Kapitel 26
Ich betrete benommen in die Umkleidekabine. Meine Schultern sind bleischwer von dem Gespräch mit Liam, und bleibe einen Moment wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Das Team ist noch da, einige schwatzen laut, lachen, packen ihre Taschen zusammen. Olly erzählt lauthals derbe Witze, die Mimi mit einem abfälligen Schnauben quittiert. In der hintersten Ecke der Kabine sitzt Finn auf der Bank, mit gesenktem Kopf und einer Stille um sich, die fast greifbar ist. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Vielleicht sind es auch zwei oder drei.
Ich kann die Last seiner Anspannung fast greifen, sehe, wie die Hände in seinem Schoß zu festen Fäusten geballt sind und wie er den Kiefer zusammenpresst. Ich will es leichter machen für ihn – wie damals, als ich ihn den Torpfosten schlagen sah. Gleichzeitig weiß ich, dass ich vor nicht mal drei Minuten mit einem „Ja, okay" vermutlich alles komplizierter gemacht habe.
Mein Herz flattert gegen meinen Brustkorb und ich bin mir in diesem Moment meiner eigenen verdammten Gefühle mehr bewusst denn je. Finn, dessen Nähe mich mit dieser unausweichlichen Wärme erfüllt, und gleichzeitig... Liam. Liam, dessen Lächeln ich nicht ganz aus dem Kopf bekomme, dessen Worte so ehrlich und roh waren.
Ich will hier weg.
Ich will zu Finn.
Unwillkürlich streiche ich mir mit der Hand eine Strähne aus der Stirn, schüttele den Gedanken ab und setze mich behutsam neben Finn. Neben meinen Freund. „Hey," sage ich leise.
Er hebt den Kopf, die moosgrünen Augen sind müde und leer. Er versucht sich an einem Lächeln, aber es wirkt matt. „Hey, Evans."
Die Worte hängen zwischen uns, unsicher, ein bisschen brüchig. Sein barsches „Ich hab jetzt wirklich keinen Kopf dafür" schwebt zwischen uns, genau wie das Treffen mit Liam, von dem er nichts weiß.
Ich sehe ihn an, will ihm Mut zusprechen, etwas sagen, das es besser macht, das Hooch's erneute Entscheidung für Fawley nichtig erklärt, aber es gelingt mir nicht. Die Verwirrung in mir drückt mich nieder und es gelingt mir nicht, irgendetwas Leichtes, Unbeschwertes zu sagen. „Hartes Training heute, oder?", bringe ich schließlich hervor, bemüht, die Schwere zu durchbrechen. Aber es ist hart, etwas zu zerbrechen, wenn die Last auf den Schultern so wuchtig wiegt, wie sie gerade auf meinen liegt.
Ich hätte nicht zustimmen dürfen. Ich hätte mit Liam über McDou sprechen sollen. Aber ich konnte nicht. Er hatte mich überrumpelt.
Finn presst die Lippen zusammen, nickt nur und sein Blick gleitet kurz ins Leere. „Hooch..." Er bricht ab, schüttelt leicht den Kopf, bevor er weiterspricht. „Sie hat mir ziemlich klar gemacht, dass sie ihren Hüter schon gewählt hat."
Die Bitterkeit in seiner Stimme trifft mich, als wäre es ein leises Echo meiner eigenen Unsicherheit. „Finn..." beginne ich und versuche, meine eigenen Gedanken zu ordnen, doch seine nächste Bemerkung schneidet mir ins Wort. „Sie hat nichts gesagt. Sie hat nur-", geschwiegen, will ich sagen, aber stattdessen bin ich still.
„Ehrlich, ich weiß nicht mehr, warum ich das überhaupt noch mache." Seine Worte sind kaum mehr als ein Murmeln, und ich sehe, wie schwer ihm dieses Eingeständnis fällt. „Es fühlt sich an, als würde alles, was ich gerade tue, alles was ich je getan habe, einfach nicht zählen."
Ich will ihm sofort widersprechen. Ich will ihm sagen, dass er alles hat, was ein echter Quidditch-Spieler braucht – doch meine Gedanken sind zu verworren. Liam, mit seinen ernsten Augen, seinem Wunsch nach diesem Date, der Bitte, etwas Neues zwischen uns zu versuchen; und Finn, der jetzt so verletzlich und doch so unglaublich stolz neben mir sitzt. Ich ringe mit den Worten, will ihm irgendwie zeigen, dass ich ihn verstehe, ohne ihm das Chaos in meinem Herzen zu offenbaren.
