Kapitel 24

Rory

Letztlich kann ich nicht sagen, wie lange wir im Treppenhaus sitzen. Finn lehnt mit dem Rücken gegen die Wand, ich sitze seitlich auf seinem Schoß und ein träger Kuss folgt dem nächsten. Es ist, als könnten weder er noch ich damit aufhören. Ich will es auch gar nicht.

Unterricht findet heute keiner statt, zum Glück nicht. Uns allen steht der Kopf nicht danach. Dadurch, dass die Mannschaften ankommen, sind alle Lehrer mit den Vorbereitungen beschäftigt. Gerade die jüngeren Schüler wuseln schon seit Tagen nur noch aufgeregt durch die Gänge. Finn und mir könnte es im Augenblick jedoch nicht egaler sein, wer hier ankommt. Es könnten die Schicksalsschwestern persönlich sein, es würde mich nicht mehr jucken.

Wenn dir das jemand im September gesagt hätte, hat er vorhin gesagt. Wie ätzend ich ihn fand, wie er sich damals im Hogwarts-Express aufgeführt hat. Der Schul-Ghul. Was für ein Idiot er war. Ist. Er ist immer noch ein Idiot, aber...

Vorsichtig fährt er mit dem Zeigefinger am Saum meines Pullovers entlang. Er macht keine Anstalten, darunter zu schlüpfen, und doch ist die Gänsehaut, die ich am ganzen Körper bekomme, gewaltig.

Bei Morgana...

Ich seufze leise und spüre, wie er im Kuss grinst. „Was?", fragt er und legt den Kopf schief. Sein Daumen zieht Kreise in meiner Taille und ich habe das Bedürfnis, ihn-

„Nichts..." Ich blinzle ihn an. „Ich würde gerne sagen, dass du wirklich gut darin bist, aber..."

Sein Grinsen wird breiter und selbstgefällig. „Aber?"

„Die Gefahr, dass das dein Ego nur unnötig aufbläst, ist mir zu groß."

Er lacht dunkel, hebt dann aber den Kopf und sieht an mir vorbei. „Atti...", murmelt er und ich drehe mich um. Atticus mustert uns amüsiert und hebt dann eine Augenbraue. Ich finde es immer noch faszinierend, wie diese stumme Kommunikation zwischen ihm und Finn abläuft.

„Was willst du, Mann?"

Atti seufzt und schaut auf die Uhr an seinem Handgelenk. Dann wirft er mir und Finn die Team-Jacken zu. Das ist unmissverständlich. Es kann unmöglich schon Zeit sein, hinauszugehen. Ich greife nach Finns Handgelenk. Verdammt. Es ist zehn vor zwölf. „Scheiße, haben wir echt drei Stunden hier gesessen?"

Atti lacht heiser, Finn grinst nur, während ich von ihm herunter klettere. „Du bist ein Idiot, McDou!"

„Warum bin ich denn jetzt schon wieder der Idiot?!"

„Weil wir drei Stunden nichts getan haben, außer hier rumzuknutschen!"

„Ich würde jetzt nicht sagen, das wir nichts getan haben...", sagt er und seine Ohren leuchten rot, während ich in meine Team-Jacke schlüpfe. Atti grinst in sich hinein.

„Und du", sage ich zu Atticus und bohre ihm den Finger in den Brustkorb, „grins nicht so dreckig!"

Er hebt abwehrend die Hände. Was hab ich denn getan, fragt er stumm.

„Echt jetzt?", frage ich zurück und Atti schnaubt. „Idioten. Beide. Kein Wunder, dass ihr Freunde seid."

Während ich vor beiden hergehe, höre ich die Zwei leise glucksen. Ich kann ihnen nicht böse sein. Finn nicht, dass ich stundenlang mit ihm die Zeit vertrödelt habe, und Atti nicht, dass er ihm ein so loyaler Freund. Was soll ich schon dagegen setzen? Aber Idioten sind sie trotzdem beide. Im besten Sinne.



Wir betreten das Außengelände über den Ausgang am Westturm. Mittlerweile hat der strahlendblaue Himmel vom frühen Morgen sich verflüchtigt und Wolken haben sich breitgemacht. Natürlich. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn Schottland sich einmal von seiner sonnigen Seite zeigen würde.

