutschen. „Kannst du es nicht einfach bleiben lassen, du Sumpfkuh?"
Vi lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und mustert mich mit einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Verständnis und Skepsis liegt. „Könnte ich. Aber das würde deine Persönlichkeitsentwicklung schaden, die Troll. Rory – sie ist klug, leidenschaftlich und loyal. Ich glaube sogar, sie ist aufrichtig verknallt in dich, frag nicht weshalb."
Ein nervöser Stich geht durch meinen Magen. Ich versuche, ihr Lächeln zu erwidern, doch meine Gedanken kehren zu Rory zurück, wie sie sich nach dem Training abrupt verabschiedet hat und wie abwesend sie gewirkt hat. Es nagt an mir, weil ich mir sicher bin, dass es nicht nur die Anspannung des Turniers ist. Da ist noch etwas – oder jemand.
„Also: hat sie dir gesagt, sie liebt dich, und du hast irgendwas über die Chudley Canons erzählt?"„Leck mich, Vi!"
„Igitt!" Sie lacht. „Ich hab's! Ihr habt heftig geknutscht und Trewlaney hat euch erwischt. Rory kam nicht auf i-"
„Wenn du noch ein Wort weitersprichst, ich schwöre dir, dann spuckst du Schnecken bis nächstes Jahr Hallowween!" Ich funkele sie böse an und Violett, die alte Gossp-Hexe, bricht in schallendes Gelächter aus.
Ich räuspere mich und schüttle leicht den Kopf. „Vi, wirklich. Es ist nichts. Es ist viel Druck. Viel Verantwortung."
Sie sieht mich an, als wüsste sie, dass ich mir gerade etwas vormache. Und vielleicht tue ich das auch. Ich weiß nicht mehr, ob es wirklich die Verantwortung ist, die auf mir lastet, oder diese Eifersucht, die ich eigentlich nicht fühlen will, die aber trotzdem ihren Weg zu mir findet, jedes Mal, wenn ich an Rory und ihre Blicke denke, die manchmal irgendwo anders sind.
Vi legt die Stirn in Falten, ihr Blick scharf, fast besorgt. „Finn..." Sie lässt meine Ausflüchte nicht gelten, das weiß ich. „Du hast doch schon unzählige Turniere gespielt, und der Druck hat dich nie so aus der Bahn geworfen. Wenn du es mir nicht sagen willst, ist das okay. Aber ich kenne dich. Da ist noch was, was dir die Ruhe raubt."
Ich spüre, wie sich mein Kiefer anspannt, und senke den Blick auf meinen Teller. Ich schiebe das Essen nur herum, ohne wirklich Hunger zu haben. Der Gedanke, dass Rory nach dem Training so abwesend wirkte, lässt mich nicht los. Sie hat mir erzählt, dass Liam ihr Ex ist – und ich versuche, das rational zu sehen. Es ist Vergangenheit. Aber... es brennt mir trotzdem ein Loch in den Magen, wenn ich daran denke. Ich will mich nicht so fühlen, aber es ist, als ob dieser Knoten in mir immer größer wird, je mehr ich versuche, ihn zu ignorieren.
„Ich hab einfach viel im Kopf," sage ich schließlich, aber es klingt schwach, sogar für meine Ohren.
Vi schüttelt leicht den Kopf und runzelt die Stirn. „Weißt du, ich finde es immer spannend, wie offen du sonst über alles redest. Aber wenn's um Rory geht... dann verschließt du dich wie eine Auster."
Ich schnaube leise und zwinge mich zu einem schiefen Lächeln, das sich vollkommen falsch anfühlt. „Ich komm schon klar, Vivi." Die Worte fühlen sich halbherzig an, und ich sehe an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie sie mir nicht abkauft.
„Klar. Sicher", wiederholt sie skeptisch, und es ist, als würde sie die Bedeutung des Wortes durchleuchten. „Du magst sie sehr, oder?"
Ich halte Vi's Blick stand, aber die Frage trifft mich wie ein Schlag: Du magst sie wirklich sehr, oder? Für einen Moment bleibt alles stehen. Ich spüre die Anspannung in meinem Kiefer, und die Worte stecken mir wie Steine im Hals. Es ist keine einfache Frage, aber die Antwort? Die ist glasklar, auch wenn sie schwer über die Lippen kommt.
Langsam nicke ich, und meine Finger wandern automatisch zu meinem Haar. Ich streiche mir durch die Strähnen, rauf mir fast schon wütend die Haare, als könnte ich den Druck loswerden, der sich bei der Antwort in meiner Brust zusammenschnürt. „Ja. Viel zu sehr," murmele ich, fast mehr zu mir selbst. Vi mustert mich dabei mit diesem neugierigen Blick, den ich schon lange kenne.
„Hast du ihr das mal gesagt?", fragt sie schließlich leise und so ernst, dass es mich trifft. Ich schüttle den Kopf. „Nein... nicht wirklich." Rory ist... immer da. Sie hört mir zu, wenn ich im Kopf tausend Gedanken ordnen muss, und sie ist stark, egal, wie viel Druck auf uns lastet. Sie zeigt mir mit ihrer Art, wie sehr sie an mich glaubt. Irgendwie will ich das zurückgeben, will ihr dasselbe Gefühl vermitteln, das sie mir immer gibt.
„Und hast du vor das zu ändern, du Kesselhenkel?"
Ich zucke mit den Schultern, kenne die Antwort aber bereits. Vi wartet geduldig und beobachtet mich noch immer. „Hast du eine Idee, wie du das machen willst?"
Ich überlege, aber die Antwort bleibt aus. „Ich... nein. Eigentlich nicht." In meinem Kopf sieht es genauso chaotisch aus wie auf dem Spielfeld, als wir gegen im Frühjahr gegen Ravenclaw gespielt haben.
Doch dann sehe ich Rory im Portal der Halle auftauchen. Sie wirkt nachdenklich, spielt mit der Kette um ihren Hals, die sie immer trägt, während sie ihren Blick über die Tische schweifen lässt. Etwas Unausgesprochenes liegt in der Art, wie sie sich bewegt, wie ein Teil von ihr nicht hier, sondern woanders ist.
Und in diesem Moment fällt mir plötzlich etwas ein – eine Idee, wie ich ihr vielleicht zeigen könnte, dass ich sie genauso sehe und wertschätze, wie sie mich.Es fällt mir in dem Moment ein, als ich sehe, wie die feingliedrige Silberkette mit der hellblau leuchtenden Kugel in der Hand durch ihre Finger gleitet.

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