„Finn, ich..." Meine Stimme zittert, während ich spreche. „Ich kann nur sagen, dass ich es sehe. Alles, was du in dieses Spiel gibst. Die Kilometer vor dem Frühstück, die Taktiktreffen mit Hooch, das Krafttraining, alles. Es zählt, auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt. Du bist so unglaublich...gut." Ich drehe den Kopf und sehe ihn eindringlich an, in der Hoffnung, dass er das versteht – was ich nicht laut auszusprechen wage. Dass er mehr ist. Viel mehr als der Hüter, der Captain oder der Typ, den ich küsse.
Er hebt schwerfällig den Kopf und erwidert meinen Blick, und zum ersten Mal an diesem Tag weicht die Verbissenheit aus seinem Blick. „Danke, Evans." Die Worte klingen ruhig, fast verloren, doch in ihnen schwingt auch etwas wie Erleichterung mit.
Dann folgt Stille.
Nach und nach verlassen die anderen die Umkleide, nur wir bleiben zurück.
Eine Weile sitzen wir so da, schweigend nebeneinander. Ohne, dass ich es bemerke, wird der Abstand zwischen uns geringer. Mein kleiner Finger liegt so nah neben seinem, dass ich ihn berühren könnte, aber ich rühre mich nicht. Er rührt sich nicht. Finn atmet tief ein und als die Luft aus ihm weicht, sinkt er mit seiner Schulter ein Stück näher gegen mich. Nach und nach wird meine eigene Unsicherheit von einem Gefühl der Nähe überdeckt. Ich will darin ertrinken, in dieser Wärme zwischen uns. Wie gestern Nacht.
Aber Liam drängt sich immer wieder in meine Gedanken, das Versprechen, das ich ihm gegeben habe, mich mit ihm zu treffen. Das war unüberlegt, dämlich. Das wird nur Ärger geben. Mein Gedankenkarussell wirft mich hin und her, wie eine Welle, die mich forttragen will. Mein Magen ist in Alarmbereitschaft, mir ist unterschwellig übel und mein Herz schlägt heftig, als sie Finns Nähe so dicht und warm neben mir spüre und zugleich weiß, dass ich Liam eine andere Art von Nähe versprochen habe.
Was habe ich mir nur dabei gedacht?
„Du hast was auf dem Herzen, oder?" Finns leise Stimme durchbricht unser Schweigen, und er sieht mich fragend an, ein kleines, leises Lächeln um die Lippen. „Ich kenne dich. Du bist irgendwo anders."
Scheiße.
Mein Herz macht eine Vollbremsung.
Ich sehe weg und ringe mit meinen Gefühlen. Ich will ihn nicht anlügen, aber die Wahrheit auszusprechen, fühlt sich wie Verrat an. „Ja... es ist nur viel, was gerade passiert... was irgendwie alles durcheinander bringt." Meine Stimme ist nur ein Flüstern, und ich hoffe, dass er versteht, ohne dass ich mehr sagen muss.
Zu meiner Erleichterung nickt er, sieht mich an, und in seinen Augen liegt ein Funke von dem Verständnis, das sie so sehr an ihm mag. „Dann sitzen wir wohl im selben Boot." Ein schwaches, fast verlorenes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, und er legt kurz seine Hand auf meine. „Aber danke, dass du hier bist. Das hilft."
Die Wärme seiner Finger auf meinem Handrücken lässt mein Herz schneller schlagen. In seinem Lächeln liegt etwas, das ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hat, eine sanfte Ehrlichkeit, die mich zugleich tröstet und in Aufruhr versetzt. Da ist dieser Gordische Knoten in meiner Brust, wenn ich ihn ansehe, der zieht und zieht und reißt – so fest, dass ich es nicht ignorieren kann. Das Gefühl, dass ich ihn hintergehe, wenn ich mich mit Liam treffe.
„Ich bin immer hier", flüstere ich. Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauch, und auch, wenn ich flüstere, ist jedes Wort wahr. So verwirrt, so zerrissen ich gerade bin: Vielleicht ist das die einzige Wahrheit, die ich ihm heute sagen kann.
Finns Blick wird weicher, und ein Hauch von Wärme erhellt sein Gesicht. „Du... hast keine Ahnung, wie viel mir das bedeutet." Seine Stimme ist leise, beinahe verletzlich, und ich kann nur nicken, während die Zweifel sie erneut überwältigen.
Als ich aufstehe, hält er mich sanft am Handgelenk fest und ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Finn folgt mir in die Höhe, nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich vorsichtig. „Ich höre nicht auf..."