Es ist bereits viel los aus dem Rasen, aufgekratzte Schüler stehen in Grüppchen herum, während Flitwick mit hoher Stimme versucht, den Strom an Erst- und Zweitklässler in Richtung See zu lenken. Dort steht eine festlich geschmückte Tribüne aus Holz, an den Seiten wehen stolz die Schulbanner im Wind.

„Scheint ein Riesending zu werden", murmle ich, als ich die ganzen festlichen Fahnen am Seeufer sehe und spüre Finns Blick auf mir.

„Das merkst du jetzt erst?", fragt er belustigt.

„Nein." Doch. Ich zucke mit den Schultern und folge ihm und Atti den ausgetretenen Pfad hinunter zum See, wo ich Ausschau nach Violett halte.

„Du kennst doch die Berichte von damals, oder? Wie groß diese Sache beim letzten Trimagischen Turnier war, oder?", hakt er nach und ich nicke stumm. Natürlich weiß ich das. Jeder kennt die Berichte vom Aufstieg Du-weißt-schon-wems und dem Tod Cedric Diggorys bei der letzten Aufgabe. Durmstrang und Beauxbatons hatten eine ganze Auswahl an Schülerinnen und Schülern nach Hogwarts geschickt. Jetzt bin ich mir nicht sicher: Kommen nur die Teams? Kommen auch Mitschüler als Fans mit? Wenn jede Schule ein Team mit Ersatzspieler schickt, sind das schon knapp 100 Schülerinnen und Schüler zusätzlich.

„Es war gewaltig", sagt er leise und sieht mich an. „Und das wird es jetzt auch..." Dann schaut er über mich hinweg und sein Blick heftet sich auf Fawley, der mit Cassie und Mimi auf einer Anhöhe steht. „Komm", er greift nach meiner Hand und folgt Atti den Hügel hinauf.

Ich bin mir immer noch nicht sicher, wie er dazu steht, dass Fawley spielt. Ob er wirklich erleichtert ist oder ob die Enttäuschung doch überwiegt. Ich kann ihn gut lesen, aber in dieser Hinsicht lässt er sich nicht in die Karten schauen.

Auf der Tribüne am Seeufer erkenne ich McGonagall und Ludo Bagman, die sich mit einer Hexe in knallgrünem Kostüm unterhalten. Ihre grauen Haare hat sie kunstvoll aufgetürmt und obwohl ihr Gesicht faltig ist, trägt sie knallroten Lippenstift und um ihr knochiges Handgelenk schaukelt eine große Aktentasche. Neben ihr steht Lilly Potter und sieht absolut nicht begeistert aus, dass die Hexe hier ist.

„Wer ist das?", frage ich in die Runde und Finn und die anderen folgen meinem Blick.

Cassie verzieht das Gesicht. „Uärks", macht sie und schüttelt sich.

„Rita Kimmkorn", sagt Finn verhalten und verzieht ebenso verkniffen das Gesicht.

„Ich dachte, die ist in Rente."

„Nee", Mimi zieht den Reißverschluss ihrer Jacke ein Stück höher. „Die schreibt noch ihren Tratsch für die Hexenwoche. Im Tagespropheten ist sie nicht mehr so häufig zu finden, seit damals dieser Skandal beim Trimagischen Turnier war."

„Was für ein Skandal?"

Mimi grinst. „Rose hat mir das mal erzähl. Angeblich hat ihre Mutter sie beim Spionieren erwischt. Seitdem schreibt die Kimmkorn auch weniger scharf."

Finns Kopf schießt zu ihr herum. „Weniger scharf?", sagt er und ich höre eindeutig sehr viel Sarkasmus und Bitterkeit aus seiner Stimmer heraus. „Entschuldige, aber nach dem Scheiß, den sie geschrieben hat über Gryffs Tod-" Er bricht ab, als er bemerkt, dass ihn die anderen anstarren. Er spricht nicht über Gryffs Tod. Nie. Schon gar nicht in der Schule.