„Das weiß ich...", erwidere ich, die Lippen noch an seinen. „Du liebst es zu sehr."
Finn seufzt leise und lehnt die Stirn an meine. „Ich l-", setzt er an, unterbricht sich aber. Ich halte die Luft an. Wünsche, dass er es sagen will. Hoffe, dass er es nicht sagen will. Ich bin nicht bereit dafür. Heute nicht.
Finn tritt zurück. „Ich bin froh, wenn dieses Turnier um ist."
Gemeinsam verlassen wir die Umkleide. „Ich auch." Die nächsten Tage, Wochen, werden hart werden. Die Last der unausgesprochenen Worte und die Verwirrung in meinem Inneren ist jetzt schon unerträglich.
Wir laufen nebeneinander über das Schlossgelände, Schulter und Schulter, unsere Hände streifen sich dabei regelmäßig und mein Herz macht kleine Stolperer. Es fühlt sich richtig an, neben ihm herzugehen und noch richtiger, wenig später neben Vi in der großen Halle beim Mittagessen zu sitzen. Das Summen der Stimmen um uns herum vermischt sich mit dem Klirren von Besteck und den eifrig geführten Gesprächen über das kommende Quidditch-Turnier.
Das Getratsche von heute Morgen über die verlorenen Punkte ist weniger geworden und wird von ersten Gerüchten überdeckt von Schülern, die Teile der Teams haben fliegen sehen. Durmstrang ist in aller Munde. Wie schnell sie sind. Dass nicht ein Ball geworfen wurde, hat natürlich keiner gesehen.
Vi brennt natürlich auch auf Neuigkeiten. Noch bevor wir richtig sitzen, lehnt sie sich über den Tisch und fragt: „Also? Wie war das Training heute? Habt ihr Castelobruxo oder Durmstrang schon spielen sehen? Was machen die Ilvermornys?"
Finn versucht ein Lächeln und schüttelt nur leicht den Kopf, nimmt sich langsam etwas Kürbissaft und lässt sich so viel Zeit, dass ich ihm schließlich einen sanften Stoß mit dem Ellbogen gibt. „Also... nein, wir haben noch keine der anderen Mannschaften spielen sehen, Vi," sagt er gedehnt und legt das Besteck zur Seite. „Wir hatten bloß das eigene Training..." Er grinst schief.
„Olly sagt, ihr hättet Durmstrang gesehen."
„Oh man... O'Connor, ey..." Er rollt die Augen. „Sowas posaunt man nicht herum, sowas behält man für sich."
„Warum?", fragt Vi.
„Vielleicht aus Taktik? Oder der Professionalität wegen?" Er rollt erneut die Augen und die Ähnlichkeit der beiden fällt mir einmal mehr auf.
„Als ob du so-", beginnt sie, beißt sich aber auf die Lippen. Dann schüttelt sie und Kopf und hakt noch einmal nach. „Und Ilvermorny? Da musst du doch was sagen können, Rory, oder? Das ist schließlich dein altes Team! Hast du einen Eindruck, wie sie drauf sind?"
Ich zögere kurz, und Finn merkt, dass auch ich das Thema nicht ganz so locker aufnehme. Es ist, als ob sich etwas Unsichtbares zwischen uns aufbaut, sobald Ilvermorny ins Gespräch kommt. Ilvermorny, wo „der Treiber" spielt. Liam. Liam, der ein Date mit mir will. Ich spüre, wie ich rot werde, räuspere mich und sehe Vi an. „Es ist lange her, dass ich mit ihnen gespielt habe. Ich weiß nichts über die Taktik. Sie haben ein paar neue Spieler..." Einen neuen Spieler. Das sage ich aber nicht.
Vi sieht von Finn zu mir und wieder zurück, ihre Neugier noch immer wach. „Hört sich an, als ob da mehr dahinter steckt," murmelt sie leise, den Blick immer wieder auf Finn gerichtet. „Gibt es bei denen denn keinen herausragenden Spieler, Rory? Irgendjemand, auf den ihr achten solltet? Das kann doch nur von Vorteil sein, wenn ihr das bei der Teambesprechung-"
„Hooch weiß, dass ich dort gespielt habe. Wenn sie Infos will, gebe ich die gerne...", sage ich vage.