„Sie hat einen Nachruf verfasst", sagt Mimi. „Einen sehr... schönen, angemessenen Nachruf, der-"

Tapfer, mutig und stark", sagt Finn und sieht Mimi an. Ich lege ihm die Hand auf die Schulter und spüre, wie auch Atti neben ihm drauf und dran ist, etwas zu tun. Er rastet gleich aus. Grundlos. Also...  nach allgemeinen Maßstäben. Finn würde das sicherlich anders sehen.

„Finn", flüstere ich und drücke ihm sanft die Schulter. Mimi weiß nicht, was passiert ist. Niemand hier weiß, was passiert ist. Ich habe keine Ahnung, was Rita Kimmkorn in seinen Augen für einen Mist geschrieben hat, aber ihn hat es getroffen. Ihn hat es verletzt. Weil er versagt hat und gescheitert ist. Für alle anderen war es  "nur"ein Nachruf. Er sieht es als Angriff auf sich selbst, auf sein eigenes Scheitern, seinen besten Freund zu retten.

Ich spüre, wie er sich immer weiter versteift, soweit, bis er schließlich vollkommen angespannt ist. „Atme aus", flüstere ich. „Lass los." Er ballt die Hand immer fester zur Faust, kommt gar nicht mehr aus der Anspannung heraus. Einatmen gelingt ihm nicht. Er zieht Luft und Luft und Luft und ich weiß, dass er plötzlich in dieser Welle von Panik feststeckt und nicht mehr herauskommt. Ich kann nichts tun, nur zu sehen, wie es schlimmer wird.

Deshalb verwundert es mich, dass es Fawley ist, der sich plötzlich vor ihn stellt und ihn fest ansieht. „Alter, konzentrier dich. Fünf Dinge, die du siehst."

Finn reagiert nicht auf ihn, deshalb wiederholt Fawley seine Worte laut und deutlich. „McDou, nenn mir fünf Dinge, die du sehen kannst."

Finn blinzelt. Sieht Fawley an. „Was?", fragt er angestrengt und sein Gegenüber wiederholt die Frage erneut. Nachdrücklich. Deutlich. Unnachgiebig. Dann huschen Finns Augen umher. „Gras", presst er hervor. „Die Schlossmauer..."

„Sehr gut..."

„Die Tribüne..." Finn atmet tief ein und sein Blick huscht umher. „Rorys Haare."

„Super. Eine Sache noch."

„Deine hässliche Visage."

Fawley lächelt. „Jetzt vier Dinge, die du hören kannst."

Finn schließt die Augen und atmet langsam aus. Dann zählt er die Dinge auf, während Cassi, Mimi und Atti die beiden Jungs angespannt beobachten. „Das Klappern der Fahnenstangen. Das... Rascheln der Grashalme..." Er lauscht genauer. „Jemand läuft hinter mir die Wiese hinunter und... Evans Kette klirrt..."

Echt? Das wäre mir selbst nicht aufgefallen.

Fawley nickt. „Sehr gut. Drei Dinge, die du außen spüren kannst."

Finn schweigt kurz, bevor der antwortet. Ich sehe, dass die Anspannung deutlich nachgelassen hat und auch, dass er viel viel gelassener atmet. „Den Stein unter meiner rechten Schuhsohle... das Label im T-Shirt... der Wind... auf der Haut..."

„Zwei Dinge, die du riechen kannst."

Ich sehe mich um und sehe, dass neben Finn auch Cassie und Mimi tief einatmen und vermutlich ausprobieren, was sie wahrnehmen. Es ist faszinierend, was Fawley da gerade mit ihm mit.

„Das Gras... und Lavendel."

Fawley runzelt die Stirn, vermutlich weil er keine Ahnung, wo Finn verdammt nochmal Lavendel riecht. Doch er lächelt. „Was macht die Anspannung, McDou?"

Finn schlägt die Augen auf. „Besser." Er starrt Fawley an, als ob der eine Schnecke auf der Stirn sitzen hat. „Ähm, ja. Krass."

Fawley grinst ihn breit an und schlägt ihm sanft auf die Schulter. „Gern geschehen."


........

Ein Lebenszeichen von mir...
Tut mir leid, dass ich euch so lange nicht gefüttert haben, aber mir ging es eine Weile gesundheitlich nicht so gut. Mir fällt aktuell alles noch recht schwer, aber ich gebe mir Mühe, meine Motivation zu suchen :)

LG

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