„Aber es ist doch wichtig zu wissen, welche Tricks ihre Treiber so drauf haben und-"
Als das Wort Treiber fällt, versteift sich Finn verhalten. Auch ich spanne mich an und hoffe, dass es Violett nicht bemerkt. Finn sieht stur auf seinen Teller und bleibt still. „Wir haben keine Ahnung, wer die Schlüsselspieler der Teams sind. Und das ist vielleicht auch gut so," sagt er ein wenig zu fest und barsch. Ich sehe ihn erstaunt an und schüttele dezent den Kopf, bevor ich mit einem Seufzen zu Vi hinübersehe.
„Wir werden's sehen, wenn das Turnier beginnt," sage ich schließlich fest. „Ich habe auch keine Lust, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, bevor wir überhaupt gegen Ilvermorny oder Durmstrang antreten."
Finn sieht seine sensationsbegierige Schwester zwinkernd an und sagt: „Vielleicht wartest du einfach, bis Atti den ersten Klatscher wirft. Dann siehst du schnell, wie gut die anderen Treiber sind, was?"
Als die Ilvermorny-Spieler die Große Halle betreten, spüre ich sie sofort – eine fast greifbare Präsenz, wie ein Windhauch, der mir den Atem raubt, obwohl ich versuche, ihn zu ignorieren. Ich zwinge mich, auf meinen Teller zu schauen, die Aufmerksamkeit fest auf das Brötchen in meinen Händen zu richten. Aber die tiefroten Fliegerroben, die Haltung und der Stolz, mit dem sie geschlossen auftreten, machen es unmöglich, nicht zu ihnen hinüberzusehen. Mein Blick schweift unwillkürlich in ihre Richtung, und da ist er: Liam.
Liams Augen suchen mich, und mein Herz verzieht sich zu einem dichten, schmerzhaften Knoten. Sein Blick – eine Mischung aus Fragen, Hoffnung und einem Funken Unsicherheit – ruht auf mir, zieht an mir wie ein unsichtbares Band, das ich nicht durchtrennen kann, obwohl ich es so sehr will. Ich sollte ihm ein Zeichen geben, einen Blick, der alles klärt. Doch stattdessen starre ich auf mein Brötchen und tue so, als wäre alles in Ordnung.
Finn sitzt direkt neben mir, und seine Präsenz ist wie ein sicherer Hafen, eine Wärme, die mich eigentlich beruhigen sollte. Aber genau das vergrößert den Knoten in mir nur noch mehr. Die Erinnerung an den Abend gestern in Trewlaneys Klassenzimmer lässt mein Herz schneller schlagen – genau wie Liams Worte, an seine Nähe, die mir unangenehm nah gekommen ist. Und mein schlechtes Gewissen flammt auf, wie eine Flamme, die ich nicht löschen kann, egal wie sehr ich es versuche.
„Alles okay?" Finns Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke auf und sehe, dass er mich aufmerksam ansieht, mit einem Hauch von Besorgnis in den grünen Augen, die mir so vertraut und so lieb geworden sind. Sein fragender Blick trifft mich wie ein Stoß – warm und ehrlich und ohne die leiseste Ahnung von dem Chaos, das in mir wütet.
Ich ringe mir ein Lächeln ab, das mich selbst nicht überzeugt. „Ja, klar. Alles gut." Aber meine Stimme klingt hohl, nicht so fest, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich kann spüren, dass ich ihm etwas vormache, und Finn kennt mich zu gut, als dass er nicht wenigstens ahnen würde, dass etwas nicht stimmt. Doch er lässt es einfach so stehen, als wolle er mir die Entscheidung überlassen, wann ich mich ihm öffnen möchte.
Der Raum fühlt sich plötzlich viel zu eng an. Ich zwinge mich, ruhig zu atmen, den Blick von den Ilvermorny-Spielern abzuwenden und mich auf Finn zu konzentrieren, ihn so zu sehen, wie er hier neben mir sitzt. Er ist da, bereit, mir zuzuhören, bereit, an meiner Seite zu sein, und das Wissen darum schmerzt und tröstet mich zugleich. Ich will ihm nichts vorenthalten, will ihm zeigen, dass ich ihn verdient habe. Aber der Schatten von gestern liegt schwer über mir, wie ein düsteres Geheimnis, das ich selbst kaum benennen kann.
Also sage ich nichts weiter, presse die Lippen zusammen und versuche, die Präsenz von Liam, die immer noch über uns schwebt, zu ignorieren. Doch in meinem Inneren herrscht ein leises Chaos, und ich weiß nicht, wie lange ich diese Fassade aufrechterhalten kann, ohne dass Finn es bemerkt.
„Ich muss noch was für Zaubertränke holen", sage ich schnell und verlasse eilig die Große Halle.
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